Das Wahlsystem des japanischen Unterhauses. Critical Juncture oder inkrementeller Wandel?


Bachelorarbeit, 2017

47 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Abkürzungsverzeichnis

2 Einleitung

3 Theoretischer Rahmen
3.1 Critical Juncture
3.2 John Hogans Critical Juncture Ansatz (2006)
3.3 Generative Cleavage und Change

4 Das Wahlsystem
4.1 Die Wurzeln des Wahlsystems
4.2 Das Wahlsystem nach dem zweiten Weltkrieg

5 Wahlen und die LDP
5.1 Parteien und die Dominanz der LDP
5.2 Wahlen unter dem SNTV MMD-System
5.3 Kôenkai

6 Faktionalismus
6.1 Faktionen der LDP
6.2 Vorteile der Faktionsmitgliedschaft
6.3 Wahl des LDP Präsidenten
6.4 Schwachstellen des Faktionalismus

7 Generative Cleavage
7.1 Skandale
7.2 Lockheed-Skandal
7.3 Recruit-Skandal
7.4 Miyazawa und das Misstrauensvotum

8 Change
8.1 Parteigründungen
8.2 Unterhauswahl vom 18. Juli 1993
8.3 Reform des Unterhauswahlsystems

9 Das neue Wahlsystem

10 Literaturverzeichnis

1 Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

2 Einleitung

Das japanische Unterhauswahlsystem fand seinen Ursprung im 19. Jahrhundert. Mit einer kurzen Unterbrechung am Anfang des 20. Jahrhunderts und kurz nach dem zweiten Weltkrieg, blieb es bis 1993/4 bestehen. Das Wahlsystem übte einen negativen Anreiz auf die Parteien und Politiker aus und förderte die politische Korruption in Japan. Nach einigen Reformversuchen in der Nachkriegszeit, gelang eine Reform des Unterhauswahlsystems 1993/4. Die vorliegende Arbeit geht der Frage nach, ob sich das Unterhauswahlsystem inkrementell (schrittweise) gewandelt hat, oder ob es durch eine „Critical Juncture“ ausgelöst worden ist. Entspricht also die Reform des japanischen Unterhauswahlsystems (1993/4) den Definitionskriterien einer „Critical Juncture“ nach Hogen (2006)? Um diese Frage zu beantworten, wird in Kombination mit Hogans Critical Juncture Ansatzes und der Fachliteratur eine qualitative Analyse durchgeführt. Dieses Thema ist in zweierlei Hinsicht besonders interessant. Wahlsysteme sind typischer Weise nicht primäre Ziele von Reformen. Da Wahlsysteme einen Einfluss auf verschiedene Strukturen und Institutionen wie z.B. dem Parteiensystem und Wahlkampf ausüben können, ist dessen Änderung ein sensibles Thema. Eine verabschiedete Wahlsystemreform kann dem Politiker bei der nächsten Wahl den Sitz kosten. Wenn sich ein Parlament dazu entscheidet die „Spielregeln“ zu ändern, sollte man dem Beachtung schenken. Aus theoretischer Sicht, ist die Anwendung von Hogans Critical Juncture Ansatz interessant. Hogan hat seinen Ansatz basierend auf politikökonomischen Annahmen entwickelt und viele Arbeiten, die seinen Ansatz Nutzen, gibt es bisher nicht. Ob seine Kriterien die Analyse von anderen Politikfeldern auch möglich macht, ist eine spannende Frage.

Der erste Teil der Arbeit bietet eine kurze Einleitung über den Historischen Institutionalismus und geht dann in die Thematik des Critical Junctures und Hogans Ansatz über. Anschließend wird die historische Entwicklung des japanischen Wahlsystems dargelegt und die Parteien eingeführt. Darauf folgt die Analyse der Auswirkung des Wahlsystems auf den Wahlkampf, Politiker und die LDP. Anschließend wird mit Hilfe von Hogans Ansatz analysiert, ob die Reform des Unterhauswahlsystems 1993/4 durch einen Critical Juncture ausgelöst worden ist.

Wo immer es möglich war, wurden in dieser Arbeit geschlechtsneutrale Formulierungen gewählt, jedoch wurde an einigen Stellen zugunsten der Lesbarkeit nur die männliche (aber neutral gemeinte) Form benutzt.

3 Theoretischer Rahmen

Die zentrale Annahme des Historischen Institutionalismus (HI) ist die, dass es erleuchtend ist die politische Interaktionen von Menschen im Kontext von Strukturen (Institutionen), die von Menschen geschaffen worden sind, zu analysieren. Institutionen werden im HI als von Menschen geschaffene Zwänge beschrieben, die auf die Handlung des Menschen einen Einfluss nehmen. Um die Handlung politischer Akteure zu verstehen, muss man die historische Entwicklung der Institution und die Kultur und Situation in der die Institution entstanden ist, zur Kenntnis nehmen (Rhodes 2006: 39-42). Ein zentrales Element des HIs ist die Pfadabhängigkeit, die die Entwicklung von Institutionen kennzeichnet.

Laut dem HI, haben Policys einen fortsetzenden und determinierenden Effekt auf zukünftige Policys. Dies wird im HI als Pfadabhängigkeit bezeichnet. Wenn also eine Regierung mit einer Policy einen Pfad eingeschlagen hat, besteht die Tendenz, dass die eingeführte Policy fortbestehen bleibt. Der Pfad der eingeschlagen worden ist, kann verändert werden. Es erfordert jedoch enormen politischen Druck um einen Wandel hervorzurufen (Peters 2007: 71). Um den Wandel einer Institution zu erklären, bedient sich der HI unteranderem dem Critical Juncture[1].

3.1 Critical Juncture

Die Theorie des HI wird in der Wissenschaft weitestgehend genutzt, um die Pfadabhängigkeit und somit die Stabilität von Institutionen zu analysieren. Dem HI wird auch dementsprechend vorgeworfen, institutionellen Wandel nicht ausreichend erklären zu können (Hall, Taylor 1996: 950) und Critical Junctures fanden bisher auch eher wenig Beachtung in der Literatur. Nichtsdestotrotz haben einige Wissenschaftler versucht, den Critical Juncture Ansatz weiterzuentwickeln und genauer zu definieren.

Nach Peters (2005: 78), besitzen Regierungen eine große Trägheit und Wandel tritt nicht ohne weiteres auf. Es sei denn, es herrscht eine Konjunktur von einer Vielzahl von internen politischen Kräften, die einzeln nicht in der Lage sind, signifikanten Wandel zu generieren, aber zusammen Bewegungen auslösen können.

Capoccia und Kelemen charakterisieren einen Critical Juncture als eine Situation, in der die strukturellen Einflüsse (Wirtschaft, Kultur, Ideologie und Organisation) in einer kurzen Zeit sichtbar entspannt sind. Dies hat zur Folge, dass die Auswahl an plausiblen Auswahlmöglichkeiten für machtvolle politische Akteure erheblich expandieren und dass die Konsequenzen ihrer Entscheidungen auf das Ergebnis folgenschwer sind (Capoccia, Kelemen 2007: 342).

3.2 John Hogans Critical Juncture Ansatz (2006)

Hogan beschäftigt sich auch mit der CJ Literatur und übt Kritik. Seiner Meinung nach, fehlt dem Ansatz die Genauigkeit. Es fehlen Grundkriterien, mit denen potenzielle CJ von einem inkrementellen Wandel unterschieden werden können. Denn nicht alle Ereignisse, selbst wenn sie außerordentlich bedeutsam erscheinen, stellen einen CJ dar. Mit seinem Ansatz soll es möglich sein mit größerer Gewissheit sagen zu können, was ein CJ ist. Jedoch stellt er keinen Anspruch auf universale Anwendung, da eine schiere Anzahl an verschiedenen Themen in der Politikwissenschaft untersucht werden. Deswegen sind die entwickelten Kriterien zwar weit und umfassend aber dafür operationalisierbar und falsifizierbar (Hogan 2006: 663).

Für Hogan sind zwei Elemente notwendig, um einen CJ zu identifizieren. Das erste Element ist die Generative Cleavage (Generierende Spaltung) und das zweite Element ist Change (Wandel), der aus drei Aspekten besteht. Im folgenden Absatz werden die Elemente genauer dargelegt.

3.3 Generative Cleavage und Change

Generative Cleavage:

Generell wird davon ausgegangen, dass eine Generative Cleavage einen CJ generieren oder produzieren kann. Je nach Untersuchungsobjekt, unterscheidet sich die Generative Cleavage. Es können wichtige Situationen wie öffentliche Unzufriedenheit, Kriege, Revolutionen, Wirtschaftskrisen, Machtwechsel, Wahlen, demographischer Wandel usw. in den Fokus genommen werden. Solche unerwarteten Ereignisse können Zweifel an existierenden Institutionen und Policys wecken und folglich einen Wandel hervorbringen (Hogan 2006: 664–665).

Significant Change:

Significant Change (Signifikanter Wandel) ist zentral für das Verständnis eines CJ. Deswegen sollte der Versuch unternommen werden, die Signifikanz des untersuchten Wandels zu messen. Nach Hogan, ist es nicht ausreichend einfach zu argumentieren, dass ein signifikanter Wandel ein außerordentliches Ereignis sei. Er fordert in seinem Ansatz, dass Standards eingeführt werden müssen, um das Level des signifikanten Wandelns zu identifizieren. Diese Standards sollten klar definiert sein und der aus der Logik des untersuchten Falles folgen (Hogan 2006: 665).

Swift Change:

Der signifikante Wandel muss sich schnell abspielen. Der Wandel innerhalb eines Critical Junctures ist kein langer und langsamer Prozess. Ansonsten würde es sich um einen inkrementellen Wandel halten (Hogan 2006: 665–666).

Encompassing Change (umfassender Wandel):

Der Einfluss eines Critical Junctures muss umfassend sein. Der Effekt betrifft alle, die ein Interesse an der Institution haben, oder von ihr betroffen sind. Ein Wandel ist ein Critical Juncture, wenn er einen Effekt auf eine Mindestprozentzahl an Betroffenen ausübt. Wie hoch diese Prozentzahl sein soll, hängt von dem Gebiet der Untersuchung ab (Hogan 2006: 666).

Tabelle 1 Rasterdarstellung des CJ Ansatzes

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Quelle: (Hogan 2006: 666)

In Tabelle 1 ist Hogans Critical Juncture Ansatz in einem Raster dargestellt. Nur im Feld oben-links sind die beiden Bedingungen (GC und SSE) erfüllt und stellen somit einen CJ dar. In den restlichen Feldern ist das nicht der Fall. Sie erfüllen entweder nur eine Bedingung oder keine der Beiden und stellen somit keinen CJ dar.

Zusammenfassend stellt Hogans Ansatz ein Rahmenkonzept dar, mit dem sich potenzielle Critical Junctures evaluieren lassen. Damit ein Wandel als Critical Juncture eingeordnet werden kann, muss eine Situation herrschen, in der existierende Institutionen angezweifelt werden und der dadurch hervorgerufene Wandel die Kriterien der Signifikanz, Schnelligkeit und des umfassenden Wandels erfüllt. Ein CJ muss ein Ereignis darstellen, dem vorausgehend eine Reihe von Möglichkeiten bestanden, die nachher aber fast völlig verschwinden .

4 Das Wahlsystem

Das Wahlsystem kann, wie schon bereits in der Einleitung erwähnt worden ist, einen Einfluss auf das politische System eines Staates ausüben. Das Wahlsystem kann die Struktur des Parteiensystems beeinflussen, was wiederum einen Einfluss auf die Art des Kabinetts haben kann (Einparteien-Kabinett, Koalition etc.). Die Art des Kabinetts kann einen entscheiden Einfluss auf die Durchsetzungsfähigkeit der Regierung im Parlament haben (Saalfeld 2007: 37). Somit ist leicht zu erkennen, dass das Wahlsystem entscheidende Impulse in einer Demokratie setzt.

In der vorliegenden Arbeit, wird das japanische Wahlsystem in eine Vor- und Nachkriegszeit eingeteilt. Mit der historischen Nachzeichnung des japanischen Wahlsystems, soll ein Verständnis für den Beginn der Pfadabhängigkeit hergestellt werden.

4.1 Die Wurzeln des Wahlsystems

Die Geschichte des japanischen Wahlsystems beginnt in der Meiji Restoration von 1868. Die Herrschaft der Samurai fand ein Ende und die Macht des Tennôs (Kaisers) wurde wiederhergestellt. Nach der Öffnung des Landes orientierte sich das japanische Kaiserreich an den Westen und führte nach westlichem Vorbild eine Konstitution ein, die Meiji Konstitution (1989). In dieser Konstitution fand das japanische Wahlsystem seinen Ursprung (Wada 1996: 4–5).

Nach Diskussionen über ein angemessenes Wahlsystem, ähnelte es zunächst der britischen Mehrheitswahl. Das bedeutet, dass in Einerwahlkreisen der Kandidat gewinnt, der die meisten Stimmen erhält. In Japan wurden insgesamt 214 Einerwahlkreise und 43 Zweierwahlkreise eingeführt und die erste Wahl unter diesem System fand 1890 statt (Ishikawa 1993: 39). In den Einerwahlkreisen erhielten die Wähler eine und in den Zweierwahlkreisen zwei Stimmen. Die Kandidaten, die in Zweierwahlkreisen die meisten bzw. zweitmeisten Stimmen erhielten, gewannen die Wahl. Wahlberechtigt zu dieser Zeit waren nur Männer, die das 25. Lebensjahr vollendet haben und hohe Steuern (15 Yen/Jahr) zahlten. Mandate wurden jedoch nach der Proportion der Population und nicht nach der Proportion der Wähler vergeben (Klein 1998: 41).

Aus politischen Gruppierungen entstanden in den 1880ern die ersten politischen Parteien. Die Jiyuto (Freiheitspartei) entstand 1881 und setzte sich für individuelle Rechte und einem soliden konstitutionellen System ein. Im selben Jahr formierte sich die Kaishinto (Reformpartei), die aus altmodischen bürokratischen Gruppierungen bestand, die sich für einen langsamen und moderaten Wandel einsetzten. Die konservative Rikken Teiseito (Konstitutionelle Imperialistische Partei) wurde von der Regierung ins Leben gerufen, um den Einfluss der beiden anderen Parteien auszugleichen (Norman 1940: 175–176).

Nach Erstarken der Mintô (Volksparteien), versuchten die Hambatsus (feudale Cliquen) eine inter- und intraparteiliche Zersplitterung zu provozieren. Dies taten sie im Jahre 1902 mit der Einführung eines neuen Wahlsystems, dass die Vergabe von insgesamt 369 Mandaten vorsah. Jedoch wurden, je nach Wahlkreis, zwischen einem bis 13 Mandate vergeben und jeder Wähler erhielt nur noch eine Stimme (Ishikawa 1993: 40). Somit erhielten auch Kandidaten die Chance mit einem geringen prozentualen Stimmenanteil in das Parlament einzuziehen. Durch die Stärkung der Proportionalität zwischen Stimmen- und Mandatsanteilen sowie der beschränkten Stimmgebung, sollte eine absolute Mehrheit einer Volkspartei verhindert werden (Klein 1998: 41).

Während der Taisho-Demokratie, gelang es den Parteien Kabinette ohne Hambatsus, zu bilden. Die Parteien nutzen die Chance und führten 1919 Anpassungen am Wahlsystem zur Stärkung der Parteien durch. Die Sampa Gruppe (Drei Parteien der Konstitutionsunterstützer) führte nach dem Sieg der 15. Parlamentswahl unteranderem das allgemeine Wahlrecht für Männer und Dreier- und Fünferwahlkreise ein. Somit sollte es jeder Partei möglich sein, in jedem Wahlkreis ein Mandat zu gewinnen (Wada 1996: 7). Weitere Anpassungen an dem Wahlsystem wurden zwischen 1925 und dem Ende des Zweiten Weltkriegs nicht vorgenommen. Das System der unübertragbaren Einzelstimme in Mehrpersonenwahlkreisen[2] blieb, mit einer kurzen Unterbrechung in den 40ern, bis zur Unterhauswahlreform von 1993/4 bestehen.

4.2 Das Wahlsystem nach dem zweiten Weltkrieg

Nach der Niederlage im Zweiten Weltkrieg, wurde Japan von den USA besetzt. Um Japan in eine Demokratie zu führen, wurde das Parlament von Militaristen gesäubert und eine neue Verfassung verabschiedet. Zwar gaben Die US-amerikanischen Besatzer die Richtung vor, jedoch konnten japanische Amtsinhaber einen Einfluss auf den Demokratisierungsprozess nehmen.

Die ersten Anpassungen an dem Wahlsystem betrafen zunächst die Rechte der Bürger. Das Frauenwahlrecht sowie das allgemeine passive Wahlrecht wurden eingeführt. Das aktive Wahlalter wurde auf 20 Jahre reduziert und das passive Wahlalter auf 25 Jahre festgelegt (Wada 1996: 9). Der damalige Premierminister, Kijûrô Shidehara, versuchte 1945 die Kontrolle über die Reformversuche zu erhalten, um so eine Prävention seitens der US-Amerikaner zu verhindern. Somit wollte er den Effekt der Demokratisierung limitieren und minimieren. Deswegen entschied sich die Regierung ein Verhältniswahlsystem mit großen Wahlkreisen und mehrfacher Stimmenabgabe, je nach Wahlkreisgröße, einzuführen. Somit sollte die Basis von politischen Parteien ausgehöhlt werden (Kohno 1997: 34). Mit dieser Entscheidung wurde das System der unübertragbaren Einzelstimme außer Kraft gesetzt. Man erhoffte sich dadurch auch die Wirksamkeit der alten Parteien zu beschränken und die politische Partizipation von Neulingen zu fördern (Klein 1998: 46).

Die erste Wahl (April 1946) unter dem neuen Wahlsystem weckte jedoch Zweifel. Im Hintergrund versuchten die Liberalen, Progressiven, Sozialisten und Kommunisten ein Wahlsystem zu verabschieden, dass der eigenen Partei am meisten diente. Als Beispiel setzte sich die Liberale Partei vor der Wahl für ein proportionales Repräsentationssystem ein. Die Partei gewann zwar die meisten Sitze nach der Wahl, stellte aber dennoch keine Mehrheit. Daher lehnte sie große Wahlkreise ab, die kleine Parteien in das Parlament halfen. Mittelgroße Wahlkreise mit der Abgabe einer Stimme bildeten eine gute Alternative für die Liberalen und Progressiven, den damals größten Parteien im Parlament. In mittelgroßen Wahlkreisen würden die Liberalen und Progressiven gleichzeitig gewählt werden, während kleine Parteien keine Chance auf einen Sitz im Parlament gehabt hätten (Kohno 1997: 39–40).

Mit der Begründung eine Parteienzersplitterung verhindern zu wollen und um politische Inhalte in den Mittelpunkt zu stellen, forderte die japanische Regierung eine Revision des Wahlsystems. Es bestand die Überzeugung zum SNTV MMD System zurückkehren zu müssen (Klein 1998: 47). Die Regierung äußerte vor allem ihre Sorge vor dem Erstarken der Kommunisten. Die Japanese Communist Party (JCP) gewann bei der ersten Wahl fünf Sitze. Unter einem SNTV-System in Dreier- und Fünferwahlkreisen erhoffte man sich, die Kommunisten aus dem Parlament zu verdrängen. Unterstützung fand die Regierung bei Douglas MacArthur, dem Supreme Commander for the Allied Powers. Er befürchtete, dass die UdSSR über die JCP versuche einen Einfluss auf die japanische Politik zu nehmen. Mit seiner Unterstützung kehrte Japan zum SNTV MMD-System im März 1947 zurück[3] (Wada 1996: 10).

Ein Problem, das mit der Rückkehr zum alten Wahlsystem nicht behoben wurde, war die nicht proportionale Verteilung der Mandate. Die Aufteilung der Wahlkreise hielt mit der Bevölkerungsentwicklung nicht mit. Die Landbevölkerung war durch die fortschreitende Urbanisierung überrepräsentiert und die Stadtbevölkerung unterrepräsentiert. Dieses Ungleichgewicht nahm bei jeder neuen Wahl zu. Die Regierung forcierte eine Neuverteilung der Mandate alle fünf Jahre nach dem Zensus. Statt jedoch Mandate neu zu verteilen, fügte die Regierung dem Parlament mehr Sitze hinzu. Die Wähler der Regierungspartei waren Fischer und Bauern (Wada 1996: 11–12) und dementsprechend bestand kein großes Interesse daran das Ungleichgewicht zu beenden.

5 Wahlen und die LDP

Nach der Rückkehr zum alten Wahlsystem, begann sich ein Nachkriegsparteiensystem zu entwickeln. Nach den ersten Jahren schien sich ein Zweiparteiensystem zu entwickeln, dass nach einigen Jahren jedoch in ein Mehrparteiensystem übergangen ist. In diesem Mehrparteiensystem entwickelte sich die Liberal Democratic Party (LDP) zur dominanten Partei und stellte die Regierung unangefochten über Jahrzehnte hinweg. Wie sich die Parteien entwickelt haben und wie sich das Wahlsystem auf die Wahl auswirkte, wird in folgenden Abschnitten dargelegt.

5.1 Parteien und die Dominanz der LDP

Der linke und rechte Flügel der Sozialisten fusionierte im Jahr 1955 zur Japanese Socialist Party (JSP). Die JSP war eine typische Arbeiterpartei, die ihre Unterstützung in der Arbeiterbewegung und der Gewerkschaft Sohyo fand. Die Liberal Democratic Party (LDP) entstand etwas später im selben Jahr aus der Fusion zwischen der Liberalen und Demokratischen Partei. Als Grund für die Fusionen wird das Streben der Parteien nach politischer Macht und Kontrolle der Regierung angesehen (Tetsuya 1992: 34). Die LDP und die JSP waren zunächst ideologisch gespalten. Die LDP war für den Erhalt der Self Defence Forces (SDF) und unterstütze eine enge Sicherheitskooperation mit den USA. Die JSP war dagegen und plädierte für ein unbewaffnetes und neutrales Japan. Des Weiteren forcierte die LDP eine Revision der Konstitution, während die JSP sie verteidigte (Shinoda 2013: 21).

Am Anfang der 55er entsprach das Parteiensystem einem „Eineinhalb Parteiensystem“ (Rosenbluth, Thies 2010: 53). In diesem System stellte die LDP die große Mehrheit und die JSP die kleine Minderheit. Nach politischen Konflikten (Sicherheitsvertrag mit den USA) am Anfang der Nachkriegszeit, wechselte die LDP den Fokus auf die Wirtschaft. Die LDP in der Regierung verpflichtete sich, die Mehrheit im Parlament zu erhalten, die Sozialisten fernzuhalten und den Bürokraten und Unternehmen Freiheiten zu gewährleisten, um die Wirtschaft in Japan zu fördern. Hinter der modernen Industrialisierung Japans stand die LDP, mit den wirtschaftsverbundenen Ministerien und den Großunternehmen (Tetsuya 1992: 47–48).

Das „Eineinhalb Parteiensystem“ zersplitterte ab den 60er in ein Mehrparteiensystem mit insgesamt fünf Parteien[4]. Teile der JSP spalteten sich ab, um die Democratic Socialist Party (DSP) zu gründen. Außerdem erstarkte die Japanese Communist Party (JCP) und zog in das Parlament ein. Die buddhistische Sekte Sôkagakkai rief die Kômeitô ins Leben. Die Zersplitterung fand jedoch nur innerhalb der JSP und der Opposition statt. Die JSP war zwar die größte Oppositionspartei, doch stellte sie nie eine Gefahr für die Alleinherrschaft der LDP dar und war nicht im Stande eine Koalition mit den anderen Oppositionsparteien zu bilden (Shinoda 2013: 22–23).

Die LDP blieb trotz der Faktionen (siehe Kapitel 6) stabil. Sie erhöhte in den 80ern die Anzahl ihrer Sitze im Parlament und stärkte dadurch ihren dominanten Status, während sie gleichzeitig ihre potenziellen Gegner diskreditierte. Sie etablierte in der Nachkriegszeit erfolgreich das Bild, dass die Kommunisten und Sozialisten nicht in der Lage wären Japan zu regieren (Inoguchi 2005: 102). Gründe für den Erfolg der LDP werden in der Fähigkeit der Partei gesehen, die Regierung zu nutzen, um mit politischen Instrumenten der Langzeitklientel (Kleinunternehmen & Bauern) bei Problemen zu helfen. Eine weitere Erklärung unterstreicht die Flexibilität der LDP, sich mit ihrer Politik an der sozioökonomischen Umwelt anzupassen (Shinoda 2013: 23–24). Von 1955 bis 1993 stellte sie ununterbrochen die Regierung. Eine Partei, die in einer Demokratie über Jahrzehnte hinweg an der Macht war, ist bisher einmalig (Inoguchi 2005: 90).

[...]


[1] Ins Deutsche übersetzt, bedeutet Critical Juncture (CJ) kritische Phase oder kritischer Punkt. In der vorliegenden Arbeit wird jedoch der englische Begriff verwendet, da dieser auch weitestgehend in der Literatur verwendet wird.

[2] In der vorliegenden Arbeit wird der Begriff Single Non-Transferable Vote in Multi Member Districts (SNTV MMD) verwendet.

[3] Bis 1980 wurden die Repräsentanten des Oberhauses auch unter dem SNTV System gewählt. Dabei wurden 50 neue Repräsentanten gewählt, deren Amtszeit sechs Jahre betrug. Ein neues Wahlsystem für das Oberhaus wurde 1983 verabschiedet. Das neue Wahlsystem sah vor, dass die ersten 100 Repräsentanten (50 alle drei Jahre) über einer Verhältniswahl und geschlossener Parteienliste in das Oberhaus gewählt werden. Die übrigen 152 Repräsentanten (76 alle drei Jahre) werden in Japans 47 Präfekturen unter dem SNTV System gewählt (Cox et al. 2000: 117)

[4] Mit Ausnahme des New Liberal Clubs (1976) und der Shinseitô, Sakigake und Japan New Party, die in den 90ern entstanden.

Ende der Leseprobe aus 47 Seiten

Details

Titel
Das Wahlsystem des japanischen Unterhauses. Critical Juncture oder inkrementeller Wandel?
Hochschule
Universität Duisburg-Essen
Note
1,7
Autor
Jahr
2017
Seiten
47
Katalognummer
V439367
ISBN (eBook)
9783668789715
ISBN (Buch)
9783668789722
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Japan, Wahlsystem, Wahlen, Critical Juncture, Unterhaus
Arbeit zitieren
Christian Leibrandt (Autor:in), 2017, Das Wahlsystem des japanischen Unterhauses. Critical Juncture oder inkrementeller Wandel?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/439367

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