Der Tschetschenien-Konflikt


Hausarbeit (Hauptseminar), 2005

21 Seiten, Note: 2,0


Leseprobe


Gliederung

I. Einleitung

II. Historischer Hintergrund des Konfliktes

III. Der erste Tschetschenienkrieg (1994 – 1996)

IV. Zwischen den Kriegen

V. Der zweite Tschetschenienkrieg (1999-2002)

VI. Interessen am Krieg (Hintergründe, Ursachen)

VII. Tschetschenien und das internationale Recht

VIII. Internationale Reaktionen und Fazit

Literaturverzeichnis

I. Einleitung

Diese Arbeit beschäftigt sich mit der autonomen Republik Tschetschenien, die innerhalb Russlands, im nördlichen Vorland des Großen Kaukasus liegt. Mit einer Fläche von rund 15700 Quadratkilometern ist Tschetschenien in etwa mit dem deutschen Bundesland Schleswig-Holstein vergleichbar während die sich Einwohnerzahl nach offiziellen Angaben von russischer Seite auf etwa 1,16 Mio. beläuft.

Der Zerfall der UdSSR zu Anfang der 90er Jahre bestärkte die Kaukasusvölker in ihrem Streben nach Unabhängigkeit. Doch während sich Aserbaidschan, Armenien und Georgien erfolgreich von der Russischen Föderation abspalten konnten, mündeten die tschetschenischen Unabhängigkeitsbestrebungen 1994 im ersten Tschetschenienkrieg, der laut Amnesty International in 21 Monaten vermutlich über 80000 Menschen das Leben kostete und einen 500000 Menschen umfassenden Flüchtlingsstrom auslöste. Der zweite Tschetschenienkrieg forderte ab 1999 mindestens ebenso viele Todesopfer und abermals hunderttausende von Flüchtlingen. Armut, Hunger, Plünderungen, Vergewaltigungen und weitere Menschenrechtsverletzungen sind bis heute an der Tagesordnung doch die Internationale Gemeinschaft beachtet den Konflikt kaum in gebührendem Maße. Anfangs überschattete die Intervention der Nato im Kosovo-Konflikt das Geschehen in Tschetschenien. Während sich die Augen der Weltöffentlichkeit 1999 auf den Balkan konzentrierten, rückten die Geiselnahmen in einem Moskauer Theater (2002) und in einer Schule in Beslan (2004) das Geschehen in der Kaukasusrepublik wieder ins Licht. Dabei kamen in Moskau 129 Geiseln und 41 Geiselnehmer ums Leben, in Beslan 338 Geiseln (darunter 155 Kinder) und 27 Geiselnehmer. Die Forderungen der Geiselnehmer nach dem Rückzug der russischen Truppen aus Tschetschenien ließen keine Zweifel daran aufkommen, dass es sich um tschetschenische Terroristen handelte, denen jedes Mittel recht war um ihre Ziele zu erreichen. Doch statt die Aufmerksamkeit der Welt in helfender Weise auf die Situation in Nordkaukasien zu lenken, bieten derartige Aktionen in erster Linie Zündstoff für die Argumentationen Moskaus. Russland deklariert seine Truppen in Tschetschenien als seinen Beitrag im „Krieg gegen den Terrosismus“ und verschafft sich somit zumindest ein Stillschweigen der westlichen Welt. Der Konflikt zwischen dem Schwarzen Meer und dem Kaspischen Meer existiert jedoch nicht erst seit dem 11. September 2001 sondern hat eine weit zurück reichende Geschichte.

II. Historischer Hintergrund des Konfliktes

In den Geschichtsbüchern taucht der erste russische Stützpunkt in Tschetschenien bereits 1559 auf. Die damals erbaute Festung Tarki wurde 1707 von tschetschenischen Stämmen zerstört, die sich unter der Flagge des Dschihad gegen die Russen erhoben hatten.[1] 1829 begann das imperialistische Zarenreich Russland einen über 60 Jahre andauernden Krieg gegen die Bergvölker im Kaukasus. Das Oberhaupt der muslimischen Bergvölker Tschetscheniens und Dagastans, Imam Schamil, machte sich zu dieser Zeit als Führer das antirussischen Widerstandes einen Namen, konnte die Eroberung des Kaukasus durch Russland jedoch nur verzögern. Ihm war es gelungen, am nordöstlichen Kaukasus einen auf der Scharia gegründeten Staat auszurufen, das „Imamat Schamils“. Dieser Staat behauptete sich 30 Jahre lang gegen die Vorstöße russischer Armeen in die Region, bis es Russland letztlich in einem dreijährigen Feldzug mit über 300000 aktiven Soldaten gelang, das Imamat zu unterwerfen. Schamil kapitulierte 1859, worauf hin das Zarenreich Zwangsmaßnahmen gegen die Bevölkerung des Nordkaukasus einleitete. Diese beinhalteten beispielsweise Umsiedlungen von ganzen Völkern, um diese besser kontrollieren zu können sowie eine repressive Emigrationspolitik, in deren Folge rund ein Fünftel der Tschetschenen (39000 Menschen) in die Türkei auswanderte. Die faktische Verbannung betraf aber die Tscherkessen in einem wesentlich größeren Ausmaß: Über eine halbe Million von ihnen war gezwungen ins Osmanische Reich zu emigrieren.[2] Nach der Februarrevolution 1917 versuchte Nordkaukasien erneut einen eigenen Staat aufzubauen. Der erste Kongress des Nordkaukasus setzte eine provisorische Regierung ein und erklärte 1918 die vollständige Unabhängigkeit von Russland. Diese wurde von Deutschland, Östereich-Ungarn und der Türkei zwar anerkannt. Der neue Staat wurde jedoch sofort von der Freiwilligenarmee des russischen Generals Denikin angegriffen, welcher die Sowjetherrschaft gegen harten Widerstand durchzusetzen vermochte. Es dauerte nicht lange bis der Scheich Usun Hadschi im September 1919 sein „Nordkaukasisches Emirat“ über Tschetschenien ausrief. Der diesmal stärker islamisch geprägte Staat wurde zunächst von den Bolschewiki anerkannt, bald aber wieder an Russland angegliedert. Im Folgejahr 1920 wurde Tschetschenien von Stalin in die „Berg-Sowjetrepublik“ eingegliedert, in deren innere Angelegenheiten sich Russland nicht einmischen wollte. Diese Bergrepublik bestand allerdings nur zwanzig Monate, danach spalteten sich immer mehr autonome Provinzen von ihr ab – im Dezember 1922 auch Tschetschenien. Von 1929 bis 1932 kämpfte die rote Armee gegen nordkaukasische Partisanen und konnte den Aufstand schließlich niederschlagen. Die autonome Tschetschenische Provinz wurde 1934 mit Inguschetien zusammengeschlossen und 1936 in eine Autonome Sowjetrepublik (ASSR) umgewandelt.[3] Das Volkskommissariat für innere Angelegenheiten (NKWD) verhaftete in einer Blitzaktion am 1. August 1937 fast 14000 angebliche Konterrevolutionäre (rund 3% der Gesamtbevölkerung) um sie zu verurteilen und zu liquidieren. Um die Exekutionen so vieler Menschen zeitgerecht vollstrecken zu können, wurde eigens eine hermetisch von der Außenwelt abgeriegelte Exekutionshalle errichtet. Schussanlagen wurden von außen in die Wände und die Decke eingelassen, die Leichen bei Nacht in Massengräber abtransportiert. Im Januar 1940 weitete sich der bewaffnete Widerstand, der nie ganz aufgehört hatte, nochmals zu einem umfangreichen Aufstand aus. Obwohl deutsche Truppen nirgendwo tschetschenisches Territorium erreichten, und zwei tschetschenische Freiwilligendivisionen gegen die deutschen Aggressoren aufgestellt wurden, warfen Stalin und die KPdSU dem tschetschenischen Volk Kollaboration vor. Infolgedessen fasste man 1943 in Moskau den Beschluss, die Tschetscheno-Inguschische Republik zu liquidieren und ihre gesamte Bevölkerung zu deportieren. Die gesamte Bevölkerung (über eine Million) wurde unterschiedslos nach Zentralasien (überwiegend Kasachstan und Usbekistan) deportiert. Die Todesrate während der Massentransporte in Güterzügen und Viehwaggons lag zwischen 22 und 30 Prozent.[4] Erst 1957 wurde die Massenrepressalie wieder aufgehoben: Die Tschetschenen und Inguschen wurden nach 24 Jahren rehabilitiert, die ASSR wurde wiederhergestellt.

Nach der Auflösung der UdSSR und der Wahl Boris Jelzins zum ersten Präsidenten der Russischen Republik im Juli 1991, erklärte Tschetschenien im gleichen Jahr seine staatliche Unabhängigkeit. Der Anführer der Unabhängigkeitsbewegung, ein ehemaliger Luftwaffengeneral und Divisionskommandeur der Roten Armee, Dschochar Dudajew, wurde im Oktober 1991 zum Präsidenten Tschetscheniens gewählt. Von Moskau wurde diese Wahl jedoch ebenso wenig anerkannt, wie die staatliche Souveränität der Kaukasusrepublik. Die Versuche der russischen Regierung, das Dudajew-Regime mit verdeckten Operationen und Wirtschaftsblockaden zu stürzen, fruchteten nicht ebenso wenig wie eine politische Lösung. Parallel dazu kam es zu innertschetschenischen Machtkämpfen zwischen den Anhängern Dudajews und seinen von Moskau unterstützten Gegnern, die 1994 in einem Bürgerkrieg endeten. Jelzin forderte die Konfliktparteien am 29. November 1994 auf, die Waffen niederzulegen, alle bewaffneten Gruppierungen aufzulösen und in den russischen Staatsverband zurückzukehren. Da seine Forderungen nicht erfüllt wurden, verabschiedete er in den folgenden Tagen diverse Dekrete und Regierungsverordnungen, die den Einmarsch russischer Truppen in Tschetschenien legitimierten.[5]

III. Der erste Tschetschenienkrieg (1994 – 1996)

Die Einheiten der russischen Armee, die fünf Jahre nach dem Ende des Afghanistankrieges in Tschetschenien einmarschierten, beliefen sich auf eine Personalstärke von ca. 40000 Mann. Zu diesem Zeitpunkt ging das russische Verteidigungsministerium davon aus, dass auf tschetschenischer Seite rund 13000 im ganzen Land verstreute bewaffnete Anhänger Dudajews zum Kampf bereit standen. Als der Häuserkampf Anfang Januar in Grosny begann, flohen etwa 400000 Menschen vor den Kampfhandlungen in Richtung Süden.

Trotz ihrer technischen und personellen Überlegenheit, endeten die ersten Vorstöße russischer Einheiten in die Stadt in einem Desaster, das als regelrechtes Abschlachten bezeichnet werden kann. Das 1. Bataillon der 131. Brigade verlor vom binnen 2 Tagen über 80 Prozent seiner Soldaten und Fahrzeuge.[6] Die russischen Soldaten waren zumeist unmotiviert, schlecht ausgebildet, nicht mit dem Terrain vertraut und ihre Einheiten oft chaotisch zusammengesetzt. Die Tschetschenischen Kämpfer hingegen, hatten zum Teil schon in der Sowjetarmee gedient und waren mit der russischen Kampfweise vertraut. Hinzu kamen ihre enorm hohe Kampfmoral und ihre guten Geländekenntnisse vor Ort. Als die taktische Überlegenheit der Tschetschenen auch den russischen Befehlshabern deutlich wurde, setzten letztere verstärkt auf Artillerie und Luftangriffe um kein zweites Afghanistan erleben zu müssen. Darunter litt in den folgenden Wochen jedoch insbesondere die in der Stadt verbliebene Zivilbevölkerung während die Rebellen offenbar nur geringe Verluste verzeichneten. Im Februar gelang es den russischen Truppen schließlich, die weitestgehend zerstörte Stadt einzunehmen, dennoch waren tschetschenische Heckenschützen allgegenwärtig. Dies änderte sich auch nicht, als die russische Armee im Zuge einer Großoffensive auf die anderen größeren Städte vorrückte und diese gegen den erbitterten Widerstand der Rebellen einnahm. Ungeachtet dessen, dass Jelzin eine Waffenruhe vom 28. April bis 12. Mai 1995 verkündet hatte, gingen die Kämpfe weiter; die Härte der Kriegführung nahm zu. Die Rebellen hatten sich inzwischen in die Berge zurückgezogen, wo sie ihren Heimvorteil noch besser ausspielen konnten. Russische Flugzeuge bombardierten darauf hin Bergdörfer und töteten dabei tausende von Zivilisten.

[...]


[1] Vgl. Der Spiegel 44/2002

[2] Vgl. Grobe-Hagel 2001 S. 57

[3] Vgl. Grobe-Hagel 2001 S. 59 ff

[4] Vgl. Grobe-Hagel 2001 S. 71 f

[5] Vgl. Hanns Seidel Stiftung 2000 S. 21 ff

[6] Vgl. Grobe-Hagel 2001 S. 121

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Der Tschetschenien-Konflikt
Hochschule
Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg  (Professur für Öffentliches Recht unter besonderer Berücksichtigung des Völkerrechts)
Veranstaltung
Völkerrecht
Note
2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
21
Katalognummer
V44001
ISBN (eBook)
9783638416733
Dateigröße
504 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Der Zerfall der UdSSR zu Anfang der 90er Jahre bestärkte die Kaukasusvölker in ihrem Streben nach Unabhängigkeit. Doch während sich Aserbaidschan, Armenien und Georgien erfolgreich von der Russischen Föderation abspalten konnten, mündeten die tschetschenischen Unabhängigkeitsbestrebungen in zwei Kriegen, die zehntausende Todesopfer forderten und gigantische Flüchtlingsströme auslösten.
Schlagworte
Tschetschenien-Konflikt, Völkerrecht
Arbeit zitieren
Robert Matzdorf (Autor:in), 2005, Der Tschetschenien-Konflikt, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44001

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