Auszug der Politik aus den Institutionen: Sind Koalitionsrunden undemokratisch?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2003

19 Seiten, Note: 2,9


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Idealistische vs. realistische Sicht: eine Scheindiskussion?
2.1 Die Position Schütt-Wetschkys
2.2 Die Position von Blumenthals
2.3 Bewertung

3. Zur Funktionalität von Koalitionsrunden
3.1 Kanzler
3.2 Minister
3.3 Zusammenfassung: Die Bedeutung für die Abgeordneten

4. Exkurs: Die mögliche Bedeutung der Medien

5. Resümee

1. Einleitung

Die Überschrift dieser Arbeit „Sind Koalitionsrunden undemokratisch?“ spiegelt eigentlich nur ungenau den Umfang des zu behandelnden Themas wider. Es geht bei dem „Auszug der Politik aus den Institutionen“ allgemein um die Frage, ob und in welchem Ausmaß bestimmte informelle Gremien wohl möglich nicht demokratischen Anforderungen genügen und wer davon überhaupt betroffen ist. Die reichhaltige Literatur und Kritik von Personen verschiedenster vita verdeutlicht diese Situation:

So gibt es nicht nur eine auf die Politikwissenschaft begrenzte Auseinandersetzung um oben genannte Frage,[1] sondern auch zahlreiche immer wieder aufkommende Kritiken von Journalisten[2], Abgeordneten[3], Staatsrechtlern, ehemaligen Regierungsmitgliedern[4] usw.[5]

Die dabei genannten Kritiken bzw. Rechtfertigungen gehen vielfach in ganz unterschiedliche Bahnen und verfehlen häufig die dem Thema innewohnende Komplexität. M. E. nach muss dieses Thema der Koalitionsrunden anders behandelt werden:

Als erstes muss gefragt werden, welche Bedeutung und Auswirkungen diese auf wie viele und v.a. welche Akteure haben. Das sind der Kanzler, Minister, Abgeordnete und die entsprechenden Regierungsparteien. Diese Ergebnisse müssen dann gewichtet werden und unter den Aspekten der Funktionalität, Legitimität und letztenendes auch die Konformität mit dem Grundgesetz bewertet werden.

Erschwerend für die Analyse kommt hinzu, dass die Bedeutung, die die Politik den Medien bei misst, stark zugenommen hat. Die Bedeutung der und Darstellung von Politik in den Medien hat gerade für die Abgeordneten und den Einfluss der Parteien einen verstärkenden, eher negativen Einfluss, wie noch zu zeigen sein wird. Die These hierfür lautet, dass der Einfluss der einzelnen „normalen“[6] Abgeordneten und der unteren und mittleren Parteigremien umso mehr schwindet, je mehr Politikvermittlung in der derzeitig vorherrschenden Medienwelt lediglich durch einzelne wenige Parteiführer realisiert und Legitimation für deren Politik dort gefunden wird.[7]

Die Auseinandersetzung mit dieser These dient dem Zweck, der bisher geführten Diskussion einen neuen Impuls zu geben und die Kritik an der Schwächung der einzelnen Abgeordneten durch Koalitionsrunden zu erneuern.

Im ersten Schritt soll noch einmal die oben skizzierte wissenschaftliche Auseinandersetzung kurz dargestellt werden; danach müsste die ausführliche Analyse der Bedeutung der Koalitionsrunden auf die verschiedenen Ebenen folgen. Aufgrund des Umfanges wird hier nur auf den Kanzler, die Minister und die Folgen für die Abgeordneten eingegangen.

Unter Punkt 4 soll die von von Blumenthal geäußerte Kritik der Parteipolitisierung im Zusammenhang mit dem Einfluss der Medien quasi „umgedreht“ werden. Im Fazit wird dann die Bewertung vorgenommen.

2. Idealistische vs. realistische Sicht: eine Scheindiskussion?

Die Argumente Schütt-Wetschkys und von Blumenthals können hier nicht in aller Ausführlichkeit besprochen werden, sondern sollen lediglich skizzenhaft dargestellt werden, um einen groben Überblick über den derzeitigen Stand der Diskussion zu liefern.

2.1 Die Position Schütt-Wetschkys

Schütt-Wetschky nimmt eine durch den Zeit Autoren Robert Leicht geäußerte Kritik an den starken Einflussmöglichkeiten der Parteien zum Anlass, sich umfassend mit dieser auseinanderzusetzen.[8] Grundsätzlich gilt für ihn die Prämisse, dass viele Kritiker wie Leicht einen anderen Maßstab an das politische System der BRD anlegen, nämlich den des Parlamentarischen Rates von 1948/49 oder das „herkömmliche Denken in den Kategorien von Legislative und Exekutive.“[9]

Um dies zu verdeutlichen, führt er die beiden Grundzüge des Modells des Parlamentarischen Rates und den Grund dessen Scheiterns an. Zum einen existiert in der deutschen Staatsrechtslehre der Begriff der Organlehre, soll heißen, „dass ein Staat [...] allein über Organe tätig werden kann und sollte.“[10] Schütt-Wetschky merkt an, dass der Bundestag im Sinne des Parlamentarischen Rates als Kollegialorgan über die Gesetzgebung entscheiden müsste und dass Vorberatungen selbstverständlich in den Ausschüssen vorgesehen waren.[11]

Desweiteren führt er die klassisch-liberale Repräsentationsidee an, die zu zwei „Normen“ des liberalen Parlamentsverständnisses führen: der Beratung als ergebnissoffene Diskussion und der Orientierung am Gemeinwohl.[12]

Letztendlich finden alle Punkte Niederschlag in der Gesetzgebung: die Organlehre in Art. 20, Abs. 2 GG und die klassisch-liberale Repräsentationsidee in Art. 38, Abs. 1, Satz 2 und Art. 21, Abs. 1, Satz 1 GG.

Für Schütt-Wetschky ist jedoch ausschlaggebend, dass sich bereits in der 1. Legislaturperiode herauskristallisierte, dass es sich beim Bundestag nicht um ein Kollegialorgan, sondern um ein Fraktionenparlament handelt:[13] „Die Abgeordneten handeln im Bundestag nicht als Einzelne in einem Kollegium, sondern im Rahmen von konkurrierenden, geschlossen auftretenden Gruppen.“[14] Inhaltliche Entscheidungen werden nunmehr nicht vom Parlament als Ganzem, sondern lediglich von den Fraktionen herbeigeführt. Diese wiederum haben einen innerfraktionellen, demokratischen Willensbildungsprozess. Das Ergebnis wird dann geschlossen nach außen vertreten.

Das fehlende Verständnis für die faktische Struktur des politischen Systems der BRD ist es, welches nach Auffassung Schütt-Wetschkys zur Kritik an der Ent-Institutionalisierung der Politik führt, die zwar teils berechtigt ist, aber aus der falschen Perspektive betrachtet wird.[15] Er geht deswegen auf die Legitimationsproblematik, das angebliche Fehlen von Diskursen in der Politik und auf die Öffentlichkeitsfrage bei gruppeninternen Entscheidungen ein.

Die Legitimationsproblematik löst er durch ein zweistufiges Verfahren, bei dem er auf die Mehrheitsregel verweist: die erste Legitimierung erfolgt durch die Wahl des Bundestages. Eine Regierungsmehrheit ist insofern legitimiert, als dass dadurch der Mehrheit der Wähler entsprochen wird;[16] es werden also nicht nur Individuen, sondern auch Gruppen legitimiert.[17] Die zweite Stufe der Legitimation findet dauerhaft während der Regierungszeit statt, da „jede Plenardebatte [...] einen Test für das Regierungslager“[18] bedeutet.

Zum angeblichen Fehlen von Diskursen in der Öffentlichkeit stellt Schütt-Wetschky fest, dass es einen permanten – gesellschaftlichen – Diskurs gäbe und dass auch Politik gerade aufgrund der „Orientierung an der Öffentlichkeit“[19] eine diskursive Basis habe;[20] die faktische Gruppenstruktur führt aber zu internen Willensbildungsprozessen, die nunmal „hinter verschlossenen Türen“ geführt werden.[21] Dahingehend bleibt für ihn die Frage offen, ob dieser Prozess demokratietheoretisch „akzeptabel“[22] sei. Das dem so sei, belegt er dadurch, dass erstens nichtöffentliche Verhandlungen immer von den Medien begleitet und zumindest die Ergebnisse veröffentlicht werden und zweitens die Öffentlichkeitsfunktion des Bundestages gewahrt bleibe.[23] Hier müssen sich die Regierung und die Mehrheitsfraktion(en) für ihre jeweilige Politik rechtfertigen. Dies wird verstärkt und erst generiert durch eine mit massiven Rechten ausgestattete Opposition.

[...]


[1] Siehe die Auseinandersetzung zwischen Schütt-Wetschky und von Blumenthal in der Zeitschrift für Politikwissenschaft, Heft 1, 2001 und Heft 1, 2002.

[2] Vgl. zuletzt in ähnlicher Weise Hans Herbert von Arnim: Schneller, höher, reicher. Welchen Effekt die Besoldung unserer Politiker auf ihre Leistung hat, in: Süddeutsche Zeitung Nr. 278 vom 02.12.2002, S. 13 und ders. erneut in Bezug auf die Landtagsabgeordneten: Die Entmachtung der Landesparlamente und die Existenzfrage, in: Frankfurter Rundschau Nr. 287 vom 10.12.2002, S. 33.

[3] Vgl. Hamm-Brücher

[4] Vgl. W. Schreckenberger

[5] Vgl. zusammenfassend und einführend die Kritik am Deutschen Bundestag durch Kurt Sontheimer/Wilhelm Bleek: Grundzüge des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland, Bonn, 2000, S. 299-304, insbesondere S. 300.

[6] Unter „normalen Abgeordneten“ sollen hier diejenigen verstanden werden, die, im Gegensatz z.B. zur Fraktionsspitze, über verhältnismäßig wenig politische Reputation, Macht und Einflussmöglichkeiten verfügen.

[7] Vgl. Karl-Rudolf Korte: Regieren, in: Deutschland-Trendbuch. Fakten und Orientierungen, K.-R. Korte und W. Weidenfeld (Hg.), Bonn, 2001, S. 515-546, hier die Abschnitte zum „Chefsachen-Mythos“ und zur „Telepolitik“.

[8] Siehe Eberhard Schütt-Wetschky: Auswanderung der Politik aus den Institutionen: Schwächung der Demokratie? Zur Legitimation der Parteiendemokratie, in: Zeitschrift für Politikwissenschaft, 11 Jg., Heft 1, 2001, S. 4f.

[9] Ebd., S. 8

[10] Ebd., S. 9

[11] Siehe ebd., S. 9

[12] Siehe ebd., S. 10.

[13] Siehe ebd., S. 11.

[14] Ebd., S. 11

[15] Zu gerechtfertigter Kritik vgl. auch ebd., S. 25, insbesondere FN 56.

[16] Siehe S. 16

[17] Ebda.

[18] ebda.

[19] S. 20.

[20] Siehe ebda.

[21] Vgl. ebd., S. 20.

[22] S. 20.

[23] Siehe S. 20-22.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Auszug der Politik aus den Institutionen: Sind Koalitionsrunden undemokratisch?
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Note
2,9
Autor
Jahr
2003
Seiten
19
Katalognummer
V44133
ISBN (eBook)
9783638417877
ISBN (Buch)
9783640844753
Dateigröße
497 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
ca 3000 Wörter
Schlagworte
Auszug, Politik, Institutionen, Sind, Koalitionsrunden
Arbeit zitieren
Jan Oswald (Autor:in), 2003, Auszug der Politik aus den Institutionen: Sind Koalitionsrunden undemokratisch?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44133

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