Dark Tourism. Ein moralisch fragwürdiges Produkt des Nischentourismus?

Analyse des Forschungsstandes und kritische Stellungnahme


Bachelorarbeit, 2018

72 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung
1.1 Thema und Zielsetzung
1.2 Forschungsfrage
1.3 Einordnung in eine wissenschaftliche Disziplin

2 Theoretische Rahmenbedingungen
2.1 Methodische Vorgehensweise
2.2 Definition und Einordnung der Begriffe

3 Phänomen des Dark Tourism
3.1 Geschichtlicher Hintergrund
3.2 Kategorisierung der unterschiedlichen Erscheinungsformen

4 Angebot und Nachfrage
4.1 Analyse der Angebotsseite
4.1.1 Bestandsaufnahme und Einordnung der Produktpalette
4.1.2 Verortung beispielhafter Destinationen
4.2 Untersuchung der Nachfragestruktur
4.2.1 Vorstellung allgemeiner Reisemotive
4.2.2 Analyse der Korrelation Schauplatzzweck - Motivation
4.2.3 Ermittlung potenzieller unbewusster Faktoren
4.3 Lokalisierung im Tourismusmarkt

5 Kritische Stellungnahme

6 Schlussbetrachtungen
6.1 Zusammenfassung und Beantwortung der Forschungsfrage
6.2 Ausblick

Literaturverzeichnis

Anlagen

Abstract

Die Bachelorarbeit gibt einen Überblick über den aktuellen Forschungsstand zum Thema Dark Tourism. Dabei wird geklärt, wie ‚dunkler Tourismus‘ definiert werden kann und die Kategorisierungsmöglichkeiten seiner Erscheinungsformen untersucht. Ferner erforscht die Arbeit das Zusammenspiel von Angebot und Nachfrage. Wie das Wort ‚dunkel‘ bereits andeutet, handelt es sich hierbei nicht um den typischen Freizeittourismus, weshalb in einem letzten Kapitel Herausforderungen und moralische Konflikte diskutiert werden, die durch jene Aktivitäten entstehen können.

The bachelor thesis provides an overview about the current state of research on dark tourism. It clarifies how dark tourism can be defined and examines the categorization possibilities of its manifestations. The work also explores the interplay between supply and demand. As the word ‘dark’ suggests, this is not the typical leisure tourism, which is why in a final chapter debates and moral conflicts that may arise from those activities are going to be discussed.

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1: Homepage - Ausschnitt des Londoner Gefängnisses

Abbildung 2: Tour-Angebot Ground Zero

Abbildung 3: Stones Dark Tourism Spectrum

Abbildung 4: Einordnungsversuch nach Sharpley

Abbildung 5: Eisbergmodell

Abbildung 6: Maslowsche Bedürfnispyramide

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1: Einteilung Dark Tourism nach Miles

Tabelle 2: Übersicht potenzieller Motive

Tabelle 3: Absolute und relative Verteilung der Weltbevölkerung nach Religionszugehörigkeit (in Mio.)

Tabelle 4: Bestandsaufnahme und Einordnung der Produktpalette

1 Einleitung

Vom 28. Juni bis zum 01. Juli 2017 tagte eine besondere Konferenz an der Caledonian University in Glasgow, Schottland. Im Zentrum der Versammlung stand ein eher ungewöhnliches Thema: der Holocaust-Tourismus. Ungewöhnlich, da die Begriffe Holocaust und Tourismus normalerweise nicht miteinander in Verbindung gebracht werden. Bei genauerer Betrachtung beschreiben sie jedoch treffend eine gegenwärtige touristische Interessensbewegung. Im Zuge der Aufarbeitung der deutschen Vergangenheit entstanden eine Vielzahl an Gedenkstätten, die an die Gräueltaten des zweiten Weltkrieges erinnern sollen, beispielsweise das Konzentrationslager bei Dachau. Mittlerweile dienen diese Orte jedoch nicht mehr nur zur Erinnerung und Vergangenheitsbewältigung, sondern werden aktiv vermarktet. Es entsteht eine Diskrepanz zwischen dem Bildungsauftrag der Ausstellungskuratoren und den ökonomischen Zielen der Anbieter. Durch die Kommodifizierung des Einrichtungsinhalts, also dem Prozess der Kommerzialisierung, wird die objektive Aufklärung der Besucher über die damaligen Geschehnisse behindert. Die Entwicklung der Gedenkstätten hin zu massentouristischen Attraktionen wirft Fragen bezüglich ihrer moralischen Vertretbarkeit sowie der Einordnung der Erscheinungsform auf dem Tourismusmarkt auf. Gerade letzterer Aspekt spielte immer wieder eine Rolle bei den Vorträgen und Diskussionen der Konferenz. Erklärtes Ziel der Zusammenkunft war es nämlich, eine Verbindung zwischen Holocaust-Tourismus und dem Phänomen des Dark Tourism herzustellen. Der Überbegriff Dark Tourism beschreibt eine Form des Tourismus, bei der sich Reisende mit geschichtlich dunklen Orten auseinandersetzen und diese dann auch aufsuchen. Zu jenen historisch belasteten Schauplätzen zählen auch Stätte, die in Verbindung zum Holocaust stehen.[1] Sollte Dark Tourism und somit auch Holocaust-Tourismus häufiger frequentiert werden und sich zu einem festen Bestandteil der Tourismusindustrie entwickeln, wird sich die Gesellschaft überlegen müssen, ob und inwieweit Gedenkstätten und Mahnmale kommerzialisiert und vermarktet werden dürfen. In welchem Ausmaß die beiden Erscheinungsformen miteinander zusammenhängen, wo Dark Tourism im Markt verortet werden kann und welche Herausforderungen mit der moralisch fragwürdigen Reiseform einhergehen, all dies sind relevante Themen der vorliegenden Bachelorarbeit.

1.1 Thema und Zielsetzung

Generell ist dem Phänomen (Phänomen im Sinne von außergewöhnlich) des Dark Tourism im deutschsprachigen Raum bisher wenig Aufmerksamkeit zuteilgeworden - obgleich gerade Deutschland eine große Bandbreite an Schauplätzen aufgrund seiner Vergangenheit bereithält. Der Begriff Dark Tourism und sein Forschungsfeld sind nicht unumstritten, wie auch das Ergebnis der Konferenz aufzeigt. Eine genaue Abgrenzung der verschiedenen Erscheinungsformen, die unter dem Terminus verortet werden können, gestaltet sich als äußerst schwierig.[2] Getroffene wissenschaftliche Analysen und Einordnungsversuche liegen bisher nur verstreut vor und beleuchten meistens lediglich einen Teilaspekt des Phänomens. Sie stammen hauptsächlich aus dem anglophonem Raum. Vor dem aktuellen Hintergrund der englischen Debatte wird in dieser Arbeit nun eine deutschsprachige Bestandsaufnahme, basierend auf überwiegend englischsprachiger Literatur vorgenommen. Dabei wird der gegenwärtige Forschungsstand objektiv untersucht und analysiert, etwaige Lücken aufgezeigt sowie die touristische Erscheinungsform im Markt verortet. Abschließend wird kritisch Stellung bezogen und Herausforderungen, die durch Dark Tourism entstehen können, thematisiert. Gerade im Kontext zum wachsenden Reisemarkts und der damit einhergehenden steigenden Erträge, erhöht sich auch die Wahrscheinlichkeit auf ausgeprägtere Dark Tourism-Aktivitäten zu stoßen[3]. Nur bei einer vollständigen Aufklärung darüber, wie Dark Tourism funktioniert und welche Motivation Reisende des Segments antreibt, können sich die Touristenströme steuern lassen. Ziel der Arbeit ist es, einen soliden Überblick über den bisherigen Wissensstand zu offerieren, auf dem Erhebungen und weitere deutsche Untersuchungen aufbauen können sowie darüber hinaus erste Anhaltspunkte zur Beantwortung moralischer Fragen zu liefern. Summa summarum werden also in der Bachelorarbeit zwei Themenblöcke bearbeitet, mit denen sich im deutschsprachigen Raum bisher eher wenig befasst wurde und die das Fachgebiet inhaltlich voranbringen sollen.

1.2 Forschungsfrage

Die Forschungsfrage zum Thema der Bachelorarbeit lautet kohärent:

Dark Tourism – ein moralisch fragwürdiges Produkt des Nischentourismus?

Aus dieser Grundfrage lassen sich drei weitere Fragen ableiten:

1) Was ist Dark Tourism? - Die Antwort wird im ersten Teil der Bachelorarbeit mit einer Vorstellung der touristischen Erscheinungsform bearbeitet.

2) Ist Dark Tourism ein Produkt des Nischentourismus? – Hierfür wird in einem zweiten Teil der Bachelorarbeit Angebot und Nachfrage analysiert, um das Phänomen im Tourismusmarkt verorten zu können.

3) Wie moralisch fragwürdig ist Dark Tourism? – Hier wird im letzten Teil der Arbeit kritisch Stellung bezogen und mögliche Herausforderungen und Problemstellungen erörtert.

1.3 Einordnung in eine wissenschaftliche Disziplin

Die Forschungsarbeit wird im Bereich der Tourismuswissenschaften geschrieben, die wiederum den Wirtschaftswissenschaften zugeordnet sind. Dark Tourism kann jedoch darüber hinaus als interdisziplinäres Forschungsfeld angesehen werden. Es verbindet durch seine Attribute kulturwissenschaftliche Komponenten, Ethnologie, Geschichtswissenschaft, Soziologie und Philosophie.[4] Das kulturelle Erbe eines Landes, welches eng mit seiner Vergangenheit verbunden ist, spielt genauso eine Rolle wie das Verhalten der Menschen, die von Orten des Leid und Schreckens angezogen werden. Darüber hinaus sind gerade bei der Analyse der Reisemotivation psychologische Aspekte von Bedeutung; ganz abgesehen von philosophischen Erwägungen bezüglich moralischer Sujets. Auch die Thanatologie oder Wissenschaft des Todes ist von Relevanz. Jeder Interessent, der sich mit Dark Tourism auseinandersetzt, wird automatisch mit dem Tod konfrontiert. Nicht ohne Grunde wird das Phänomen zuweilen auch als ‚Thanatourismus‘[5] bezeichnet, abgeleitet von ‚thanatos‘, dem griechischen Gott des Todes.[6] Alle aufgezählten Fachrichtungen tangieren das Thema der Bachelorarbeit, weshalb Dark Tourism ein fachübergreifendes Forschungsgebiet darstellt, das mehrere Wissenschaftsdisziplinen miteinander verknüpft.

2 Theoretische Rahmenbedingungen

Es folgt die Absteckung der theoretischen Rahmenbedingungen, unter denen die Bachelorarbeit geschrieben wird. Neben einer Vielzahl an Autoren wird sich unter anderen an den Aufsätzen von Philip Stone orientiert. Er leitet das ‚Institute for Dark Tourism Research‘ in Lancashire (GBR) und gilt als Vorreiter auf dem Forschungsgebiet.[7]

2.1 Methodische Vorgehensweise

Wie bereits erwähnt, spielt sich die bisherige Auseinandersetzung mit der Materie hauptsächlich im anglophonen Raum ab, deutschsprachige Untersuchungsergebnisse lassen sich bis dato kaum finden. Die Forschung steht noch relativ am Anfang und der Pool an Wissenschaftlern, der sich mit Dark Tourism beschäftigt, ist gering. Um ein möglichst vollständiges Bild des Phänomens skizzieren zu können und so die Forschungsfrage abschließend zu beantworten, wird die Arbeit unter folgenden zwei Prämissen geschrieben: Erstens liegt der Fokus darauf, nicht nur von einzelnen Autoren Ansichten und Theorien darzulegen, sondern ein möglichst objektives Bild aller bisherigen Erkenntnisse zu skizzieren. Um dies zu gewährleisten werden auch ältere Publikationen herangezogen, welche die Basis der aktuellen Forschung bilden. Zweitens wird auf eine kritische Reflektion der Theorien Wert gelegt, gerade weil ihre praktische Validierung noch aussteht und sich bisher kein Ansatz vollumfänglich etabliert hat. Die Abhandlung stützt sich dabei auf bereits vorhandene Literatur und bereitet diese neu auf, es handelt sich also um Sekundärforschung. Die Vorgehensweise ist dementsprechend kompilatorisch. Ein empirisches Format hingegen würde wieder nur einen Teilaspekt des dunklen Tourismus beleuchten, weshalb es für diese Arbeit ausgeschlossen wird. Allerdings ist eine umfassende psychologische Untersuchung grundsätzlich notwendig, um den Forschungsstand weiter voranzutreiben. Dies würde aber den Rahmen der Analyse sprengen. Falls nicht mit dem Originaltext gearbeitet wurde, ist dies sowohl im Kurzbeleg als auch im Literaturverzeichnis gekennzeichnet. Die Behandlung der Kapitel folgt in ihrer Logik dem Aufbau der Forschungsfrage und ihrer schon besprochenen Dreiteilung von Kapitel 1.2.

2.2 Definition und Einordnung der Begriffe

Der Ausdruck Dark Tourism wurde zum ersten Mal von den Autoren Lennon und Foley in einem Aufsatz von 1996 benutzt[8]. Indes waren sie nicht die ersten, die den Zusammenhang zwischen Tourismus und Schauplätzen des Todes untersucht haben. Schon vorher analysierte Rojek die Vermarktung sogenannter ‚Black-Spots‘.[9] Seaton bevorzugt den Begriff ‚Thanatourism‘[10], Blom spricht von ‚morbid tourism‘[11] und Dann benutzt Metaphern wie ‚milking the macabre‘[12] respektive ‚dicing with death‘[13]. Weitere Termini, die zurzeit im Fachdiskurs eingesetzt werden, um Dark Tourism-Aktivitäten zu umschreiben sind ‚Grief tourism’[14], ‚fright tourism‘[15] oder auch laut Dunkley, Morgan und Westwood die Bezeichnungen ‚horror, hardship, tragedy, warfare und genocide tourism‘[16]. Alle Ausdrücke ähneln dem des Dark Tourism, jedoch differieren sie in Nuancen und zeigen damit, dass bisher kein gemeinsamer Konsens bezüglich der Fachterminologie beschlossen wurde.[17] Die vorliegende Arbeit nutzt den im Englischen mit am häufigsten verwendeten Begriff Dark Tourism synonym zu seiner deutschen Übersetzung dunkler Tourismus. Daneben wird auch mit dem Ausdruck ‚Schattentourismus‘ gearbeitet. Das Adjektiv dunkel wie auch das Nomen Schatten entspringen dem gleichen semantischen Wortfeld und sind somit sinnverwandt. Da sich deutsche Autoren bisher nur wenig mit einer eindeutigen Benennung des Phänomens auseinandergesetzt haben, kann Schattentourismus als weitere adäquate, deutsche Bezeichnung angesehen werden. Alle anderen Benennungsvorschläge werden der Einfachheit halber exkludiert. Darüber hinaus werden Produkte, die unter den Ausdruck Dark Tourism fallen auch mit dem englischen Begriff ‚Dark Tourism Sites‘ umschrieben[18]. In diesem Zusammenhang fällt außerdem das Adjektiv ‚makaber‘, weshalb hierfür ebenso eine allgemeine Verständnisgrundlage vonnöten ist. Makabre Orte wirken durch ihre Beziehung zum Tod entweder unheimlich oder sie scherzen mit ihm.[19] Nachdem die offiziellen Begrifflichkeiten geklärt worden sind, wird eine allgemein gültige Definition für Dark Tourism gesucht. Die aktuelle Problematik dabei ist, dass die bisherigen Abgrenzungsversuche alle relativ einseitig sind und erhebliche Aspekte des Phänomens außen vorlassen. Seaton bevorzugt, wie bereits erwähnt, die Expression Thanatourismus statt Dark Tourism und definiert den Ausdruck wie folgt: „Thanatourism is travel to a location wholly, or partially, motivated by the desire for actual or symbolic encounters with death, particularly, but not exclusively, violent death […].”[20]. Er orientiert sich dabei an der Motivation des Touristen, da laut ihm die Reise aus dem Wunsch heraus begangen wird, tatsächliche oder symbolische Begegnungen mit dem Tod zu erleben. Durch die Hinzunahme symbolischer Erfahrungen ist es möglich geeignete Schauplätze, an denen sich nicht direkt Todesfälle ereignet haben, auch in die Produktpalette aufzunehmen. Die reinste Form des Thanatourismus tritt nach Seaton auf, wenn die Motivation allein in der Faszination am Tod selbst begründet liegt, unabhängig von der Geschichte eines Ortes. Er behält sich jedoch einen gewissen Spielraum vor, inwieweit dies der einzige Antrieb für eine Reise sein kann. Darüber hinaus muss der Tod am Schauplatz nicht gewaltsam stattgefunden haben. Diese Unterscheidung ist von Vorteil, da nicht an jedem historisch belasteten Ort der Todesfall durch Gewalteinwirkung herbeigeführt wurde. Trotzdem ist die Definition eng gefasst. Zentrales Element verkörpert die Todesfaszination, die zwar durch andere Motive ergänzt werden kann, jedoch immer Bestandteil sein muss, um unter Thanatourismus verortet zu werden.[21] Da der dunkle Tourismus viele Facetten aufweist, sollte seine Definition allerdings auch andere Motivkombinationen zulassen. Tarlow beschreibt Schattentourismus als „Visitations to places where tragedies or historically noteworthy death has occurred and that continue to impact our lives.”[22] Anders als Seaton legt er den Fokus auf die Charaktereigenschaften der Destinationen und lässt somit die potenziellen Motive offen. Orte, an denen Tragödien oder geschichtlich bedeutsame Tode passiert sind, nehmen einen festen Platz unter den Dark Tourism Sites ein, seine Formulierung lässt jedoch einen Teil möglicher Erscheinungsformen außer Acht. Es geht nur um Ereignisse aus der Vergangenheit, die das Leben seiner Generation noch immer beeinflussen. Länger zurückliegende Geschehnisse fallen dadurch weg. Die Entscheidung, ab wann ein Todesfall so bedeutsam ist, dass er noch immer Auswirkungen auf die Gesellschaft hat, lässt sich darüber hinaus nur schwierig fällen. Sie ist stark vom individuellen Blickwinkel des Betrachters abhängig. Ferner bleibt offen, was unter dem Ausdruck Tragödie zu verstehen ist. Tarlows Definition beleuchtet somit wieder nur einen Teilaspekt und ist zu unpräzise. Für Lennon und Foley bezieht sich der von ihnen geprägte Begriff Dark Tourism hauptsächlich auf die Präsentation und den Konsum von Schauplätzen, die mit realen wie fiktionalen Tod und Desaster in Verbindung stehen.[23] Bei ihnen gehört auch die Darstellung des erfundenen Todes zum dunklen Tourismus, ähnlich Seatons symbolischer Begegnungen. Damit schließen sie auch Einrichtungen ein, die Tod und Leid absichtlich zu kommerziellen Zwecken erfinden und so mit einem gewissen Gruselfaktor werben, beispielsweise Schreckenskabinette. Gemäß Stone ist allen bisher genannten Definitionen gemein, dass sie als „act of travel to tourist sites associated with death, suffering or the seemingly macabre”[24] verstanden werden können. Die Forscher sind sich also bislang in zwei Standpunkten einig: Erstens, dunkler Tourismus beinhaltet einen Akt des Reisens. Zweitens, die aufgesuchten Orte stehen mit Tod, Leid oder anderen makabren Ereignissen in Verbindung. Welche Produkte nun aber exakt unter Dark Tourism verortet werden können, bleibt ein Streitpunkt. Ferner ist offen, ob es überhaupt gerechtfertigt ist, kollektiv Stätte, die mit dem Tod assoziiert werden, pauschal unter Dark Tourism einzuordnen[25]. Die Suche nach einer einheitlichen Definition wird zudem durch touristische Strömungen erschwert, die gemeinsame Merkmale mit dem Phänomen aufweisen. Viele Sehenswürdigkeiten können auch unter dem allgemeineren Begriff ‚heritage tourism‘, hier mit Kulturerbe-Tourismus übersetzt, verortet werden.[26] Kulturerbe-Tourismus legt Wert auf den geschichtlichen Hintergrund und dem Bewahren der Vergangenheit. Dark Tourism hingegen wird mit Gräueltaten in Verbindung gebracht, bei denen die Erfahrung der Stätte an sich sowie visuelle Aspekte im Fokus stehen und diese der geschichtlichen Genauigkeit vorgezogen werden.[27] Aschauer schlägt vor unter Kulturerbe-Tourismus die historisch unbelasteten Orte zu verorten und Dark Tourism die geschichtlich belasteten Plätze zuzuteilen.[28] Die Grenze zwischen beiden Begriffen ist jedoch fließend und es kommt immer wieder zu Überschneidungen. Eine weitere Erscheinungsform, die mit dem Schattentourismus korreliert, ist der mittelalterliche oder historische Tourismus. Hier ist die Trennung stark motivationsgeprägt. Eine Attraktion fällt deshalb unter beide touristische Strömungen, falls sie sowohl Besucher mit einem rein geschichtlichen Interesse anzieht, als auch ihre anderen Wesensmerkmale Antrieb für eine Reise sind. Dritte Größe auf dem Markt stellen virtuelle Expeditionen, auch Cyber-Tourismus genannt, dar.[29] Dabei geht es um eine körperlose Reise des Bewusstseins von zu Hause aus. Das Ziel kann nicht nur ein anderer Ort, sondern auch eine andere Zeit sein. Die Umsetzung erfolgt durch den Megatrend der Digitalisierung und technischer Errungenschaften, wie beispielsweise Virtual-Reality-Brillen. Schon jetzt bieten viele touristische Attraktionen virtuelle Rundgänge an.[30] Auch hier ist es eine Frage der Definition, inwieweit Cyber-Tourismus zum dunklen Tourismus zählt oder als selbstständige Größe auftritt. Falls bei Reisen zu Orten, die von Leid und Tod geprägt sind, keine physische Präsenz vonnöten ist, könnten manche Produkte des Cyber-Tourismus auch unter Dark Tourism fallen. Sollte jedoch der Besucher körperlich anwesend sein müssen, wären beide Begriffe klar voneinander getrennt. Zusammenfassend gestaltet sich eine eindeutige Abgrenzung der eben genannten touristischen Interessensbewegungen voneinander als diffizil. Besonders die Entwicklung des Cyber-Tourismus kann in den nächsten Jahren eine Definitionsanpassung des Dark Tourism zur sauberer Begriffsterminierung erfordern. Die Überschneidungen wirken sich insgesamt auf die Kategorisierungsvorschläge der Angebots- und Nachfragestruktur aus.

Summa summarum sind zwei Herangehensweisen beim Finden einer Definition für den dunklen Tourismus möglich: Einerseits kann die Motivation der Besucher als Ausgangspunkt genommen werden, wie es Seaton in seiner Definition vorschlägt. Andererseits benutzen sowohl Stone und Tarlow, als auch Lennon und Foley die Charaktereigenschaften der Destinationen als Grundlage und bauen darauf ihre Ansätze auf. Beide Varianten bergen Vor- und Nachteile. Da jedoch die Reisemotivation zu Dark Tourism Sites bisher kaum erforscht ist, wird im Folgenden eine Definitionsvariante zur Anwendung kommen, die sich von den Charaktereigenschaften der Angebotsseite ableitet. Allen Ansätzen ist die Allgegenwärtigkeit von Tod und/oder Leid gemein. Sie stellt die zentralste Charaktereigenschaft dar und haftet allen Stätten des Schattentourismus an. Als Motiv für das Aufsuchen einer Dark Tourism Site kann eine gewisse Todesfaszination infrage kommen, jedoch sind auch ganz andere Antriebe möglich. Es existieren aufgrund der historischen Vergangenheit der Schauplätze Überschneidungen zu Kulturerbe-Tourismus und anderen touristischen Sonderformen, eine klare Abgrenzung ist nicht möglich. Unter dem Terminus Dark Tourism wird in der vorliegenden Arbeit deshalb folgendes verstanden:

Dunkler Tourismus bezeichnet wertfrei das Reisen zu Orten, die mit Tod und/oder Leid in Verbindung gebracht werden. Die Schauplätze können historisch belastet sein, ein symbolischer Zusammenhang reicht jedoch aus. Die Produktdesigns erfüllen eine Vielzahl an Zwecken, auch kommerzielle Gründe können eine Rolle spielen. Darüber hinaus ist die Reisemotivation der Touristen facettenreich.

3 Phänomen des Dark Tourism

Zum besseren Verständnis der Materie erfolgt als erstes ein geschichtlicher Exkurs zu Ursprung und Entwicklung des dunklen Tourismus. Danach werden verschiedene Vorschläge zur Kategorisierung der divergenten Erscheinungsformen des Phänomens vorgestellt und erörtert. Ziel von Kapitel 3 ist es, aufbauend auf den zuvor behandelten theoretischen Rahmenbedingungen, den ersten Teil der Forschungsfrage „Was ist Dark Tourism?“ zu beantworten.

3.1 Geschichtlicher Hintergrund

Basierend auf der Tatsache, dass jedes Lebewesen früher oder später stirbt und deshalb der Tod unausweichlich Teil des Lebens ist, mag es laut Stone nicht weiter verwunderlich sein, dass der Mensch schon immer vom Tod fasziniert war – sowohl seinem eigenen als auch dem von anderen. Eine Mischung aus Respekt, Ehrfurcht, morbider Neugier und Aberglaube trieb ihn schon vor langer Zeit zu Stätten des Leid und Grauens.[31] Doch wann genau Dark Tourism zum ersten Mal in Erscheinung trat, ist nicht belegt. Eine der ersten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen mit dem Thema ist ein Verweis von Seaton auf einen Aufsatz des Schriftstellers De Quincey aus dem Jahre 1827. Dieser schreibt über den moralisch kaum vertretbaren Unterhaltungswert von Mord zu seiner Zeit.[32] In dem Essay ist der Begriff dunkler Tourismus oder - wie Seaton ihn nennt - Thanatourismus, noch nicht gefallen. Allerdings ist seine Beschreibung eine der ersten, die sich mit dem menschlichen Verhalten in makabren Situationen befasst. Seaton verweist außerdem darauf, dass zwischen Mittelalter und 19. Jahrhundert der Tod ein zentrales Element des täglichen Lebens war, beeinflusst von den mächtigen Institutionen Kirche und Politik[33]. Dies spiegelt sich auch in der damaligen Kunst mit ihren Stillleben wieder, die hauptsächlich Arrangements zusammengewürfelter Alltagsgegenstände zeigen, welche sich in unterschiedlichen Stadien des Verfalls befinden, beispielsweise verdorbene Lebensmittel oder verwelkte Blumen. Sie thematisieren damit überwiegend das Vanitas-Motiv, also die Vergänglichkeit des Lebens.[34] Zu jener Zeit etablierte sich nach Seaton der professionelle Dark Tourism. Zwischen 1770 und 1830, dem Höhepunkt der Romantik, erfreuten sich Schauplätze, die mit Tod und Gewalt in Verbindung standen, großer Beliebtheit. Als populärstes Ausflugsziel galt die vom Vesuv eingeäscherte Stadt Pompeij.[35] Doch traten bereits viel früher Erscheinungsformen des Schattentourismus auf. Als einer der ersten Belege gelten die im 1.Jahrhundert nach Christus ausgetragenen Gladiatorenkämpfe in Rom. Für jenes Spektakel, das auch mit dem Tod einer der Kontrahenten enden konnte, reiste das Volk selbst aus ländlicheren Regionen an.[36] Gläubige besuchen seit jeher Schauplätze, an denen Heilige und andere berühmte religiöse Persönlichkeiten starben, weshalb auch Pilgerreisen dazu zählen können. Darüber hinaus erfreuten sich öffentliche Hinrichtungen bis zu ihrem Verbot großer Beliebtheit. Eines der ersten professionellen Reiseangebote des dunklen Tourismus in England war angeblich eine im Jahr 1838 organisierte Zugfahrt zur öffentliche Hängung von zwei Mördern.[37] Darüber hinaus gab es Gefängnisse, die für Touristen zugänglich waren, manche zeigten ihre Insassen gegen Geld sogar bei Disziplinierungsmaßnahmen.[38]

Die aufgezählten Aktivitäten vergangener Jahrhunderte können alle unter Dark Tourism verortet werden, gemäß des Falls, dass Menschen extra anreisten, um an ihnen teilzunehmen. Schattentourismus existiert damit schon lange, er wurde bisher nur nicht als solcher deklariert. Durch die stetige Weiterentwicklung der Technik änderte sich die Customer Experience in den letzten Jahrzehnten. Die Schauplätze erwachen zum neuen Leben, der Besucher kann das Geschehene realitätsgetreu nacherfahren.[39] Die Digitalisierung begünstigt die Entstehung weiterer Dark Tourism Sites, indem sie seit langem bekannte Produkte wieder attraktiver macht sowie unbekannte einer größeren Öffentlichkeit zugänglich.[40] Durch eine schnellere Informationsverbreitung steigt die Popularität einzelner Destinationen schneller als früher. Der große Angebotspool sowie die neu gesetzten Reize stimulieren die Nachfrage, weshalb mit einem Anstieg zu rechnen ist.

3.2 Kategorisierung der unterschiedlichen Erscheinungsformen

Es folgt eine Übersicht an Vorschlägen zur Kategorisierung gegenwärtiger Erscheinungsformen des dunklen Tourismus. Dabei wird sich an den Charaktereigenschaften der Produkte orientiert. Eben benannte Dark Tourism Sites der Vergangenheit, die nicht mehr existieren, spielen dabei keine Rolle. Rojek ist mit einer der ersten, der sich in seiner Dissertation um eine Einteilung bemüht. Er differenziert Black Spots, damit sind Gräber und Schauplätze gemeint, an denen berühmte Persönlichkeiten oder große Menschenansammlungen plötzlich und gewaltsam gestorben sind, von sogenannte ‚heritage sites‘. Letztere sind Attraktionen, die versuchen Ereignisse und Lebensweisen aus der Vergangenheit nachzustellen. Beide werden weiterhin von Orten, die in Verbindung zu berühmten Autoren und ihren Charakteren stehen (‚literary landscapes‘) und von Themenparks, die Attraktionen und Fahrgeschäfte zu einem bestimmten Motto anbieten, unterschieden.[41] Seine Einteilung greift bestimmte touristische Erscheinungsformen auf, die unabhängig voneinander existieren. Der Begriff Black Spots beinhaltet Aspekte des dunklen Tourismus, jedoch können die anderen Ausdrücke nur zufällig in Ausprägungen darunter verortet werden. Grundsätzlich positioniert Rojek also vielmehr seine Black Spots auf dem Tourismusmarkt und grenzt sie von anderen Erscheinungsformen ab, anstelle den Begriff Dark Tourism an sich zu untergliedern. Eine alternative Möglichkeit der Kategorisierung ist das Referenzieren auf spezielle Ereignissen, wie den ‚Sixth Floor‘ in Dallas, Texas[42]. Von diesem Ort aus erschoss Lee Harvey Oswald den amerikanischen Präsidenten John Fitzgerald Kennedy. Mittlerweile befindet sich ein Museum in eben jener Etage, welche das tragische Ereignis und seine Konsequenzen thematisiert.[43] Die Methode ordnet also Dark Tourism Sites anhand von Paradebeispielen ein. In diesem Falle werden Museen, die sich mit Mord und Leid beschäftigen, mit den Sixth Floor verglichen. Problematisch an der Vorgehensweise ist, dass je nach kulturellem und geographischem Hintergrund, Individuen Ereignisse unterschiedlich interpretieren beziehungsweise noch nie davon gehört haben. Es wäre also sinnvoller übergeordnete Erscheinungsformen zu finden, die klar umrissen und einfach verständlich sind, unabhängig von der nationalen Identität. Hierzu bietet Seaton einen Ansatz. Er schlägt fünf Reiseaktivitäten vor, die unter dunklem Tourismus verortet werden können. Dazu zählt die mittlerweile veraltete Erscheinungsform Reisen zu unternehmen, um öffentliche Hinrichtungen zu erleben. Durch ihre Einbeziehung hat Seaton alle ehemaligen Schauplätze der Vergangenheit abgedeckt, da er dazu auch Gladiatorenkämpfe und Ähnliches zählt. Der Vorschlag ist für eine Veranschaulichung des Phänomens und seiner Entwicklung von Vorteil, allerdings ist er bei dem Versuch der Klassifizierung gegenwärtiger Erscheinungsformen irrelevant. Seaton ist die Verjährung der Aktivitäten durchaus bewusst, doch verweist er darauf, dass sich durch Flugzeugabstürze, gesunkene Schiffe und Autounfälle neue, moderne Attraktionen bilden, die für Schaulustige den gleichen Stellenwert einnehmen wie ehemalige Exekutionen. Die zweite Kategorie beinhaltet Plätze, an denen Massenmorde begangen wurden oder berühmte, beziehungsweise berüchtigte Persönlichkeiten zu Tode kamen. Das Zusammenlegen der beiden Schauplatzarten ist unglücklich gewählt, da die Orte unterschiedlich stark von ihrer Vergangenheit belastet werden. Beide Erscheinungsformen sollten vielmehr als separate Rubriken auftreten. Reisen zu Mahnstätten und Internierungslagern, wie Krypten oder Katakomben bilden nach Seaton die dritte Reiseaktivität. Die Plätze vier und fünf belegen Orte, an denen der Tod symbolisch repräsentiert wird, beispielsweise in Waffenmuseen oder solche, bei denen der Tod simuliert beziehungsweise nachgespielt wird, wie Pilgerreisen.[44] Die symbolische Repräsentation ist eine plausible Kategorisierungswahl, da viele Schauplätze des Schattentourismus indirekt mit dem Tod in Verbindung stehen, zum Beispiel in Form von Memorials und Museen. Der Ausdruck Reisen zur Simulation eines Todesfalls kann hingegen irreführend sein. Auch eine der ältesten Formen des Dark Tourism, die Pilgerreise, benötigt eine Sparte zur Einordnung. Nichtsdestotrotz ist es fragwürdig, jedem Pilger das Motiv zugrunde zu legen, er möchte den Tod eines anderen nachempfinden. Alles in allem bietet Seaton jedoch einen soliden, ersten Ansatz um Dark Tourism-Aktivitäten zu kategorisieren. Er versucht möglichst viele Ausprägungen abzudecken, weshalb sein Fokus eher allgemein gehalten ist. Die Auswahl der zusammengelegten Erscheinungsformen scheint jedoch nicht immer ganz kohärent zu sein. Dann bietet einen weiteren Vorschlag zur Klassifizierung der Produkte mit fünf Sparten an. Den ersten Überbegriff bilden lebensbedrohliche Orte, die sowohl Schreckensstädte der Vergangenheit als auch gefährliche Destinationen der Gegenwart beinhalten (‚towns of terror‘). Damit deckt er Stätte wie das verschüttete Pompeij oder das verlassene Tschernobyl ab. Davon unterscheidet er Horrorhäuser, in denen es zu gewalttätigen Todesfällen kam – realen wie erfundenen. Diese Aufschlüsselung ist zweckdienlich, da hier vor allem die von der Tourismusindustrie erschlossenen Flächen ihren Platz finden. Beispielsweise ehemalige Gefängnisse oder heimgesuchte Hotels, die mit einem gewissen Gruselfaktor werben. Der dritte Bereich ist breit gefächert, Dann nennt ihn Schauplätze des Todes oder Unglücks. Er meint damit berühmte beziehungsweise berüchtigte Orte, deren Namen allein schon Angst einflößen. Hierunter fallen Schlachtfelder, Holocaust-Stätten und Friedhöfe, auf denen berühmte Persönlichkeiten begraben liegen. Es ist offensichtlich, dass mehrere Hauptströmungen des dunklen Tourismus hier zu einer großen Kategorie zusammengefasst wurden. Die Bezeichnung Orte des Unglücks trifft auf einen Großteil der Produkte des Schattentourismus zu, durch ihre Bündelung werden nennenswerte Ausprägungen unterschlagen. Eine Separation wäre daher von Vorteil. Die nächste Erscheinungsart stellen geführte Touren zu Folter und Leid dar. Die Besuche fokussieren sich dabei auf Orte, an denen Gewalt passiert ist. Letzter Punkt bilden Reisen aufgrund von themenspezifischen Toden. Hierunter fallen verschiedene rund um Leben und Tod gebaute Konstrukte, wie Museen oder Monumente.[45] Resümierend schwankt Dann zwischen zwei Tendenzen: Manche Einteilungen sind breit gefasst mit einer Vielzahl divergenter Erscheinungsformen, die alle in der gleichen Kategorie verortet werden. Andere wiederum sind speziell auf einen Aspekt zugeschnitten und lassen nur wenig Spielraum. Dann kommt dem Schritt einer umfassenden Kategorisierung schon viel näher als Rojek und Seaton, er entwickelt solide Anhaltspunkte, anhand derer diverse Produkte des Dark Tourism eingeordnet werden können. Trotzdem beinhaltet auch sein Vorschlag weiterhin Lücken. Alternativ können Schauplätze auch nach der Art des Geschehens differenziert werden, an Stelle ihrer Charaktereigenschaften. Bei den präsentierten Ereignissen kann es sich um fiktionale Todesfälle handeln, die nie stattgefunden haben und nur für touristische Zwecke erfunden wurden. Dazu zählt beispielsweise auch der Tod durch Vampire und andere Fantasiegestalten. Andernfalls wird Leid und Grauen mit wenig Rücksicht auf geschichtliche Korrektheit nachgestellt, was exemplarisch in den London Dungeons zu sehen ist. Im Gegensatz dazu stehen Orte, an denen beides, Tod und Leid real stattgefunden haben.[46] Diese Möglichkeit der Differenzierung ist allerdings sehr grob und übersieht die Vielfalt an Dark Tourism Sites. Ihr Ansatz zur Unterscheidung der Schauplätze in Abhängigkeit von der Historie des Ortes erscheint jedoch durchaus sinnvoll. Denn es ist offensichtlich, dass nicht jede Dark Tourism Site eine gleich dunkle Vergangenheit aufweist. Eine der aktuellsten und vollständigsten Kategorisierungsvorschläge liefert Stone unter der Bezeichnung ‚Seven Dark Suppliers’. Er unterteilt die Angebotsseite in sieben verschiedene Erscheinungsformen, die nachfolgend vorgestellt werden:

1) Dark Fun Factories: Unter dunklen Spaßfabriken versteht Stone Attraktionen und Touren, bei denen - wie der Name bereits sagt - Spaß und Unterhaltung im Vordergrund stehen. Betrieben werden solche Gruselkabinette hauptsächlich aus kommerziellen Gründen, weshalb die touristische Infrastruktur meist gut ausgebaut ist. Die Darstellungen können dabei sowohl auf realen als auch fiktionalen makabren Ereignissen beruhen, allerdings wird wenig Wert auf geschichtliche Akkuratesse gelegt. Dies geht auch mit der Wahl der Zielgruppe einher, die meisten Einrichtungen sind familienfreundlich gestaltet. Es werden nur sozial akzeptierte Formen von Tod und Leid gezeigt, was meistens zur Lasten der Authentizität geht.

2) Dark Exhibitions: Dunkle Ausstellungen fokussieren sich auf Tod, Leid und andere makabre Ereignisse. Sie verfügen über keine geographische Nähe zu den Ereignissen, über die sie aufklären, sondern agieren ortsunabhängig. Dunkle Ausstellungen dienen der Erinnerung und Reflexion. Zentraler Aspekt ist meist der Weiterbildungszweck, also das Lernen aus der Vergangenheit. Sie behandeln ernstere Themen als Dark Fun Factories und treten deshalb auch seriöser auf. Trotzdem sind profitorientierte Tendenzen vorhanden, weshalb die touristische Infrastruktur meist gut ausgebaut ist.

3) Dark Dungeons: Sie bezeichnen ehemalige Gefängnisse und Gerichtsgebäude, die nicht mehr benutzt werden und jetzt der Öffentlichkeit zur Verfügung stehen. Eine Kombination aus Unterhaltung und Bildung, verbunden mit einem hohen Grad an Kommerzialisierung zeichnen diese Einrichtungen aus. Obwohl die Orte bei ihrem Bau nicht für ein öffentliches Publikum gedacht waren, weisen sie eine gut ausgebaute touristische Infrastruktur auf. In dieser Kategorie sind außerdem Überschneidungen mit Dark Fun Factories möglich, da Gefängnisse zu Gruselkabinetten umgewandelt werden können und somit in beide Kategorien fallen.

4) Dark Resting Places: Unter dunklen Ruhestätten versteht Stone, wie der Namen bereits beschreibt, Friedhöfe und Grabmäler. Anders als bei den zuvor genannten Erscheinungsformen, spielen beim Anlegen eines Friedhofs weniger kommerzielle Gründe eine Rolle, sondern vielmehr ökologische Aspekte, wie das Integrieren des Friedhofs in das Umland. Tourismusplaner benutzen Friedhöfe ungeachtet dessen auch für das Bewerben einer bestimmten Region. Die touristische Infrastruktur entsteht in diesem Fall um den Friedhof herum. Reisen zu dunklen Ruhestätten haben meist einen historischen Fokus, besonders ältere Friedhöfe bewahren Kunstwerke gotischer und romantischer Architektur. Der Vollständigkeit halber wird darauf hingewiesen, dass mittlerweile selbst Friedhöfe zu kommerziellen Zwecken genutzt werden. Exemplarisches Beispiel dafür sind die in Hollywood angebotenen Touren zu den Gräbern berühmter Persönlichkeiten.

5) Dark Shrines: Dunkle Schreine sind ein Sonderfall des Dark Tourism. Sie werden offiziell oder inoffiziell in Gedenken an kürzlich verstorbene Personen errichtet und existieren nur für eine gewisse Zeit. Meist sind sie direkt oder in der Nähe der Todesstätte zu finden. Sie erhalten durch die Nachrichtenerstattung der Medien mehr Aufmerksamkeit als anderen dunkle Anbieter, da nicht nur über das Geschehen aufgeklärt wird, sondern dem Publikum auch der Tatort gezeigt wird. Menschen reisen zu Schreinen, um ihr Beileid zu bekunden. Es handelt sich um semi-permanente Erscheinungsformen, die für eine bestimmte Zeit an einem bestimmten Ort existieren und danach wieder verschwinden, weshalb sie von einer geringen bis nicht vorhandenen touristischen Infrastruktur geprägt sind. Doch auch hier gibt es Ausnahmen, aus Gedenkstätten können dunkle Ausstellungen werden, die permanent existieren.

6) Dark Conflict Sites: Zentraler Kern dunkler Konfliktplätze sind Kriegsschauplätze und Schlachtfelder. Diese Orte sind unbeabsichtigt zu Produkten des Schattentourismus geworden. Ihr Schwerpunkt liegt auf geschichtlichen Aspekten, sie dienen der Weiterbildung und als Mahnmal. Welche Botschaften die Stätte vermitteln, ist stark abhängig von der Interpretation des Geschehenen. Oftmals lenken politische Ideologien das Gesamtbild und entscheiden, was der Besucher erfährt. Überdies kann zwischen zeitlich schon länger zurückliegenden Schlachten unterschieden werden, die meist romantisiert dargestellt werden und kürzer zurückliegenden, welche eine ernstere Ausstrahlung besitzen. Mittlerweile entwickelt sich auch hier touristische Infrastruktur und der Grad der Kommerzialisierung nimmt zu.

7) Dark Camps of Genocide: Letzter Punkt der sieben dunklen Anbieter stellen Orte dar, an denen Genozide, Gräueltaten und andere Katastrophen stattfanden. Anbieter dieser Kategorie sind direkt am Ort des Geschehens. Sie konzentrieren sich auf Weiterbildungsaspekte, helfen bei der Vergangenheitsbewältigung und dienen als Mahnmal. Allerdings sind die Botschaften oftmals politisch beeinflusst. Ein Begriff, der in Zusammenhang mit Schauplätzen des zweiten Weltkriegs immer wieder fällt, ist der Holocaust-Tourismus, welcher schon in der Einleitung erwähnt wurde. Er stellt eine touristische Erscheinungsform dar, die dem letzten der sieben dunklen Anbieter zugeteilt werden kann. Andere Plätze des Genozids dürfen jedoch als weitere Reiseziele nicht übergangen werden.[47]

Stones Kategorisierungsvorschlag bietet mehrere Vorteile. Zum einen ist er mit sieben Anbietern wesentlich detaillierter als Seaton und Dann, trotz alledem bieten die Sparten Spielraum. Seine Definitionen lassen bewusst Überschneidungen zwischen den einzelnen Rubriken zu, sodass manche Produkte zu zwei übergeordneten Begriffen passen. Würden die Kategorien noch detaillierter ausfallen, wäre es keine Übersicht mehr, sondern lediglich eine bloße Auflistung der Erscheinungsformen. Ferner berücksichtigt er, dass sich eine Dark Tourism Site und ihre Botschaft mit der Zeit verändern und weiterentwickeln können, sodass sie die Kategorie wechseln. Schreine werden zu Ausstellungen, Gefängnisse zu Gruselkabinetten. Diese Transformationen sind von den anderen Autoren nicht angesprochen worden. Darüber hinaus nimmt Stone einen Sonderfall in seine Einteilung auf, die dunklen Schreine. Dass sie existieren ist unbestreitbar, trotzdem differenzieren sie sich durch ihre Kurzlebigkeit stark von den anderen Reise-Aktivitäten. Es bleibt offen, ob das Anlegen einer eigenen Kategorie für ihre Art zwingend notwendig ist, da mit einem langfristigen öffentlichen Interesse nicht zu rechnen ist. Andererseits sind sie keinem anderen Anbieter eindeutig zuordbar. Letztendlich entscheidet das subjektive Empfinden des jeweiligen Autors darüber, wie gewichtig einzelne Erscheinungsformen des Schattentourismus zu nehmen sind. Stones Einteilung ist allgemein gehalten und klar definiert, darüber hinaus sind Überschneidungen zugelassen. Nicht ohne Grund bezeichnet er die Produkte als hybrid[48]. Jedoch gelingt auch ihm keine allumfängliche Sortierung. Beispielsweise lässt er Pilgerreisen vollkommen außer Acht, die immer noch eine aktuelle Reiseform darstellen[49]. Ferner wurde in keiner Klassifikation der Besuch verlassener Psychiatrien angesprochen, die definitiv auch unter Dark Tourism verortet werden können. Sie vereinen meist geschichtliche Aspekte mit einem gewissen Gruselfaktor durch Ausstellungen und Geistertouren.[50] Darüber hinaus ist die Bezeichnung Seven Dark Suppliers irreführend. Stone meint damit nicht die Unternehmen hinter den Einrichtungen, also die realen Betreiber, wie fälschlicherweise angenommen werde könnte, sondern die Schauplätze selbst und deren Merkmale.

In Conclusio ist es diffizil, eine einheitliche Kategorisierung für alle Erscheinungsformen des dunklen Tourismus zu finden, die universal angewendet werden kann. Die Entscheidung, welche Wesensmerkmale der Dark Tourism Sites sich zu gemeinsamen Sparten zusammenfassen lassen, trifft bisher jeder Forscher subjektiv für sich. Im weiteren Verlauf der Untersuchung wird sich an Stones Vorschlag der sieben dunklen Anbieter orientiert, da er einen soliden Ansatz zur Klassifizierung der Erscheinungsformen liefert. Zwar weist seine Einteilung ebenfalls Lücken auf, die es noch zu beheben gilt, dennoch ist sie mit am weitesten fortgeschritten und ausgereifter als die anderen.

4 Angebot und Nachfrage

In Kapitel 4 erfolgt nun eine Untersuchung von Angebot und Nachfrage sowie ihrer Korrelation zueinander. Dafür werden Dark Tourism Sites in einem ersten Schritt analysiert, eingeordnet und gewichtet. Im zweiten Schritt stehen dann der Tourist und seine Reisemotivation im Fokus. Zum aktuellen Forschungsstand ist es schwierig zu sagen, ob dunkler Tourismus angebots- oder nachfragegetrieben ist. Fest steht laut Sharpley, dass beide Seiten für eine Einordnung des Phänomens auf den Markt eingebunden werden müssen.[51] Erst wenn dieses sich wechselseitig beeinflussende Gefüge klar umrissen ist, kann der zweite Teil der Forschungsfrage „Ist Dark Tourism ein Produkt des Nischentourismus?“ beantwortet werden. Darüber hinaus liefert die nachfolgende Bestandsaufnahme erste Anhaltspunkte zu moralischen Herausforderungen, denen sich die Anbieter gegenübersehen - jene Erkenntnisse sind auch für die kritische Stellungnahme in Kapitel 5 relevant. Voraussetzung für die Analyse von Angebot und Nachfrage ist eine grundsätzliche Anerkennung der Tatsache, dass überhaupt eine Nachfrage sowie daraus resultierende touristische Verhaltensweisen bestehen[52].

4.1 Analyse der Angebotsseite

Es folgt die Untersuchung eines Angebotsausschnitts an aktuellen Dark Tourism Sites sowie ihre Einordnung in die eben vorgestellten Seven Dark Suppliers. Ziel ist es einen Einblick in die Verteilung der Produkt-Landschaft zu gewährleisten und darüber hinaus Stones Einteilung auf ihre praktische Umsetzbarkeit zu überprüfen. Darauffolgend verortet Abschnitt 4.1.2 exemplarische Destinationen. Jeder Schauplatz besitzt eine eigene Historie, die sein Erscheinungsbild unterschiedlich stark beeinflusst. Ergo ist nicht jeder Ort gleich ‚dunkel‘, sondern es existieren gewissen farbliche Nuancen. Die Schauplätze können deshalb zusätzlich über die Schwere der vergangenen Ereignisse voneinander abgegrenzt werden.

4.1.1 Bestandsaufnahme und Einordnung der Produktpalette

Die Auflistung aktueller Dark Tourism Sites in Tabelle 4 (siehe Anhang) ist keine vollständige Marktanalyse, sie liefert lediglich einen Einblick in die Produktverteilung. Eine Aufzählung aller Schauplätze ist nicht möglich, da allein mehrere tausend Gedenkstätten des Holocaust in Deutschland und seinen Nachbarländern existieren, was den Rahmen der Arbeit überschreiten würde[53]. Essenziell bei der folgenden Produktverortung ist eine Trennung zwischen der Kategorie und dem realen Betreiber, der dahintersteht. Beispielsweise ist das Londoner Gefängnis im Besitz der Merlin Entertainments Group. Ihr Gruselkabinett wird den Dark Fun Factories zugeordnet, einen von Stones sieben dunklen Anbieter. Diese Bezeichnung kann, wie bereits angesprochen, missverstanden werden, da damit schließlich nicht der reale Anbieter Merlin Entertainments Group gemeint ist, sondern die Kategorie seines Produktes.[54] Manche, der aufgelisteten Dark Tourism Sites weisen darüber hinaus Charaktereigenschaften mehrerer Sparten auf. Da der Fokus der Arbeit auf der Erstellung einer Übersicht liegt und nicht dem Einordnen und Abgrenzen einzelner Attraktionen voneinander, werden diese Produkte in allen passenden Rubriken verortet. Ein fettes X markiert dabei den dunklen Anbieter, welcher am meisten zutrifft. Das zweite X kennzeichnet die Alternative, welche, je nach Blickwinkel und Argumentation, dem Schauplatz auch zugewiesen werden könnte. Unter allen aufgezählten Sehenswürdigkeiten findet sich eine prägnante Charakterisierung zum besseren Verständnis der Einordnungswahl sowie eine Länderangabe zur groben Lokalisierung der Destinationen. Tabelle 4 stellt keine finale Verortung der Dark Tourism Sites dar, sie liefert ausschließlich einen Einblick in den Angebotsmarkt. Für eine endgültige Zuordnung wäre eine tiefergehende Analyse vonnöten, die sich intensiv mit der jeweiligen Geschichte der einzelnen Orte auseinandersetzt. Es folgt die Auswertung des aktuellen Angebotsausschnitts. Sie orientiert sich an der Reihenfolge der sieben dunklen Anbieter von links nach rechts, beginnend mit den Dark Fun Factories.

Die zumeist familienfreundlichen Dark Fun Factories fokussieren sich auf Spaß und Unterhaltung bei einem gewissen Nervenkitzel. Besitzer stellen meist größere, auf Themenparks spezialisierte Unternehmen dar, die mit profitorientierten Interessen ihre Freizeiteinrichtungen führen. Einer davon ist besagte Merlin Entertainments Group, dem die in der Tabelle ausgewählten Attraktionen London Dungeon, Thorpe Park und Madame Tussauds gehören.[55] Hier ergeben sich, abgesehen vom eindeutig zuordbaren Thorpe Park, schon ersten Überschneidungen: Madame Tussauds beinhaltet ein Wachsfigurenkabinett, das berühmte und berüchtigte Persönlichkeiten ausstellt, Lebende wie bereits Verstorbene. Damit fällt das Produkt in die Kategorie Dark Exhibitions. Das von ihr beherbergte Gruselkabinett ‚Chamber of Horrors‘ arbeitet jedoch gleichzeitig zur Steigerung des Gruselfaktors mit professionellen Schauspielern zusammen. Wenn dies das Hauptziel der Besucher darstellt, könnte die Einrichtung alternativ auch den Dark Fun Factories zugeordnet werden, da es schließlich nicht mehr um die Ausstellung an sich, sondern den erfahrenen Nervenkitzel geht.[56] Gleiches gilt aufgrund seiner kommerziellen Vermarktung für das Londoner Gefängnis. Seinem Wesensinhalt nach gehört es offensichtlich der Kategorie Dark Dungeons an, das angebotene Programm lässt jedoch eher auf eine Dark Fun Factory schließen. Abbildung 1 zeigt einen Ausschnitt der aktuellen Homepage, die mit Freifall-Turm sowie Showeinlagen eines legendären Mediums wirbt. Die Merlin Entertainments Group bietet an sieben weiteren Standorte in England, Deutschland, Holland und den USA dasselbe Produktdesign an, nur unter dem Namen der hiesigen Stadt, beispielsweise Berlin Dungeons. Keine der Attraktionen befindet sich dabei wirklich in einem ehemaligen Gefängnis oder Gerichtsgebäude.[57] Das Gruselkabinett hat die Erscheinungsform eines Gefängnisses also nur als Mittel zum Zweck angenommen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Homepage - Ausschnitt des Londoner Gefängnisses[58]

Dark Tourism Sites, die eindeutig unter Dark Dungeons verortet werden können, weisen mit Blick auf die Tabelle zwei verschiedene Ausprägungen auf. Zum einen existieren ehemalige Gefängnisse, die ihre düstere Vergangenheit ähnlich Dark Fun Factories zu Unterhaltungszwecken nutzen. Hierzu zählt beispielsweise Old Melbourne Gaol, das mit Geistergeschichten, Nachtwanderungen und interaktiver Spurensuche wirbt[59]. Oder Bodmin Jail, in dem sogar geheiratet werden kann[60]. Beide Orte sind in der Vergangenheit tatsächlich als Gefängnisse genutzt worden. Diese Ortsauthentizität grenzt sie klar von künstlich erschaffenen Dark Fun Factories ab. Ganz ohne Gruselfaktor hingegen ist Robben Island in Südafrika. Die Insel wurde früher als Haftanstalt für Kriminelle und vor allem politische Gefangene zur Zeiten der Apartheid genutzt. Ziel des dort errichteten Museums ist es, über die damalige Rassentrennung und das geschehene Unrecht zu berichten. Bildung und Aufklärung nebst ideologischen Aspekten stehen dabei im Vordergrund.[61] Gleiches gilt für das Angola Museum in den USA. Die Einrichtung befindet sich auf dem Gelände einer Strafvollzugsanstalt, die noch immer in Betrieb ist. Das Museum klärt über die Entwicklung des Strafvollzugs im Laufe der letzten Jahrhunderte und die lange Geschichte des Gefängnisses auf, welche insbesondere in ihren Anfängen von einer Brutalität zwischen den Insassen geprägt war.[62] Sowohl Robben Island als auch das Angola Museum weisen Merkmale von Dark Exhibitions auf. Die Gefängnisse grenzen sich jedoch mit ihrer Lage direkt am Ort des Geschehens von ihnen ab. Zusammenfassend fallen unter die Kategorie Dark Dungeons also Produkte mit zwei konträren Tendenzen: Die einen konzentrieren sich, ähnlich der Dark Fun Factories, auf Unterhaltungsaspekte, während hingegen andere Weiterbildungsziele anvisieren und so auch Überschneidungen mit Dark Exhibition zulassen. Trotzdem bleiben sie alle im Kern ehemalige Gefängnisse, weshalb die primäre Verortung Dark Dungeons lautet.

Dunkle Ausstellungen und Museen werden nicht am eigentlichen Ort des Geschehens errichtet, sondern weisen eine geographische Distanz zum ausgestellten Inhalt auf. Diese Charaktereigenschaft grenzt sie unter anderem von den eben behandelten dunklen Gefängnissen ab, die Museen direkt vor Ort besitzen. Paradebeispiele dunkler Ausstellungen stellen das Jüdische Museum in Berlin, das Anne-Frank-Haus in Amsterdam und das United States Holocaust Memorial Museum in Washington dar. Sie alle thematisieren ortsungebunden jüdische Geschichte sowie den Holocaust.[63] Weiterhin zählen die Körperwelten-Ausstellungen als auch das National Justice Museum zu dieser Kategorie. Daneben existiert noch Yad Vashem in Jerusalem; international eine der bedeutendsten Mahnstätten und Aufarbeitungszentren des Genozids an den Juden, gehört auch sie zu den Dark Exhibitions[64].

Davon können die ehemaligen Konzentrationslager Dachau, Buchenwald, Auschwitz und Mauthausen differenziert werden. Sie sind, wie jedes andere nicht aufgelistete KZ auch, unter Dark Camps of Genocide eingetragen, da die Massenmorde an den Juden und anderen deklarierten Feinden des Nationalsozialismus direkt am Ort des Geschehens begangen wurden.[65] Gedenkstätten, Ausstellungen und Mahnmale, die an die ethnischen Säuberungen während des zweiten Weltkriegs erinnern, gehören meist zu den häufiger frequentierten touristischen Angeboten einer Region. Durch die Vielzahl und stetige Weiterentwicklung der Produkte ebenso wie einer großen Nachfrage nimmt Holocaust-Tourismus und somit auch die Kategorie der Dark Camps of Genocide eine zentrale Rolle im dunklen Tourismus ein.[66] Neben dem Völkermord während des zweiten Weltkriegs fanden aber auch in anderen Ländern Genozide statt, beispielsweise in Bosnien-Herzegowina oder Ruanda. Diese Orte sind im Zuge der Aufarbeitung ebenso für den Fremdenverkehr erschlossen worden. Manche Gedenkstätten litten besonders unter dem hohen Besucheraufkommen der letzten Jahre, wie Choeung Ek in Kambodscha. Touristen, die Graffitis an die Wände sprühten oder Knochenreste mitnahmen, richteten großen Schaden an. Die Gedenkstätte, Schauplatz eines Vernichtungslagers von Erwachsenen und Kindern zwischen 1975-1979, gehört zu den beliebtesten Reisezielen des Landes. Die Anzahl der Gäste hat sich in den letzten zehn Jahren verdreifacht. Diese Entwicklung zieht Schwierigkeiten bei der Erhaltung der Einrichtung und der Umsetzung des Aufklärungsauftrags nach sich. Die Respektierung der Totenruhe wird zu einer moralischen Herausforderung, auf welche die kritische Stellungnahme später noch näher eingehen wird.[67] Die Kategorie Dark Camps of Genocide und die ihr zugeordneten Produkte bezeichnen eine Erscheinungsform des Dark Tourism, die aufgrund ihrer Vergangenheit den Einrichtungen eine besondere Verantwortung überträgt.

Weiteres Reiseziel stellen Dark Resting Places dar, hierzu zählen der berühmte französische Friedhof Cimetière du Père-Lachaise in Paris. Neben einer Vielzahl angesehener Persönlichkeiten, die dort ihre letzte Ruhe fanden, stehen die vielfältigen Architekturstile der Gräber im Fokus.[68] Auch die Weaste Cemetery kann in die Kategorie eingeordnet werden. Besonders bekannt ist die Kirche Westminster Abbey in London mit ihrer Gruft, die einen Teil der verstorbenen Königsfamilie beherbergt[69]. Alle aufgeführten Orte stellen letzte Ruhestätten dar, die sich aufgrund architektonischer Merkmale respektive der begrabenen Persönlichkeiten zu touristischen Attraktionen entwickelt haben. Neben Friedhöfen fallen ebenso Gruften und Mausoleen unter die Rubrik. Beispielsweise die Catacombe dei Cappuccini in Palermo, welche eine große Ansammlung unbekannter, mumifizierter Leichen enthält. Bei dieser Dark Tourism Site spielt weniger die Identität der Toten eine Rolle, als vielmehr ihr gut erhaltener Zustand.[70] Ganz anders das Mausoleum in Moskau, Grabmal des ehemaligen Revolutionsführers Wladimir Iljitsch Lenin. Hier steht der einbalsamierte Leichnam einer Person im Zentrum der Aufmerksamkeit. Die Attraktion erfreut sich bei Touristen wie Einheimischen immer noch großer Beliebtheit. Da Lenins offizielle Beisetzung noch aussteht, kann argumentiert werden, dass der Schauplatz eigentlich mehr einem Dark Shrine gleicht. Aufgrund der Tatsache, dass er aber mittlerweile schon seit Jahrzehnten zur Schau gestellt wird und das Mausoleum kein Ort der Trauer darstellt, kann er trotzdem in die Kategorie Dark Resting Places eingeordnet werden. Es bleibt offen, ob das Mausoleum wirklich zu seiner letzten Ruhestätte wird.[71]

Dunkle Schreine existieren im Gegensatz zu allen anderen dunklen Anbietern nur für eine kurze Zeit, weshalb sie nicht in die Abbildung des aktuellen Portfolioausschnitts aufgenommen wurden. Sie bilden eine Sonderform des Dark Tourism, da sie als Reiseziel hauptsächlich unbeabsichtigt durch die Medien vermarktet werden, die nach einem tragischen Ereignis über den Ort des Geschehens sowie damit zusammenhängende Plätze berichten. Einer der berühmtesten Schreine bildete sich nach dem Tod von Prinzessin Diana vor dem Kensington Palace in London[72]. Er ist nicht in der Tabelle eingetragen, da er nicht mehr existiert. Weitere Schreine entstanden beispielsweise nach dem terroristischen Anschlag von 9/11 rund um die Ruinen des ehemaligen World Trade Center sowie anderer betroffener Gebäude in New York. Sie stellten erste Anlaufstellen für Hinterbliebene und Anwohner dar, um sich mit dem Geschehenen auseinanderzusetzen und zu trauern. Durch die Errichtung der offiziellen Gedenkstätte auf dem Gelände der zerstörten Gebäude verschwanden die Schreine und wichen einer der populärsten touristischen Einrichtungen in ganz New York: Ground Zero. Der professionelle Vertrieb der Einrichtung wird an ihrem Internetauftritt deutlich, zu sehen in Abbildung 2. Es kann beim Besuch zwischen vier Optionen unterschieden werden. Zur Auswahl stehen eine Tour über das Gelände der eingestürzten Häuser, ein Museum, welches über die damaligen Geschehnisse berichtet und der Besuch des One World Observatory mit einer weiten Sicht über die umliegende Stadt. Die Eintrittspreise lassen offen, inwieweit dies an eine Ausbeutung der Gedenkstätte zu kommerziellen Zwecken grenzt oder ob das Geld zur Instandhaltung des Schauplatzes vonnöten ist. Mittlerweile gilt die Sehenswürdigkeit Ground Zero als essenzieller Bestandteil auf der Reiseroute von Touristen bei ihrem Aufenthalt in New York.[73]

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2 : Tour-Angebot Ground Zero [74]

Die ehemaligen Schreine haben sich mit der Errichtung der Gedenkstätte zu einer dunklen Ausstellung weiterentwickelt, die Touristen mit einem reichhaltigen Angebot und verschiedenen Aktivitäten lockt. Insgesamt wirft es Fragen bezüglich moralischer Standards auf, wenn Städte und Regionen solche Destinationen aktiv in Reiseführen oder durch Auftritte im Internet bewerben.[75]

Schauplätze, die in Zusammenhang zum Krieg stehen, liefern laut Smith wahrscheinlich die größte Kategorie an touristischen Attraktionen weltweit[76]. Jene Plätze fallen in die Kategorie der Dark Conflict Sites, zu denen eine große Auswahl an Reiseveranstaltern Touren anbieten. Hierzu zählt beispielsweise das Boronia Travel Centre, welches auf Schlachtfelder des 1.Weltkriegs in Australien spezialisiert ist. Neben der angebotenen Western Front Day Tour bieten sie außerdem Reisen zu Dark Tourism Sites in die Türkei, nach Vietnam, Israel und Singapur an.[77] Doch nicht nur Relikte des ersten und zweiten Weltkriegs zählen zu Orten des Konflikts, auch ehemalige Schauplätze berühmter Kämpfe gehören dazu. Ein Beispiel dafür ist das Gebiet, auf dem die Schlacht von Gettysburg stattfand, eines der blutigsten Gefechte des amerikanischen Bürgerkriegs[78]. Oder die Gegend bei Culloden in England, auf der 1745 der Aufstand der Jakobiner brutal niedergeschlagen wurde[79]. Beide Ereignisse liegen schon weit in der Vergangenheit zurück. Sie werden deshalb, wie Stone es bereits angemerkt hat, in einer romantisierten Form wiedergegeben. Dies bedeutet nicht, dass ihre geschichtliche Darstellung inkorrekt ist. Trotzdem erscheinen sie aufgrund des zeitlichen Abstandes wesentlich weniger bedrückend als Stätte des ersten und zweiten Weltkriegs. Neben professionellen Anbietern können auch ganze Regionen als Dark Conflict Sites gelten, wie die Îles du Salut; eine ehemalige Deportationsinsel für französische Inhaftierte, von denen zwischen 1852 und 1947 über 80.000 an Krankheit, Hunger und durch die Guillotine starben[80]. Konflikte prägen die menschliche Vergangenheit, weshalb es nicht weiter verwunderlich wäre, dass Smith Aussage zutreffen würde. Damit würde dies die größte Kategorie der sieben dunklen Anbieter darstellen.

[...]


[1] Vgl. Aschauer 2017, S.377-381

[2] Vgl. Aschauer 2017, S.379 ff.

[3] Vgl. Messe Berlin/ITB Berlin/IPK International 2017, www.statista.de, Stand 06.01.2018

[4] Vgl. Samida 2013, www.hsozkult.de, Stand 06.01.2018

[5] Seaton 1996, S.234

[6] Vgl. Feldmann 2010, S.7

[7] Vgl. University of Central Lancashire, www.uclan.ac.uk, Stand 24.04.2018

[8] Vgl. Foley/Lennon 1996, S.198

[9] Vgl. Rojek 1991, S.188 f.

[10] Vgl. Seaton 1996, S.234

[11] Vgl. Stone 2012 nach Blom 2000, S.1568

[12] Vgl. Dann 1994, S.46

[13] Vgl. Dann 1998, S.31

[14] Vgl. Grief Tourism, www.grief-tourism.com, Stand 29.04.2018

[15] Vgl. Bristow/Newman 2004, S.215-221

[16] Vgl. Dunkley/Morgan/Westwood 2007, S.54-63

[17] Vgl. Stone 2012, S.1568

[18] Vgl. Stone 2006, S.146

[19] Vgl. Duden, www.duden.de, Stand 02.06.2018

[20] Seaton 1996, S.240

[21] Vgl. ebd., S.240-243

[22] Tarlow 2005, S.48

[23] Vgl. Foley/Lennon 2000, S.11

[24] Stone 2006, S.146

[25] Vgl. ebd., S.145

[26] Vgl. Stone/Sharpley 2008, S.576

[27] Vgl. Muzaini/Teo/Yeoh 2008, S.28-45

[28] Vgl. Aschauer 2017, S.380 f.

[29] Vgl. Brand/Platter 2011, S.14

[30] Vgl. Freyer 2015, S.651 f.

[31] Vgl. Stone 2006, S.147

[32] Vgl. Stern 1937, S.985 ff.

[33] Vgl. Seaton 1996, S. 234-239

[34] Vgl. Raupp 2004, S.18-21

[35] Vgl. Seaton 1996, S. 234-239

[36] Vgl. Mann, www.politeknik.de, Stand 08.06.2018

[37] Vgl. Boorstin 1962, S.86 f.

[38] Vgl. Schama 1987, S.21 f.

[39] Vgl. Miles 2002, S.1176

[40] Vgl. Smith 2002, S.202

[41] Vgl. Rojek 1991, S.188 ff.

[42] Vgl. Foley/Lennon 1996, S. 199 f.

[43] Vgl. The Sixth Floor Museum, www.jfk.org, Stand 19.05.2018

[44] Vgl. Seaton 1996, S.240 ff.

[45] Vgl. Dann 1998, S.3

[46] Vgl. Stone 2006, S.147

[47] Vgl. Stone 2006, S.152-157

[48] Vgl. Stone 2006, S.157 f.

[49] Bayerisches Pilgerbüro, www.pilgerreisen.de, Stand 08.06.2018

[50] Vgl. Trans-Allegheny Lunatic Asylum, www.trans-alleghenylunaticasylum.com, Stand 02.06.2018

[51] Vgl. Sharpley 2009, S.6 f.

[52] Vgl. Stone 2006, S.146

[53] Vgl. Hartmann 2010, S.297

[54] Vgl. The London Dungeon, www.thedungeons.com, Stand 26.05.2018

[55] Vgl. Merlin Entertainments Group, www.merlinentertainments.biz, Stand 26.05.2018

[56] Vgl. Boscamp, www.huffingtonpost.com, Stand 30.05.2018

[57] Vgl. Berlin Dungeon, www.thedungeons.com, Stand 30.05.2018

[58] Vgl. The London Dungeon, www.thedungeons.com, Stand 26.05.2018

[59] Vgl. Old Melbourne Gaol, www.oldmelbournegaol.com.au, Stand 27.05.2018

[60] Vgl. Bodmin Jail, www.bodminjail.org, Stand 27.05.2018

[61] Vgl. Kapstadt Entdecken! www.kapstadt-entdecken.de, Stand 27.05.2018

[62] Vgl. Angola Museum, www.angolamuseum.org, Stand 28.05.2018

[63] Vgl. Jüdisches Museum Berlin, www.jmberlin.de; Anne Frank Stichting, www.annefrank.org; United States Holocaust Memorial Museum, www.ushmm.org; Stand 27.05.2018

[64] Vgl. Yad Vashem, www.yadvashem.org, Stand 27.05.2018

[65] Vgl. KZ-Gedenkstätte Dachau, www.kz-gedenkstaette-dachau.de/information, Stand 27.05.2018

[66] Vgl. Hartmann 2010, S.297, 306

[67] Vgl. Pann, www.voanews.com, Stand 29.05.2018

[68] Vgl. France.fr, www.france.fr, Stand 27.05.2018

[69] Vgl. Westminster Abbey, www.westminster-abbey.org, Stand 27.05.2018

[70] Vgl. Palermo Catacombs, www.palermocatacombs.com, Stand 27.05.2018

[71] Vgl. Ntv, www.n-tv.de, Stand 29.05.2018

[72] Vgl. BBC, www.bbc.co.uk, Stand 27.05.2018

[73] Vgl. Lennon, www.theguardian.com, Stand 17.05.2018

[74] 9/11 Ground Zero Tour, www.911groundzero.com, Stand 08.05.2018

[75] Vgl. Brand/Platter 2011, S.11

[76] Vgl. Smith 1998, S.205

[77] Vgl. Boronia Travel Centre, www.battlefieldtourspecialists.com.au, Stand 27.05.2018

[78] Vgl. National Park Service, www.nps.gov, Stand 28.05.2018

[79] Vgl. National Trust for Scotland, www.nts.org.uk, Stand 28.05.2018

[80] Vgl. Lonely Planet, www.lonelyplanet.com, Stand 28.05.2018

Ende der Leseprobe aus 72 Seiten

Details

Titel
Dark Tourism. Ein moralisch fragwürdiges Produkt des Nischentourismus?
Untertitel
Analyse des Forschungsstandes und kritische Stellungnahme
Hochschule
Hochschule Mittweida (FH)
Note
1,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
72
Katalognummer
V441707
ISBN (eBook)
9783668800571
ISBN (Buch)
9783668800588
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Dark Tourism, dunkler Tourismus, Schattentourismus, Katastrophentourismus, Nischentourismus
Arbeit zitieren
Anna Hilse (Autor:in), 2018, Dark Tourism. Ein moralisch fragwürdiges Produkt des Nischentourismus?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/441707

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