Klassische und Postmoderne Adoleszenzliteratur im Vergleich. Sexualität und Identitätssuche


Hausarbeit (Hauptseminar), 2017

20 Seiten, Note: 2,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Adoleszenz

3. Der klassische Adoleszenzroman
3.1. J.D. Salinger: Der Fänger im Roggen
3.2. Sexualität
3.3. Identitätssuche

4. Der postmoderne Adoleszenzroman
4.1. Wolfgang Herrndorf: Tschick
4.2. Sexualität
4.3. Identitätssuche

5. Fazit

6. Literaturverzeichnis
6.1. Primärliteratur
6.2. Sekundärliteratur

1. Einleitung

Das Erwachsenwerden, sowie die Probleme, mit denen die Jugendlichen in dieser Phase konfrontiert werden, stehen im Fokus der Jugend- und Adoleszenzliteratur, die seit den 1970er Jahren im stetigen Wandel sind. Während in den Romanen zur Jahrhundertwende oftmals keine Identitätsfindung der Jugendlichen stattfindet, da diese oftmals mit dem Tod des Protagonisten oder ähnliches enden, vollzieht sich in späteren Romanen eine Entwicklung der Persönlichkeit und der Identität. So befindet sich meist ein Jugendlicher in einer Krise, die mit dem Hineinwachsen in das Erwachsenenleben zusammenhängt, wobei diese Krise eine Auseinandersetzung des Protagonisten mit dem „Ich“ und eine Konfrontation mit der Gesellschaft thematisiert,1 weshalb sich vor allem Jugendliche mit den Hauptpersonen in diesen Romanen identifizieren können.2 Im Zentrum der Adoleszenz steht die Frage, wer man eigentlich ist und die Suche nach der Identität und der Persönlichkeit und ob man in der Gesellschaft so anerkannt und akzeptiert wird, wie man ist.3 Eine sehr bekannte Identitätstheorie stammt von Erik Erikson, der die zentralen Konzepte der Identitätsentwicklung von der frühen Kindheit bis ins frühe Erwachsenenleben aufgezeichnet hat. Hierbei liegt der Schwerpunkt auf den einzelnen Krisen, die von Phase zu Phase variieren und bei der das Zusammenspiel zwischen dem Individuum und der Umwelt im Vordergrund stehen.4 Hierbei ist der Begriff ‚Krise‘ nicht negativ konnotiert, sondern wird als konstruktiver Versuch verstanden, sich der Gesellschaft anzupassen. Laut Eriksson ist die Identitätsbildung ein „lebenslanger, unabschliessbarer Prozess.“5 Mit den 1950er Jahren kam durch den Roman von Jerome D. Salinger „Der Fänger im Roggen“ ein Neuanfang für die Zeit des Adoleszenzromans, der in den USA 1951 und in

Deutschland 1954 erschien. Dieser Roman stellte eine ungewöhnliche, neue Erfahrung für das deutsche Lesepublikum dar und führte sehr schnell zu einer Adaption durch jugendliche Leser, obwohl der Roman ursprünglich für Erwachsene geschrieben wurde.6 Der Roman gilt als moderner Adoleszenzroman, wobei im Vordergrund die Themen Liebe, Partnerschaft, Sexualität und Eifersucht stehen. Über die Sexualität wird mit großer Offenheit gesprochen und es herrscht eine große Unsicherheit, meist auf differenzierter und sensibler Art, gegenüber des anderen Geschlechts.7 Auch in Tschick, geschrieben von Wolfang Herrndorf, liegt der Schwerpunkt auf die Identitätsfindung und die Auseinandersetzung der eigenen Sexualität, weshalb dieser Roman häufig in der Schule gelesen wird und verfilmt wurde.

Der Fokus meiner Untersuchung ist die Frage, inwieweit sich klassische und postmoderne Adoleszenzliteratur mit der Sexualität und der Identitätssuche auseinandersetzen, da dies einen äußerst wichtigen Bestandteil des Lebens der Jugendlichen darstellt. Hierbei versuche Ich Gemeinsamkeiten, sowie Unterschiede festzustellen und eine Erklärung zu finden, weshalb die Sexualität und Identität in den von mir ausgewählten Büchern, so dargestellt wird. Vor allem im Laufe der letzten Jahre hat sich eine Entwicklung bezüglich der Homosexualität gezeigt, weshalb dieses auch häufiger in Jugendliteratur thematisiert wird. Im Folgenden gehe ich so vor, dass ich erst die Eigenschaften des klassischen Adoleszenzromans herausarbeite und diese anhand des Romans „Der Fänger im Roggen“ von J.D. Salinger untersuche. Anschließend fasse ich den Inhalt des Romans zusammen und arbeite die Darstellung der Sexualität und Identitätssuche heraus. Danach erfasse ich die Eigenschaften des postmodernen Romans anhand des Romans „Tschick“ von Wolfgang Herrndorf und fasse erneut den Inhalt zusammen und arbeite erneut den Zusammenhang von Sexualität und Identitätssuche heraus. Zum Schluss fasse meine Ergebnisse in einem Fazit zusammen.

Hierbei war vor allem die Literatur von Barbara Rendtorff sehr hilfreich, da diese sich auf die Entwicklung der Sexualität von Jugendlichen spezialisiert hat und jegliche Studien zusammengefasst und erarbeitet wurden, wobei jedoch Probleme dabei entstanden, spezielle Literatur auf meine gedachten Themen zu finden und weitere Literatur, die sich explizit mit denen von mir ausgewählten Romanen beschäftigen. Es ist viel Literatur über die Entwicklung von Kindern und Jugendlichen vorhanden, jedoch keine, die sich explizit mit der Darstellung und dem Wandel in Adoleszenzromanen auseinandersetzt.

2. Die Adoleszenz

Unter Adoleszenz versteht man die Zeit zwischen dem 12. und 18. Lebensjahr, die Jugendliche häufig als „dramatische, hochproblematische Entwicklungsphase“8 erleben. Während dieser Phase beschäftigen sich die Jugendlichen mit sich selbst, da sich der Körper und auch die Frage nach dem Ich sich verändern. Sie versuchen sich von der Familie abzulösen und ihren Platz in der Welt zu finden, was oft Einsamkeitsgefühle verursacht und auch mit Ängsten einhergeht.9 Die Sexualität hat nach Barbara Rendtorff drei Dimensionen: eine unmittelbar körperbezogene, die sich auf den Körper und der Erkundung mit ihm bezieht; zweitens eine imaginäre, eine Beziehungsdimension mit einem Begehrensobjekt; drittens eine phantasmatische Dimension, die die Phantasien über den eigenen Körper beeinflussen.10

3. Der klassische Adoleszenzroman

In dem klassischen Adoleszenzroman kann sich das Individuum oftmals nicht mehr mit der Gesellschaft identifizieren, wodurch ein Bruch im Leben entsteht und die Identitätsfindung behindert wird. Überwiegend sind die Protagonisten männlich und durchleben einen Konflikt mit einem Elternteil (oft mit dem Vater) und der Schule. Das Ende schließt meist mit einer Katastrophe, wie beispielsweise dem endgültigen Scheitern in der Gesellschaft oder dem Tod des Protagonisten. Besonders an dem klassischen Adoleszenzroman ist, dass die Adoleszenz als Leidenszeit dargestellt wird, die nur mit der vollständigen Regression, also die Rückkehr in das kindliche Leben, oder mit dem Tod enden kann. Diese Phase wird also nicht als Beginn des Erwachsenwerdens dargestellt.11 Die Schule wird hauptsächlich als Zentrum des Geschehens präsentiert, die als Zwangsanstalt dargestellt wird, die die Schüler schikaniert und quält. Die Lehrer werden ebenfalls als Feinde gesehen und werden autoritär und rücksichtslos dargestellt.12 Auch in J.D. Salinger’s „Der Fänger im Roggen“ werden diese Schwerpunkte aufgegriffen, so wird die Schule als Schikane angesehen, weshalb Holden aus dieser Anstalt flieht und ziellos umherirrt. Auch das Ende des Buches passt zu dem Schemata des klassischen Adoleszenzromans, da Holden vermutlich in einer psychiatrischen Anstalt endet und dadurch nicht mehr in der Lage ist, die Schule zu besuchen und somit in der Gesellschaft scheitert, wobei der Schluss Raum für Spekulationen lässt und der Leser nicht sicher sein kann, ob Holden nun in der Gesellschaft scheitert oder nicht. Diese Eigenschaften sind ebenfalls in „Tschick“ zu finden, da Maik Probleme in der Schule hat und sich von den Lehrern missverstanden fühlt. Auch das Ende gleicht einem Scheitern, da Maiks Mutter einen Nervenzusammenbruch erleidet und dieser meint, dass er vermutlich wieder als Psycho in seiner Klasse gelten wird.

3.1. J.D. Salinger: Der Fänger im Roggen

Jerome David Salinger, der 1918 geboren wurde, hat erst im Winter 1962/63 Erfolg auf dem deutschen Büchermarkt hervorgebracht, nachdem vier vorangegangen Versuche scheiterten.13 Obwohl er mit dem Roman „Der Fänger im Roggen“ Weltruhm erlangte und dies sein Durchbruch war, erhielt er Kritik bezüglich der Sprache, weshalb der Roman anfangs verboten oder zensiert wurde.

Rückblickend und aus der Ich-Perspektive, berichtet der 16-jährige Holden Caulfield von einigen Tagen seines Lebens in New York, nachdem er von der Schule geflogen ist. Anders als seine Vorgänger ist Holden kein passives Opfer, das an seiner Umwelt zugrunde geht, wie in vorangegangen Romanen. Holden besitzt durchaus aggressive Züge und fühlt sich von der Gesellschaft unverstanden, verachtet jedoch viel mehr sein soziales Umfeld und sieht es als verlogen und menschenverachtend an. Innovativ ist auch das Ende des Romans, der Protagonist leidet zwar an seiner Umwelt, jedoch geht er nicht an ihr zugrunde - es handelt sich um einen offenen Schluss der für die Zukunft des Protagonisten alle Optionen offen hält, im Gegensatz zu älteren Romanen.14 Der Leser erfährt alles aus Holdens Sichtweise und Wahrnehmung. Er „kommentiert, flucht, spricht den Leser gar direkt an. Der Leser nimmt an seinen Beobachtungen teil. Holden bleibt dabei zentrale Figur, Protagonist des Romans.“15

3.2. Der Fänger im Roggen: Sexualität

Die Sexualität ist ein wichtiger Abschnitt in der Adoleszenz, weshalb Holden überaus interessiert an dem weiblichen Geschlecht ist. So erscheinen mehrere weibliche Personen: das erste Mädchen, das erwähnt wird, heißt Sally Hayes. Mit dieser ist Holden in New York öfters ausgegangen und diese trifft er auch im späteren Verlauf des Romans.16 Er hat sie immer für sehr klug gehalten, da sie sich mit Literatur auskennt und weil er mit ihr geflirtet hatte und er Mädchen, mit denen er flirtet, immer für intelligent hält.17 Bei dem Treffen in New York sagt Holden ihr, dass sie der einzige Grund wäre, weshalb er in New York sei. Er fragt sie außerdem auch, ob sie nicht mit ihm verreisen möchte und es entsteht eine Diskussion, woraufhin Sally anfängt zu weinen. Kurz zuvor hat er gesagt, dass er sie nicht ausstehen kann, als sie jedoch weint, sagt er, es tue ihm alles schrecklich leid.18 Obwohl er Sally wirklich nicht besonders gut leiden kann, wollte er mit ihr verreisen und meinte seine Worte wirklich ernst, was ihn im Nachhinein etwas ärgert, da er wusste was Sally antworten würde. Im Endeffekt ist Holden nett zu einem Mädchen, das er nicht leiden kann und entschuldigt sich für Dinge, die er zu ihr gesagt hat, obwohl er die gesagten Sachen nicht bereut. Dies könnte entweder daran liegen, dass sie geweint hat, oder weil sie ein Mädchen ist und Holden eventuell eine Beschützerrolle beziehungsweise einen Beschützerinstinkt besitzt. Relativ am Anfang wird das Mädchen Jane Gallagher erwähnt, welche vorletzten Sommer neben Holden gewohnt hat. Sein Kommilitone Stradlater geht mit ihr aus und erzählt es Holden, welcher aufgeregt wirkt als er davon erfährt. Er möchte unverzüglich zu ihr und sie begrüßen und wollte wissen, warum sie von ihm gesprochen hat. „Wieso hat sie von mir gesprochen? Ist sie jetzt in Shipley oder wo? Sie sagte, vielleicht käme sie dorthin. Wieso hat sie von mir gesprochen?“19 Man merkt deutlich, dass er sehr großes Interesse an ihr hat, denn er fängt an, Dinge über sie zu erzählen, die er von ihr weiß:

„Sie ist Tänzerin. […] Ballet und so. Sie hat damals jeden Tag zwei Stunden geübt, auch bei der größten Hitze. Sie hatte Angst, daß sie häßliche Beine davon bekommen könnte - dicke Beine und so. Ich habe immer mit ihr Dame gespielt.“20

Er merkt zwar, dass diese Dinge Stradlater nicht interessieren, jedoch führt er das Gespräch fort und erzählt etwas über ihre Familienverhältnisse, zum Beispiel, dass die Eltern geschieden sind und der neue Freund der Mutter ein Alkoholiker ist, wobei er zum Entschluss kommt, dass sie eine elende Kindheit gehabt hätte.21 Obwohl Holden die restliche Gesellschaft verabscheut und zu fast jedem Thema etwas Negatives zu sagen hat, merkt man, dass ihm Jane sehr am Herzen liegt. Er beschließt mehrmals, sie aufzusuchen, jedoch ist er nicht in der Stimmung und ist der Meinung, dass man für so einen Moment in richtiger Stimmung sein müsste. Da er sie also letztendlich nicht aufsuchen möchte, bittet er Stradlater, sie von ihm zu grüßen aber nicht zu erwähnen, dass er von der Schule geflogen war. Dies zeigt sehr deutlich, dass er sich Gedanken darüber macht, was sie über ihn denken könnte und dass er sich auch auf andere Weise nicht traut, sich mit ihr zu treffen. Er besitzt ein emanzipiertes Bewusstsein und weiß, dass die Schule gut angesehen ist. Im Laufe des Romans erfährt man noch sehr viel mehr über das Verhältnis zwischen Jane und Holden. Er selber ist der Meinung, dass er sie auswendig kenne und wisse, dass sie sehr gerne Sport treibt, da die beiden deshalb fast jeden Morgen im Sommer Tennis spielten und nachmittags Golf.

[...]


1 Weinkauff, Gina und Glasenapp, Gabriele: Kinder- und Jugendliteratur. S.125

2 Gansel, Carsten: Moderne Kinder- und Jugendliteratur. Vorschläge für einen kompetenzorientierten Unterricht. S. 167

3 Christl, Taylor: Identitätsentwicklung von Jugendlichen und ihr Zusammenhang mit Religion. In: Morgenthaler, Christoph (Hg.): Wertorientierung, Religiosität, Identität und die phsychische Gesundheit Jugendlicher. S. 125

4 Christl: Identitätsentwicklung von Jugendlichen. S.126

5 Ebd. S. 126

6 Vgl. Lange: Kinder- und Jugendliteratur der Gegenwart. S.155

7 Vgl. Ebd. S. 160

8 Rendtorff, Barbara: Kindheit, Jugend und Geschlecht. Einführung in die Psychologie der Geschlechter. S. 194

9 Vgl. Rendtorff: Kindheit, Jugend und Geschlecht. S. 194

10 Vgl. Ebd. S. 212

11 Vgl. Weinkauff. Kinder- und Jugendliteratur. S. 129

12 Vgl. Gansel. Kinder- und Jugendliteratur. S. 179

13 Vgl. Blöcker, Günter: Literatur als Teilhabe. Kritische Orientierungen zur Literarischen Gegenwart. S. 145

14 Vgl. Weinkauff: Kinder- und Jugendliteratur. S. 167

15 Egloff, Götz: Der einsame Beobachter bei Fitzgerald, Salinger und Ellis. Individuum und Gesellschaft im US-amerikanischen Roman des 20. Jahrhunderts. S. 43

16 Vgl. Salinger, Jerome: Der Fänger im Roggen. S. 19

17 Vgl. Ebd. S. 79

18 Vgl. Ebd. S. 99

19 Ebd. S. 26

20 Ebd. S. 26

21 Vgl. Ebd. S. 27

Ende der Leseprobe aus 20 Seiten

Details

Titel
Klassische und Postmoderne Adoleszenzliteratur im Vergleich. Sexualität und Identitätssuche
Hochschule
Universität Paderborn  (Institut für Germanistik und vergleichende Literaturwissenschaft)
Veranstaltung
Adoleszenzromane der Gegenwart
Note
2,7
Autor
Jahr
2017
Seiten
20
Katalognummer
V441905
ISBN (eBook)
9783668802070
ISBN (Buch)
9783668802087
Sprache
Deutsch
Schlagworte
adoleszenz, tschick, sexualität, tschik, adoleszenzroman, salinger, fänger im roggen, identität, identitätssuche, postmoderne
Arbeit zitieren
Marika Skucaev (Autor:in), 2017, Klassische und Postmoderne Adoleszenzliteratur im Vergleich. Sexualität und Identitätssuche, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/441905

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