Die Haltung der BRD unter Kanzler Kohl zur Erarbeitung einer Europäischen Akte und ihrer Ratifizierung

Politik zwischen progressivem Reformwillen und nationaler Interessenvertretung


Seminararbeit, 2002

19 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung und Fragestellung

2. Hauptteil
2.1 Europapolitische Rahmenbedingungen
2.2 Die Einheitliche Europäische Akte
2.3 Der Weg zur Akte und die deutschen Interessen
2.3.1 Die Genscher-Colombo-Initiative 1981
2.3.2 Die Feierliche Deklaration von Stuttgart 1983
2.3.3 Der Gipfel von Fontainebleau 1984 und der Dooge-Ausschuß
2.3.4 Vom Mailänder Gipfel 1985 bis zur Unterschrift
2.4 Die Ratifizierung in Deutschland

3. Schlussbetrachtung

4. Literaturverzeichnis

1. Einleitung und Fragestellung

Als der bundesdeutsche Außenminister Hans-Dietrich Genscher am 6. Januar 1981 auf dem Dreikönigstreffen der Freien Demokraten fragte: [...] „Ist es nicht endlich Zeit für einen Vertrag über die Europäische Union.“[1], da herrschte in allen Mitgliedsstaaten der Europäischen Gemeinschaften (EG) eine europapolitische Eiszeit. Grund dafür waren die immensen Probleme, denen die Gemeinschaften und deren Mitgliedsstaaten gegenüberstanden, sowie die Stagnation der dringend benötigten Weiterentwicklung Europas.

Die EG steckte in einer großen Krise, genauer betrachtet in mehreren. Zum einen gab es die dringenden Probleme ‚praktischer‘ Art. Zu den schwierigsten gehörten dort die überfällige Reform des Agrarmarktes, der den Haushalt schier aufzufressen drohte. Dazu kamen weitere Haushaltsprobleme, wie z.B. Großbritanniens Forderung als Nettozahler weniger belastet zu werden, sowie die generell zu dünne Finanzdecke der Gemeinschaften. Darüber hinaus befanden sich alle Mitgliedsstaaten seit Mitte der 70er Jahre in einer wirtschaftlichen Krise. Die Wirtschaftsgemeinschaft drohte durch versteckte nationale protektionistische Maßnahmen untergraben zu werden.[2] „Ein Prozess der Entsolidarisierung war unübersehbar.“[3] Verstärkt wurden diese Effekte noch durch die weltwirtschaftliche Situation. Das rapide wirtschaftliche Wachstum Japans und anderer ostasiatischer Staaten übte ebenso starken Druck auf die EG aus wie das neue Selbstbewusstsein der ölfördernden Staaten der Golf-Region.[4]

Die zweite Krise war institutioneller Art und verstärkte ebenfalls die zuerst genannten Probleme. „In der wirtschaftlich ungünstigen Situation wirkte sich die institutionelle Schwäche besonders ungünstig auf die Handlungsfähigkeit aus.“[5] Diese mittlerweile unzureichende Effektivität des europäischen Systems war vielleicht deswegen sogar schwerwiegender als alle konkreten Probleme, da sie eine schnelle Lösung eben dieser Probleme verhinderte.

Somit hatte der populäre Begriff der „Eurosklerose“ durchaus seine Berechtigung.[6] Gefördert wurde diese Einschätzung von der großen Entfernung, die viele Bürger zu den EG-Institutionen empfanden, sowie durch unzureichende Transparenz und mangelnde Bekanntheit des EG-Systems.

Allan M. Williams beschreibt die geschilderte Situation treffend: „In the 1980s the European Community was faced with a double crisis: loss of global economic competitivness and the stagnation of political and economic integration.“[7]

Die Notwendigkeit einer Lösung für die aktuellen Probleme, sowie für weitere Integrationsschritte war offenkundig. 1981 regte nun Hans-Dietrich Genscher eine Initiative an. Diese endete schließlich 1987 mit der Ratifizierung der Einheitlichen Europäischen Akte (EEA). Die EEA stellt im Rückblick gesehen einen wichtigen Integrationsschritt dar. Ziel dieser Arbeit ist es, ausgehend von der EEA den Prozess, der zu ihrer Realisierung führte nachzuvollziehen und zu analysieren. Dabei stehen die bundesdeutsche Haltung und ihre Aktionen im Mittelpunkt der Betrachtung. Das Spannungsfeld zwischen progressivem Reformwillen und der nationalen Interessenvertretung soll dabei kritisch bewertet werden.

Im ersten Abschnitt werden die europäischen Rahmenbedingungen umrissen, um einen ausreichenden Überblick zu schaffen. Unter welchen Bedingungen und Voraussetzungen ging die Bundesregierung ins Rennen, welche Positionen vertraten die anderen Mitgliedsstaaten? Diese Feststellung ist auch notwendig, um die späteren Leistungen und Ergebnisse der Akteure angemessen bewerten zu können.

Der Zweite Abschnitt befasst sich dann mit der Einheitlichen Europäischen Akte und analysiert ihre wichtigsten Neuerungen vor dem Hintergrund der davor herrschenden Bedingungen.

Entgegen des historischen Ablaufes werden danach erst im dritten Abschnitt die Etappen die zu ihrer Unterzeichnung führten schrittweise betrachtet. Dies geschieht, um diese außenpolitischen Bemühungen, hier insbesondere die Positionen der Bundesregierung, vor dem Hintergrund des Ergebnisses besser kritisch bewerten zu können. Entsprechend der Fragestellung sollen hier auch die anderen, nicht direkt auf die EEA zielenden europapolitischen Bemühungen der Bundesregierung mit einbezogen werden. Somit ergibt sich ein größeres Bild der Europapolitik, die als Ganzes Einfluss auf die Entwicklung nahm.

Der folgende Ratifikationsprozess in Deutschland wird im vierten Abschnitt beleuchtet, hier liegt der Schwerpunkt dann folgerichtig auf der innerstaatlichen Ebene.

In der Schlussbetrachtung werden die Ergebnisse der einzelnen Kapitel zusammengeführt, um eine Gesamtbewertung des Integrationsprozesses zu ermöglichen. Die Ergebnisse der Analyse werden dann nochmals abschließend, unter besonderer Betrachtung des Spannungsfeldes zwischen progressivem Reformwillen und nationaler Interessenvertretung bewertet.

2. Hauptteil

2.1 Europapolitische Rahmenbedingungen

Es waren verschiedene Rahmenbedingungen, die den Prozess der europäischen Integration in den 80er Jahren bestimmten. Die wichtigsten hier relevanten sind die innerdeutschen Notwendigkeiten und Ziele, die Situation auf der Gemeinschaftsebene sowie die Ziele und Interessen der großen anderen Mitgliedsstaaten.

In Deutschland nahm das Kanzleramt die Interessenformulierung in Form von Richtlinien vor, während das Auswärtige Amt in der Ausführung federführend war.[8] Dennoch führte dies nicht zwangsläufig zu einer einheitlichen deutschen Linie, denn jedes Ministerium betrieb in gewisser Weise seine eigene ressortspezifische Europapolitik, was nicht selten zu Ungereimtheiten führte.[9]

Die grundlegende Position Deutschlands beruhte auf Kontinuität und Stabilität, denn „die Anerkennung des wechselseitigen Sicherheitsbedürfnisses und die auf Internationalisierung angelegte wirtschaftlich Ausrichtung der Bundesrepublik ließen keine Spielräume für interessenpolitische Debatten.“[10] Die Bundesregierung besaß also aufgrund ihrer besonderen Rolle im Nachkriegseuropa ein starkes Interesse an der Bekräftigung der Einbindung in die westlichen Systeme, insbesondere in die Europäischen Gemeinschaften. Dies befriedigte das wechselseitige Sicherheitsbedürfnis, auch der europäischen Nachbarn, insbesondere Frankreichs.

Aufgrund der starken wirtschaftlichen Verflechtungen der BRD in der EG, sowie wegen der Position als größter Nettozahler musste ein großes Interesse an der schnellen Lösung der EG-Krise bestehen. Des weiteren versprachen institutionelle Reformen und eine etwaige Vertiefung der Integration einerseits die Vollendung des Binnenmarktes, andererseits würde damit auch eine politische Einigungsperspektive offengehalten.[11]

Die Konstellationen auf der Ebene der EG sprachen jedoch gegen ein Erreichen der bundesdeutschen Vorstellungen. Das System aus Ministerrat, Kommission und Europäischem Parlament war ineffizient und schien überholt. Seit dem Luxemburger „Kompromiss“ vom 29. Januar 1966 konnte im Ministerrat praktisch nur noch einstimmig entschieden werden. Dies minderte nicht nur die Entscheidungsfähigkeit des Gremiums, sondern zwang darüber hinaus die Europäische Kommission bei ihren Vorschlägen weniger innovativ zu sein, da nun die Interessen aller Mitglieder berücksichtigt werden mussten. Somit verlagerte sich eine als gemeinschaftlich gedachte Politik auf eine intergouvernementale Ebene. Anstatt eine weitere Integration zu fördern verlagerten sich die Staaten auf nationale Interessenvertretung und Nutzenmaximierung. Zudem war der Europäische Rat, der sich unregelmäßig traf und aus den Staats- und Regierungschefs bestand, nicht formal vertraglich verankert. In diesem Gremium wurde jedoch mehr und mehr Verantwortung angesammelt. Sehr häufig sprangen dort gesetzte Impulse jedoch nicht auf die Gemeinschaft über oder es kam zu einem Hin- und Herschieben ungelöster Probleme.[12] Das Europäische Parlament stand nahezu komplett im Abseits. Zwar gab es 1979 die ersten direkten Europawahlen, doch besaß das Parlament machtpolitisch kaum Einfluss, Entscheidungen wurden überhaupt wenn in den beiden Räten getroffen.[13]

Die Interessen der großen europäischen Partner, insbesondere Frankreichs und Großbritanniens, standen Reformen und weiterer Integration eher entgegen. Denn zu solch weitgehenden Verlusten an Souveränität im Zuge der Integration, zu welchen die Bundesregierung bereit war, konnten sie sich nicht durchringen.[14]

Die europäischen Rahmenbedingungen standen also zu Beginn der 80er Jahre Reformen und weiterer Integration entgegen. Die Krise der Europäischen Gemeinschaften und deren Mitgliedsstaaten drängten jedoch auf eine Veränderung des Status Quo. Somit stand die Zukunft der europäischen Integration wahrlich auf wackligen Beinen.

[...]


[1] Hans-Dietrich Genscher: Die Europäische Union – Antwort auf die Herausforderungen unserer Zeit, Rede auf dem Dreikönigstreffen der Freien Demokraten in Stuttgart am 6. Januar 1981, in: Hans-Dietrich Genscher: Deutsche Außenpolitik, Bonn 1985, S. 309

[2] Vgl. Werner Weidenfeld: Europäische Einigung im historischen Überblick, in: Werner Weidenfeld, Wolfgang Wessels (Hrsg.): Europa von A bis Z, Bonn 2002, S. 24 ff.

[3] Werner Weidenfeld: Europäische Einigung im historischen Überblick, in: Werner Weidenfeld, Wolfgang Wessels (Hrsg.): Europa von A bis Z, Bonn 2002, S. 24

[4] Vgl. Robert O. Keohane, Stanley Hoffmann: Institutional Change in Europe in the 1980s, in: Robert O. Keohane, Stanley Hoffmann (Hrsg.): The New European Community, Oxford 1991, S. 5

[5] Werner Weidenfeld: Europäische Einigung im historischen Überblick, in: Werner Weidenfeld, Wolfgang Wessels (Hrsg.): Europa von A bis Z, Bonn 2002, S. 24

[6] Vgl. Robert O. Keohane, Stanley Hoffmann: Institutional Change in Europe in the 1980s, in: Robert O. Keohane, Stanley Hoffmann (Hrsg.): The New European Community, Oxford 1991, S. 6

[7] Allan M. Williams: The European Community, Oxford 1991, S. 79

[8] Vgl. Eckart Gaddum: Die deutsche Europapolitik in den 80er Jahren, Paderborn 1994, S. 69

[9] Vgl. Heinz Kramer: Die Europapolitik in den Mitgliedstaaten der EG, Bundesrepublik Deutschland, in: Werner Weidenfeld, Wolfgang Wessels (Hrsg.): Jahrbuch der europäischen Integration 1984, Bonn 1985, S. 337

[10] Eckart Gaddum: Die deutsche Europapolitik in den 80er Jahren, Paderborn 1994, S. 69

[11] Vgl. Eckart Gaddum: Die deutsche Europapolitik in den 80er Jahren, Paderborn 1994, S. 70

[12] Vgl. Eckart Gaddum: Die deutsche Europapolitik in den 80er Jahren, Paderborn 1994, S. 192 ff.

[13] Vgl. Eckart Gaddum: Die deutsche Europapolitik in den 80er Jahren, Paderborn 1994, S. 79

[14] Vgl. Eckart Gaddum: Die deutsche Europapolitik in den 80er Jahren, Paderborn 1994, S. 195

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
Die Haltung der BRD unter Kanzler Kohl zur Erarbeitung einer Europäischen Akte und ihrer Ratifizierung
Untertitel
Politik zwischen progressivem Reformwillen und nationaler Interessenvertretung
Hochschule
Helmut-Schmidt-Universität - Universität der Bundeswehr Hamburg  (Institut für Internationale Politik)
Note
1,3
Autor
Jahr
2002
Seiten
19
Katalognummer
V44192
ISBN (eBook)
9783638418393
ISBN (Buch)
9783640885510
Dateigröße
535 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Haltung, Kanzler, Kohl, Erarbeitung, Europäischen, Akte, Ratifizierung, Politik, Reformwillen, Interessenvertretung
Arbeit zitieren
Carsten Freitag (Autor:in), 2002, Die Haltung der BRD unter Kanzler Kohl zur Erarbeitung einer Europäischen Akte und ihrer Ratifizierung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44192

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