Die vorliegende Seminararbeit behandelt eingehender die Identitätsproblematik in Robert Musils Roman "Der Mann ohne Eigenschaften". Im Mittelpunkt dieser Arbeit soll Ulrich, der Protagonist des Romans, sowie sein Prinzip der Eigenschaftslosigkeit stehen. Es wird der Frage nachgegangen, inwieweit Ulrichs Prinzip von Eigenschaftslosigkeit inhaltlich fundiert ist, ob nun Charakter als Persönlichkeitsmerkmal für jenes Identitätsgefühl, deskribiert als ein kohärentes Bild, das man von sich selbst hat, als Trägheit, sich zu wandeln, definiert werden kann.
Ulrich, der Protagonist des Romans, meint, dass das Bewusstsein von Identität auf einer Illusion von Konstanz, Einheitlichkeit und Reduktion beruhe, eine „Art perspektivische Verkürzung des Verstandes“ sei, „die diesen allabendlichen Frieden zustandebringt, der in seiner Erstreckung von einem zum andern Tag das dauernde Gefühl eines mit sich selbst einverstandenen Lebens ergibt.“ (MoE, S. 648f.) So entstehe ein „beherrschtes Bild“, wobei die „unsichtbaren Verhältnisse“ von „Verstand und Gefühl derart verschoben [werden - Anm. d. Verf.], daß unbewusst etwas entsteht, worin man sich Herr im Hause fühlt.“ (MoE, S. 649) Diese Leistung glaubt Ulrich nicht in wünschenswerter Weise vollbringen zu können. Jener Eindruck führt Ulrich schließlich zu dem Gedanken, „daß das Gesetz dieses Lebens […] kein anderes sei als das der erzählerischen Ordnung!“ (MoE, S. 650) Die überwältigende „Mannigfaltigkeit des Lebens“ würde dadurch auf einen eindimensionalen „Faden der Erzählung“ reduziert werden, auf die zeitliche Chronologie von Ereignissen, wodurch der Mensch „zu sich selbst Erzähler“ sei: „sie lieben das ordentliche Nacheinander von Tatsachen, weil es einer Notwendigkeit gleichsieht, und fühlen sich durch den Eindruck, daß ihr Leben einen ‚Lauf‘ habe, irgendwie im Chaos geborgen.“ (MoE, S. 650)
Ulrichs Konzept der Illusion von Identität charakterisiert sich also durch eine unbewusste Selbstbeeinflussung, um die menschliche Komplexität zu minimalisieren und sich somit auf beruhigend behagliche Weise als „Herr im Hause“ zu fühlen. Durch das Konzept der Eigenschaftslosigkeit will Ulrich einerseits jene Illusion überwinden, da er ohnehin nicht das Gefühl hat, „einen festen Boden unter den Füßen und eine feste Haut“ (MoE, S. 289) um sich zu haben, andererseits, um nicht der Gefahr der Unauthentizität durch die starre, allzu normierte Wirklichkeit anheimzufallen.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Der philosophische Hintergrund
- Ernst Mach und die Auflösung des Ich
- Friedrich Nietzsche und das Prinzip des unzureichenden Grundes
- Die Entindividualisierung in der Moderne
- Das Prinzip der Eigenschaftslosigkeit
- Wirklichkeits- und Möglichkeitssinn
- Schlussbetrachtung
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Seminararbeit befasst sich mit der Identitätsproblematik in Robert Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften. Der Fokus liegt dabei auf dem Protagonisten Ulrich und seinem Prinzip der Eigenschaftslosigkeit. Die Arbeit untersucht, inwiefern Ulrichs Prinzip der Eigenschaftslosigkeit inhaltlich fundiert ist und ob Charakter als Persönlichkeitsmerkmal für das Identitätsgefühl, als ein kohärentes Selbstbild, als Trägheit, sich zu wandeln, definiert werden kann.
- Die Illusion von Identität und das Streben nach einer „beherrschten“ Selbstdarstellung
- Der Einfluss von Ernst Mach und seiner Auflösung des Ich auf Ulrichs Konzept der Eigenschaftslosigkeit
- Nietzsches Experimentieren als Inspirationsquelle für Ulrichs Philosophie des Möglichkeitssinnes
- Die Problematik der Entindividualisierung in der modernen Gesellschaft
- Die Ambivalenz von Charakter und Eigenschaftslosigkeit als Identitätsprinzipien
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in das Thema der Identitätsproblematik in Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften ein. Sie zeigt, wie der Protagonist Ulrich das Bewusstsein von Identität als Illusion von Konstanz und Einheitlichkeit kritisiert und sein Streben nach Eigenschaftslosigkeit als Gegenentwurf zu dieser vermeintlichen Stabilität darstellt.
Der zweite Abschnitt beleuchtet den philosophischen Hintergrund der Arbeit. Er untersucht die Bedeutung von Ernst Machs Auflösung des Ich für Ulrichs Konzept der Eigenschaftslosigkeit. Machs Theorie des psychophysischen Monismus, die Subjekt und Objekt als wechselseitig bedingte Elemente betrachtet, beeinflusst Ulrichs Verständnis von Identität als einem dynamischen und nicht fixierten Prozess. Die Arbeit zeigt außerdem, wie Friedrich Nietzsches Philosophie des Experimentierens und die Umwertung der Werte Ulrichs Denkart prägten.
Der dritte Abschnitt analysiert die Entindividualisierung in der Moderne und ihre Auswirkungen auf die menschliche Identität. Die Arbeit zeigt, wie die zunehmende Spezialisierung und Standardisierung der modernen Gesellschaft dazu führt, dass das Individuum seine Individualität verliert und sich in vorgegebene Rollen und Normen einfügt. Die Frage, ob und wie man sich in dieser Entindividualisierungserfahrung selbstständig behaupten kann, stellt sich in den Vordergrund.
Schlüsselwörter
Die Arbeit befasst sich mit der Identitätsproblematik in Robert Musils Roman Der Mann ohne Eigenschaften, wobei der Protagonist Ulrich und sein Konzept der Eigenschaftslosigkeit im Mittelpunkt stehen. Die zentralen Themen sind die Illusion von Identität, die Auflösung des Ich, der Einfluss von Ernst Mach und Friedrich Nietzsche, Entindividualisierung in der Moderne, sowie die Ambivalenz von Charakter und Eigenschaftslosigkeit.
- Arbeit zitieren
- Lena Bachleitner (Autor:in), 2018, Zur Identitätsproblematik in Robert Musils "Der Mann ohne Eigenschaften", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/442128