Kulturelle Wirksamkeit deutschsprachiger Emigration am Beispiel der SAP-Gruppe in Norwegen


Hausarbeit, 2001

25 Seiten, Note: 2.3


Leseprobe


Gliederung

1. Einleitung

2. Bedingungen des norwegischen Asyls für politische Flüchtlinge
2.1. Asylpolitik, -praxis und Flüchtlingszahl
2.2. Leben in Norwegen
2.3. Spezifische Einbindung von Mitgliedern politischer Strukturen

3. Die SAP in Norwegen
3.1 Geschichte der Osloer Gruppe
3.2 Sozialstruktur der Osloer Gruppe

4. Wirken der SAP in Norwegen
4.1 Allgemeine Arbeit, Ziele, Durchführung
4.2 Willy Brandt
4.3 „Nazi-Boeddelen“, „Solidaritet“ und „Det skjulte Tyskland“
4.4 Sonderaufgaben und Finanzleistung

5 Schlußbetrachtung

1. Einleitung

Während des 3. Reiches zwischen 1933 und 1945 waren unter der halben Million Menschen, die Deutschland oder den deutschsprachigen Raum verlassen mußten, auch ca. 9250 sogenannte „Geistesarbeiter“, also Personen, die direkt mittels ihrer geistigen Fähigkeit oder sprachlichen Ausdrucksfähigkeit ihr Geld verdienten. Dazu zählen Schriftsteller, Publizisten, Wissenschaftler aller Fachrichtungen, Ärzte, Psychiater, Psychoanalytiker, aber auch Künstler wie Schauspieler, Dichter, Maler etc.[1] Im Gegensatz zu anderen Flüchtlingen, die auch schon vor der Flucht ihr Geld durch körperliche Arbeit verdienten, waren diese Menschen unmittelbar auf ihren Verstand, auf das Wort, auf die deutsche Sprache als Mittel zum Lebensunterhalt angewiesen –mit augenscheinlicher Ausnahme der bildenden Künstler, wobei natürlich auch diese (oder sogar gerade diese) unter den veränderten Lebensbedingungen zu leiden hatten.

Sofern sich diese Menschen, um die es sich in der Hauptsache in dieser Hausarbeit handeln soll, keine körperliche Tätigkeit ausübten, mußten sie in ihrem Gastland ihre alte Arbeit unter komplett anderen Bedingungen wieder aufnehmen. In diesem Moment wurden sie kulturell wirksam. Wichtige und wissenschaftlich relevante Faktoren sind dabei auf der einen Seite die Bedingungen und Umstände des einzelnen Individuums, d.h. die Frage nach der Motivation und den Einflüssen auf den Autor, und auf der anderen Seite der Output, d.h. was für ein Produkt wurde geschaffen, welchen Zweck hatte es und wie wurde es von den verschiedenen Rezipienten aufgenommen? Kulturelle Wirksamkeit, wie in der Überschrift angegeben, kann eigentlich nur ein Sammelbegriff für sämtliche Zeugnisse deutschsprachiger Exilarbeit sein.

In dieser Hausarbeit soll anhand einer kleineren, spezifischen Gruppe, der SAP in Norwegen, auf diese Input- und Outputfaktoren eingegangen werden. Hinzu kommt hierbei die Frage nach der Einbindung dieser politischen Flüchtlinge in ihre Organisation: Wie wirkt sich die Einbindung auf die kulturelle Wirksamkeit aus? Eine weitere Frage ist, welche Auswirkung die Wahl Norwegens als Exilland hatte? Wie waren die dortigen Arbeitsbedingungen? Welche Unterstützung erhielten politische Flüchtlinge, speziell die SAP-Mitglieder? Zeitlicher Rahmen soll hier die Machtergreifung Hitlers für den Beginn der allgemeinen Fluchtbewegung und der Überfall Deutschlands auf Norwegen am 09.04.1940 sein, welches de facto das Ende der SAP-Exilarbeit in Norwegen bedeutete.

2. Bedingungen des norwegischen Asyls für politische Flüchtlinge

In dieser Hausarbeit geht es um einen bestimmten Aspekt der menschlichen Kommunikation. Hierbei ist der zu untersuchende Output bereits festgelegt – nämlich kulturelle Wirksamkeit SAP, zu finden unter Pkt. 4 -; der Input hingegen muß näher bestimmt werden. Diese Input-Faktoren sind wesentlicher Bestandteil des Kommunikationsmodell „Sender-Empfänger“. Das Modell liegt einer Wandlung der Kommunikationswissenschaft zu Beginn der 60er Jahre des letzten Jahrhunderts zu Gunsten einer quasi ganzheitlichen Auffassung menschlicher Beziehungen, der sogenannten „Linguistischen Pragmatik“[2], zu Grunde. Diese Ausrichtung will das Modell um „alle“ Faktoren erweitert wissen und Sprache nicht nur als behaviouristisches Verhalten sehen, sondern auch Symbole, nonverbale Kommunikation in Form von Mimik, Gestik, Intention, Geisteshaltung und Erwartungshaltung der Kommunizierenden mit einbeziehen. Bezogen auf das Thema sind Input-Faktoren also auch diejenigen, die das persönliche Umfeld des Emigranten determinieren: Bildung, Alter, Geschlecht, Flucht, Bedingungen und Möglichkeiten des Asyls, politische Einbindung, persönliche Bindungen, im allgemeinen der empirische Erfahrungshorizont des Individuums. Auf diese Aspekte wird nun im folgenden eingegangen.

2.1. Asylpolitik, -praxis und Flüchtlingszahl

Norwegens Asylpolitik in Form des Fremdengesetzes von 1927 und der verschärften Erweiterung von 1932 war eine Quintessenz der restriktiven Grundtendenzen seit dem 1. Weltkrieg.[3] Es lassen sich eindeutig rassistische, antisemitische und xenophobe Züge in den Gesetzen erkennen: sie kommen dem norwegischen Sicherheitsbedürfnis nach Schutz vor „europäischem Abfall“ und „ausländischem Müll“ entgegen. Zuviel Immigration könnte der „Bevölkerungsqualität“ schaden, womit auf der einen Seite natürlich die Furcht vor ausländischen Arbeitnehmern auf dem eigenen Markt gemeint ist, auf der anderen die Furcht vor dem „Judenproblem“.[4]

Begriffe wie „politischer Flüchtling“ oder „Asyl“ kommen nicht in den Gesetzestexten vor, allerdings, und das ist eine der wichtigsten Einschränkungen bei der Betrachtung der norwegischen Asylpraxis, ist ein politisches Vergehen kein krimineller Akt und somit auch kein Abschiebegrund. Das ist ein wichtiger Hinweis auf die in den 30er Jahren folgende Zweiteilung, Klassifizierung und Ungleichbehandlung von jüdischen und politischen Flüchtlingen. Zwar ist aus der Sicht der damaligen politischen Flüchtlinge die Situation schwierig, Lorenz verweist aber im Nachhinein auf andere Realitäten, gerade für Norwegen, wo es u.a. gute Arbeitsbedingungen für sie gab.[5] So kommt er dann auch zu dem Fazit, daß Norwegen Bedingungen für aktive, antifaschistische Arbeit schuf, eine Arbeit, die in Dänemark oder Schweden zur sofortigen Ausweisung geführt hätte.[6]

Große Schwierigkeiten birgt die Frage nach der Anzahl der Flüchtlinge überhaupt. Je nach Autor und Quelle schwanken die Zahlen zwischen 200 und 2000.[7] Lorenz verweist auf einige sehr stark divergierende Angaben, u.a. auf Harald Skjønsberg, der bis zum Zeitpunkt des Überfalls der deutschen Truppen auf Norwegen 1940 ca. 840 deutsche Flüchtlinge zählt.[8] Dieses sind allerdings nahezu reine Regierungszahlen, also von Menschen, die sich bei den offiziellen Stellen gemeldet haben. Dabei ergeben sich zwei Probleme, um die auch Skjønsberg weiß: 1. Die Unterscheidung des politischen Emissärs vom politischen Flüchtling[9] und 2. die Dunkelziffer der tatsächlichen Emigration.[10] Ein Teil der Mitglieder war delegiert durch ihre Organisation in Norwegen mit unterschiedlichen Auftrag unterwegs. Relevant ist die Tatsache, daß sie sich ja nicht als „Flüchtling“ melden mussten, da sie ja nur auf der Reise waren. Sie wurden dann Opfer der weiteren Entwicklung in Deutschland, die eine Rückreise unmöglich machte, so geschehen mit Willy Brandt.

Die Dunkelziffer klärt sich erst mit der Regierungsübernahme der norwegischen Arbeiterpartei 1935 ein wenig auf, weil sich Flüchtlinge nunmehr bei den offiziellen Stellen melden konnten – es jedoch bei weitem nicht alle taten -, was aber nicht darüber hinweg täuschen darf, daß sich weiterhin eine ungenaue Zahl versteckt in Norwegen aufhielt.[11] Aufgrund der oben genannten Punkte geht Lorenz dann im Endeffekt von knapp 2000 Flüchtlingen aus, die sich aus einem breiten Spektrum zusammensetzen.[12]

2.2. Leben in Norwegen

Die wissenschaftliche Erfassung der näheren Lebensumstände durch Briefe, Veröffentlichungen oder Zeitungsartikel bedarf einer scharfen, kritischen Auseinandersetzung. Publikationen des entsprechenden Zeitraumes können wichtige Details auslassen, wie es bei Max Barth geschehen ist: die Darstellung von „Ausnutzung und schikanöser Behandlung durch die Behörden“[13] war ebenso gefährlich wie die „Beschreibung konkreter positiver Erlebnisse“[14]. So mußte Barth einen Mittelweg eingehen als er mit Hilfe von Briefen seine Darstellung vom Emigrantenleben herausbrachte. Wichtig ist, daß hier wieder die individuelle Erfahrung die veröffentlichten Publikationen prägt, und somit es nicht möglich ist, a priori Verallgemeinerungen zum Leben in Norwegen zu formulieren. Lorenz verweist in seinen Studien auf mehrere Kriterien, die Input-Faktoren sind: Alter, Geschlecht, Zeitpunkt der Einreise, Gruppenzugehörigkeit, Unterschiede innerhalb der jeweiligen Gruppe.[15] [16] Des weiteren müssen diese Kriterien noch für zwei verschiedene Zeiträume untersucht werden: 1933-1935 und 1935-1940.[17] Im Rahmen dieser Hausarbeit ist es leider nicht möglich, auf alle individuellen Faktoren einzugehen; sie müssen verallgemeinert werden und finden nur exemplarisch Zugang.

Zur oben angesprochenen individuellen Erfahrung ist zu sagen, daß Menschen, die zu ärmeren Schichten in Deutschland zählten, im Regelfall auf bessere Bedingungen stießen und sich recht gut integrieren konnten. Im Gegensatz zu jüdischen Flüchtlingen fanden sie eine solidarische Basis innerhalb der norwegischen Arbeiterschaft und innerhalb der Gewerkschaft.[18] Künstler und Intellektuelle hatten es auf zwei Arten wesentlich schwieriger: Sie kamen aus gebildeten Schichten und für sie war Norwegen ein Abstieg.[19] Des weiteren waren sie auf das Wohlwollen von Freunden und Bekannten angewiesen. Ihr Erleben und ihre Empfindung war z.T. diametral zu dem der Arbeiter. Allerdings waren ihre „Beziehungen“ zu Norwegen meist besser als die der einfachen Arbeiter.

Durch eine Vielzahl von Einzelgesprächen mit ehemaligen Flüchtlingen in den Achtzigern hat Einhart Lorenz interessante Schlüsse auf die Gesamtrezeption dieser Menschen auf ihr damaliges Emigrantenleben ziehen können:

Die Gleichzeitigkeit von positivem Gesamturteil trotz zahlreicher Einwände, vom Gefühl der Vertrautheit bei gleichzeitiger Ferne, die bei [Max] Barth zum Ausdruck kommt, findet sich auch in den Erinnerungen anderer Flüchtlinge, die – wie Margot Cappelen – die positiven Seiten der norwegischen Politik und der Hilfsbereitschaft der Bevölkerung unterstreichen, die gleichzeitig aber auch die Distanziertheit der Menschen betonen, die – dem Gefühl der Exulanten nach – nicht deren Leistungen anerkannten.[20]

Es handelt sich bei dieser Stellungnahme um eine schwierige, wissenschaftlich kaum „meßbare“ Aussage. Das Gefühl der Flüchtlinge ist nicht verifizierbar, und für Menschen, die nie auf der Flucht waren, kaum nachvollziehbar.

Zum Alter wird ausgesagt, daß jüngere Menschen (aus den Arbeiterparteien) einen einfacheren Start ins Exilleben hatten als die älteren Parteigenossen. Sie hatten keinen Status verloren und sie fühlten sich auch nicht an den Niederlagen der deutschen Arbeiterbewegung beteiligt oder schuldig.[21] Dies beherzigte Brandt, der dieses Bewußtsein vermutlich auch in seine Jugendgruppe in Oslo gebracht hat. Zusammen mit dem Vorstellung, „Teil eines bürgerlich revolutionären Lebenslaufes“[22] zu sein, war dies für die jungen Menschen ein ungeheuer Motivationsschub für die politische und publizistische Arbeit.

2.3 Spezifische Einbindung von Mitgliedern politischer Strukturen

Es ist klar, daß neben den oben genannten Bedingungen die Einbindung in eine Partei ein besonderer Faktor ist. Es ist ein spezifischer Rahmen, in den sich seine Mitglieder nach Zeit und Leistung einbringen konnten. Das Ziel bzw. der Gegner ist für alle gleich: Hitler und das Dritte Reich. Die Wichtigkeit wird deutlicher, wenn man die Flüchtlinge, die nicht in Parteien organisiert sind, von den politischen Flüchtlingen abgrenzt: nicht organisierte Arbeiter haben nicht – zwangsläufig – eine Motivation, kulturell, im Sinne von publizistisch, tätig zu werden. Schriftsteller und Künstler sind per definitionem kulturell wirksam.

[...]


[1] Für Zahlenmaterial über die genaue Anzahl der einzelnen Gruppen siehe W. Dähnhardt, B. S. Nielsen: Exil in Dänemark , Heide, 1993.

[2] siehe Heidrun Pelz: Linguistik. Eine Einführung , 5. Auflage, Hamburg, 2000, S. 241ff.

[3] siehe Einhart Lorenz, Mehr als Willy Brandt. Die Sozialistische Arbeiterpartei Deutschlands (SAP) im skandinavischen Exil, Frankfurt a.M., 1997, hier S.26, (im folgenden verkürzt zitiert als E. Lorenz, SAP).

[4] vgl. ebd., S. 31.

[5] siehe E. Lorenz, SAP, a.a.O., S. 31.

[6] siehe E. Lorenz, SAP, a.a.O., S. 35.

[7] siehe Einhart Lorenz: Exil in Norwegen. Lebensbedingungen und Arbeit deutschsprachiger Flüchtlinge 1933-1943, Baden-Baden, 1992, S. 105f.

[8] siehe ebd., S 106f.

[9] siehe ebd., S. 107.

[10] siehe ebd., S. 108.

[11] siehe ebd., S. 108.

[12] E. Lorenz, Exil in Skandinavien, a.a.O., S. 109.

[13] siehe ebd., S. 111.

[14] siehe ebd., S. 111.

[15] siehe ebd., S. 112.

[16] vgl. auch ebd., S. 115.

[17] siehe ebd., S. 112.

[18] vgl. ebd., S. 113.

[19] siehe E. Lorenz, Exil in Skandinavien, a.a.O., S. 113.

[20] ebd., S. 117.

[21] siehe ebd., S. 114.

[22] siehe ebd., S. 114.

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Kulturelle Wirksamkeit deutschsprachiger Emigration am Beispiel der SAP-Gruppe in Norwegen
Hochschule
Christian-Albrechts-Universität Kiel
Note
2.3
Autor
Jahr
2001
Seiten
25
Katalognummer
V44222
ISBN (eBook)
9783638418683
Dateigröße
537 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Kulturelle, Wirksamkeit, Emigration, Beispiel, SAP-Gruppe, Norwegen
Arbeit zitieren
Jan Oswald (Autor:in), 2001, Kulturelle Wirksamkeit deutschsprachiger Emigration am Beispiel der SAP-Gruppe in Norwegen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44222

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Kulturelle Wirksamkeit deutschsprachiger Emigration am Beispiel der SAP-Gruppe in Norwegen



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden