Existiert ein europäische Öffentlichkeit?


Seminararbeit, 2005

25 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Definitionen
2.1 Definition von Öffentlichkeit
2.2 Erweiterte Definition: Europäische Öffentlichkeit

3 Gibt es eine europäische Öffentlichkeit?
3.1 Bedeutung der massenmedialen Kommunikation für eine europäische Öffentlichkeit
3.2 Bestandaufnahme der vier Komponenten von Öffentlichkeit
3.2.1 Ökonomie
3.2.2 Politik
3.2.3 Recht
3.2.3.1 Exkurs: Die Verfassung der Europäischen Union
3.2.4 Kultur

4 Fazit

5 Anhang
5.1 Erklärung
5.2 Abbildungsverzeichnis
5.3 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

„Europa liegt im Koma.“[1] Im gesamten Gebiet der Europäischen Union fanden in letzter Zeit Abstimmungen bezüglich der Ratifizierung der europäischen Verfassung statt. Doch noch haben nicht alle Mitgliedsstaaten abgestimmt. Nach dem „Nein“ Frankreichs und kurz darauf dem „Nein“ der Niederlande, sagte Großbritannien seine Abstimmung ab. Das „Nein“ zur EU-Verfassung lässt bereits jetzt mutmaßen, dass die Verabschiedung einer gemeinsamen Verfassung scheitert. Denn wenn nicht alle 25 EU-Staaten für die Einführung der Verfassung Europas stimmen, kann diese nicht verabschiedet werden. Jetzt scheint der gesamte Ratifizierungsprozess zu scheitern. Das wirft die Frage auf, ob Europa „noch nicht so weit ist“. Besteht die Europäische Union aus vielen nationalen Öffentlichkeiten oder ist sie auf dem weg eine Einheit zu werden? War die Absage der französischen Bevölkerung wirklich nur ein Protest gegen ihre derzeitige Regierung oder bedeutet sie gleichzeitig, wenn vielleicht auch nicht beabsichtigt, einen Rückschritt für ein einheitliches Europa.

Aus diesem Grund soll in dieser Hausarbeit anhand politikwissenschaftlicher sowie soziologischer Literatur der Frage nachgegangen werden, ob und inwieweit in Europa eine gemeinsame Öffentlichkeit existiert.

Sehen sich die Bürger der EU- Mitgliedsstaaten als „Europäer“ oder spielt für sie ihre jeweilige Nation die entscheidende Rolle? Wie ähnlich sind sich die verschiedenen Kulturen Europas? Kommunizieren die mannigfachen nationalen Öffentlichkeiten überhaupt ausreichend miteinander? Werden in den einzelnen europäischen Ländern dieselben Themen auf die gleiche Weise diskutiert? Ist der Informationsstand derselbe? Kurz um: Sprechen die Bürger Europas mit einer Stimme, sind also eine homogene Öffentlichkeit? Oder besteht Europas Öffentlichkeit aus mehreren nationalen Öffentlichkeiten?

Zum Beantworten dieser Fragen ist es zu Beginn notwendig, den Begriff Öffentlichkeit zu definieren und eine Aussage darüber zu treffen, was mit „europäische Öffentlichkeit“ gemeint ist. Im Hauptteil wird zuerst die Bedeutung der Massenmedien dargelegt, wobei diese immer in Bezug zu dem darauf folgenden Kapitel, den vier Komponenten von Öffentlichkeit nach der Definition von Luhmann, gebracht werden. Hier soll versucht werden, die Frage nach einer europäischen Öffentlichkeit hinsichtlich deren vier Elemente so gut wie möglich zu beantworten. In diesem Rahmen findet ein kleiner Exkurs zur Verfassung der Europäischen Union, die demnächst verabschiedet werden soll, statt. Das Fazit am Ende der Seminararbeit hat die Aufgabe, alle bisher aufgeführten Aspekte zusammenzufassen und so ein Ergebnis abzubilden, d.h. die Frage nach der Existenz einer europäischen Öffentlichkeit zu beantworten.

2 Definitionen

Für die Beantwortung der dieser Seminararbeit zu Grunde liegenden Frage ist es zu Beginn nötig, den Begriff Öffentlichkeit näher zu definieren. Des Weiteren muss dargelegt werden, was unter europäischer Öffentlichkeit verstanden wird. Denn von diesen Definitionen hängt maßgeblich die Beantwortung der hier vorliegenden Fragestellung ab. Diese soll im folgenden Kapitel geklärt werden.

2.1 Definition von Öffentlichkeit

"In der Idealvorstellung vom Prozess der Meinungs- und Willensbildung verleiht Öffentlichkeit den politischen Entscheidungen Rationalität und demokratische Legitimation."[2] In einer Demokratie soll dieser Prozess der Willensbildung alle Bürger einer Gesellschaft miteinbeziehen. Dabei sind die Interessen aller Beteiligten zu beachten und zu wahren. Die Rationalität des meinungsbildenden Prozesses wird durch Diskussionen, auf die Abwägen von Pro- und Contra - Argumenten folgen sollen, erreicht. Nur eine Konsens- oder Mehrheitsentscheidung dient dem Allgemeinwohl. Um zu einer Mehrheitsentscheidung, bei der alle Bürger beteiligt sind, zu gelangen, ist es nötig, dass jeder sich am politischen Geschehen beteiligen kann. Winfried Schulz spricht von diesem "für jedermann zugänglichen Ort" als dem Markt.[3]

Für einen weiteren Autor, Michael Jäckel, nehmen die Massenmedien die Funktion dieses allgemein zugänglichen Forums ein. "Öffentlichkeit ist nicht an die Ortsgebundenheit von Akteuren gekoppelt, sondern wird durch die Zwischenschaltung von Massenmedien einem dispersen Publikum zugänglich gemacht. So kann Handeln und Sprechen in der Öffentlichkeit von jedem Bürger nicht nur durchgeführt, sondern auch aufgenommen werden. Schon damit, dass ein Individuum sich außerhalb seines privaten Bereichs bewegt, begibt es sich in die Öffentlichkeit und gehört damit automatisch zum öffentlichen Publikum.[4]

Eine wichtige Vorraussetzung für das Entstehen und Bestehen von Öffentlichkeit ist die "Offenheit". Damit ist die Möglichkeit gemeint, dass jeder Bürger am öffentlichen Geschehen teilhaben kann, wenn er dies möchte. Es darf zum Beispiel keine Rede- oder Publizierverbote für bestimmte Bevölkerungsgruppen geben.[5]

Winfried Schulz geht noch weiter und schreibt den in der "Öffentlichkeit geäußerten Meinungen in ihrer Reichweite" Unkontrollierbarkeit zu, d.h. der Kommunikator kann zum einen nicht kontrollieren, wer seine Rezipienten sind, ferner wie diese seine Botschaft bewerten oder weiter publizieren.[6]

Ein bekanntes Modell von Öffentlichkeit entwickelte Jürgen Habermas. Er spricht von autochthoner Öffentlichkeit. Die Öffentlichkeit wird als „Vermittlungssystem zwischen Peripherie und Zentrum“ gesehen, wobei die Prozesse der Willensbildung bei der Peripherie liegen und vom Zentrum berücksichtigt werden sollen. Das heißt der Willen der Peripherie soll durch die Entscheidungen des Zentrums verwirklicht werden, genauer gesagt „die Akteure der Peripherie dominieren die Öffentlichkeit“.[7]

Ein Kontrast zu Habermas Modell der autochthonen Öffentlichkeit ist das der repräsentativen Öffentlichkeit von Gerhards. Im Gegensatz zu Habermas sieht das repräsentative Modell die Peripherie und das Zentrum als gleichrangig an. Durch Wahlen werden "die Akteure des Zentrums legitimiert" und sind somit bevollmächtigt, "die Interessen der Bürger zu repräsentieren". Jeder Bürger soll die Möglichkeit haben, seine Meinung öffentlich zu äußern. Folglich existiert in jeder Gesellschaft eine Vielfalt an Meinungen, welche die verschiedenen Akteure des Zentrums repräsentieren sollen. Der Kommunikationsstil ist hierbei im Gegensatz zum autochthonen Modell der Öffentlichkeit nicht relevant. Ebenfalls sieht es ein Zustandekommen von Konsens als sehr unwahrscheinlich an, da eine viel zu große Interessenpluralität vorliegt. "Eine Mehrheitsmeinung, die ohne anspruchsvollen Diskurs zustande gekommen ist", ist genauso legitim wie ein durch eine Debatte entstandener Konsens.[8]

Die wohl bedeutendste Theorie zu Öffentlichkeit stellt die von Niklas Luhmann dar. Auf diese Definition baut sich die gesamte Struktur der hier vorliegenden Seminararbeit auf. Wie andere Autoren auch, geht Luhmann von einer Fülle an Informationen aus, die es zu beobachten gilt. Es existiert ein System von Beobachtern. Beispielsweise beobachten die Medien die Politik, die wiederum ein anders System oder Subsystem beobachtet. Es gibt eine Vielzahl von Themen, die hauptsächlich durch die Medien generiert werden. So kommt Niklas Luhmann zu dem Schluss, dass Öffentlichkeit durch das gegenseitige Beobachten von gesellschaftlichen Teilsystemen entsteht.[9]

Damit sind die vier gesellschaftlichen Teilsysteme Ökonomie, Recht, Politik und Kultur die Grundpfeiler jeder Öffentlichkeit. In der folgenden Abbildung ist diese Hypothese zur Veranschaulichung dargestellt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1: Entstehung einer Öffentlichkeit[10]

Kann ein Teilsystem die nötigen Anforderungen nicht erfüllen, kann das Zustandekommen einer durchweg funktionierenden Öffentlichkeit nicht gewährleistet werden. Ist zum Beispiel das politische System einer Gesellschaft zu unübersichtlich, kann von den Medien keine exakte Berichterstattung erwartet werden, was wiederum das Entstehen einer Öffentlichkeit negativ beeinflussen könnte.

2.2 Erweiterte Definition: Europäische Öffentlichkeit

Eine europäische Öffentlichkeit setzt sich aus den Komponenten Kultur, Wirtschaft, Politik und nicht zu vergessen, dem Verfassungsrecht zusammen.[11] Die wichtigste Bedeutung hat hier laut Peter Häberle allerdings die Kultur. Er verweist hierbei auf die antike wie auch neuzeitliche Geschichte Europas. „Vereinfacht lässt sich sagen, Europa habe sich aus seiner Kulturgeschichte seit der griechischen und römischen Antike geformt.“ Des Weiteren habe das damalige römische Recht Grundlagen für viele Teile der heutigen rechtlichen Regelungen in Europa geschaffen. Auch oder vielmehr besonders wirken sich die Lehren der bekannten Philosophen der Aufklärung wie Thomas Hobbes, John Locke, Montesquieu und Jean - Jaques Rousseau, bis heute noch auf Staats- und Rechtslehre aus. „Europäische Rechtswissenschaft ist eine Erscheinungsform und heute immer wichtiger werdende Gestalt europäischer Öffentlichkeit.“[12]

Die Aufgabe der Politik ist es, die europäische Kultur nicht nur zu erhalten, sondern auch zu fördern. Ein Mittel dafür war zum Beispiel die Einführung des Euro. An dieser Stelle soll auf die Bedeutung der Implementierung einer Verfassung der Europäischen Union hingewiesen werden, auf die später genauer eingegangen wird.[13] Nach dieser Definition soll eine europäische Öffentlichkeit eine „klar umgrenzte, homogene und stabile Größe“ sein.[14]

Ein konträre Meinung dazu hat die Autorin Marianne van de Steeg. Sie bestreitet die Homogenität der Öffentlichkeiten innerhalb der einzelnen Mitgliedstaaten und stellt somit in Frage, ob eine europäische Öffentlichkeit überhaupt klar umgrenzt und homogen sein muss, um zu existieren.[15]

Das Problem der Definition wird diese Seminararbeit noch in den folgenden Kapiteln begleiten, da es teilweise von der Definition abhängig ist, ob eine europäische Öffentlichkeit besteht oder nicht. Grundlegend wird sie sich allerdings an der Definition von Peter Häberle orientieren, welche eine europäische Öffentlichkeit als eine homogene Einheit sieht.

3 Gibt es eine europäische Öffentlichkeit?

In diesem Kapitel soll der eigentlichen Frage dieser Hausarbeit, nämlich ob es eine europäische Öffentlichkeit gibt, nachgegangen werden.

Diese Seminararbeit nimmt an, dass die einzelnen Teilelemente der Gesellschaft in einer Wechselbeziehung mit den Massenmedien stehen. Jedes Teilelement beeinflusst die Intensität und Weise wie Massenmedien auftreten. Wiederum beeinflussen die Massenmedien die Ausprägung der Teilelemente, was daraufhin bestimmt, ob und in wie weit es eine europäische Öffentlichkeit gibt. „Die Veröffentlichung von Meinungen ist ein wichtiger Bestandteil von Öffentlichkeit als solcher.“ Wenn beispielsweise die Kulturen der verschiedenen Mitgliedsstaaten zu unterschiedlich sind, ist eine in ganz Europa geführte Debatte über eine bestimmte politische Thematik erheblich erschwert. Das könnte dazu führen, dass die Medien wenig über europäische Belange berichten, was eine gering ausgebildete europäische Öffentlichkeit zur Folge hat. Denn der Hauptkanal, über den die Bürger Europas kommunizieren, sind die Medien. Diese treten sozusagen als Verbindungsstück zwischen den nationalen Öffentlichkeiten auf. Die folgende Graphik soll die hier genannte These verdeutlichen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2: Beziehung zwischen Massenmedien und Öffentlichkeit

Wegen ihrer zentralen Stellung wird in diesem Kapitel zuerst die Bedeutung der Massenmedien für die Entstehung einer Öffentlichkeit, insbesondere für eine europäische Öffentlichkeit, genauer ausgeführt und durchleuchtet. Anschließend folgt eine „Bestandsaufnahme“ der vier Teilelemente von Öffentlichkeit nach Luhmann – Ökonomie, Politik, Recht und Kultur, wodurch klar werden soll, wie in Europa die Stellung der Massenmedien und somit die Ausprägung einer europäischen Öffentlichkeit ist.

[...]


[1] ZDF-Korrespondent Udo van Kampen (Brüssel) zur Zukunft der Europäischen Union in der Sendung TOP 7 am 18.06.2005 um 13:05 Uhr im ZDF.

[2] Winfried Schulz, 1997, S. 87

[3] Winfried Schulz, 1997, S.87-88

[4] Michael Jäckel, 1999, S. 215

[5] Winfried Schulz, 1997, S. 88

[6] Winfried Schulz, 1997, S. 88

[7] Winfried Schulz, 1997, S. 90

[8] Winfried Schulz, 1997, S. 90-91

[9] Niklas Luhmann, 1996, S. 183-190, Michael Jäckel S. 223

[10] Eigene Erstellung in Anlehnung an Niklas Luhmann, 1996, S. 184

[11] vgl. Niklas Luhmann, 1996, S. 184, vgl. 2.1 dieser Seminararbeit

[12] Peter Häberle, 1999, S. 17-18

[13] Peter Häberle, 1999, S. 24-25

[14] Marianne van de Steeg, 2003, S. 171

[15] Marianne van de Steeg, 2003, S. 172

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Existiert ein europäische Öffentlichkeit?
Hochschule
Universität Mannheim
Veranstaltung
Politische Kommunikation
Note
1,3
Autor
Jahr
2005
Seiten
25
Katalognummer
V44263
ISBN (eBook)
9783638418973
Dateigröße
661 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Die Arbeit befasst sich mit der Frage, ob in Europa eine gemeinsame Öffentlichkeit besteht. Sie geht hierbei auf das aktuelle Scheitern der Europäischen Verfassung ein. Ebenfalls baut sie bei der Definition von Öffentlichkeit auf Theorien der Soziologen Luhman und Gérhards auf.
Schlagworte
Existiert, Politische, Kommunikation
Arbeit zitieren
Verena John (Autor:in), 2005, Existiert ein europäische Öffentlichkeit?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44263

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