Lust und Realität, zwei Dinge, die im alltäglichen Leben des öfteren konfrontieren. Zwei Prinzipien; das eine geprägt vom Spaß, das andere von der Vernunft. Beides, so scheint es, kann nicht völlig erfüllt werden. Will man die augenblickliche Befriedigung jeglicher Lusttriebe, die augenblickliche Erfüllung seiner zum Teil unbewussten Wünsche, so wird dies auf Dauer zum Ende des zivilisatorischen Sein führen. Kurz, zum Ende jeglichen menschlichen Lebens.
Doch bedeutet dies im Umkehrschluss, dass unser Trieb nach Lust und Freude verdrängt und abgestumpft ist? Dominiert uns der Realitätssinn in dem Sinne, dass er alles dem „Machbaren“ unterordnet bzw. dem, was die Vernunft und das Bewusstsein als „sinnvoll“ oder „lebenserhaltend“ einstufen?
Diese Fragen sollen in der folgenden Analyse vor allen Dingen anhand von Aussagen Herbert Marcuses untersucht werden, der sich in seiner Arbeit „Triebstruktur und Gesellschaft“ mit diesem Thema auseinandersetzt. Ferner sind mehrere Schriften von Sigmund Freud, auf den sich Marcuse auch oftmals beruft, von großer Wichtigkeit für diese Analyse. Freud war es auch, der die Begriffe „Lustprinzip“ und „Realitätsprinzip“ erstmalig verwendete.
Dabei werden eingangs die Merkmale und Eigenschaften der beiden Prinzipien separat voneinander dargestellt. Danach folgt eine Analyse bezüglich der Veränderungen von Lust- und Realitätsprinzip. Hier liegt der Schwerpunkt zunächst auf der ontogenetischen Ebene, also auf dem Individuum selbst (vgl. Kapitel 3.1). Von Interesse ist vor allem, ob ein Trieb dominiert – und wenn ja welcher. Ferner soll untersucht werden, ob sich der Einfluss der beiden Triebe im Laufe der Entwicklung des Individuums ändert, also der eine Trieb im Laufe der Zeit an Einfluss gewinnt, während der andere schwächer wird. Die gleichen Fragen sollen anschließend auf phylogenetischer Ebene diskutiert werden (Kapitel 3.2).
Anknüpfend an diese Fragestellungen wird im vierten Kapitel überprüft, ob der eine Trieb den anderen gänzlich verdrängt oder ob eine Ergänzung der beiden Prinzipien stattfindet. Während im dritten Kapitel der Schwerpunkt auf der Darstellung der Triebe liegt, ist nun das Augenmerk auf die Fragestellung „Kombination oder Konkurrenz?“ gerichtet.
Abschließend sollen die Theorien auf die Gesellschaft und unsere Kultur übertragen werden. Was bedeuten die gewonnen Ergebnisse? Ist der derzeitige Zustand ein endgültiger? Wie beeinflussen die beiden Prinzipien unser alltägliches kulturelles Leben?
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Die beiden Triebe
2.1 Das Lustprinzip
2.2 Das Realitätsprinzip
3. Der Wandel der Triebe
3.1 Die ontogenetische Ebene
3.2 Die phylogenetische Ebene
4. Kombination oder Konkurrenz?
5. Konkretisierung der Prinzipien
5.1 Religion, Erziehung und Wissenschaft
5.2 Die Kultur
5.2.1 Realisierung einer „glücklichen“ Kultur
5.2.2 Kritik an den Ableitungen Marcuses
6. Zusammenfassung
Literaturliste
1. Einleitung
Lust und Realität, zwei Dinge, die im alltäglichen Leben des öfteren konfrontieren. Zwei Prinzipien; das eine geprägt vom Spaß, das andere von der Vernunft. Beides, so scheint es, kann nicht völlig erfüllt werden. Will man die augenblickliche Befriedigung jeglicher Lusttriebe, die augenblickliche Erfüllung seiner zum Teil unbewussten Wünsche, so wird dies auf Dauer zum Ende des zivilisatorischen Sein führen. Kurz, zum Ende jeglichen menschlichen Lebens.
Doch bedeutet dies im Umkehrschluss, dass unser Trieb nach Lust und Freude verdrängt und abgestumpft ist? Dominiert uns der Realitätssinn in dem Sinne, dass er alles dem „Machbaren“ unterordnet bzw. dem, was die Vernunft und das Bewusstsein als „sinnvoll“ oder „lebenserhaltend“ einstufen?
Diese Fragen sollen in der folgenden Analyse vor allen Dingen anhand von Aussagen Herbert Marcuses untersucht werden, der sich in seiner Arbeit „Triebstruktur und Gesellschaft“ mit diesem Thema auseinandersetzt. Ferner sind mehrere Schriften von Sigmund Freud, auf den sich Marcuse auch oftmals beruft, von großer Wichtigkeit für diese Analyse. Freud war es auch, der die Begriffe „Lustprinzip“ und „Realitätsprinzip“ erstmalig verwendete.[1]
Dabei werden eingangs die Merkmale und Eigenschaften der beiden Prinzipien separat voneinander dargestellt. Danach folgt eine Analyse bezüglich der Veränderungen von Lust- und Realitätsprinzip. Hier liegt der Schwerpunkt zunächst auf der ontogenetischen Ebene, also auf dem Individuum selbst (vgl. Kapitel 3.1). Von Interesse ist vor allem, ob ein Trieb dominiert – und wenn ja welcher. Ferner soll untersucht werden, ob sich der Einfluss der beiden Triebe im Laufe der Entwicklung des Individuums ändert, also der eine Trieb im Laufe der Zeit an Einfluss gewinnt, während der andere schwächer wird. Die gleichen Fragen sollen anschließend auf phylogenetischer Ebene diskutiert werden (Kapitel 3.2).
Anknüpfend an diese Fragestellungen wird im vierten Kapitel überprüft, ob der eine Trieb den anderen gänzlich verdrängt oder ob eine Ergänzung der beiden Prinzipien stattfindet. Während im dritten Kapitel der Schwerpunkt auf der Darstellung der Triebe liegt, ist nun das Augenmerk auf die Fragestellung „Kombination oder Konkurrenz?“ gerichtet.
Abschließend sollen die Theorien auf die Gesellschaft und unsere Kultur übertragen werden. Was bedeuten die gewonnen Ergebnisse? Ist der derzeitige Zustand ein endgültiger? Wie beeinflussen die beiden Prinzipien unser alltägliches kulturelles Leben?
2. Die beiden Triebe
2.1 Das Lustprinzip
Zunächst wird der Mensch vom Lusttrieb dominiert (vgl. Kapitel drei). Dieser wird durch folgende Eigenschaften gekennzeichnet:[2]
- augenblickliche Befriedigung
- Lust
- Freude (Spiel)
- Empfangen u. Entegegennehmen
- Fehlen der Unterdrückung
Zudem sei der Sexualtrieb von großer Bedeutung für das Lustprinzip.[3] Die Triebe des Lustprinzips strebten nach nichts anderem, als Lust zu gewinnen. Von allem, was Unlust erregen könne, ziehe sich dieses Prinzip zurück. Unter der Herrschaft des Lustprinzips sei der Mensch „kaum mehr als ein Bündel tierischer Triebe“.[4]
In dieser Arbeit berufen wir uns auf Freuds Definition des Lustprinzips, der unter diesem Begriff verstand, dass „unsere Handlungen durch die Lust oder die Unlust determiniert seien, die in der Gegenwart durch die Vorstellung der zu vollbringenden Handlungen und ihrer Folgen“ entstünden.[5] Das heißt, dass der Mensch aufgrund seiner eigenen Erfahrungen - bzw. auch instinktiv - abschätzen kann, inwieweit eine Handlung seine Lustbedürfnisse erfüllt.
Allerdings schreibt Marcuse, dass es das „Unbewusste“ sei, das vom „Lustprinzip beherrscht“ werde.[6] Das bedeutet wiederum, dass dem jeweiligen Menschen seine eigenen Erfahrungen, die den Lusttrieb befriedigen, nicht bewusst werden.
Stattdessen scheint der Lusttrieb dem Menschen inne zu sein, ohne, dass dieser von seiner Existenz weiß: „Der Triebreiz stammt nicht aus der Außenwelt, sondern aus dem Inneren des Organismus selbst.“[7] Ferner schreibt Freud:
Wir halten diese [die unbewussten seelischen Vorgänge] für die älteren, primären, für Überreste aus einer Entwicklungsphase, in welcher sie die einzige Art von seelischen Vorgängen waren. Die oberste Tendenz, welcher diese primären Vorgänge gehorchen, ist leicht zu erkennen; sie wird als das Lust-Unlust-Prinzip (oder kürzer als das Lustprinzip) bezeichnet.[8]
Beruft man sich auf diese Textstelle Freuds, scheint der Lusttrieb ein Trieb zu sein, der jedem Menschen mit seiner Geburt innewohnt. Freud erklärt in Bezug auf die Funktion der Triebe schlicht: „Diese Vorgänge streben danach, Lust zu gewinnen; von solchen Akten, welche Unlust erregen können, zieht sich die psychische Tätigkeit zurück (Verdrängung).“[9]
Er weist daraufhin, dass von den menschlichen Eigenschaften vor allem die Phantasie und das Tagträumen dem Lustprinzip unterworfen blieben.[10] Und nach Erich Fromm gründet sich das Lustprinzip auf dem Konstanzprinzip: „Die chemische erzeugte libidinöse Erregung muß auf ihr normales Niveau reduziert werden... Spannung, die über ihr normales Niveau ansteigt, wird als ‚Unlust’, ihre Reduktion auf das Konstanzniveau als ‚Lust’ empfunden.“[11] Hier kommt der Aspekt zum Tragen, dass vor allem „Unlust“ vermieden werden soll. Diesen Vorgang deutet auch Freud an:
Unter der Herrschaft des Lustprinzips vollzieht sich nun in ihm [dem Ich] eine weitere Entwicklung. Es nimmt die dargebotenen Objekte, insofern sie Lustquellen sind, in sein Ich auf, introjiziert sich dieselben... und stößt anderseits von aus, was ihm im eigenen Innern Unlustanlaß wird.[12]
2.2 Das Realitätsprinzip
Bleibt eine Befriedigung des oben thematisierten Lustprinzips aus, so versuche man zunächst, sich das „Gedachte (Gewünschte) einfach halluzinatorisch“ vorzustellen.[13] Vereinfacht bedeutet dies: Werden die Wünsche des Lustprinzips nicht erfüllt, können diese zum Beispiel in Träumen vorkommen. Doch kann dieser halluzinatorische Weg den Menschen niemals eine Befriedigung der Wünsche garantieren. Und folgt man Freud, so müsse sich der psychische Apparat entschließen, „die realen Verhältnisse der Außenwelt vorzustellen und die reale Veränderung anzustreben.“[14]
Dieser Vorgang sei Grundlage für das Realitätsprinzip: „Es wurde nicht mehr vorgestellt, was angenehm, sondern was real war, auch wenn es unangenehm sein sollte.“[15]
So wird das Realitätsprinzip durch folgende Merkmale charakterisiert:[16]
- aufgeschobene Befriedigung
- Lustenthaltung
- Mühe (Arbeit)
- Produktivität
- Sicherheit
Während das zuvor thematisierte Lustprinzip noch vom Unbewussten beherrscht wurde, entwickele „das menschliche Wesen“ unter dem Realitätsprinzip „die Funktion der Vernunft“.[17] Marcuse meint hiermit, dass der Mensch lerne, die „Realität zu ‚prüfen’, zwischen gut und böse, wahr und falsch, nützlich und schädlich zu unterscheiden.“[18] Folglich bilden sich mit dem Realitätsprinzip erstmalig Normen und Werte im Bewusstsein des Menschen, die ihn erst von seinem tierischen Dasein zu einem menschlichen Wesen machen. „Der Mensch erwirbt die Fähigkeit der Aufmerksamkeit, des Gedächtnisses und der Urteilsfällung.“[19] Ohne das Realitätsprinzip könnte es demnach keine Individuen mit jeweils spezifischen Charakteren geben, stattdessen wäre die Menschheit eine aus nahezu identischen Einzelwesen bestehende Masse.
Es sei allerdings daraufhin gewiesen, dass die Bildung des Realitätsprinzips immer von „außen auferlegt ist“.[20] Also immer im Zusammenhang mit Gesellschaft und Kultur vonstatten geht. Näheres hierzu folgt im nächsten Kapitel.
[...]
[1] Freud führte auch die Begriffe „Ich“, „Es“ und „Über-Ich“ ein, die teilweise große Ähnlichkeiten zu den Termini „Realitäts-„ bzw. „Lustprinzip“ aufweisen. In dieser Arbeit wird der Schwerpunkt aber auf der Darstellung und Interpretation von „Realitäts- und Lustprinzip“ liegen. Um den Rahmen der Arbeit nicht zu sprengen, bleibt ein ausführlicher Vergleich der verschiedenen Begriffe aus. Angemerkt sei, dass die Lusttriebe im „Es“ zu finden sind, während das Realitätsprinzip eher dem „Ich“ zugeordnet werden kann. Inwieweit die Konzentration auf die Begriffe Lust- und Realitätsprinzip ohne die Berücksichtigung weiterer Termini und Triebstrukturen durchführbar ist, wird sich im Laufe dieser Arbeit zeigen. Ziel ist es, die Auswirkungen von Lust- und Realitätsprinzip möglichst abgelöst von anderen Definitionen und Theorien zu betrachten.
[2] Marcuse, Herbert (1955/1971) „Triebstruktur und Gesellschaft“, Frankfurt a.M., S. 18.
[3] vgl. Marcuse (1955/1971), S. 45f.
[4] Marcuse (1955/1971), S. 19.
[5] zitiert nach: Städtler, Thomas (2003) „Wörterbuch der Psychologie“, Stuttgart, S. 652.
[6] Marcuse (1955/1971), S. 18.
[7] Freud, Sigmund (1915) „Triebe und Triebschicksale“. In: Ders. (1999): Gesammelte Werke XIII, Frankfurt a.M.. S. 211f.
[8] Freud, Sigmund „Formulierung über die zwei Prinzipien des psychischen Geschehens“. In: Gesammelte Werle VIII, London/Frankfurt a. M. (1943), S. 231.
[9] Freud, (1943), S. 231.
[10] Freud, (1943), S. 234..
[11] Fromm, Erich (1974/2003) „Anatomie der menschlichen Destruktivität“. 20. Aufl.. Reinbeck S. 527.
[12] Freud (1915), S. 228.
[13] Freud, (1943), S. 231.
[14] Freud (1943), S. 231.
[15] Freud, (1943), S. 232.
[16] Marcuse (1955/1971), S. 18.
[17] Marcuse (1955/1971), S. 19.
[18] Marcuse (1955/1971), S. 19.
[19] Marcuse (1955/1971), S. 19.
[20] Marcuse (1955/1971), S. 20.
- Arbeit zitieren
- Moritz Förster (Autor:in), 2004, Auswirkungen von Lust- und Realitätsprinzip: Zwischen Konkurrenz und Kombination, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44310
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