Das Phänomen der "unsichtbaren Hand" in der Sprache


Hausarbeit, 2011

13 Seiten, Note: 1,7


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Lenkung durch die Unsichtbare Hand

3 Invisible-hand-Erklärungen

4 Zusammenfassung

5 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Meine Nachbarin lädt mich zum Kaffeetrinken ein. Wir unterhalten uns über Dies und Das und sie fragt mich, ob sie mir Kaffee nachschenken solle. Ich antworte ihr: „Ich bin sit.“ Sie schaut mich ein wenig verdutzt an. Habe ich etwas Falsches gesagt? Versteht sie mich etwa nicht? Was ist hier passiert? Die Lösung liegt näher als es zunächst den Anschein macht. Das Wort “sit“ ist ein Beispiel für das Phänomen des Sprachwandels. Bis vor einigen Jahren hat dieses nämlich noch nicht einmal existiert. Ebenso wie „Millennium“ oder „krass“. Die Zeit bringt es mit sich, dass sich alles um uns herum verändert. Unsere Umwelt, die Architektur, die Mode und auch die Sprache, unterliegt einem Prozess der fortlaufenden Veränderung. Die Veränderung von Sprache ist allgegenwärtig und entwickelt sich ständig weiter. Ebenso hätte ich Probleme, würde ich mich mit jemandem aus dem 17. Jahrhundert oder von noch früher unterhalten. Sprachen sind nicht konstant, sie verformen und erweitern sich, werden herabgesetzt, aber sie stagnieren nicht.

Die historische Linguistik beschäftigt sich zu einem großen Teil mit den Ursachen und Auswirkungen des Bedeutungswandels der Sprache. Der Bedeutungswandel wird von vielen Faktoren, z.B. dem Laut- oder Syntaxwandel, verursacht. Ich möchte mich im Folgenden insbesondere mit einem bestimmten Phänomen des Sprachwandels beschäftigen. Dabei berufe ich mich vorrangig auf den Autor Rudi Keller, der mehrere Werke zum Thema Sprach- und Bedeutungswandel verfasst hat. Speziell gehe ich auf sein Buch „Sprachwandel (2. Auflage)“ ein. In diesem spricht Keller von einer so genannten Unsichtbaren Hand in der Sprache. Im ersten Teil des Buches beschäftigt er sich mit den Problemen des Sprachwandels, wie der eingeschränkten Betrachtungsweise der Dichotomien (Naturphänomen und Artefakte). Allerdings möchte ich mich im Speziellen mit dem zweiten Teil des Buches, „Das Wirken der Unsichtbaren Hand“, auseinandersetzen. Hierbei löst er sich von der Begrifflichkeit der Dichotomie und erweitert diesen Begriff von zwei auf drei Ebenen, zur Trichotomie. Ich möchte im Verlauf dieser Arbeit das Wesen dieses Phänomens erklären, es veranschaulichen und anhand aktueller Beispiele verdeutlichen, um der Frage auf den Grund zu gehen: Wie integriert sich die Unsichtbare Hand in das Sprachgeschehen?

2 Lenkung durch die Unsichtbare Hand

Keller geht von einem grundlegenden Irrtum in der Definition von Sprache aus. Demzufolge orientieren sich seine Verfechter an zwei Arten von Phänomenen: Die von Gott erschaffene Welt und die von Menschen gestaltete. „Die Werke Gottes sind Naturphänomene, die des Menschen Artefakte.“ 1 Durch diese eingeschränkte Ansicht wird es schwer fallen, außerhalb dieser Begriffe neue und aufschlussreichere Lösungen zur Kategorisierung der Sprache zu finden. Nach Keller unterteilen sich die Dinge nach natürlicher und künstlicher Herkunft. Betrachter werden dazu verleitet, sich für das Eine oder das Andere entscheiden zu müssen. Sprache ist zwar von Menschen geschaffen, demnach in die künstliche Gattung einzuordnen, aber die Rahmenbedingungen, wie die uns gegebenen Sprechorgane, sind natürlicher Herkunft. Für eine Kombination aus Beidem, fehlt bislang die Begrifflichkeit. Mit dem Begriff der Trichotomie versucht Keller eine dritte Plattform zur Verfügung zu stellen. Er nennt diese auch die so genannten „Phänomene der dritten Art“2, zu denen er auch die Sprache zählt. Die Dinge teilen sich in natürliche und künstliche, wobei letzteres erneut differenziert werden muss. Künstliche Elemente sollten weiter in künstliche und natürliche Untergruppen unterteilt werden. Die künstlichen Künstlichen sind geplante Ereignisse, Gegenstände oder Institutionen, künstlich Natürliche seien organisch gewachsen. Diese organisch gewachsenen Dinge betitelt Keller als Phänomene der dritten Art.3

Ich möchte ein solches Phänomen anhand eines eigenen Beispiels erläutern. Das, was Keller mit dem Beispiel eines von Menschen verursachten Staus erklärt, kann auch mit dem Gesellschaftsspiel „Stille Post“ verglichen werden. Jemand denkt sich einen Begriff aus und gibt ihn an die erste Person weiter. Bis zu diesem Punkt ist das Handeln bewusst und verfolgt die vorrangige Intention der Weitergabe unterhaltsamer Information. Genauso wie bei einem Stau bewusst gebremst wird, wird hier bewusst versucht Dinge akustisch zu verstehen und weiterzugeben. Allerdings sind unbewusste Nebenwirkungen genauso wie beim Stau unvermeidbar. So wie bei der Bremsung einem Autofahrer die Tasche vom Sitz fällt, wird bei dem Spiel eine Information falsch verstanden, demnach falsch interpretiert und mutiert weiter gegeben. Das Prinzip ist denkbar einfach. Eine Person beginnt mit der Angabe einer Information. Im Falle des Staus ist dieser Punkt der Kette gleichzusetzen mit dem Tritt auf die Bremse des ersten Fahrers. Alle nachfolgenden Personen bzw. Autofahrer reagieren automatisch auf das Gehörte/auf den langsamer werdenden Vordermann. Eine Kettenreaktion beginnt, bei der der auslösende Impulsgeber keinen Einfluss mehr auf den weiteren Verlauf hat. Ebenso wenig haben die Beteiligten einen Einfluss auf das, was sie hören oder auf das, was ihr Vordermann macht. Diese Art von Kettenreaktion scheint wie von unsichtbarer Hand geleitet. Die Ereignisse sind im Regelfall von einem Menschen ausgehend, der Definition nach also künstlich. Jedoch sind die Nebenwirkungen, die solche Phänomene mit sich ziehen, völlig unbewusst und ohne jede Intention. Nach Keller also künstlich natürliche Geschehnisse.

„Phänomene der dritten Art sind, wie dieser Stau auch, in aller Regel kollektive Phänomene. Sie entstehen durch Handlungen vieler, und zwar dadurch, daß die das Phänomen erzeugenden Handlungen gewisse Gleichförmigkeiten aufweisen, die für sich genommen irrelevant sein mögen, in ihrer Vielfalt jedoch bestimmte Konsequenzen zeitigen.“4

Keller differenziert stark zwischen dem Ergebnis einer Handlung und seinen Folgen. Das Ergebnis des ersten Autofahrers ist die Bremsung. Man kann sagen, das Ergebnis der Handlung ist gelungen, wenn seine Bremsung gelungen ist. Das Ergebnis wird auch die primäre Intention genannt. „Handlungen werden normalerweise nicht um ihrer Ergebnisse willen vollzogen, sondern um ihrer Folgen willen.“5 Diese Folgen, solange sie vom Verursacher bewusst vollzogen werden, heißen auch intendierte Folgen. Gerd Fritz nimmt hierzu in seinem Buch „Einführung in die historische Semantik“ ein gezieltes Beispiel aus der Sprachentwicklung. Er nimmt hier das Beispiel eines Wortes, das neu und noch unverbraucht klingt. Durch diese Neuwertigkeit wird es oft und gerne benutzt, wodurch häufiger Gebrauch eher dazu führt, dass dieses Wort bald abgenutzt und überpräsent wirkt. Die Intention des Sprechers war zunächst Originalität. Die Folge, das Wort als Modeerscheinung zu verwenden ist also nur kurzfristig gelungen.6

„Die Wirkung dieses Mechanismus war von den Sprechern nicht intendiert, sie war eine nicht-intendierte Folge ihrer Praxis der verhüllenden Rede.“7

Die sekundäre Intention ist demzufolge, wenn Ergebnis und Folge einer Handlung gelungen sind, d.h. wenn also das Ergebnis, meinen Regenschirm aufzuspannen, erreicht ist, und die intendierte Folge, nicht nass zu werden, ebenso erfolgreich ist, ist die gesamte Handlung gelungen und meine sekundäre Intention ist vollzogen. Ich bleibe trocken. Phänomene der dritten Art setzen sich zusammen aus einem Mikro- und einem Makrobereich. Der Mikrobereich ist intentional und bildet den Makrobereich, welcher kausaler, also ursächlicher Natur ist. Man kann sagen, dass die an einem solchen Phänomen beteiligten Individuen den sogenannten Mikrobereich ausmachen.8

„Den Makrobereich bildet die durch den Mikrobereich vorgebrachte Struktur; in unserem Fall “Stau aus dem Nichts“.“9

Die eben erklärten Begriffe dienen als Definitionsgrundlage für die nun folgenden „Invisible-hand-Erklärungen“.

3 Invisible-hand-Erklärungen

Wenn wir von dem Phänomen einer Unsichtbaren Hand sprechen, ist in Fachtermini die „Invisible-hand-Erklärung“ gemeint. Für Laien mag dieser Name zunächst irreführend sein, da es sich nach etwas Unerklärlichem anhört. Keller meint allerdings genau das Gegenteil. Der Vorteil dieser Theorie besteht darin, Situationen, die undurchsichtig erscheinen, mittels der unsichtbaren Hand aufzuschlüsseln und Geschehnisse mit überwiegend paradoxem Hintergrund logisch nachzuvollziehen. Keller nimmt ein Beispiel aus dem Balkan, wo jeder in einer Gruppe Knoblauch isst, sobald einer damit angefangen hat. Paradox ist in diesem Fall die primäre Intention, die nämlich besagt, dass man Knoblauch isst, weil man den Geruch bei anderen nicht ausstehen kann. Die sekundäre (unsichtbare) Intention ist das eigentliche Ziel des Knoblauchessers. Mittels der Invisible-hand-Theorie erklärt sich das angestrebte Endresultat, welches darin besteht, durch Essen des Knoblauchs den Geruch der anderen nicht mehr wahrzunehmen.10

Die Invisible-hand-Erklärung „[…] ist eine Art genetische Erklärung. Sie erklärt ein Phänomen, ihr Explanandum, in dem sie erklärt, wie es entstanden ist oder hätte entstanden sein können.“11 Im weiteren Verlauf erkennt Keller, dass die Makroebene häufig, wenn nicht sogar meistens, unabhängig von der Mikroebene betrachtet wird. Was wir realisieren ist das Endresultat, wie das Beispiel des Staus. Wir sehen eine aneinandergereihte Kette von Autos im Stillstand. Im Radio wird der Verkehrsbericht darauf reduziert, den Ort und die Länge des Staus anzugeben.

[...]


1 Keller, Rudi, 1994, S. 87.

2 Keller, Rudi, 1994, S. 87.

3 Vgl. Keller, Rudi, 1994, S. 88.

4 Keller, Rudi, 1994, S. 90.

5 Keller, Rudi, 1994, S. 91.

6 Vgl. Fritz, Gerd, 2005, S. 45ff.

7 Fritz, Gerd, 2005, S. 46.

8 Vgl. Keller, Rudi, 1994, S. 91f.

9 Keller, Rudi, 1994, S. 92.

10 Vgl. Keller, Rudi, 1994, S. 95ff.

11 Vgl. Keller, Rudi, 1994, S. 97.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Das Phänomen der "unsichtbaren Hand" in der Sprache
Hochschule
Technische Universität Berlin  (Geisteswissenschaften)
Note
1,7
Autor
Jahr
2011
Seiten
13
Katalognummer
V443815
ISBN (eBook)
9783668811201
ISBN (Buch)
9783668811218
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Historische Linguistik, Sprachwandel, invisible hand, unsichtbare hand
Arbeit zitieren
M.A. Stefanie Gäbler (Autor:in), 2011, Das Phänomen der "unsichtbaren Hand" in der Sprache, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/443815

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