Von der Spiritualität und ihrer Erreichbarkeit durch das Pilgern


Hausarbeit (Hauptseminar), 2017

14 Seiten, Note: 1,2


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Die Spiritualität
2.1. Begriffserklärung
2.2. Damals und heute
2.3. In den Weltreligionen
2.3.1. Christentum
2.3.2. Islam

3. Das Pilgern
3.1. Begriffsdefinition
3.2. Neuorientierung der Motivation
3.3. Der Pilgerboom
3.3.1. Im Mittelalter
3.3.2. Im 21. Jahrhundert
3.4. Eigene Pilgererfahrung

4. Fazit

5. Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Nirgendwo ist man sicher vor dem Trend des Pilgerns: Egal ob in sozialen Netzwerken, in Filmen wie „Ich bin dann mal weg[1] “, oder einfach in der wöchentlichen Zeitung – Erfahrungsberichte die von der neu gefundenen Lebensenergie schwärmen, Filme die einem vermitteln, dass man nur einmal Pilgern müsste um glücklich zu werden, und natürlich die Wirtschaft, die das Pilgern längst als lukrativen Zweig für sich entdeckt hat. Von allen Seiten scheint es einen zum Pilgern beeinflussen zu wollen. Doch was steckt hinter diesem Pilgerboom? Auch Ihnen könnte es aufgefallen sein, vielleicht bemerken Sie es aber bereits gar nicht mehr, wie schnelllebig und hektisch wir heutzutage leben; alles muss zügig gehen und effizient sein, Entspannung gilt nur als weiteres Mittel zum Zweck. Darunter leidet der Großteil an Menschen, was sich wiederum in den Krankenakten widerspiegelt. Rückenschmerzen beispielsweise sind ein weit verbreitetes Krankheitsbild unseres Zeitalters; sie belasten nicht, wie man erwarten könnte, ältere Menschen, sondern treten in immer jüngeren Alterskreisen auf. Nicht selten sind sie ein Signal des Körpers, ein Symptom psychosomatischer Einflüsse, welches oft missinterpretiert und nur oberflächlich behandelt wird. Viele Menschen lassen die Wichtigkeit des seelischen Wohlbefindens im Zusammenhang mit ihren extrinsischen Merkmalen außer Acht. Das seelische Wohlbefinden ist der wichtigste Faktor für ein gesundes, ausgeglichenes Leben, und doch wird es generell komplett außer Acht gelassen. Hier muss man anmerken, dass es für Betroffene keinesfalls leicht ist, die seelische Ursache des körperlichen Leidens auszumachen und zu therapieren, denn das erfordert Zeit und Geduld - beides Dinge die man nur selten übrig hat. Die Zeit in sich hineinzuhören oder seine Umwelt bewusst wahrzunehmen bringen nur die Wenigsten auf. Heutzutage ist es wichtiger sein Leben gut zu planen, schneller als die Konkurrenz zu sein und Erfolg zu haben – doch meistens sind es beengende gesellschaftliche Konventionen dieser Art, die uns die Kraft rauben und letzten Endes krank machen. Denn wer will schon ein Leben nach Drehbuch führen, gefangen in den Vorstellungen anderer? Schule, Beruf, Familie und dann sterben? Muss da nicht mehr sein, etwas größeres, dass allem Sein zugrunde liegt? Oder ist der Gedanke von einer höheren Macht auch nur eine weitere Methode sich klein zu halten, um sich vor der Verantwortung für das eigene Leben zu drücken? Wie wir unser Leben gestalten, woran wir unser Herz hängen oder was unserem Leben einen Sinn gibt, letztendlich entscheiden wir selbst. Es ist jedoch nicht zu leugnen, dass der Mensch ein spirituelles Wesen ist, und noch keiner existiert hat, der sich nicht mit der grundlegenden Existenzfrage beschäftigt hat. In meiner wissenschaftlichen Arbeit thematisiere ich deshalb das Thema der Geistigkeit, und erörtere, ob man seine Spiritualität beim Pilgern finden kann.

2. Die Spiritualität

2.1. Begriffserklärung

Etymologisch abgeleitet wird der Begriff aus dem lateinischen „spiritus“, was „Geist, Hauch“ bedeutet. Spiritualität bedeutet im weitesten Sinne also „Geistigkeit“, und kann eine auf Geistiges aller Art oder auf geistliches in spezifisch religiösem Sinn ausgerichtete Haltung meinen. Sie setzt die bewusste Hinwendung und aktive Praktizierung einer Religion oder Philosophie voraus. Spiritualität steht immer für die Vorstellung einer geistigen Verbindung zum Transzendenten, dem Jenseits oder der Unendlichkeit[2]. Die Bedeutungsinhalte der Spiritualität sind laut André Büssing[3] vom weltanschaulichen Kontext abhängig, beziehen sich jedoch immer auf eine immaterielle, nicht sinnlich fassbare Wirklichkeit (Gott/ höhere Macht), die dennoch erfahr- oder zumindest erahnbar ist, und die der Lebensgestaltung eine Orientierung gibt. Unterschieden wird dabei wiederum die suchende Haltung von der glaubend annehmenden Haltung. In aktuellen Nachschlagewerken wird „Spiritualität“ jedoch oftmals fälschlicherweise mit „Frömmigkeit“ gleichgesetzt: „[H]eute […] gleichbedeutend mit Frömmigkeit“ (Brockhaus Religionen, 2004); „Frömmigkeit, eine vom Glauben getragene geistige Orientierung und Lebensform“ (Lexikon der Psychologie, 2000-2002). Nur der Duden (1999-2004) trägt eine richtige Definition der Spiritualität als „Geistigkeit; inneres Leben, geistiges Wesen“[4].[5] Fehler der anfänglich angeführten Definitionen, ist das Beschränken des Begriffs auf den rein religiösen Aspekt. Insbesondere in der heutigen Zeit, wo die individuelle Philosophie und geistige Haltung die konfessionelle Geistigkeit abzulösen scheinen. Dies sieht man auch an der Anmerkung zum Stichwort Spiritualität in „Meyers Großes Konversations-Lexikon” von 1902-1909: „Heute ist Spiritualität darüber hinaus zu einem vielfach verschwommenen Modewort geworden, […] läuft unter den Oberbegriffen Esoterik und Lebenshilfe und ist auch bereits in nahezu allen profanen Bereichen präsent.“[6] In der alternativen Heilkunde, im Zusammenhang mit dem neuen Zeitalter und sogar als politisches Programm[7] - Spiritualität ist offenkundig zu einem Begriff hoher Mannigfaltigkeit geworden.

Psychologe Rudolf Sponsel[8] definierte Spiritualität als „mehr oder minder bewusste Beschäftigung mit Sinn- und Wertfragen des Daseins, der Welt und der Menschen, […] der Existenz und seiner Selbstverwirklichung im Leben“[9]. Diese Erläuterung ist die wohl am zutreffendste, da sie sowohl die religiöse als auch die allgemeine Geistigkeit definiert. Interessant ist auch der Gedanke der „mehr oder minder bewusste[n] Beschäftigung“: er zeigt wie körperlos Spiritualität ist, und wie schwer es sein kann, seine Geistigkeit zu finden oder sie in Worte zu fassen. Spiritualität umfasst also auch eine besondere, nicht nur im konfessionellen Sinne, verstandene Lebenseinstellung einer Person, die sich auf das immanente, göttliche Sein konzentriert, beziehungsweise auf das Prinzip der höheren Wirklichkeit. Besonders auf das Pilgern bezogen ist die Definition Sponsels sehr passend, schließlich begibt man sich nicht mit konkreten Fragen auf die Reise, sondern lässt sie wie ein Abenteuer auf sich zukommen und hofft auf unterbewusste Erkenntnisse. Zu den Ausdrucksformen der Spiritualität zählen,

(1) „das Gebet, Gottvertrauen und Gefühl der Geborgenheit durch Gott
(2) die Erkenntnis, Weisheit und Einsicht
(3) die Transzendenz-Überzeugung
(4) das Mitgefühl, die Großzügigkeit und Toleranz
(5) der bewusste Umgang mit sich selbst und seiner Umwelt
(6) die Ehrfurcht und Dankbarkeit
(7) der Gleichmut (und die Meditation).“[10]

Pilgern als Ausdrucksform des religiösen Glaubens erfüllt beispielsweise alle Kategorien, während Pilgern zum Zweck der allgemeinen Geistigkeit Punkt (1) nicht beinhaltet.

2.2. Damals und heute

Der Werdegang Martin Luthers[11] ist wohl jedem der die Schule besucht hat bekannt: Ein junger, gebildeter Mann, mit den besten Aussichten auf eine erfolgreiche Karriere, wirft, nachdem er von einem Gewitter überrascht wurde, alle Pläne über den Haufen, um Mönch zu werden[12]. Sein Leben, alles wofür er gearbeitet hat, alle Hoffnungen und Erwartungen auf Grund eines Versprechens an Gott gegen das Klosterleben einzutauschen, wer würde das heutzutage noch machen? Nicht selten missbrauchen wir heute sogar den Namen des Herrn für Nichtigkeiten oder einfach aus Gewohnheit – der Name Gottes wird in der heutigen Zeit wie eine Alltagsfloskel genutzt. Daran kann man bereits sehen, dass Gott und der Glaube damals eine weitaus respektiertere und wichtigere Rolle im Leben der Menschen spielten. Spiritualität war keine Option, sie war fester Inhalt des Lebens, ein alltägliches Verhaltensmuster. Gab man in Gottes Namen ein Versprechen, so musste dies auch eingehalten werden. Eine klare Trennung zwischen Welt und Religion existierte noch nicht einmal in der Politik: Die Herrschaft des Adels wurde im Mittelalter durch die Kirche legitimiert und nicht selten intervenierte der Klerus in politische Angelegenheiten.

Auch Luthers Pilgerreise um 1500 von Nürnberg nach Rom war religiöser Natur: In Rom angekommen durchlief er so manche Handlungen die damals zur Leistungsfrömmigkeit gehörten. Dies waren unter anderem die Wallfahrt durch die sieben Pilgerkirchen Roms[13], das Fasten, Messen lesen und Buße üben – hierfür kroch er die „heilige Treppe“ am Lateranpalast auf Knien hinauf, wobei er auf jeder Stufe zusätzlich das Vaterunser betete.[14]

Im Laufe des 20. und 21.Jahrhunderts hat sich jedoch vieles verändert. Der Machtmissbrauch der Kirche, unter anderem durch das predigen von antisemitischen Luthertexten und dem suggerieren eines „gerechten Krieges“, im Ersten Weltkrieg (1914 – 1918) und im Zweiten Weltkrieg (1939 – 1945), führte zu einem Misstrauen gegenüber kirchlichen Institutionen.[15] Immer mehr Menschen distanzieren sich auch heute noch von der religiösen Spiritualität, auf Grund der Empfindung von Beengung und Ausgrenzung durch die Lehren der etablierten Religionen (z.B. das Predigen der Homosexualität als Sünde). Die Entfremdung von traditionellen Glaubenslehren macht Menschen jedoch nicht zu Wesen ohne spirituelles Empfinden, und somit suchen sie geistigen Ausgleich an anderer Stelle. So hat sich eine Trendhaltung entwickelt, die Robert C. Fuller mit dem Satz „spiritual , but not religious[16] auf den Punkt bringt.

[...]


[1] Deutsche Filmkomödie von Julia Heinz aus dem Jahr 2015. Der Film basiert auf dem gleichnamigen Bestseller von Hape Kerkeling, in dem er seine Pilgerwanderung auf dem Jakobsweg beschreibt. Nach Veröffentlichung seines Buches, stieg die Zahl der Pilger rasant an.

[2] Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Spiritualit%C3%A4t entnommen am 24.05.17; 18:58 Uhr

[3] André Büssing (* 8. Mai 1950 in Vechta; † 3. Oktober 2003 in München) war ein deutscher Psychologe und Inhaber des Lehrstuhls für Psychologie der Technischen Universität München.

[4] http://www.duden.de/rechtschreibung/Spiritualitaet entnommen am 21.05.17; 12:32 Uhr

[5] Vgl.: http://www.selbstakademie.org/spiritualitaet-spirituell-spirituelles-spirit entnommen am 21.05.17; 10:47 Uhr

[6] Vgl.: http://www.selbstakademie.org/spiritualitaet-spirituell-spirituelles entnommen am 21.05.17; 10:47 Uhr

[7] Zum Beispiel die deutsche Kleinpartei „Die Violetten – für spirituelle Politik“. Ihr Ziel ist eine Gesellschaft, in der „jeder von seinem Bewusstseinsstand aus denken, fühlen, handeln und sich zu höherem Bewusstsein entwickeln kann“. https://de.wikipedia.org/wiki/Die_Violetten_%E2%80%93_f%C3%BCr_spirituelle_Politik entnommen am 21.05.17; 13:56 Uhr

[8] Rudolf Sponsel, (*1944) approbierter klinischer Psychologe und Psychotherapeut des Berufsverbandes Deutscher Psychologen (BDP). Vgl.: http://www.sgipt.org/org/bbiogr/rs.htm entnommen am 21.05.17; 13:43 Uhr

[9] Vgl.: http://www.selbstakademie.org/spiritualitaet-spirituell-spirituelles-spirit entnommen am 21.05.17; 10:47 Uhr

[10] http://www.selbstakademie.org/spiritualitaet-spirituell-spirituelles-spirit entnommen am 21.05.17; 10:47 Uhr

[11] Martin Luther (* 10. November 1483, Eisleben; † 18. Februar 1546, Eisleben) war ein Mönch, Priester und Gelehrter, der die Kirchen- und Weltgeschichte, durch seine Predigten und Schriften, bedeutend prägte. Diese führten zur Kirchenspaltung, zur Bildung evangelisch-lutherischer Kirchen und dem Protestantismus.

[12] Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Luther#Augustinerm.C3.B6nch entnommen am 24.05.17; 20:29 Uhr

[13] Sieben Kirchen der Stadt Rom (Patriarchalbasilika San Pietro, Vatikanstadt; Patriarchalbasilika San Giovanni, Laterano; Patriarchalbasilika Santa Maria Maggiore; Patriarchalbasilika St. Paul vor den Mauern; Basilika Santa Croce, Gerusalemme; Basilika San Lorenzo fuori le Mura; Basilika San Sebastiano fuori le Mura), die innerhalb eines Tages zu Fuß erreichbar sind. Bei ihrem Besuch werden den Pilger für ihre Reise Ablässe versprochen. Vgl.: http://www.pilgerzentrum.net/informationen/informationen-fur-pilger/pilgerkirchen/ entnommen am 24.05.17; 21:59 Uhr. Und Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/R%C3%B6mische_Pilgerkirchen entnommen am 24.05.17; 21:35 Uhr

[14] Vgl.: https://de.wikipedia.org/wiki/Martin_Luthers_Romreise#Rom entnommen am 24.05.17; 21:22 Uhr

[15] Vgl.: http://www.zukunft-braucht-erinnerung.de/die-unruehmliche-rolle-der-evangelischen-kirche-im-dritten-reich/ entnommen am 24.05.17; 22:19 Uhr

[16] „Spiritual, but not religious” heißt Robert C. Fullers Buch, in dem er die Glaubensrichtungen und spirituellen Praktiken von Amerikanern außerhalb der organisierten Religion, thematisiert.

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Von der Spiritualität und ihrer Erreichbarkeit durch das Pilgern
Note
1,2
Autor
Jahr
2017
Seiten
14
Katalognummer
V444267
ISBN (eBook)
9783668812819
ISBN (Buch)
9783668812826
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Pilgerboom, Spiritualität, Pilgern, Religion
Arbeit zitieren
Angelika Hildebrandt (Autor:in), 2017, Von der Spiritualität und ihrer Erreichbarkeit durch das Pilgern, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/444267

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