Elisabeth Schwarzhaupt als Bundesgesundheitsministerin (1961-1966)


Magisterarbeit, 2003

179 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Inhaltsverzeichnis

Einleitung

1.1 Problem- und Ausgangslage
1.2 Quellen- und Literaturlage

2 Das Leben Elisabeth Schwarzhaupts
2.1 Kindheit und Jugend
2.2 Agitation gegen den Nationalsozialismus
2.3 Berufsverbot und Oberkirchenrat
2.4 Die Bonner Zeit

3 Die Einrichtung des Ministeriums
3.1 Der Aufstand der Unionsfrauen gegen Adenauer
3.2 Die Tierarzteschaft als Motor
3.3 Die Organisation des Ministeriums
3.4 Staatssekretarsfrage
3.4.1 Die Koalitionsbildung
3.4.2 Das Kandidatenkarussell
3.4.3 Die erste Ministerin mit zwei Referenten
3.5 Kanzlerkrisen und mehrfach wackelnder Stuhl

4 Die Politik Schwarzhaupts
4.1 Gesundheitpolitik versus Sozialpolitik
4.2 Staatliche Initiative versus individuelle Verantwortung
4.3 Die Problematik des Artikels 2 GG
4.4 Die konkurrierende Gesetzgebung
4.5 Das Scheitern des Jugendzahnpflegegesetzes
4.6 Medizinische Entwicklungshilfe

5 Deutschlands erste „Umweltministerin“
5.1 Reinhaltung der Luft
5.2 Reinhaltung des Wassers
5.3 Bekampfung des Larms

6 Der Contergan-Skandal
6.1 Der Arzneimittelskandal
6.1.1 Erste Vermutung: Radioaktivitat als Ursache
6.1.2 Das schlechte Management des Contergan-Falles
6.2 Die Reform des Arzneimittelgesetzes
6.3 Das Arzneimittel-Werbegesetz

7 Kritik an der Politik Schwarzhaupts
7.1 Kritik an der Gesundheitspolitik
7.1.1 Die Einrichtung des Erste-Hilfe-Raumes bei der WHO in Genf
7.1.2 Kritik an der Mutter- und Sauglingssterblichkeit
7.1.3 Schwarzhaupts PR-Maschinerie
7.2 Kritik an der Umweltpolitik

8 Zusammenfassung und Schlussbetrachtung

9 Anhang
9.1 Quellen
9.1.1 Unpublizierte Nachlasse, Dokumente und Akten
9.1.2 Veroffentlichte Quellen

Literatur

Anlagen

Einleitung

Erklarung der weiblichen Abgeordneten der CDU/CSU-Fraktion

Die weiblichen Abgeordneten der CDU/CSU sind ubereinstimmend der Uberzeugung, dass dem vierten Kabinett Adenauer eine Frau in einem Ministeramt angehoren muB.

Sie erwarten, dass der Kanzler seine den deutschen Wahlerinnen gegebene entsprechende Zusage einhalten wird.

In wiederholten Besprechungen haben die Frauen der CDU/CSU die Bundestagsabgeordnete Frau Dr. jur. Elisabeth Schwarzhaupt fur ein Ministeramt vorgeschlagen.

Bonn, 10. November, 16.00 Uhr1

Abbildung in dieser leseprobe nicht enthalten

it einer kurzen und ultimativen Presseerklarung vier Tage vor der Vereidi- gung des vierten Kabinetts Adenauer wagt eine Gruppe weiblicher Bundes- tagsabgeordneter den Machtkampf mit dem Kanzler: Der Regierung der Bundesrepublik Deutschland soil ab dem 14. November 1961 erstmals eine Frau angeho­ren - ganz so, wie es Adenauer vor der Bundestagswahl versprochen habe. Die Frankfur­ter Juristin Elisabeth Schwarzhaupt, stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU- Bundestagsfraktion, soll das erste weibliche Kabinettsmitglied der Bundesrepublik wer- den. Welches Ministerium sie ubernehmen soll, ware ganz egal - notfalls musse der Kanzler eben ein neues schaffen. Versorgt mit belegten Brotchen, harrten Aenne Brauk- siepe, Helene Weber und Margot Kalinke vor des Kanzlers Arbeitszimmer aus, um ihre jahrelange Forderung endgultig durchzusetzen. Und tatsachlich: Am fruhen Abend gab Adenauer dem weiblichen Druck nach und Elisabeth Schwarzhaupt war erste Gesund- heitsministerin der Bundesrepublik.2

Diese Anekdote ist bei Frauenverbanden weithin bekannt, zeigt sie doch auf charman- te Art und Weise, wie mit ein wenig weiblichem Druck selbst ein so unnachgiebiger Machtpolitiker wie Konrad Adenauer „weichgeklopft“ werden konnte. Ein „Happening“ im Vorraum des Kanzlerzimmers, Schnittchen und Witzchen3 - und plotzlich hat die Bundesrepublik eine Frau als Ministerin. Eine naiv anmutende Betrachtungsweise, und doch die vorherrschende in der so uberschaubaren Schwarzhaupt-Historiografie.

1.1 Problem- und Ausgangslage

Wenn die interessierte Offentlichkeit bislang etwas von der ersten Ministerin der Bundesrepublik wusste, dann war es ebenfalls diese Anekdote. Von ihrer Politik, von ihren gesundheitspolitischen Konzepten ist weitaus weniger bekannt. Eine Darstellung uber ihre Ministerzeit sucht man vergeblich. Selbst die wenigen Biografien, die es uber diese „Karrierefrau“ des 20. Jahrhunderts gibt, sparen die funf Jahre als Mitglied am Kabinettstisch Adenauers und Erhards weitgehend aus. Warum ist das so? Und: Was war Elisabeth Schwarzhaupt fur eine Frau? Welche Schwerpunkte setzte ihre Politik? Und: Warum ist sie gerade heute so gut wie vergessen, wo sie doch so grundlegende Entschei- dungen hin zu einer nachhaltigen, umweltbewussten und verbraucherorientierten Politik traf? Fragen, die zeigen, wie schwierig sich die wissenschaftliche Auseinandersetzung mit der ersten Ministerin der Bundesrepublik gestaltet: luckenhaft und „dunn“ die Literatur- lage, die Archivregale stattdessen uberbordend - das junge Ministerium hat bis zu seiner Umorganisation innerhalb der sozial-liberalen Koalition uber 170 Regalmeter Akten hin- terlassen.4 Eine Monografie, die diese Akten verarbeitet hatte, gibt es aber noch nicht.

Undurchsichtig auch die zeitgenossischen Einschatzungen der Ministerin und ihrer Politik: Ihrer eigenen Partei erschien sie zu liberal, der SPD hingegen zu klerikal zu sein, die FDP lag mit ihr personalpolitisch und inhaltlich uber Kreuz, was auch Adenauer er- zurnte; sie nervte die Bundestagsverwaltung, weil sie in ihrem Ministerausweis die mannlichen Artikel in dem Satz „Der Inhaber ist der Minister fur“5 mit schwarzer Tinte einfach durchstrich, der „Spiegel“ spottelte uber sie, wo er nur konnte6, hielt in den weni­gen Artikeln sie und ihr Ministerium fur „schlicht uberflussig“ - und die beiden Bundes- kanzler Erhard und Kiesinger nutzten ihr vermeintlich unbedeutendes und kompetenz- armes „Alibi“-Ministerium als beinahe „naturliche“ Verhandlungsmasse bei Koalitions- gesprachen. Kurz: Elisabeth Schwarzhaupt hinterliefi einen Eindruck von Uberforderung und Renitenz, war weder medizinisch gebildet noch gesundheitspolitisch naher interes- siert. Fritz Riege, der ein Standardwerk zur Gesundheitspolitik schrieb, ignorierte sie gleich vollig und machte kurzerhand ihre SPD-Nachfolgerin Kate Strobel7 zur ersten Ge- sundheitsministerin.8 Alles Grunde also, Elisabeth Schwarzhaupt dem gerechten Verges- sen anheim fallen zu lassen, die Grundung nachhaltiger Gesundheits- und Umweltpolitik der Grofien bzw. der sozial-liberalen Koalition zuzuschreiben und die unverheiratete O- berkirchenratin aufgrund ihrer politischen Initiative, das Scheidungsrecht zu verschar- fen, ins klerikal-reaktionare Abseits zu stellen?9

Die Antwort kann nur ein entschiedenes „Nein!“ sein, verzerren die oben genannten Einschatzungen doch das wahre Bild von der klugen und charmanten, durchsetzungsfa- higen, aber loyal-diplomatischen politischen „Quereinsteigerin“. Sie war zwar christlich gepragt, dachte aber keineswegs klerikal. Gerade in der Familienpolitik fuhr sie als Bun- destagsabgeordnete einen beachtlich progressiven Kurs innerhalb der Nachkriegs-CDU, starkte die Gleichstellung von Mann und Frau und setzte sich ganz besonders fur die Rechte nichtehelicher Kinder ein, die sie den ehelichen Kindern in allen Belangen gleich- stellte. Elisabeth Schwarzhaupt beendete mit ihren Initiativen so - spat, aber immerhin - einen Teil der uberkommenen familienpolitischen Vorstellungen der Nachkriegszeit.

Und sie beendete die uberkommenen Vorstellungen von einem brodelnden Wirt- schaftswachstum, das auf Kosten der naturlichen Lebensbedingungen den Unternehmen einseitig die Profite und den Burgern sowie der Umwelt im Gegenzug dafur die Quittung bescherte. Sie forderte bei Adenauer die Kompetenz fur den Umweltschutz ein und bun- delte damit erstmals die umweltpolitische Administration in einer eigenen, der Human- medizin und den Verbraucherschutzfragen gleichgestellten Hauptabteilung. Zudem for- derte sie von der Lebensmittel- und der pharmazeutischen Industrie Transparenz, was sowohl die Haltbarkeit der Waren als auch ihre inhaltliche Zusammensetzung anbetraf.

Elisabeth Schwarzhaupt dachte also „modern“. Dass sie sich im Gegensatz zu Aenne Brauksiepe oder Helene Weber auch so kleidete, dokumentierte schon rein aufierlich, dass sie sich von ihren alteren, noch tief in der Gedankenwelt der Weimarer Republik verhafteten Fraktionskolleginnen progressiv absetzen wollte.10 Wer also war Elisabeth Schwarzhaupt? Wie sah ihre Politik aus? Hatte der „Spiegel“ letztlich recht, wenn er ihr Ministerium fur „uberflussig“ hielt?11 Oder stellte sie doch einige grundlegende Weichen fur einen politischen Zug, der erst in den 1980er Jahren so richtig in Fahrt kommen - und damit erst richtig beachtet werden sollte?

Diesen Fragen will diese Arbeit nachgehen. Ein erster Schlussel zur Beantwortung dieser Fragen liegt in Elisabeth Schwarzhaupts Lebensumstanden verborgen. Wie war es moglich, dass sie eine beispielhafte Karriere beginnen konnte - zu einer Zeit, als Frauen solche beruflichen Aufstiege meist noch verwehrt waren? Woher ruhrte ihr politisches Interesse, und wo lagen ihre Interessensschwerpunkte? Ein kurzer Blick auf Kindheit und Jugend, ihre Agitation gegen den aufkommenden Nationalsozialismus sowie ihren Aufstieg zur ersten Oberkirchenratin Deutschlands lasst besser verstehen, warum ausge- rechnet sie die erste Ministerin in Westdeutschland werden konnte. Kapitel 2 macht die biografischen Eckpunkte deutlich, die die Voraussetzung schufen fur ihre parlamentari- sche Karriere.

Mit der bekannten Anekdote beginnt das dritte Kapitel - bzw. dessen erstes Unterka- pitel 3.1. Das „sit-in“ war die Voraussetzung dafur, dass Adenauer das Ministerium ein- richtete. Aber mit diesem „sit-in“ war die Arbeit fur Elisabeth Schwarzhaupt nicht etwa getan, sie begann damit erst. Auch wenn ihre Biografen diesen Zeitraum aussparen - sie hat mit ihrem Ministerium durchaus gesundheitspolitische Weichen gestellt, die es lohnt, sie einmal naher zu betrachten. Das dritte Kapitel versucht, die Fragen rund um die Ein- richtung und Organisation des Gesundheitsministeriums, dessen Chefin sie von 1961 bis 1966 war, zu beleuchten und zu beantworten. Welche Aufgaben gab Adenauer dem Mi- nisterium auf den Weg, nachdem die oben erwahnte Gruppe weiblicher Unionsabgeord- neter das Ressort fur Elisabeth Schwarzhaupt erfolgreich gefordert hatte? Welche ge- sundheitspolitische Berufsgruppe profitierte am meisten von dem neuen Ressort (Kap. 3.2)? Wie war es organisiert (Kap. 3.3)? Weil das Ministerium innerhalb der Koalitions- verhandlungen noch keine Rolle spielte und erst kurz vor Unterzeichnung des Koaliti- onsvertrages als zusatzliches zwanzigstes Ministerium von Adenauer eingerichtet wurde, sprengte es die personalpolitischen Absprachen zwischen Union und FDP, die zum Aus- gleich einen liberalen Staatssekretar an Schwarzhaupts Seite forderte. Die Wirren um die Besetzung dieses politischen Amtes sollen in Kapitel 3.4 kurz dargestellt werden.

Wahrend ein beamteter Staatssekretar der fruhen 196oer Jahre ausschliefilich admi­nistrative Aufgaben zu erfullen hatte,12 war die Ministerin fur die politischen Vorgaben zustandig. Wie grenzt sich Gesundheitspolitik von der umfassender definierten Sozialpo- litik ab (Kap. 4.1), und wie war Elisabeth Schwarzhaupts Sicht der Dinge: Muss Gesund­heitspolitik vermehrt auf staatliche Initiativen setzen und dabei den christlich- demokratischen Grundsatz, so wenig staatlicher Verantwortung wie moglich das Wort zu reden, verletzen (Kap. 4.2)? Wo sich Elisabeth Schwarzhaupt in dem ideologisch sehr verminten Feld staatlich oder privat organisierter Gesundheitspolitik selbst positionierte, stellt das vierte Kapitel dar, das auch schlaglichtartig Kernprobleme ihrer Politik betrach-

ten will. Welche Rolle spielte das Grundgesetz, welche die Lander in Elisabeth Schwarz- haupts praktischer Politik (Kap. 4.3 bis 4.5)? Die verfassungsrechtliche Problematik, die dem Schwarzhaupt-Ressort immer wieder zu schaffen machte - sei es bei der Einfuhrung der Schluckimpfung gegen die Kinderlahmung oder in der Ablehnung des Jugendzahn- pflegegesetzes durch den Bundesrat als Konsequenz der konkurrierenden Gesetzgebung -, fuhrte im Gesundheitsministerium zu einer Initiative, die eine Anderung des Grundge- setzes vorsah. Der Kampf Elisabeth Schwarzhaupts mit den eifersuchtig uber ihre Kom- petenzen wachenden Bundeslandern und ihr Versuch, durch eine Verfassungsanderung das Heft des Handels selbst in die Hand zu bekommen, will dieses Kapitel kurz anreifien.

Ebenfalls nur kurz angerissen werden kann der umweltpolitische Aspekt Schwarz- hauptscher Politik. Von der offiziellen Umweltgeschichtsschreibung ignoriert, muss Eli­sabeth Schwarzhaupt sowohl als erste informelle Verbraucherschutz- als auch als erste inoffizielle Umweltministerin Deutschlands gelten. Die ministerielle Verantwortung fur sauberes Wasser, frische Luft und weniger Larm war die einzige Bedingung, die Elisabeth Schwarzhaupt an Adenauer stellte, als dieser ihr das Gesundheitsministerium ubertrug,13 und sie sollte eine der wichtigsten politischen Aufgaben Elisabeth Schwarzhaupts wer­den. Das umwelt- und gesundheitspolitische Aufgabentripel „Reinhaltung von Wasser und Luft“ sowie die „Bekampfung des Larms“ taucht derart ostinat in Schwarzhaupt- schen Reden und Manuskripten auf, dass ihm ein eigenes Kapitel, das funfte, gewidmet ist. Wiederum nur schlaglichtartig sollen fur jeden dieser drei umweltpolitischen Berei- che ein oder zwei beispielhafte gesetzgeberische Mafinahmen Elisabeth Schwarzhaupts vorgestellt werden, die auch ein wenig uber ihre Prinzipien erzahlen, die einesteils unver- ruckbar, andererseits kaum ausgepragt erschienen.

In Elisabeth Schwarzhaupts Amtszeit fiel - sie war gerade einmal funf Tage im Amt - mit dem Contergan-Fall die grofite Arzneimittelkatastrophe der deutschen Geschichte, fur die sie zwar nicht politisch verantwortlich gemacht werden konnte, fur deren schlech- tes Management sie aber heftige Kritik bezog. Dem Contergan-Fall und der gesetzgeberi- schen Reaktion der Gesundheitsministerin durch eine Novelle des Arzneimittelgesetzes sowie dem Verbot irrefuhrender Arzneimittelwerbung ist Kapitel 6 gewidmet, ehe ein kurzer Uberblick uber die zeitgenossische und die akademische Kritik an der Politik der ersten Ministerin Westdeutschlands (Kap. 7) die Arbeit beschliefien soll. Im Anhang schliefilich sind alle Verordnungen und Gesetze, die unter Elisabeth Schwarzhaupts Agi- de in Kraft getreten sind, enumeriert - sie konnen dann einfacher im Bundesgesetzblatt nachgeschlagen werden. Ebenso ist dort ein Organisationsschema des neu gegrundeten Ministeriums angehangt, wodurch die eine oder andere Personalie leichter zuzuordnen ist. Wichtig erscheint mir auch ein kurzer Blick auf die Quellen- und Literaturlage.

1.2 Quellen- und Literaturlage

Elisabeth Schwarzhaupt ware am 7. Januar 2001 einhundert Jahre alt geworden. Zu diesem Anlass gab die Hessische Landesregierung eine 300 Seiten starke Biografie uber die Frankfurterin, die wahrend ihrer Bonner Zeit fur den Wahlkreis Wiesbaden im Bun­destag safi, heraus.14 Diese aktuellste Biografie der ersten Ministerin in einem bundes- deutschen Kabinett stutzt sich in weiten Teilen auf eine mittlerweile vergriffene Biografie, die kurz vor ihrem Tod erschien und noch von ihr selbst autorisiert werden konnte.15 Aus Elisabeth Schwarzhaupts eigener Feder stammt zudem ein autobiografischer Bericht, den sie 1983 fur den Deutschen Bundestag verfasste16, sowie ein von ihr maschinenschriftlich angefertigter, zehnseitiger Lebenslauf, der sich in den Bestanden der Konrad-Adenauer- Stiftung befindet17. Das dort ansassige Archiv fur Christlich-Demokratische Politik schliefilich fuhrte 1976 zu Dokumentationszwecken ein eigenes Interview mit der lang- jahrigen CDU-Bundestagsabgeordneten, das einige neue Fakten aus dem Leben Elisa­beth Schwarzhaupts enthullt.18

Alle diese biografischen Quellen und deren literarische Derivate sind zwar profund und faktenreich, haben aber den wissenschaftlichen Makel, als Primarquellen weitge- hend subjektiv zu sein. Hanna-Renate Laurien hat durch ihr Schwarzhaupt-Portrat in- nerhalb der HR-Sendereihe „Sie pragten Deutschland“ zwar ein wenig fur Abhilfe gesorgt und eine autonomere Biografie der Ministerin verfasst.19 Eine Betrachtung Elisabeth Schwarzhaupts, die speziell ihre Ministerjahre und ihr Wirken als Chefin des Gesund- heitsressorts in den Blick nahme, steht allerdings noch aus - ebenso wie eine historiogra- fische Darstellung der Gesundheitspolitik der I960er Jahre.20

Auch Ursula Salentin und das Autorenduo Heike Drummer und Jutta Zwilling, die die beiden „Standardwerke“ uber das Leben der ersten Ministerin verfasst haben, sparten die Ministerjahre in ihren beiden Biografien ebenfalls weitestgehend aus. Einzig das Ge- sprach Elisabeth Schwarzhaupts mit dem Archiv fur Christlich-Demokratische Politik erhellt ein wenig diesen prominentesten Zeitabschnitt im Leben der Frankfurterin.

Ursula Salentins „Elisabeth Schwarzhaupt - erste Ministerin der Bundesrepublik. Ein demokratischer Lebensweg“ erschien 1986 und fufit auf nur zwei Hauptquellen: Einer- seits beruft sich die Autorin auf ein Gesprach, das sie mit Elisabeth Schwarzhaupt fur die Buchrecherche fuhren konnte, andererseits bedient sie sich autobiografischen Angaben der Ministerin, die dem Sammelband „Abgeordnete des Deutschen Bundestages“ ent- nommen sind.21 Weitere und umfassendere Quellen sind von Ursula Salentin nicht ver- wendet worden22, die Biografie muss daher - obwohl sie als „Standardwerk“ gelten kann - kritisch bewertet werden.

Trotzdem diente sie der zweiten und bislang letzten grofien Biografie Elisabeth Schwarzhaupts, die als „Geschenk“ der Hessischen Landesregierung zum 100. Ge- burtstag der Frankfurterin gelten kann, als Hauptquelle. Die Drummer/Zwilling- Biografie ist umfangreicher und profunder als diejenige Ursula Salentins, sie blendet die Ministerjahre Schwarzhaupts aber ebenfalls fast vollig aus. Heike Drummer und Jutta Zwilling legen - ebenso wie zuvor schon Ursula Salentin - ihr Augenmerk auf die Schwarzhauptsche Familien- und Frauenpolitik, die innerhalb der Unionsparteien zu einem deutlichen Schub hin zu einem moderneren, gleichberechtigteren Frauen- und Familienbild fuhrte und sich auch in der Gesetzgebung niederschlug.

In der Adenauer-Historiografie spielt Elisabeth Schwarzhaupt keine Rolle. Hans-Peter Schwarz, der profundeste Adenauer-Biograf, erwahnt sie aus Chronistenpflicht nur ein einziges Mal, als er auf die Kabinettsliste vom November 1961 zu sprechen kommt. Dass sie die erste Frau in einem westdeutschen Kabinett ist, ist ihm eine Erwahnung wert - mehr aber auch nicht.23 Ebenso sucht man den Namen der Ministerin in den Personen- registern anderer Adenauer-Biografien vergeblich.24 Das kann den Biografen nicht kri­tisch angelastet werden - Adenauer selbst strafte seine erste Ministerin mit Nichtbeach- tung sowohl in seinen Erinnerungen, als auch etwa in den Teegesprachen.25

Die Kabinettsprotokolle der Bundesregierungen, denen Elisabeth Schwarzhaupt an- gehorte, sind zurzeit noch nicht veroffentlicht. Dies verhindert einen Einblick in die Poli- tik der Ministerin aber nicht allzu sehr, da kaum wichtige gesundheitspolitische Debatten in den Kabinettssitzungen zu erwarten sind. Dies gab Elisabeth Schwarzhaupt dem Ar- chiv fur Christlich-Demokratische Politik in St. Augustin 1976 auch zu Protokoll:

Frage: Wie sind so gesundheitspolitische Fragen im Kabinett behandelt worden? Hat Adenauer, haben sich die Kabinettskollegen da ganz auf Sie verlassen, sind die ohne weiteres so vom Tisch, sind die einfach abgehakt worden?

Frau Dr. Schwarzhaupt: Im allgemeinen haben die keine grolJen Debatten hervorgerufen. Vieles davon ist sogar im Umlaufwege erledigt worden, z.B. so etwas wie die Lebensmittel-
kennzeichnungsverordnung oder kleine Anderungen der Tierarzteordnung oder so etwas. Das ist zwar Kabinettssache, wird aber im Umlaufwege schriftlich erledigt.26

In den i96oer Jahren waren gesundheitspolitische Fragestellungen eng mit umwelt- politischen Missstanden verschrankt, Elisabeth Schwarzhaupt konnte darum von der Umweltschutz-Forschung in den Blick genommen worden sein. Doch auch in diesem Wissenschaftsbereich muss Fehlanzeige gemeldet werden: Die Umweltschutz-Forschung nimmt die i96oer Jahre schlicht nicht zur Kenntnis, fur sie beginnt bundesdeutsche Umweltpolitik erst mit der Umweltgesetzgebung der sozial-liberalen Koalition 1971. Dem „Lern- und Arbeitsbuch Umweltpolitik“, das die Bundeszentrale fur politische Bildung im Jahre 2000 herausgegeben hat, muss sogar dezidiert „Verschleierungstaktik“ vorgewor- fen werden: Es „umschifft“ die Umweltpolitik der i96oer Jahre auf eine so gezielte Wei- se, dass dahinter eine Methode vermutet werden muss, die umweltpolitischen Anstren- gungen dieses Jahrzehnts - und damit auch diejenigen Elisabeth Schwarzhaupts - ganz bewusst zu verschweigen.27 Eine Monographie zur Umweltpolitik Elisabeth Schwarz­haupts steht daher ebenfalls noch aus.

Dass Elisabeth Schwarzhaupt weithin vergessen ist, zeigt die Literaturlage im letzten, aber fur sie wichtigsten Bereich am deutlichsten: der Frauen- und Familienforschung. Obwohl Elisabeth Schwarzhaupt als Frauenrechtlerin gelten muss, die bereits 1932 als DVP-Parteimitglied gegen das Frauenbild der Nationalsozialisten anschrieb, im Bundes­tag das Eherecht reformierte, die rechtliche Gleichstellung von ehelichen und uneheli- chen Kindern vorantrieb und schon allein mit ihrer Biografie fur die Gleichstellung von Mann und Frau stand, spielt sie auch in der emanzipatorischen oder gar feministischen Literatur kaum eine Rolle.28 Ihre Biografin Hanna-Renate Laurien konnte sich daruber nur wundern:

Abbildung in dieser leseprobe nicht enthalten

Ich habe leider nicht feststellen konnen, dass man, von dem grolJen Bonner Empfang aus AnlalJ ihres 85. Geburtstages abgesehen, sich in der Gesellschaft und auch in der CDU bewusst war und ist, was sie fur unser Land geleistet hat. Bei der Vorbereitung dieses Beitrages stielJ ich auf abgrundige Unwissenheit auch dort, wo man sie nicht vermutet hatte. Als die Frauen-Union der CDU 1998 ihren 50. Grundungstag feierte und eine flotte Schrift Wir sind am Zug! herausgab, in der sie auch der Vorkampferinnen gedachte, wurden Mathilde Gantenberg, Dr. Else Brokelschen, Dr. Christine Teusch, Helene Weber genannt, wurden Aenne Brauksiepe und Helga Wex zitiert, aber Elisabeth Schwarzhaupt kam nicht vor. Schicksal der Seiteneinsteiger? Nein, aber wohl Schicksal einer Frau, die grolJe Sachkompetenz hatte, vieles auf den Weg gebracht, aber sich in dieser Zeit nicht um den parteilichen Stallgeruch gekummert hat.29

Dass sie in der parteipolitisch eher „links“ einzustufenden feministischen Literatur nicht auftaucht, mag noch verstandlich sein, dass aber selbst die Frauen in ihrer eigenen Partei sie vergessen haben, ist kaum verstandlich. Eine positive Ausnahme innerhalb der Frauen-Forschung stellt daher das Politeia-Projekt der Universitat Bonn dar, dessen poli- tische Frauen-Biographien sowohl auf CD-Rom als auch per Internet erreichbar sind.30 Hier nimmt Elisabeth Schwarzhaupts Kurzbiografie einen - alphabetisch bedingten - Platz zwischen Alice Schwarzer und Elisabeth Selbert ein; damit dokumentieren die Au- torinnen adaquat Schwarzhaupts Platz in der deutschen Frauenbewegung.

Bei dieser dunnen Literaturlage verwundert es nicht mehr, dass auch das Internet im Falle Elisabeth Schwarzhaupts keine allzu reich gefullte Fundgrube ist; zum 100. Ge- burtstag der Ministerin erschienen einige Wurdigungen, und manche frauenpolitisch motivierten Webseiten nehmen sich der Kurzbiografie der Ministerin an. Was aufgrund der doch sehr uberschaubaren Quantitat der Webseiten erschrecken muss, sind die quali- tativen Mangel und schieren Fehler mancher - ansonsten durchaus als serios einzustu- fender - Informationen.

Eklatante Beispiele sind etwa ein ins Netz gestelltes Feature Radio Bremens unter dem Titel „Nicht nur mit den Waffen der Frau. Der lange Weg zur Emanzipation“ der Autorin Heide Soltau, die Ausschnitte aus einem kurzen Audio-Statement Elisabeth Schwarzhaupts von 1983 verwendet.31 Der Beitrag weist zwar korrekterweise darauf hin, dass Schwarzhaupt als Justizministerin gehandelt wurde, schiebt ihr dann aber falschli- cherweise das Familienministerium unter - ein aufgrund des verwandten Archivmateri- als unverstandlicher Schnitzer, der der Autorin hier unterlaufen ist.32

Ist die Ministeriumskonfusion im Radio-Feature als Unkonzentriertheit der Autorin hinnehmbar, muss vor dem Schwarzhaupt-Artikel des Biographisch-Bibliographischen Kirchenlexikons hingegen dringend gewarnt werden - die wenigen Zeilen strotzen nur so vor Fehlern und Fehlinterpretationen.33 Wenn der Autor des Artikels, Konrad Fuchs, behauptet, Elisabeth Schwarzhaupt habe sich 1945 der CDU angeschlossen, sei am 14.1.1961 Ministerin geworden und habe 1966 das Bundesverdienstkreuz sowie 1967 die hessische Wilhelm-Leuschner-Medaille erhalten, dann sind alle diese Fakten falsch da- tiert - sie sind aber teilweise als Druckfehler und Zahlendreher zu erklaren.34 Argerlicher ist die inhaltliche Verdrehung der Tatsachen, die Fuchs vornimmt. Mit dem Satz: „Als Bundestagsabgeordnete engagierte sie sich fur eine konservative Ehegesetzgebung, die eine Erschwerung der Ehescheidung vorsah“, der zudem der einzige vollstandige Satz des gesamten Artikels ist, zeichnet Fuchs ein Zerrbild sowohl der Ministerin als auch ihrer Familienrechtsreform - diese wird in Kapitel 2.4 etwas naher erlautert.35 Dass Fuchs daruber hinaus die Erfolge Schwarzhaupts in der Gesundheits- und Umweltpolitik, in der Gleichstellung von Mann und Frau sowie in der Gleichstellung von ehelich und unehelich geborenen Kindern schlicht verschweigt, zeichnet ein sehr unsympathisch-reaktionares Bild der Oberkirchenratin und wird ihr inhaltlich damit nicht gerecht. Die Biografie der Ministerin in Kapitel 2 kann dieses Bild revidieren.

Die Quellenlage ist hingegen gut: Sowohl im Archiv fur Christlich-Demokratische Po- litik in St. Augustin sowie im Bundesarchiv Koblenz sind Nachlasse der Ministerin einzu- sehen, zudem sind im Bundesarchiv auch die nachgelassenen Akten ihres Ministeriums vorhanden. Aus diesen Quellen lasst sich sowohl ihre Biografie als auch die grofien Linien ihrer Politik nachzeichnen.36

2 Das Leben Elisabeth Schwarzhaupts

Ich wurde 1901 in Frankfurt geboren, also gerade rechtzeitig, um zwei Weltkriege, zwei Inflationen und die Bedrohung der Erde mit einem dritten, einem Atomkrieg, mitzuerleben.37

Elisabeth Schwarzhaupt (1982) ier Jahre vor ihrem Tode am 30. Oktober 1986 blickte Elisabeth Schwarzhaupt auf ihr Leben zuruck und schrieb diesen obigen zynischen Einstieg fur eine autobiographische Skizze nieder. War sie eine Zynikerin? Man kann Elisabeth Schwarzhaupt zwar nicht in einfach psychologische Kategorien fassen, aber Zynismus lag ihr wirklich fern. Im Gegenteil: Liselotte Funcke, die mit ihr im Bundestag safi, charakte- risierte die Frankfurterin folgendermafien:

Ich schatzte an ihr ihre Zuverlassigkeit, Offenheit, Menschlichkeit, ihre personliche Bescheidenheit und ihren Mut, ihre Meinung auch gegen andere Vorstellungen ihrer Partei zu vertreten. Man merkte ihr an, dass sie in einem liberalen Elternhaus grolJ geworden war und daraus die Kraft zu unabhangigem Denken und Handeln bezog.38

Obwohl Elisabeth Schwarzhaupt bereits 60 Jahre alt war, als Adenauer sie zur Minis- terin berief, war ihre Personlichkeit immer noch nicht machtpolitisch korrumpiert, son- dern hatte sich die Ideale ihres Elternhauses bewahrt. Sie war, obwohl sie burgerlich aufwuchs, einfach in ihren materiellen Anspruchen geblieben. Um Elisabeth Schwarz­haupts politisches Denken also zu verstehen, muss kurz ihre Biografie betrachtet werden.

2.1 Kindheit und Jugend

Wenn ich [die] heute gangigen Darstellungen von der repressiven Familienerziehung fruherer Generationen lese, finde ich meine Kind­heit und mein Elternhaus nicht wieder. Ich wurde nie geschlagen. Wer nicht punktlich oder mit ungewaschenen Handen zum Essen kam, der musste damit rechnen, dass ihm der sonntagliche Nachtisch entzogen wurde. Das war bitter, aber ich glaube nicht, dass es mich seelisch geschadigt hat. Ernsthaft bestraft wurde, wer gelogen hatte.39 Elisabeth Schwarzhaupt (1982)

Elisabeth Schwarzhaupt wurde am 7. Januar 1901 in Frankfurt am Main geboren. Ihr Elternhaus - Ursula Salentin zufolge „christlich, liberal, konservativ und national ge- sinnt“40 - gehorte dem Frankfurter Bildungsburgertum an. Vater Wilhelm war zunachst Lehrer, dann Oberschulrat in der Handelsstadt am Main, was die spatere Berufswahl der Tochter nicht unbedeutend beeinflusste. Zudem war Wilhelm Schwarzhaupt politisch in der Deutschen Volkspartei unter Gustav Stresemann aktiv, fur die er von 1918 bis 1933 im Preuhischen Landtag safi und deren Vorgangerin, der Nationalliberalen Partei, er be- reits im Kaiserreich angehorte.41 Als „uberzeugter Anhanger Gustav Stresemanns“ sei ihr Vater starker „dem linken Flugel der Deutschen Volkspartei zuzurechnen gewesen [...] als dem rechten, dem der Industriellen von Rhein und Ruhr.“42

Ihre Mutter Frieda, geborene Emmerich, entstammte einer wohlhabenden Kauf- mannsfamilie und erhielt, zusammen mit ihrer Schwester, um 1895 eine Ausbildung zur Lehrerin - was zu dieser Zeit fur Madchen ihrer Schicht alles andere als ublich war. Si- cher ist, dass ein liberaler Geist im Elternhause der Mutter geherrscht haben muss - zu- mindest erinnert sich Elisabeth Schwarzhaupt in ihrem Lebensbericht an die fortschritt- liche Grundeinstellung ihres Grofivaters, „der meinte, seine Tochter sollten nicht darauf angewiesen sein, ,einen Mann zu bekommen’.“43 Diese Haltung war in den patriarcha- lisch strukturierten 1890er Jahren zwar nicht die Regel, aber doch hier und da vorhan- den - und griff zudem immer mehr Raum, vor allem in intellektuellen Kreisen:44

Meine Eltern, und in besonderem Male eine Schwester meiner Mutter, waren von der Frauenbewegung der achtziger Jahre, von Schriften von Helene Lange und Gertrud Baumer beeinflult. Mein Elternhaus war bewult evangelisch und liberal im Sinne von Friedrich Naumann.45

Diese Grundkonstellation, dass beide Elternteile ausgebildete Lehrer waren und sich mit fortschrittlichem Gedankengut auseinander setzten, pragte Elisabeth Schwarzhaupts weitere personliche Entwicklung, eine der wichtigsten Weichenstellerinnen bundesdeut- scher Gleichstellungspolitik zu werden. Die Rolle, die ihre Mutter als faktischer Haus- haltsvorstand wahrend des Ersten Weltkrieges eingenommen hatte - ihr Vater war als Lazarettinspektor eingezogen worden - tat ein Ubriges hin zu dieser Entwicklung:

Meine Mutter war in eine Ubergangszeit der Entwicklung vom Grolfamilien-Haushalt zu der modernen Kleinfamilie geraten, ohne dal der familiare Lebensstil und das Rollenverstandnis der Frau diesen Veranderungen gefolgt waren. Dal ich dies in dem aufnahmefahigen Alter zwischen dreizehn und neunzehn Jahren miterlebte, hat mich immer wieder in doppelter Weise bewegt. Ich selbst wollte diese Rolle, die meine Mutter vorlebte, nicht ubernehmen. Zu einem Thema meines Lebens wurde die Frage, wie man die Rolle der Frau an neue Gesellschaftsformen so anpassen konnte, dal sie Kinder haben und doch mit gleichen Entwicklungschancen leben konnte wie der Mann.46

Elisabeth Schwarzhaupt kam bereits in der Schulzeit in den Genuss jener „gleichen Entwicklungschancen“: Sie besuchte die Frankfurter Schillerschule, zu dieser Zeit wohl die beste Madchenschule Deutschlands, die als erste Frankfurter Schule uberhaupt Mad- chen zum Abitur fuhrte.47 Ostern 1920 bestand sie hier die Reifeprufung und wollte Journalistin werden, was der Vater aber ablehnte. Statt dessen empfahl er „der Ungluck- lichen“48, ein Examen als Lehrerin fur Volks- und Mittelschulen am Oberlyzeum abzule- gen. „Unwillig und nicht besonders gut“49 bestand sie ein Jahr spater, wusste aber unab- anderlich, dass sie auf keinen Fall Lehrerin werden wollte. Ihre Eltern waren beide Lehrer; sie hielt sich jedoch fur „ganz unbegabt fur padagogische Aufgaben“50, uberrasch- te ihren Vater stattdessen mit dem Vorschlag, Jura studieren zu wollen:

Jugendrichter oder Vormundschaftsrichter wollte ich werden. Mein Vater stimmte zu, obgleich damals Frauen noch nicht zum Richteramt zugelassen wurden; aber er verliel sich darauf, dal dies bald kommen wurde, und dal Juristinnen auch in der Verwaltung in den kommenden Jahren Chancen hatten.51

Fur die Zwanziger und Dreidiger Jahre war diese Perspektive zutreffend - mit der Machtubernahme der Nationalsozialisten sanken die Chancen von Juristinnen auf eine Richterkarriere aber auf Null. Elisabeth Schwarzhaupt hat eine solche Entwicklung vor- ausgeahnt und in den fruhen Dreidiger Jahren - noch bevor Hitler an die Macht kam - vor dem indiskutablen Frauenbild der Nazis gewarnt.

2.2 Agitation gegen den Nationalsozialismus

Der Anfang des Dritten Reiches war fur meine Umwelt und fur mich personlich in vieler Hinsicht ein Ende, ein Zusammenbruch. Der Tag, der diesen Zusammenbruch einleitete, der 30. Januar 1933, verlief aber denkbar undramatisch. Er brachte zwar grolJe Uberschriften in den Zeitungen; das, was uns bevorstand, war verdeckt durch die Schau, mit der dieser Kanzlerwechsel vor sich ging. Das Unheil kam auf leisen Sohlen angeschlichen.52 Elisabeth Schwarzhaupt (1982)

In den dreidiger Jahren des 20. Jahrhunderts begann Elisabeth Schwarzhaupts politi- sches Engagement, das zuvor schon durch Tischgesprache ihres Vaters mit Landtagskol- legen, die immer mal wieder auf der Durchreise durch Frankfurt waren, geweckt wurde. Die Initialzundung, politisch aktiv zu werden, bekam sie allerdings in der Auseinander- setzung mit dem aufkommenden Nationalsozialismus. Die Lekture von Adolf Hitlers „Mein Kampf" und Alfred Rosenbergs „Mythos des zwanzigsten Jahrhunderts", die sie 1928 von einem Studienfreund wahrend ihrer Referendarausbildung in Berlin bekam, „erschutterte"53 sie.

Lange Zeit uber war Elisabeth Schwarzhaupt parteipolitisch inaktiv geblieben. Nun trat sie der Deutschen Volkspartei bei. Es war ihr klar geworden, dalJ man sich gegen diese Gefahr organisieren mulJte. Die frauenfeindliche Haltung der Nationalsozialisten - ihre reinmannlich ausgerichteten Strukturen, ihr dummlich biologisches Frauenbild - wurde ihr zum AnstolJ, aktiv gegen diese Bewegung anzugehen, vor Hitler zu warnen.54

Schwarzhaupts politische Agitation gegen den Nationalsozialismus beschrankte sich nicht nur auf Wahlkampfreden im kleinen Kreis - sie gewann auch zunehmend Publizi- tat, und sie suchte diese. 1932 vertrieb die Deutsche Volkspartei daher zwei Broschuren Schwarzhaupts mit den Titeln: „Was hat die deutsche Frau vom Nationalsozialismus zu erwarten?“55 und „Die Stellung der Frau im Nationalismus.“56 Diese Wahlkampfbroschu- ren, die sogar zweimal aufgelegt wurden57, stutzten sich auf einen Artikel, den die junge Assessorin in der Frankfurter Zeitung bereits Ende der zwanziger Jahre veroffentlicht hatte. Hauptpunkte der Schriften: Warnung vor einem „rollback“ der bisher erreichten Frauenrechte in einem nationalsozialistischen System, sei es:

Punkt 1: die „grundsatzliche Ablehnung“ politischer Mitwirkung der Frauen,

Punkt 2: die „Ruckkehr der Frau aus dem Berufsleben“ mit einer sofortigen „Entfernung aller Madchen und Frauen aus den Buros und offentlichen Stellen“,

Punkt 3: die „Verdammung“ der Madchenbildung „in Grund und Boden“, sowie Punkt 4: den Verlust des Staatsburgerrechtes fur unverheiratete Frauen und die Entrechtlichung verheirateter Frauen hin zur „Verpflichtung, in moglichst grower Zahl dem Staat Kinder zu gebaren“.58

Fur Elisabeth Schwarzhaupt ein nur schwer zu akzeptierendes Frauenbild, das die fuhrenden Nationalsozialisten - unter ihnen auch Josef Goebbels - propagierten: „Die- ses Menschenbild“, so schreibt sie 1982 in einem Aufsatz uber ihre personlichen Erfah- rungen mit dem Nationalsozialismus, „war weit entfernt von den Auffassungen meines Elternhauses, es widersprach meinem eigenen Lebensstil und dem, was ich mir fur mein Leben vorgenommen hatte.“59

Abbildung in dieser leseprobe nicht enthalten

Ich war eingetreten fur die Ziele der liberalen Frauenbewegung. Ich bewunderte Helene Lange, Gertrud Baumer, Marianne Weber, Agnes von Zahn-Marnack. Ich war Mitglied in dem Vorstand der Frankfurter Frauenverbande und im Deutschen Akademikerinnenbund. Wir glaubten an eine Entwicklung, die der Frau einen weiteren Lebensraum eroffnen wurde.60

Diesen „weiteren Lebensraum“ wollte ihr der Nationalsozialismus nicht zugestehen, beschnitt ihre berufliche Perspektive und - weitaus lebensbedrohlicher - diejenige ihres Verlobten, der judischen Glaubens war. Doch bevor Hitler an die Macht kam, bekannte Elisabeth Schwarzhaupt ihre ablehnende Haltung gegenuber dem frauenfeindlichen As- pekt im nationalsozialistischen Gedankengut auf Vortragen, etwa bei Frauenverbanden, zu denen sie „ohne [...] Zutun“61 eingeladen wurde, sowie auf Wahlkampfveranstaltungen der DVP, die sie durch ganz Hessen fuhrten. Dabei blieb es naturlicherweise nicht aus, dass sie im Wahlkampf von Nationalsozialisten verbal angegriffen wurde - auf einer Wahlkampfveranstaltung in Bad Homburg wurde sie niedergeschrieen. 1932 wurde sie sogar auf eine vermeintliche Frauenversammlung der NSDAP nach Hochst am Main ein­geladen, um dort mit einem - vorgeblich - ausschliefilich weiblichen Publikum zu disku- tieren. „Sie sagte zu. In Wahrheit handelte es sich jedoch um eine grofie Parteikund- gebung fur Frauen und Manner im Saal des Volksbildungsheims.“62 Nach einer zweistun- digen Rede des Hochster Nationalsozialisten Becker, der die Frauenfrage marginalisierte und nur ein Ziel hatte, namlich „die Versammlungsteilnehmer murbe zu machen resp. ihr Interesse fur die Gegenrednerin, Frau Schwarzhaupt, lahm zu legen“63, wurde es im Saal sehr ungemutlich, eine starke Unruhe machte sich breit. „Ehe ich ein paar Worte gesagt hatte,“ erinnert sie sich gegenuber Ursula Salentin, „wurde ich niedergebrullt. Was ich sagen wollte, redete ich in eine tobende Menge hinein, von den wenigsten uberhaupt verstanden. Dennoch hielt ich durch und trug meine Angriffe gegen Hitlers Vorstellun- gen sachlich vor. Ich bin dann mit meiner Mannschaft, die in einer Saalecke zusammen- safi, unter Protest weggegangen.“64

Privat litt Elisabeth Schwarzhaupt auf eine ganz besondere Weise unter dem national- sozialistischen Regime: Ihr Verlobter, ein judischer Arzt aus Gelsenkirchen, musste be- reits im April 1933 vor den Nazis emigrieren. Zuerst ging er in die Schweiz,65 spater floh er in die USA, wo er eine ebenfalls emigirierte Deutsche judischen Glaubens heiratete. Schwarzhaupt blieb mit ihrem ehemaligen Verlobten und dessen Frau in losem Kontakt, besuchte das Ehepaar auch haufiger in den USA, heiratete ihrerseits aber nicht mehr und nahm auch „keine Liebesbeziehung mehr zu einem Mann auf“.66 Der Zerstorung ihres privaten Glucks durch die Nazis folgte auch die Zerstorung ihrer beruflichen Plane - eine
berufliche Neuorientierung bescherte ihr allerdings eine bis dahin einzigartige Karriere innerhalb der Evangelischen Kirche.

2.3 Berufsverbot und Oberkirchenrat

Elisabeth Schwarzhaupt wollte Richterin werden67 - Frauen in einer solchen Position waren mit nationalsozialistischem Gedankengut jedoch unvereinbar. Ein Schreiben des Reichsministers der Justiz, unterschrieben vom beruchtigten NS-Richter Dr. Freisler, vom 16. Januar 1936 beendete denn auch abrupt Schwarzhaupts Berufswunsch:

Der Fuhrer und Reichskanzler hat angeordnet, dalJ Frauen in Zukunft nicht als Richter oder Rechtsanwalt angestellt oder als Rechtsanwalt zugelassen werden. Von dieser Entschei- dung wird eine grolJere Anzahl von Gerichtsassessorinnen, Assessorinnen und Referenda- rinnen beruhrt. [...] Nach der Entscheidung des Fuhrers und Reichskanzlers konnen diese Rechtswahrerinnen im Staatsdienst nur noch als Verwaltungsbeamte Verwendung finden.68

Eine berufliche Degradierung zur blofien „Aushilfe“ ohne Option auf eine Anwaltsstel- le - diese Art nationalsozialistischer Beschaftigungspolitik fur Frauen hatte Elisabeth Schwarzhaupt bereits 1932 befurchtet.69 Dabei begann ihre juristische Karriere hoff- nungsvoll: Nach einem guten juristischen Examen hatte sie die Aussicht auf eine Festan- stellung am Dortmunder Amtsgericht, an dem sie bereits als Assessorin arbeitete; sie wollte Amtsgerichtsratin werden. Sofort nach der „Machtergreifung“, von der Elisabeth Schwarzhaupt beim Skilaufen mit ihrem Verlobten in der Schweiz erfuhr, anderte sich die Atmosphare an ihrem Arbeitsplatz schlagartig:

In der ersten Gerichtsverhandlung, die ich zu leiten hatte, trat ein Wechselschuldner, der von seinem judischen Glaubiger verklagt worden war, in SA-Uniform auf und erklarte, dass er diesem Juden nichts zahlen wurde. Mir fuhr die Entgegnung heraus: „Bei mir geht es nicht nach der Konfession, sondern nach der Wechselordnung“. Die Anwalte, die in dem Gerichtssaal auf den Aufruf ihrer Sache warteten, feixten, zum Teil frohlich, zum Teil bose. Im Februar 33 konnte man sich eine AulJerung dieser Art noch leisten.70

Diese AuBerung hatte fur sie glucklicherweise keine negativen Konsequenzen - ihre berufliche Karriere als Richterin war mit der Machtubernahme Hitlers ohnehin been- det.71 Sie ging nach Frankfurt zu ihren Eltern zuruck und wollte, um die Zeit sinnvoll zu nutzen, um an der dortigen Universitat promovieren, als ein Jugendfreund ihr anbot, in Berlin die juristische Beratung in der Zentrale des Deutschen Rentnerbundes zu uber- nehmen, einem Verband, „der sich devot dem ,Fuhrer’ verschrieben hatte und von Adolf Hitler erwartete, dass er der Klientel endlich den ihr gebuhrenden Platz in der ,Volksge- meinschaft’ zuwies.“72 Glucklich war sie an dieser Arbeitsstelle nicht, und so ergriff sie die berufliche Chance, die ihr ein Oberkonsistorialrat aus der Kanzlei der Deutschen Evangelischen Kirche bei einem Abendessen anbot: sie bewarb sich um ein juristisches Referat bei der Kirchenkanzlei. Das sollte eine grundlegende Entscheidung hin zu ihrer spateren Ministerkarriere bedeuten. Und schon die Zwischenetappe, die sie als Oberkir- chenratin der Evangelischen Kirche erreichen sollte, war ganzlich ungewdhnlich - auch hier war Elisabeth Schwarzhaupt Pionierin, wurde sie doch funf Monate vor Kriegsbe- ginn 1939 zur „ersten Kirchenbeamtin in Deutschland“ ernannt.73

Das ist deswegen ein erstaunlicher Vorgang, da auch die evangelische Kirche der „Fuhrererlass“, dass Juristinnen nur Hilfsjobs ausfuhren durften, bereits erreicht hatte, als Elisabeth Schwarzhaupt am 16. Marz 1936 ihre Arbeit in der Kanzlei der Deutschen Evangelischen Kirche (DEK) aufnahm. Ganz im Sinne des Erlasses wurde der mittlerwei- le promovierten Juristin nur ein Hilfsjob fur gerade einmal 362 Reichsmark monatlich in der Kirchenkanzlei angeboten, wahrend ein mannlicher Kollege sofort als Konsistorialas- sessor verbeamtet wurde. In der Logik dieses Erlasses ware eine hochwertige Beam- tenstelle fur Elisabeth Schwarzhaupt wahrend des nationalsozialistischen Regimes nie- mals in Betracht gekommen - der Leiter der Kirchenkanzlei Friedrich Werner jedoch verwandte sich fur sie beim zustandigen Reichsministerium fur kirchliche Angelegenhei- ten, woraufhin der Reichsminister am 1. April 1939 sein Einverstandnis erklarte, Elisa­beth Schwarzhaupt „als erste Frau zur Konsistorialratin zu ernennen und in das Beam- tenverhaltnis auf Lebenszeit zu ubernehmen.“74 Dieser fur das Naziregime auBergewdhnlichen „Bef5rderung“ folgte am 1. August 1944 eine weitere: Die erste Kir­chenbeamtin wurde zur Oberkonsistorialratin (sprich: zur Oberkirchenratin) ernannt.75

Auch nach Kriegsende blieb Elisabeth Schwarzhaupt „die erste und einzige Frau in der obersten Kirchenverwaltung“76, obwohl sie kurzzeitig mit einer Stelle im Justizdienst des neugegrundeten Landes GroB-Hessen liebaugelte. Die Bewerbung beim ersten Minister- prasidenten des Landes, Georg August Zinn (SPD), zog sie jedoch sechs Monate spater wieder zuruck, um bei der Neukonstituierung der evangelischen Kirche in den westlichen Besatzungszonen mitzuarbeiten. Damit begrub sie zwar endgultig ihre „spaten Hoffnun- gen auf eine Karriere als Richterin“77, er5ffnete sich selbst aber die M5glichkeit, ins kirchliche AuBenamt zu wechseln, das vom Begrunder des Pfarrer-Notbundes, Martin Niemdller, 1946 in Frankfurt gegrundet wurde. Wahrend Elisabeth Schwarzhaupt in der Kirchenkanzlei mit inneren Angelegenheiten der Evangelischen Kirche Deutschlands sowie deren Vertretung gegenuber Staat und Offentlichkeit befasst war, erdffnete sich im AuBenamt fur sie ein vdllig neuer Aufgabenbereich:

Das begluckendste an der Arbeit im kirchlichen AuBenamt war, dass sich das Tor zur Welt fur uns offnete. Wieder uber die Grenzen des eigenen Landes hinauszusehen, mit Menschen aus aller Welt zusammenzukommen, von ihren Problemen zu horen, war fur uns, wie die wir fast funfzehn Jahre eingesperrt waren, ein bewegendes Erlebnis.78

Hauptaufgabe des kirchlichen AuBenamtes war die Leitung der Arbeit der Auslands- gemeinden sowie der Pflege dkumenischer Beziehungen - dass es sich zusatzlich in Schwarzhaupts Heimatstadt befand und sie sich daher besser um ihre mittlerweile uber 70 Jahre alten Eltern kummern konnte als von Berlin, Gdttingen oder Schwabisch Gmund79 aus, war ein erfreulicher Nebeneffekt fur die Frankfurterin.

Martin Niemdller, der „kirchliche AuBenminister“, bot der Frankfurter Juristin 1947 ein juristisches Referat im AuBenamt an, das ab November 1947 „notdurftig“80 am Sach- senhausener Schaumainkai 23 arbeitete. Im Oktober 1948 nahm Schwarzhaupt ihre Ta- tigkeit auf. Als ehrenamtliche Vorsitzende des Evangelischen Frauenwerks Deutschlands (EFD), das innerhalb der EKD organisiert war, gewann Elisabeth Schwarzhaupt in der Diskussion um den „Abtreibungsparagrafen“ § 218 StGB einen ersten Einblick in ihre spatere Tatigkeit als Ministerin. Juristische Fragestellungen verbanden sich hier mit ge- sundheitlichen, nahmen also schon ihre spatere Mittlerrolle zwischen medizinischen Notwendigkeiten einer- und rechtlichen Gegebenheiten andererseits vorweg. Obwohl die Debatte um die Straffreiheit von Schwangerschaftsabbruchen eine dezidiert juristische war und deswegen in der gesamten bundesrepublikanischen Geschichte federfuhrend im Justizministerium ressortierte, gab es einen medizinischen Aspekt, bei dem Elisabeth Schwarzhaupt und mit ihr das EFD ihre ansonsten prinzipiell ablehnende Haltung ge- genuber Schwangerschaftsabbruchen aufgaben: War das Leben der Mutter durch Schwangerschaft oder Geburt gefahrdet, dann musste die Erhaltung des Lebens der Mut­ter als vorrangig gegenuber dem Leben des noch ungeborenen Kindes betrachtet werden. Eine Tdtung des Kindes musste in diesem einen Fall zugunsten des Lebens der Mutter hingenommen werden und daher straffrei sein. Schwangerschaftsabbruche aus sozialen oder eugenischen Grunden lehnte das Evangelische Frauenwerk jedoch ebenso katego- risch ab wie Schwangerschaftsabbruche nach Vergewaltigungsdelikten.

Die Arbeit, die Elisabeth Schwarzhaupt als Oberkirchenratin zu ubernehmen hatte, war also eine familienpolitische, was ihr einen Vorgeschmack auf ihre Arbeit als Abge- ordnete gab. Ohne eine Kenntnis ihrer Biographie, die sie als eine der ersten deutschen Abiturientinnen zu einer der ersten Richterinnen und - durch ihr beherztes Ergreifen aller ihr angebotenen beruflichen Chancen - schlieBlich zur ersten Oberkirchenratin Deutschlands fuhrte, ist ihre Ministerkarriere nicht verstandlich. Nur aufgrund ihreradministrativ-juristischen Arbeit im Aubenamt der EKD einer- sowie ihrer familienpoli- tischen Arbeit im Evangelischen Frauenwerk andererseits eroffnete sich ihr die Chance - und abermals wurde sie ihr angeboten -, far den Bundestag zu kandidieren.

2.4 Die Bonner Zeit

1949 wurde ich von einigen Frankfurter Frauen gefragt, ob ich bereit ware, an sicherer Stelle fur den Bundestag zu kandidieren. Ich konnte mich damals noch nicht entschlielJen, das kirchliche AulJenamt zu verlassen. In den darauf folgenden Jahren hatte ich einige Unterhal- tungen mit Hermann Ehlers, den ich von der Verfassungskommission der Evangelischen Kirche kannte. Es waren wohl vor allem diese Unterhaltungen, aber auch Enttauschungen und Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit im Kirchlichen AulJenamt, die mich veranlalJten, in die CDU einzutreten und 1953 zum erstenmal fur den Bundestag zu kandidieren.81

Elisabeth Schwarzhaupt (1982)

Elisabeth Schwarzhaupt trat - kurz bevor sie in den Bundestag gewahlt wurde - 1953 in die CDU ein.82 Als 1952 der Prasident des Bundestags, Hermann Ehlers ihr personlich „zuredete“ 83, lieb sie sich von einer Kandidatur uberzeugen - wenngleich diese Kandida- tur, anders als heute, wie sie augenzwinkernd sagt, mit erheblichen finanziellen Einbu- ben einherging, sie die Halfte ihres Referats im kirchlichen Aubenamt aufgeben musste.84

Mein entscheidendes Motiv fur die Annahme eines Mandats war wohl, daJ mich die Beobachtung der vier Jahre Bundestag von 1949-1953 beeindruckt hatte. Ich hatte gesehen, daJ hier mit Idealismus und mit grolJer Einsatzbereitschaft ein Neuaufbau unseres sowohl moralisch wie materiell zerstorten Landes versucht wurde. Personlichkeiten wie Heuss und Adenauer machten mir Eindruck.85

Sie trat fur den Wahlkreis Wiesbaden an, unterlag aber gegen den Freidemokraten Viktor Emanuel Preusker.86 Vier Jahre spater, als „das Ansehen Adenauers in weiten

Schwarzhaupt, Maschinenschriftlicher Lebenslauf, ACDP 01-048-001/3, S. 7.

Vgl. hierzu auch: Schwarzhaupt, Archivgesprach, ACDP 01-049-001/2, S. 1.

Hermann Ehlers (1904-1954), war Mitglied der Bekennenden Kirche und seit 1945 Synodalmitglied der EKD. Er salJ von 1949 bis zu seinem Tode fur die niedersachsische CDU im Bundestag, dessen Prasi­dent er 1950 und erneut 1953 wurde. Vgl. u.a. Gotthard Jasper, Hermann Ehlers, in: Walter L. Bern- ecker und Volker Dotterweich (hg.), Personlichkeiten und Politik in der Bundesrepublik Deutschland, Band 1, Gottingen 1982, S. 105-112.

Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 258: „Ich [...] mulJte genau uberlegen, ob ich mit den Diaten, die zunachst einmal zur Deckung der Unkosten fur das Wohnen in Bonn bestimmt waren, auskommen wurde. Jedenfalls reichten sie gerade aus [...]. Sie waren keineswegs eine Verbesserung meiner finan- ziellen Lage.“ Ebd.

Elisabeth Schwarzhaupt vermutet gegenuber Heribert Koch wahltaktische Grunde der sehr rechtslasti- gen Wiesbadener CDU zugunsten der nationalistischen FDP hinter ihrer Nominierung: „Dann bin ich in Wiesbaden als Wahlkreiskandidatin aufgestellt worden, ich habe den Verdacht aus einem gar nicht so sehr edlen Grund. Namlich damals war der Wiesbadener Kandidat von 1949 ab Herr Preusker - ein Kreisen der Bevolkerung auf dem Hohepunkt war“ und die CDU bundesweit eine absolu­te Mehrheit erreichte, gewann auch Schwarzhaupt ihren Wiesbadener Wahlkreis - mit zwei Prozent mehr Erststimmen als Zweitstimmen: „Ich verstand das nicht nur als einen Erfolg meiner fleibigen Bemuhungen, sondern auch als einen Gegenbeweis gegen die oft geauberte Meinung, die Wahler hatten kein Vertrauen zu einer Frau als Abgeordneter.“87 Da ihr beruflicher Wunsch gewesen war, Familienrichterin zu werden, lag ihr politisches Interesse folgerichtig auf der Familienpolitik - hier lag in den Funfziger und Sechziger Jahren der Schlussel fur eine durchgreifende Gleichstellung der Geschlechter.

Im Bundestag habe ich von Anfang an meine Aufgabe im RechtsausschulJ gesehen. Meine erste Rede im Plenum hielt ich im Februar 1954 zu dem Thema „Anderung des Familien- rechts“, insbesondere zu dem Thema „Letztentscheidungsrecht des Vaters in Angelegenhei- ten der Mutter.“ Ich erhielt mehr Beifall von Seiten der SPD als von meiner eigenen, damals noch weit mehr als heute katholisch-patriarchalisch bestimmten Fraktion.88

Spatestens mit dieser Rede zeigte sich, dass Elisabeth Schwarzhaupt eben nicht einem klerikal-reaktionaren Familienbild anhing. Es ging um die Frage nach der Neuregelung der elterlichen Gewalt, wie sie im Burgerlichen Gesetzbuch bislang geregelt war: Wer hat das Letztentscheidungsrecht in allen Angelegenheit der Familie und der Kinder? Bislang war dieses Recht allein dem Vater als „Familienoberhaupt“ zugedacht. Und die CDU wollte diese Rechtslage auch - freilich etwas „weicher“89 formuliert - weiterhin so beibe- halten wissen.

Ich war anderer Meinung. Ich war der Meinung, man konne durchaus sagen, beide Eltern haben uber die Angelegenheiten der Kinder zu entscheiden. Und das bedeutete naturlich, dass, wenn sie sich mal wirklich nicht einigen konnten, das Vormundschaftsgericht zu ent­scheiden hatte. Ich war aber der Uberzeugung, die sich bestatigt hat, dass keine Blinddarm- operation eines Kindes daran gescheitert ist, dass die Eltern sich nicht uber den Operateur entscheiden konnten.90

Mit dieser Auffassung stellte sich Elisabeth Schwarzhaupt gegen die Meinung ihrer Fraktion. Aber auch die veroffentlichte Meinung lobte sie91 - und selbst innerhalb der CDU hinterlieB diese, in der Schwarzhaupt-Biografie durchgangig als „Jungfernrede“ bekannte Rede einen derart positiven Eindruck, dass sie ihr den Weg in die Fuhrungs- spitze der Fraktion ebnete. Ihre Fraktionskollegin Else Brdkelschen, mit der sie auch das Abgeordnetenburo teilte, schlug sie deswegen spater fur den stellvertretenden Fraktions- vorsitz vor.92

Ein zweiter wichtiger Punkt ihrer vorministeriellen Abgeordnetenzeit war ebenfalls im Familienrecht beheimatet: die erwahnte Reformierung des § 48 Abs. 2 Satz 2 des Ehegesetzes. Da die Anderung dieses „Scheidungsparagrafen“ auf den ersten Blick in der Tat wie ein familienrechtlicher Ruckschritt erschien, weil er Ehescheidungen tatsachlich erschwerte, belastete er die Reputation der liberalen Protestantin zeit ihres Lebens als vermeintlicher Beleg ihres kirchentreuen Festhaltens an einer uberkommenen Ewig- keitsvorstellung der Ehe. Die Kritiker Schwarzhaupts haben jedoch den sozial- und gleichstellungspolitischen Impetus dieser Eherechtsinitiative entweder ubersehen oder aus argumentativen Grunden nicht sehen wollen. Deswegen muss er hier einmal deutlich gemacht werden.

Schwarzhaupts Eherechtsinitiative von 1961 (Widerspruchsrecht in § 48 Abs. 2 Ehege- setz) war gegen den Geist der NS-Gesetzgebung gerichtet, die im Eherecht der fruhen i96oer Jahre immer noch partiell in Kraft war: Das 1946 von den grdbsten Nazi- Vorschriften bereinigte Eherecht erlaubte dem Mann weiterhin, sich ohne groBen Aufhe- bens von seiner Ehefrau zu trennen; eine Rechtslage, die, so Elisabeth Schwarzhaupt, vor 1945 „offensichtlich fuhrenden Nationalsozialisten dazu verhelfen sollte, ihre alten Ehe- frauen loszuwerden.“93 Elisabeth Schwarzhaupt trat zwar fur ein Widerspruchsrecht des nicht oder nur minder schuldigen Ehepartners ein, was in der Tat die Scheidung er- schwerte. Dieser Einsatz war aber nicht „der klerikal-konservativen Haltung weiter Teile der Union geschuldet, die von der grundsatzlichen Unaufldslichkeit der Ehe ausging“94, sondern entstand aus der Analyse einer sozialpolitischen Schieflage: „Ihr waren zu viele Falle bekannt, in denen altere Ehefrauen nach der Scheidung in demutigender Weise um einen durftigen Unterhalt hatten kampfen mussen.“95 Ihre Argumentation belegt diese Verscharfung des Scheidungsrechts aus wirtschaftlichen Grunden:

Nach langerer Ehe und bei hoherem Alter wird die Frau nur selten auf eine Hilfe des Mannes zur Wiedereingliederung in das Berufsleben verwiesen werden konnen. Sie wird Hilfe zur Bestreitung ihres Unterhalts brauchen. [...] Allerdings wird es auf absehbare Zeit dabei bleiben, dalJ eine Frau, die Kinder zu versorgen hat, in bezug auf ihre Berufslaufbahn erhebliche Opfer bringen mulJ. Die Gerechtigkeit wird erfordern, dalJ sie, soweit es moglich und billig ist, durch Unterhaltsleistungen oder durch Hilfe zur Ausbildung vor einem unzumutbaren Absinken ihrer Lebensverhaltnisse bewahrt bleibt.96

Diese Verscharfung des Scheidungsrechts war zwar nicht alleine Elisabeth Schwarz- haupt anzulasten, sie wurde aber „spater fur die neue Formulierung des § 48, die ich [Schwarzhaupt] heute fur unglucklich halte, zu unrecht verantwortlich gemacht.“97

Das Familienrecht, das nur sehr entfernt etwas mit ihrer spateren Aufgabe als Minis- terin zu tun hatte, war ihr politisches Steckenpferd - das wurde sofort wieder deutlich, als Elisabeth Schwarzhaupt am 1. Dezember 1966 aus ihrem Ministeramt schied. Aus der Gesundheitspolitik zog sie sich volstandig zuruck und wandte sich als Abgeordnete fur die verbleibenden drei Jahre der Legislaturperiode der Reform des Nichtehelichenrech- tes zu. Sie wollte 1969 ohnehin nicht erneut fur den Bundestag kandidieren - sie war dann 68 Jahre alt und damit im verdienten Rentenalter gewesen.

Heike Drummer und Jutta Zwilling zufolge hob der Gesetzentwurf, der unter Feder- fuhrung Elisabeth Schwarzhaupts im Unterausschuss des Rechtsausschusses entstand, „eine unertragliche Diskriminierung“98 auf: Uneheliche Kinder wurden endlich den ehe- lichen nach Art. 6 Absatz 5 GG gleichgestellt, sie erwarben die selben Unterhaltsanspru- che an ihre Vater wie eheliche Kinder, waren nun erbberechtigt und die nichteheliche Mutter erhielt weitestgehend die volle elterliche Gewalt uber das Kind. Was Elisabeth Schwarzhaupt als Bundestagsabgeordnete gesetzgeberisch verandern konnte, passt also so gar nicht zu dem vorurteilsbehafteten Bild von der konservativ-strengen Oberkirchen- ratin, die ein orthodox-biblisches Familienbild konservieren wollte - und es passt des- halb nicht, weil das Bild schlicht falsch ist.

Wie aufgeschlossen und fortschrittlich Elisabeth Schwarzhaupt auch als Gesundheits- ministerin dachte, zeigen die Kapitel 4 und 5. Doch ehe sie ihre Politik umsetzen konnte, musste logischerweise erst das neue Ministerium geschaffen werden, Adenauer sie erst einmal berufen.

3 Die Einrichtung des Ministeriums

Angesichts der grolJen Bedeutung, die die Erhaltung der Gesundheit fur den einzelnen und fur unser Volk hat, hat sich die Bundesregierung entschlossen, ein Bundesministerium fur Gesundheitswesen einzu- richten. Zu diesen vordringlichen Aufgaben wird es gehoren, sich der Fragen der Reinhaltung der Luft sowie der Bekampfung des Larins anzunehmen.99 Ludwig Erhard (1961)

Abbildung in dieser leseprobe nicht enthalten

it diesen einleitenden Satzen erklart Vize-Kanzler Ludwig Erhard100 dem Deutschen Bundestag die Absicht Konrad Adenauers, in der vierten Legisla- turperiode ein eigenes Ministerium einzurichten fur Bereiche, die bisher im Bundesinnenministerium sowie im Bundeslandwirtschaftsministerium ressortierten.101 Dass das Ministerium eine Alibifunktion zu erfullen hatte, um die Forderungen der Uni- onsfrauen nach einem weiblich gefuhrten Ressort zu befriedigen102, fand sich in der Re- gierungserklarung naheliegender weise nicht wieder; vielmehr sah Erhard die Grunde fur die Einrichtung des Ministeriums in der desolaten Umweltsituation, die eine Gefahrdung der Gesundheit der Bevolkerung nach sich zog. Das ist dahingehend erstaunlich, als die Regierung auch im zweiten Teil der Erklarung ganz auf die Umweltbelastung als ofenbar drangendstes Problem des Gesundheitswesens abhebt, naheliegende Fragen medizini- scher Versorgung, der Krankenversicherung oder des Impfschutzes erst im dritten Teil der Erklarung angesprochen werden. Doch zum zweiten Teil:

Vor allem in Ballungsgebieten haben die negativen Begleiterscheinungen unserer Zivilisation einen besorgniserregenden Umfang angenommen. Es wird alles getan werden mussen, um die auf diesem Gebiet notwendigen MalJnahmen mit Energie voranzutreiben. Ich rechne hierbei auf eine enge Zusammenarbeit mit den Landern, der Industrie und den Gemeinden.

Was Erhard hier im Namen des Bundeskanzlers erklarte, war buchstablich die Be- grundung fur die Einrichtung eines Umweltministeriums - Adenauer nannte es freilich nicht so, weil dies zu Beginn der Sechziger Jahre wohl zu fortschrittlich gewesen ware. So wurde die Umweltpolitik nicht explizit in die Nomenklatur des neugeschafenen Gesund- heitsministeriums ubernommen, bekam aber organisatorisch mit der Einrichtung einer eigenen Abteilung ein grofies Gewicht innerhalb des von Human- und Veterinarmedizi- nern dominierten Ministeriums. Die Fokussierung der Gesundheitspolitik auf die Ver- besserung der Umweltbedingungen war daher durchaus eine Uberraschung, mit der die- se Regierungserklarung von 1961 aufwartete.

Die enge Zusammenarbeit, die die Bundesregierung mit den Landern und Kommunen suchte, war schon in der Regierungserklarung ein Hinweis auf die verfassungsrechtliche Brisanz, die die Schaffung des Gesundheitsressorts mit sich brachte: Gesundheitspolitik ist auch Landersache.103 Denn genau dieses rechtlich unubersichtliche Kompetenzwirr- warr zwischen Bund und Landern war es, was die Schaffung eines neuen Ministeriums organisatorisch notwendig machte: Die Bundelung aller gesundheitsrelevanten Fragen, die bisher in unterschiedlichen Landerzustandigkeiten einer- sowie andererseits in un- terschiedlichen Ressorts auf Bundesebene bearbeitet wurden.104 Alle westeuropaischen Staaten verfugten bereits seit langerer Zeit uber ein eigenstandiges Gesundheitsressort; Grofibritannien etwa fuhrte es bereits nach dem „Big London Smog“ von 1952 ein. Nun folgte auch die Bundesrepublik „dem Beispiel fast aller anderen Staaten der Welt“.105

Dass sich ein Bundesministerium fur Gesundheitswesen aber auch mit medizinischen Fragestellungen befassen musste, schien Adenauer ein weniger drangendes Problem ge- wesen zu sein. Erst im dritten und letzten Abschnitt dieses Teils der Adenauerschen Re- gierungserklarung nimmt sich Erhard endlich auch dieses Aufgabenbereichs des neuen Ressorts an:

Das Bundesministerium fur Gesundheitswesen wird sich ferner mit der Verbesserung der Verhaltnisse unserer Krankenhauser befassen mussen. Die in der dritten Legislaturperiode des Deutschen Bundestags verabschiedeten grundlegenden Gesundheitsgesetze sollen beschleunigt durchgefuhrt und die Vorarbeiten fur die noch ausstehenden Regelungen auf den Gebieten der Heilmittelwerbung, der Gesundheitsfursorge fur Mutter und Kind und des gesundheitlichen Schutzes gegen Strahlengefahren sowie fur die Gesamtreform des Lebensmittelrechts baldigst abgeschlossen werden.

So notig die Bundelung aller dieser gesundheitsrelevanten Bereiche in einem regie- rungsamtlichen „Kompetenz-Center“ erscheint106, aufgedrangt hat sich Adenauer der Gedanke, ein Gesundheitsministerium einzurichten, nicht sofort. Bei allen so drangen- den umweltpolitischen Fragen, die die Gesundheit der Bevolkerung tangierten, bei allem dringend gebrauchten Katastrophenmanagement im Contergan-Skandal, bei allen le- bensmittelhygienischen Gesetzgebungsvorhaben, die im Rahmen der EWG-Vertrage auf den Weg gebracht werden mussten, und trotz aller Forderungen aus der organisierten Arzteschaft - die Augmentierung seines Kabinetts um ein weiteres Ministerium, das zwanzigste, wollte Adenauer verhindern, zumal in den bislang fur das Gesundheitswesen zustandigen Abteilungen im Innen- und im Landwirtschaftsministerium diesbezuglich solide Arbeit geleistet wurde.107 Der Grund, weswegen Adenauer seinen 19 Ministern deswegen noch eine weibliche Ministerin zur Seite stellte, war machtpolitischer Art - mit Fragen der Gesundheitspolitik hatte er nur sekundar zu tun.

3.1 Der Aufstand der Unionsfrauen gegen Adenauer

1961 berief mich Adenauer zum Bundesminister fur Gesundheits- wesen. Vorausgegangen war eine energische Demarche einiger Frauen der Fraktion, an der Spitze Helene Weber, die von Adenauer

verlangte, dalJ endlich auch eine Frau in das Kabinett aufgenommen 108 wurde.

Elisabeth Schwarzhaupt (1976)

Wie gesagt, ein Gesundheitsministerium mit einer Frau an der Spitze drangte sich Adenauer selbst nicht auf - es wurde ihm aufgedrangt, und zwar von einigen einflussrei- chen weiblichen Unionsabgeordneten, mit der spateren „Nutzniefierin“ Elisabeth Schwarzhaupt an fuhrender Stelle. Besonders einfach war es fur die Frauenverbande der Union jedoch nicht, sich beim konservativ-patriarchalisch denkenden Bundeskanzler mit ihrer Forderung nach einem weiblichen Kabinettsmitglied durchzusetzen. Schliefilich war Adenauer nicht sehr erpicht darauf, dass eine Frau in seine Mannerrunde eindrang: „Was sollen wir mit einer Frau im Kabinett? Dann konnen wir nicht mehr so offen re- den.“108 Und so waren die Frauenverbande bereits eine Legislaturperiode zuvor klaglich mit ihrer Forderung gescheitert, und auch das vierte Kabinett Adenauer bekam seine weibliche Ministerin erst nach langem Zaudern des Rhondorfer Regierungschefs.

Die streitbaren Unionsdamen Helene Weber, Anne Brauksiepe - spater selbst Ministerin - und Margot Kalinke hatten dem politisch geschwachten Adenauer dieses Zugestandnis abgetrotzt; sonst hatten sie „mit diesem Herrn“ nichts mehr zu tun haben wollen.109

Adenauer war aus der letzten Wahl nicht mehr als strahlender Sieger hervorgegangen, verlor die absolute Mehrheit. Doch gerade bei den weiblichen Wahlern war der „nette Bundeskanzler110 '111 weiterhin sehr beliebt, sie zahlten vielerorts zu seinen treuesten An- hangern.112 Deswegen gab sich Adenauer Frauen gegenuber nicht nur charmant, er wuss- te als Machtpolitiker sehr genau, dass er dem Vertrauen, das ihm von Seiten der weibli­chen Wahlerschaft und seiner eigenen weiblichen Parteimitglieder entgegengebracht wurde, seinerseits politische Konzessionen entgegenbringen musste - wenn dieses Ent- gegenkommen auch nur auf unverbindlichen und symbolhaften „Kompetenzzugestand- nissen“ ohne konkrete Auswirkungen in die Politik hinein bestanden. Beispielhaft sei ein kurzer Ausschnitt aus einem Gesprach Adenauers vom 3. Februar 1961 zitiert, das er mit den Vorsitzenden der Frauenverbande fuhrte:

Frauen gleichberechtigt als Minister und Staatssekretare in den Ministerien: Ich vertrete seit Jahren absolut den Standpunkt, diese Frage mit ja zu beantworten, und ich wurde es sehr begrulJen, wenn im Kabinett eine Frau ware. [...] Wenn ich Ihnen jetzt sagte, falls ich wieder Bundeskanzler werden wurde, wurde ich eine Frau als Minister nehmen, dann sage ich Ihnen dazu ganz offen, derartige Erwagungen habe ich schon gehabt, auch fur ein neues Kabinett. Aber wie sich das dann alles gestalten wird, kann jetzt keiner sagen.113

Um eine konkrete Zusage an die Frauenverbande, dass dem neuen Kabinett auf jeden Fall eine Frau angehoren werde, druckte sich Adenauer geschickt: Er gab sich - aus dem kurzen Ausschnitt wird das nur unzureichend klar - gegenuber den Frauen sehr char- mant, hielt sie fur eine Bereicherung jedes Kabinettes, denn: „Die Frau sieht in einer Frage eben noch andere Facetten, die da sind, und vielleicht ist ihr Gesamturteil noch besser als das des Mannes. Denn der Mann neigt zur Einseitigkeit, neigt dazu, das, was gerade in sein Ressort fallt, als das allein Wichtige anzusehen.“ Allein die erhoffte Zu­sage an die Frauenverbande blieb aus. Die oft nur symbolisch zu verstehenden und al­lein machtpolitisch zu interpretierenden „Charme-Offensiven“ Adenauers, mit denen er sich das Vertrauen breiter Schichten gerade der weiblichen Parteianhanger- und Wahler- schaft sicherte, erkannte die Publizistik daher schon 1957:

Ohne Zweifel wollte Adenauer dieses Vertrauen dem Schein nach auch honorieren, denn auf dem Hamburger CDU-Parteitag lielJ er demonstrativ eine Frau uber Familienfragen reden und mehr als einmal versprach er, bei der kommenden Kabinettsbildung der Frauen zu gedenken.114

Diese versprochene erste Ministerin - Elisabeth Schwarzhaupt galt auch schon 1957 als Favoritin auf diesen Posten - sollte Familienminister Franz-Josef Wuermeling115 be- erben, dem keine Zukunft im dritten Adenauer-Kabinett prophezeit wurde.116 „Machtige konfessionelle Gruppen“117 setzten sich wahrend der Kabinettsbildung 1957 allerdings fur den Verbleib des katholischen Familienministers in der Regierung ein - die familien- politisch bekanntlich streitbar-progressive unverheiratete Protestantin Schwarzhaupt hatte das Nachsehen: „Fur eine Junggesellin als Minister fur Familienfragen konnten sich auch die fortschrittlichsten Abgeordneten nicht erwarmen.“118

Am 28. Oktober 1957 prasentierte Adenauer daher sein neues, rein mannliches Kabi- nett.119 Einige Frauen wollten sich mit diesen Fakten nicht abfinden. Die Leiterin des Frauenausschusses der CDU, Helene Weber120, wandte sich personlich an Adenauer, um ihn an sein Versprechen zu erinnern, eine Frau in sein drittes Kabinett aufzunehmen. Wenn Adenauer bei seiner Entscheidung bliebe, so Helene Weber, sahe sie die Zusam- menarbeit ihres Bundesfrauenausschusses mit CDU-Politikerinnen und den Frauenor- ganisationen bei kunftigen Landtagswahlen gefahrdet. Eine Drohung, die Adenauer kaum in Verlegenheit brachte, und so teilte er der Essener CDU-Bundestagsabgeord- neten kurz vor Weihnachten lapidar mit:

Ich bin nach wie vor der Meinung, daJ es aus den verschiedensten Grunden wunschens- wert ist, wenn Frauen aktiv am politischen Leben teilnehmen und in den politischen Par- teien, den Parlamenten sowie den Regierungen mitarbeiten. Zu meinem Bedauern war es mir auch diesmal nicht moglich, bei der Bildung der Bundesregierung eine Frau fur ein Ministeramt vorzusehen.121

Diese Niederlage der Unionsfrauen kurz vor Weihnachten 1957 sollte sich 1961 nicht mehr wiederholen.122 Zwar hatte Adenauer die Frauen nicht vollig dupiert und wenigs- tens eine Staatssekretarin ins Ministerium fur Jugend- und Familienfragen berufen. Zu- dem versuchte die Fraktionsspitze der Union, Elisabeth Schwarzhaupt fur ihre geplatzte Ministerchance mit der Wahl zur Stellvertretenden Fraktionsvorsitzenden zu entschadi- gen - sie war damit wieder einmal die erste Frau in der Union auf diesem Posten123 -, aber das grofie Ziel der Unionsfrauen, endlich eine Ministerin zu stellen, musste zur Ka- binettsbildung 1961 strategischer und zielgerichteter angegangen werden als noch 1957.

Daher planten Elisabeth Schwarzhaupt, Anne Brauksiepe und Helene Weber einen vertraulichen „Werbefeldzug“, der den Druck der weiblichen CDU-Basis auf den kabi- nettsbildenden Kanzler drastisch erhohen sollte und nicht nur ein weiblich gefuhrtes Ministerium zur Folge haben sollte, sondern auch ausschliefilich Elisabeth Schwarzhaupt als Leiterin dieses Ministeriums installieren sollte. Mit Briefen und Telegrammen der CDU-Basis an Adenauer, die ostentativ eine weibliche Ministerin forderten, sollte der Kanzler murbe gemacht werden.

Dieses Vorgehen ist von der bisherigen Schwarzhaupt-Historiographie nicht klar ge- nug herausgearbeitet worden: Ursula Salentin, Heike Drummer und Jutta Zwilling erwe- cken allesamt den Eindruck, als sei Elisabeth Schwarzhaupt eher zufallig und quasi un- gewollt zu Ministerehren gekommen. Sie arbeiteten zwar das Ziel, eine Frau an den Adenauerschen Kabinettstisch zu setzen, klar heraus. Dass Elisabeth Schwarzhaupt aber aktiv ihre Ernennung „herbeiarbeitete“, wird bei ihnen nicht transparent. Dabei belegen sowohl die vertraulichen Briefe, die die Leiterin des Frauenreferats in der Bundesge- schaftsstelle der CDU, Ilse Bab, an die Unionsfrauen in der Bundestagsfraktion und in den Landern schrieb, als auch eine handschriftliche Notiz Helene Webers an Anne Brauksiepe, wie alternativlos innerhalb der Frauenunion die Personalie Schwarzhaupt diskutiert wurde.

Den ersten Hinweis auf das uneingeschrankte „Zugriffsrecht“ Elisabeth Schwarz- haupts auf das Ministeramt gibt ein vertraulicher Brief des Frauenreferats der CDU- Bundesgeschaftsstelle an die Landesfrauenvereinigungen der Union, in dem die „rang- hochste“ CDU-Abgeordnete - vermittelt durch die Referatsleiterin Ilse Bab - von den Landesgliederungen aktive Unterstutzung einforderte:

Frau Dr. Schwarzhaupt bittet die Landesvereinigungen der CDU um Unterstutzung ihrer Bemuhungen durch einen Brief oder ein Telegramm an Bundeskanzler Dr. Adenauer, in dem die Wunsche der Landesvereinigungen uber die Berufung einer Frau als Minister zum Ausdruck gebracht werden sollen. [...] Briefe oder Telegramme sollen naturlich sehr kurz gehalten werden und vielleicht jeweils nur der eine oder andere Gesichtspunkt angeschnitten sein, damit auch auf jeden Fall der Anschein einer gesteuerten Aktion vermieden wird.124

[...]


1 Manuskript der Erklarung der weiblichen Abgeordneten der CDU/CSU-Bundestagsfraktion vom 10.11.196l, Archiv fur Christlich-Demokratische Politik, St. Augustin (ACDP), Signatur 01-048-002/3.

2 Das ungewohnliche „sit-in“ der Unionsfrauen wird ausfuhrlich in Kap. 3.1 dargestellt. Vgl. Hanna- Renate Laurien, Elisabeth Schwarzhaupt (1901-1986), in: Hans Sarkowicz (hg.), Sie pragten Deutsch­land. Eine Geschichte der Bundesrepublik in politischen Portraits, Munchen 1999, S. 69-83, die auf S. 60 den Begriff verwendet. Vgl. ausfuhrlich auch Heike Drummer und Jutta Zwilling, Elisabeth Schwarz­haupt. Eine Biografie, in: Die Hessische Landesregierung (hg.): Elisabeth Schwarzhaupt (1901-1986). Portrait einer streitbaren Politikerin und Christin, Freiburg im Breisgau 2001, S. 14-136, S. 91f.

3 Siehe ebd., S. 91

4 Siehe Bestandsnachweis auf http://www.bundesarchiv.de.

5 Faksimile ihres Ministerausweises in: Heike Drummer und Jutta Zwiling, Elisabeth Schwarzhaupt - ein Leben in Bildern, in: Die Hessische Landesregierung (hg.), Elisabeth Schwarzhaupt (1901-1986). Port­rait einer streitbaren Politikerin und Christin, Freiburg im Breisgau 2001, S. 137-157, S. 144.

6 Besonders im Jahrgang 1962 erscheint sie unverhaltnismalJig oft anekdotenhaft in der spottischen Spiegel-Rubrik „Personalien“. Auch in der Bildauswahl lielJ der Spiegel oft journalistische Fairness vermissen, in dem er mehrfach ein wenig vorteilhaftes Foto abdruckte, dass die Ministerin in sichtbar derangiertem Zustand zeigt (siehe etwa Spiegel 8/1962, S. 37).

7 Kate Strobel (1907-1996) war die erste sozialdemokratische Ministerin im ansonsten reinen Manner- kabinett der GrolJen Koalition, und zwar von 1966 bis 1969 als Nachfolgerin Elisabeth Schwarzhaupts im Bundesministerium fur Gesundheitswesen. In der sozial-liberalen Koalition ubernahm sie von 1969 bis 1972 das Ministerium fur Jugend und Familie. Mehr zu Kate Strobel u.a. unter http://www.politeia- proiect.de/biographien/strobel/strobel4.html und bei Birgit Meyer, Kate Strobel (1907-1996), in: Hans Sarkowicz (hg.), Sie pragten Deutschland. Eine Geschichte der Bundesrepublik in politischen Portraits, Munchen 1999, S. 170-183.

8 Fritz Riege, Gesundheitspolitik in Deutschland. Aktuelle Bilanz und Ausblick, Berlin 1993, S. 22. „Bose Zungen behaupten sogar, dass dieses Haus [also das Gesundheitsministerium, d.Verf.] seine Entste- hung nur der Tatsache verdankt, dass mit Kate Strobel (SPD) eine Frau zur Verfugung stand, die so- wohl fachlich qualifiziert war als auch in der Lage, die weibliche Kabinetts-Unterbesetzung so aus- zugleichen, dass Wahlerinnen damit vorerst zufrieden sein konnten.“ Mit Ausnahme der fachlichen Kompetenz - jedoch war auch Kate Strobel keine Medizinerin - treffen die Vorwurfe der „bosen Zun­gen" auch auf die eigentliche erste Ministerin zu; Rieges Pointe ware mit Elisabeth Schwarzhaupt als Beispiel also noch weitaus zundender gewesen. Er nimmt sie in seiner Einfuhrung in die Gesundheits­politik also schlicht nicht zur Kenntnis.

9 Vgl. Konrad Fuchs, Elisabeth Schwarzhaupt, in: Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon, http://www.bautz.de/bbkl/sZs1/ schwarzhaupt e.shtml.

10 Vgl. u.a. Angela Keller-Kuhne, Protestantin Elisabeth Schwarzhaupt und Katholikin Helene Weber: Zwei weibliche Pole in der Union? in: Die Hessische Landesregierung (hg.): Elisabeth Schwarzhaupt (1901-1986). Portrait einer streitbaren Politikerin und Christin, Freiburg im Breisgau 2001, S. 186-193, S.187.

11 Der Spiegel 48/1961, S. 29.

12 Vgl. hierzu u.a. Thomas Ellwein und Joachim Jens Hesse, Das Regierungssystem der Bundesrepublik Deutschland. 6., neubearbeitete und erweiterte Auflage, Opladen 1987, S. 302f. Parlamentarische Staatssekretare, die „den Minister vor allem in der politischen AulJenvertretung, bevorzugt dem Parla- ment gegenuber“, entlasten sollten, wurden erst nach Ende der Amtszeit Elisabeth Schwarzhaupts in den Schlusselressorts der GrolJen Koalition, nach 1969 dann fur alle Ministerien eingefuhrt. Ebd., S. 303.

13 Siehe Gesprach Frau Bundesminister a.D. Dr. Elisabeth Schwarzhaupt mit Herrn Heribert Koch (Ar- chiv) am 11.3.1976 in Frankfurt/M., ACDP 01-048-001/2, S. 19.

14 Hessens Ministerprasident Roland Koch im Vorwort zur Motivation dieser Veroffentlichung: „Mit diesem Buch will die Hessische Landesregierung die Erinnerung an eine aulJergewohnliche und bedeutende Personlichkeit der Zeitgeschichte aus Hessen, die besonders auch jungen Menschen viel zu sagen hat, wach halten“. Roland Koch, Vorwort, in: Die Hessische Landesregierung (hg.), Elisabeth Schwarz­haupt (1901-1986). Portrait einer streitbaren Politikerin und Christin, Freiburg im Breisgau 2001, S. 9­10, S. 9.

15 Ursula Salentin, Elisabeth Schwarzhaupt - erste Ministerin der Bundesrepublik. Ein demokratischer Lebensweg, Freiburg im Breisgau 1986.

16 Elisabeth Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, in: Deutscher Bundestag (hg.), Abgeordnete des Deut­schen Bundestags. Aufzeichnungen und Erinnerungen, Bd. 2, Boppard am Rhein 1983, S. 239-283.

17 Elisabeth Schwarzhaupt, Ausfuhrlicher eigener Lebenslauf, ohne Titel, ohne Datum (vermutlich 1979), ACDP 01-048-001/3. Im Archiv fur Christlich-Demokratische Politik befinden sich noch weitere kleinere autobiografische Ruckblicke, die hier nicht gesondert aufgefuhrt werden.

18 Schwarzhaupt, Archivgesprach, ACDP 01-049-001/2, S. 1-41.

19 Hanna-Renate Laurien (geb. 1928) wurde 1971 zur Staatssekretarin im rheinland-pfalzischen Kultus- ministerium, 1976 selbst Kultusministerin. 1981 bis 1995 Senatorin in Berlin, 1991 bis 1995 Prasidentin des Berliner Abgeordnetenhauses. Zahlreiche kirchliche Ehrenamter. Bis 2001 Vorsitzende des Dioze- sanrats der Katholiken im Erzbistum Berlin.

20 Siehe hierzu: Franz-Xaver Kaufmann, Der Begriff Sozialpolitik und seine wissenschaftliche Deutung, in: Hans Gunter Hockerts (hg.), Grundlagen der Sozialpolitik. Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945, Baden-Baden 2001, S. 3-102, S. 94.

21 Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 239-283.

22 Anmerkungen in Salentin, Schwarzhaupt, S. 86f.

23 Hans-Peter Schwarz, Adenauer. Der Staatsmann: 1952-1967, Stuttgart 1991, S. 699f.

24 Siehe etwa Anneliese Poppinga, „Das Wichtigste ist der Mut“. Konrad Adenauer - die letzten funf Kanzlerjahre, Bergisch Gladbach 1994; Henning Kohler, Adenauer. Eine politische Biografie, Frankfurt am Main 1994; Peter Koch, Konrad Adenauer. Eine politische Biographie, Reinbek bei Hamburg 1985; Terence Prittie, Konrad Adenauer. Vier Epochen deutscher Geschichte, Stuttgart/Frankfurt 21971.

25 Konrad Adenauer, Erinnerungen 1959-1963. Fragmente, Stuttgart 1968. In den Teegesprachen er­wahnt er Elisabeth Schwarzhaupt ganz nebenbei einmal in ihrer Funktion als „unsere Gesundheits- ministerin“, ihren Namen nennt er aber nicht. Hans-Peter Mensing, Adenauer. Teegesprache 1961­1963, Berlin 1992.

26 Schwarzhaupt, Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S. 30. Die Kenntnis der bisher einsichtigen Kabinettsprotokolle stützt die Vermutung, das zumindest unter Adenauer gesundheitspolitische Fragen erstens nicht allzu prominent und zweitens keinesfalls kontrovers zur Sprache gekommen sein werden.

27 Vgl. Martin Jänicke, Philip Kunig und Michael Stitzel, Lern und Arbeitsbuch Umweltpolitik. Politik, Recht und Management des Umweltschutzes in Staat und Unternehmen, Bonn 2000.

28 Vgl. etwa: Irene Stoehr, „Feministischer Antikommunismus“ und weibliche Staatsbürgerschaft in der Gründungsdekade der Bundesrepublik, in: Feministische Studien 1/1998, S. 86-94: „Von der Existenz eine „Frauenbewegung“ kann nach Überzeugung feministischer Historikerinnen oder Laiinnen in der Restaurationsphase der Adenauer-Ära wohl kaum die Rede sein.“ Stoehr sieht das zwar anders, ignoriert die erste Ministerin in ihrem Gegenteilsbeweis aber ebenfalls.

29 Laurien, Schwarzhaupt, S. 83.

30 Lehrgebiet Frauengeschichte der Universitat Bonn (hg.): Politeia. Deutsche Geschichte nach 1945 aus Frauensicht, Bonn 2002, http://www.politeia-project.de.

31 Audiostatement erhaltlich auf DRA Audio-CD 9, Track 25: Die CDU-Politikerin Elisabeth Schwarzhaupt, 1962 erste Frau in einem Ministeramt (fur Gesundheit), zu ihrer Berufung ins Kabinett Adenauer (Sen- dung 5.6.1983). http://www.dra.de/cd09.htm.

32 Heide Soltau, Nicht nur mit den Waffen der Frau. Der lange Weg zur Emanzipation, Onlineressource unter http://www.radiobremen.de/online/wahl2002/themen/waffen frau.pdf, S. 1-15, S. 10.

33 Das Biographisch-Bibliographische Kirchenlexikon erscheint im Verlag Traugott Bautz. Der Schwarz- haupt-Artikel Konrad Fuchs’ liegt dem Verfasser in der „letzten Anderung“ des Verlags vom 07.08.2002 als Onlineressource vor und ist einsehbar unter http://www.bautz.de/bbkl/sZs1/ schwarzhaupt e.shtml.

34 Schwarzhaupt schloss sich der CDU erst nach langem Zogern im Marz 1953 an und wurde am 14. November 1961 als Ministerin vereidigt. Das GrolJkreuz des Bundesverdienstordens erhielt Elisabeth Schwarzhaupt am 10.12.1965 aus der Hand des Bundeskanzlers Ludwig Erhard, die hessische Wil­helm-Leuschner-Medaille im Juni 1976 aus der Hand des Ministerprasidenten Albert Osswald auf dem Hessentag in Bensheim.

35 Familienrechtsanderungsgesetz vom 11. August 1961. Siehe ausfuhrlicher in Kapitel 3.5 und vgl. auch: Elisabeth Schwarzhaupt, Reform des Scheidungsrechts. Ein schwieriges Problem: die Versorgung der Ehefrau, in: Die Hessische Landesregierung (hg.), Elisabeth Schwarzhaupt. Portrait einer streitbaren Politikerin und Christin (1901-1986), Freiburg im Breisgau 2001, S. 270-271.

36 Der Nachlass Schwarzhaupts ist bei der Konrad-Adenauer-Stiftung unter der Bestandsnummer ACDP 01-048 abgelegt; der Nachlass im Bundesarchiv unter N1177, und die Akten des Bundesministeriums fur Gesundheitswesen finden sich im Bestand B142.

37 Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 241. Der Bericht ist 1983 erschienen, das Manuskript erstellte Elisabeth Schwarzhaupt allerdings bereits im August 1982. Ebd., S. 237.

38 Liselotte Funcke, Erinnerungen an Elisabeth Schwarzhaupt, in: Die Hessische Landesregierung (hg.): Elisabeth Schwarzhaupt (1901-1986). Portrait einer streitbaren Politikerin und Christin, Freiburg im Breisgau 2001, S. 162-172, S. 163.

39 Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 241.

40 Salentin, Schwarzhaupt, S. 9. In Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 242, schatzt Elisabeth Schwarzhaupt ihre Eltern ubereinstimmend als „national, liberal und kaisertreu“ ein, wobei ihre Mutter „sicher die konservativere von beiden“ war.

41 Einen kurzen Uberblick uber das Parteiensystem des Kaiserreichs gibt u.a. Hans-Ulrich Wehler, Das Deutsche Kaiserreich 1871-1918, Gottingen 71994, S. 78-89. Zur Nationalliberalen Partei siehe beson- ders S. 80-83.

42 So Schwarzhaupt gegenuber Ursula Salentin, Schwarzhaupt, S. 10f. Die Nationalliberale Partei sah sich selbst als Partei der intellektuellen Oberschicht, der Gymnasiallehrer und hoheren Staatsbeamten sowie der GrolJindustrie.

43 Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 241.

44 Wehler, Kaiserreich, S. 123, spricht von einer „schichteigentumlichen Auflockerung“, die es seit den 1890er Jahren gab, „wobei auch damals schon grolJere Liberalitat und grolJzugigere Erziehung an steigendes Bildungsniveau und materielle Sicherheit gebunden gewesen zu sein scheinen“. Beide Voraussetzungen sind in Schwarzhaupts Familie gegeben. Der Gedanke der Gleichstellung von Mann und Frau erhielt entscheidende Impulse durch die aufkommende Sozialdemokratie: August Bebel, Die Frau und der Sozialismus, Zurich 1879, brachte es auf uber 60 Auflagen und war bis 1895 bereits in 13 Sprachen ubersetzt. Zudem wurde bereits 1865 in Leipzig, dem eigentlichen Erscheinungsort der Be- belschen Schrift, der Allgemeine Deutsche Frauenverein gegrundet, der 1894 im Bund Deutscher Frauenvereine aufging, und 1889 grundet Helene Lange in Berlin das erste deutsche Madchengymna- sium.

45 Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 241.

46 Ebd, S. 243.

47 Ebd., S. 244: „Bei der liberalen Haltung meiner Eltern und ihrem Interesse fur die Frauenbewegung war es selbstverstandlich, dal ich 1914 in die Untertertia [...] eintrat.“

48 Drummer/Zwilling, Biografie, S. 28, schlielen nicht aus, „dass der Vater im Geheimen die Hoffnung hegte, Elisabeth konnte an der Padagogik Gefallen finden und die berufliche Tradition innerhalb der Familie fortsetzen.“

49 Salentin, Schwarzhaupt, S. 19.

50 Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 244.

51 Ebd., S. 244f. Salentin, Schwarzhaupt, S. 19, vermutet, dass ihr Vater „selbst gern Jurist geworden ware, doch durch den fruhen Tod seines Vaters daran gehindert wurde.“ Elisabeth Schwarzhaupt hatte zwar wahrend des Lehrerinnenexamens nachmittags Vorlesungen uber Arthur Schopenhauer und Neuere Geschichte an der Frankfurter Universitat gehort, den entscheidenden AnstolJ fur den juristi- schen Beruf gab indes eine Jugendgerichtsverhandlung, „in der der amtierende Richter in psycholo- gisch einfuhlsamer Weise mit jungen Rechtsbrechern umging. ,Der Geist der Gute und nicht der Stren- ge und Harte’, den Elisabeth Schwarzhaupt bei dieser Verhandlung erlebte, hat ihre Berufsentschei- dung malJgeblich beeinfluSt.“ Ebd.

52 Elisabeth Schwarzhaupt, Der Anfang, der ein Ende war, Manuskript vom Mai 1983, ACDP 01-048­015/1, S. 1. Ob das Unheil der nationalsozialistischen Schreckensherrschaft tatsachlich „auf leisen Sohlen angeschlichen kam“, oder ob nicht viel eher politische Beobachter dieses Unheil bereits in den Jahren zuvor antizipieren konnten, kann hier nicht diskutiert werden. Vgl. aber Ian Kershaw, Hitler 1889-1936, Aus dem Englischen von Jurgen Peter Krause und Jorg W. Rademacher, Munchen 2002, S. 512: „Die Ereignisse kulminierten im Januar 1933 zu einem aulJergewohnlichen politischen Drama, das sich jedoch weitgehend aulJer der Sicht des deutschen Volkes abspielte.“

53 So in Elisabeth Schwarzhaupt, Archivgesprach, ACDP 01-049-001/2, S.3: „In den letzten Jahren vor 1933, so von 1928 ab fing ich wieder an, mich politisch zu interessieren, und zwar war der AnlalJ, dalJ ich ,Mein Kampf’ von Hitler las. Dieses Buch hat mich so erschuttert, und zwar wegen seines Niveaus, wegen dieser primitiven, demagogischen Art, dalJ ich sagte: ,Das darf doch nicht passieren, dalJ dieser Mann eine grolJe politische Rolle in Deutschland spielt’.“

54 Salentin, Schwarzhaupt, S. 25. Gegenüber Heribert Koch, Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S. 3, erklärt Elisabeth Schwarzhaupt, „der ‚Kampf’ von Hitler und das Buch von Rosenberg ‚Mythos des 20. Jahrhunderts’ hat mich ganz genau in die Gegenposition getrieben, von da ab war ich wieder politisch interessiert“, und deswegen engagierte sie sich daher wieder verstärkt in der DVP

55 Faksimile in Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 236.

56 ACDP 01-048-012/5. Siehe auch: Faksimile des Titelbildes in Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 139, Textwiedergabe ebd., S. 237-246.

57 Schwarzhaupt, Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S. 2.

58 Schwarzhaupt zitiert hier dialektisch nationalsozialistisches Gedankengut v.a. Alfred Rosenbergs, Adolf Hitlers und Joseph Goebbels’, aber auch die entsprechenden Passagen des NSDAPParteiprogramms, in gesperrter Schrift. Der besseren Lesbarkeit wegen ist hier auf die typografisch korrekte Nachbildung der sehr zahlreichen Hervorhebungen verzichtet worden.

59 Schwarzhaupt, Der Anfang, der ein Ende war, ACDP 01-048-015/1, S. 2.

60 Ebd.

61 Eine Einladung des DVP-Generalsekretars und spateren Bundesprasidenten Gustav Heinemann vom 5. April 1932 mit folgendem Wortlaut findet sich in den Bestanden des Archivs fur christlich- demokratische Politik: „Sehr geehrtes Fraulein Schwarzhaupt! Der Wahlkreisverband Westfalen-Sud bittet Sie, dort einen oder zwei Vortrage uber die Stellung der Frau zum Nationalsozialismus zu halten. Es kame Bochum oder Dortmund und evtl. noch eine andere Stadt in Frage. [...] Die Vortrage mussten allerdings allerdings noch wahrend des preussischen Wahlkampfes stattfinden.“ ACDP 01-048-012/5. Schwarzhaupt fiel diese Vortragstatigkeit „recht schwer, da ich im Grunde offentlichkeitsscheu war“. Siehe Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 247.

62 Zum Ablauf und den Inhalten dieser Veranstaltung siehe Drummer/Zwilling, Biografie, S. 40f.

63 So Helli Knoll in den Frankfurter Nachrichten vom 19. Marz 1932, zit. nach: Drummer/Zwilling, S. 40.

64 Salentin, Schwarzhaupt, S. 26f: „Zu dieser Versammlung fuhr sie mit einem Trupp Getreuer, der als Begleitschutz gedacht war: junge Leute aus der Deutschen Volkspartei und einige Frauen aus den Frankfurter Frauenverbanden.'1

65 Fotografien eines Skiausflugs, den das verlobte Paar am 4. Januar 1934 in der Schweiz unternommen hat, zeigen den Arzt. Stadtarchiv Frankfurt am Main, Nachlass Schwarzhaupt, S1/314, Nr. 15.

66 Drummer/Zwilling, Biografie, S. 43. Zur Zerstorung des privaten Glucks Schwarzhaupts durch den nationalsozialistischen Rassenwahn vgl. ausfuhrlicher: Schwarzhaupt, Der Anfang, der ein Ende war, S. 5f sowie Salentin, Schwarzhaupt, S. 22f und 27-35 und Drummer/Zwilling, Biografie, S. 31f und 42­44. Die Tatsache, dass Elisabeth Schwarzhaupt unverheiratet blieb, brachte sie spater um die Chance, das Familienministerium im vierten Kabinett Adenauer zu ubernehmen (siehe Kap. 3.1).

67 Im Archivgesprach, ACDP 01-049-001/2, S. 3, sagt sie: „Ich habe Jura studiert mit der Vorstellung, ich werde Jugendrichter werden. Jugend- und Vormundschaftsrichter, das war so etwa meine Vorstellung oder vielleicht auch Zivilrichter. Zivilrichter hat mich insgesamt immer interessiert.“

68 Schreiben des Reichsministers der Justiz an die Obersten Reichs- und PreulJischen Behorden vom 16. Januar 1936, ACDP 01-048-012/5. Die Einschrankung im letzten Satz dieser NS-Verordnung zeigt deutlich, wie arbeitsmarktpolitisch unsinnig diese Verfugung war: Die NS-Administration konnte die Ju- ristinnen ja nicht einfach „auf die StralJe“ setzen, sondern musste ihnen eine - wenngleich vollig min- derqualifizierte - Erwerbsmoglichkeit erhalten.

69 Vgl. Lore Kamper, Erste Frau als Minister im vierten Kabinett Adenauers, in: Dezernat Soziales und Jugend der Stadt Frankfurt am Main (Hg.): Portrats Frankfurter Senioren. Senioren-Zeitschrift 1976­1999, Frankfurt am Main 1999, S. 84-86, S. 85. Spatestens als ihr Kommissorium am Amtsgericht Dortmund ausgelaufen war und nicht mehr verlangert wurde, war die berufliche Degradierung fur Eli­sabeth Schwarzhaupt offensichtlich, was sie zynisch kommentierte: „Dem Wesen der Frau entsprach es nach Hitlers Auffassung nicht, dass eine Frau Vormundschaftsrichter ist, doch sie konnte als mittle- rer Justizbeamter das geringste Gebot fur Zwangsversteigerungen ausrechnen.“ Elisabeth Schwarz- haupt, Der Anfang, der ein Ende war, S. 3f.

70 Ebd., S. 3.

71 Kershaw, Hitler I, S. 78, beschreibt den Diktator als „ausgesprochen frauenfeindlich“, der zudem eine universitare Ausbildung fur Frauen bereits 1908 fur eine „Sinnlosigkeit“ hielt.

72 Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 47.

73 Diese Einschatzung gibt zumindest der stolze Vater Wilhelm Schwarzhaupt in seinen Lebenserinne- rungen wider. Wilhelm Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen (Teil III), ACDP Ol-048-002/1, S. 71.

74 Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 58.

75 Fur die Zeit Schwarzhaupts in der DEK sowie die Zeit unmittelbar nach Kriegsende 1945 siehe aus- fuhrlich Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 51-67.

76 Salentin, Schwarzhaupt, S. 45.

77 Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 64.

78 Elisabeth Schwarzhaupt gegenuber Ursula Salentin, Schwarzhaupt, S. 48.

79 So einige der bisherigen beruflich bedingten Stationen Schwarzhaupts.

80 Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 68.

81 Schwarzhaupt, Maschinenschriftlicher Lebenslauf, ACDP 01-048-001/3, S. 7.

82 Vgl. hierzu auch: Schwarzhaupt, Archivgespräch, ACDP 01-049-001/2, S. 1.

83 Hermann Ehlers (1904-1954), war Mitglied der Bekennenden Kirche und seit 1945 Synodalmitglied der EKD. Er saß von 1949 bis zu seinem Tode für die niedersächsische CDU im Bundestag, dessen Präsident er 1950 und erneut 1953 wurde. Vgl. u.a. Gotthard Jasper, Hermann Ehlers, in: Walter L. Bernecker und Volker Dotterweich (hg.), Persönlichkeiten und Politik in der Bundesrepublik Deutschland, Band 1, Göttingen 1982, S. 105-112.

84 Schwarzhaupt, Lebenserinnerungen, S. 258: „Ich [...] mußte genau überlegen, ob ich mit den Diäten, die zunächst einmal zur Deckung der Unkosten für das Wohnen in Bonn bestimmt waren, auskommen würde. Jedenfalls reichten sie gerade aus [...]. Sie waren keineswegs eine Verbesserung meiner finanziellen Lage.“

85 Ebd.

86 Elisabeth Schwarzhaupt vermutet gegenüber Heribert Koch wahltaktische Gründe der sehr rechtslastigen Wiesbadener CDU zugunsten der nationalistischen FDP hinter ihrer Nominierung: „Dann bin ich in Wiesbaden als Wahlkreiskandidatin aufgestellt worden, ich habe den Verdacht aus einem gar nicht so sehr edlen Grund. Nämlich damals war der Wiesbadener Kandidat von 1949 ab Herr Preusker – ein freier Demokrat - und der Vorsitzende der Wiesbadener CDU war Herr Dyckerhoff und den Kreisen um Dyckerhoff war es gar nicht so unangenehm, wenn Herr Preusker wieder durchkam und man stellte ihm ganz gern einen Neuling, und nun noch gar eine Frau, gegenuber, der seine Chancen nicht zu sehr mindern wurde.“ Schwarzhaupt, Archivgesprach, ACDP 01-049-001/2, S. 8.

87 Schwarzhaupt. Lebenserinnerungen, S. 259. Auch 1961 und 1965 verbuchte Schwarzhaupt mehr Stimmen als ihre Partei, zuletzt sogar 4,6 Prozent mehr. 1969 trat Schwarzhaupt auf eigenen Wunsch nicht mehr zu einer Bundestagswahl an.

88 Maschinenschriftlicher Lebensbericht, ACDP 01-048-001/3, S. 7.

89 Schwarzhaupt, Archivgesprach, S. 10.

90 Schwarzhaupt, Archivgesprach, S. 10. Siehe ausfuhrlich auch Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 80­84. Diese Rede ist fur die Schwarzhaupt-Historiografie so entscheidend, dass Ursula Salentin, Schwarzhaupt, S. 94-101, sie ungekurzt abdruckte. Siehe im Original: Elisabeth Schwarzhaupt, Ver- handlungen des Deutschen Bundestages, Stenografische Berichte, 2. Wahlperiode, 15. Sitzung, 12. Februar 1954, S. 498f.

91 Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 83, zitieren hier sowohl die Neue Zeitung vom gleichen Abend: „Und siehe da: es funkte. Frau Oberkirchenratin Dr. Schwarzhaupt ... sorgte dafur, dass die Debatte mit einem Schlag ein Niveau erreichte, wie es der Beobachter in diesem neuen Bundestag bisher nicht zu registrieren vermochte“ sowie die Neue Zurcher Zeitung, die von „einem parlamentarischen Talent ers- ten Ranges" sprach, dessen hervorragende Rede „die Diskussion vom unfruchtbaren Streit der Ideolo- gien herab auf den Boden der praktischen Probleme“ gebracht habe.

92 Ebd. Dr. Else Brokelschen (1890-1976) salJ in den ersten drei Wahlperioden, also von 1949-1961, fur die niedersachsische CDU im Bundestag.

93 Elisabeth Schwarzhaupt, zit. nach: Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 86. Im Archivgesprach, ACDP 01-049-001/2, S. 14, sagt sie dazu wortlich: „In der Zeit des Nationalsozialismus wurde das Zerrut- tungsprinzip eingefuhrt mit einem Widerspruchsrecht des schuldigen Teils, das aber wiederum durch eine Ausnahme durchlochert war, namlich dann, wenn die Ehe ,ihre sittliche Grundlage’ verloren hatte. Von dieser sehr dehnbaren Ausnahmebestimmung machten im Dritten Reich eine Reihe fuhrender Na­tionalsozialisten Gebrauch, um ihre in der Zeit, als sie noch unbedeutende Leute waren, geheirateten Frauen loszuwerden.“

94 Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 86.

95 Karin Wiedemann, Der gerade Weg. Elisabeth Schwarzhaupt zum 100. Geburtstag, Onlineressource der schleswig-holsteinischen Frauen-Union unter http://www.fu-sh.de/Schwarzhaupt.pdf, S. 1-6, S. 3.

96 Schwarzhaupt, Reform des Scheidungsrechts, S. 271. Vgl. auch ausfuhrlicher: Schwarzhaupt, Archiv- gesprach, ACDP 01-049-001/2, S. 13-15.

97 Siehe ebd., S. 15.

98 Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 102. Das Gesetz uber die rechtliche Stellung der nichtehelichen Kinder wurde am 19. August 1969 verabschiedet und trat am 1. Juli 1970 in Kraft.

99 Regierungserklarung Konrad Adenauers zur 4. Legislaturperiode, verlesen von Vize-Kanzler Ludwig Erhard. Deutscher Bundestag, Stenographischer Bericht der 5. Sitzung, 29. November 1961, S. 24, bzw. BA 142/2993.

100 Ludwig Erhard (1897-1977) war von 1949 bis 1963 Bundesminister für Wirtschaft, wurde am 22. Oktober 1957 zum Vizekanzler ernannt und folgte am 15. Oktober 1963 Konrad Adenauer im Amt des Bundeskanzlers nach. Er war der sogenannte „Vater des Wirtschaftswunders“ und wollte während seiner Amtszeit eine “Formierte Gesellschaft“ etablieren, scheiterte als Bundeskanzler aber tragischerweise an „wirtschaftspolitischen, zum großen Teil hausgemachten Problemen“. Dirk Berg-Schlosser, Ludwig Erhard, in: Walter L. Bernecker und Volker Dotterweich (hg.), Persönlichkeit und Politik in der Bundesrepublik Deutschland, Band 1, Göttingen 1982, S. 113-122, S. 122. Vgl. u.a. auch Daniel Koerfer, Kampf ums Kanzleramt. Erhard und Adenauer, Stuttgart 1987.

101 Adenauer konnte die Regierungserklärung an diesem 29. November nicht selbst verlesen, da er sich auf einer USA-Reise eine Bronchitis zugezogen hatte und „krank geschrieben“ war. Siehe u.a. Poppinga, Mut, S. 351-361. Der Bundeskanzler ist nach Art. 64 GG für die Einrichtung der Ministerien zuständig, nach Art. 65 GG nimmt er die Kompetenzzuteilung der einzelnen Ministerien vor. Siehe hierzu u.a. Ellwein/Hesse, Regierungssystem, S.304ff.

102 Siehe Kapitel 3.1.

103 Siehe Kapitel 4.4.

104 Gerhard Jungmann: Gesundheitspolitik heute. In: Deutsche Zentrale fur Volksgesundheitspflege (hg.): Gedanken und Beitrage zur Gesundheitspolitik. Herrn Professor Dr. Franz Klose zum 75. Geburtstag gewidmet, Frankfurt 1962, S. 19-24, S. 24: „Mit der Schaffung des Bundesgesundheitsministeriums hat die Gesundheitspolitik aufgehort, schlechthin ,Landersache’ zu sein, was sie zum Schaden der Sache seit der Reichsgrundung gewesen und leider seitdem auch geblieben war.“

105 Zur britischen Gesundheitspolitik siehe u.a. Franz-Xaver Kaufmann, Der deutsche Sozialstaat im inter­national Vergleich, in: Hans Gunter Hockerts (hg.), Geschichte der Sozialpolitik in Deutschland seit 1945. Band 1: Grundlagen der Sozialpolitik, Baden-Baden 2001, S. 799-989, S. 885ff. Schwarzhaupts Leiter der Zentralabteilung, MR Gerhart Attenberger zufolge waren zum Jahresende 1961 bereits in 29 europaischen Staaten eigenstandige Gesundheitsministerien fest etabliert, nur in drei weiteren europa- ischen Landern ressortierte das Gesundheitswesen zu dieser Zeit noch in einem Sozialministerium. Siehe Gerhart Attenberger und Helmut Eiden-Jaegers, Das Bundesgesundheitsministerium fur Ge- sundheitswesen, Frankfurt am Main und Bonn 1968, S. 10.

106 Jungmann, Gesundheitspolitik heute, S. 24, hierzu: „Durch die mit der Schaffung des Bundesgesund- heitsministeriums erreichte Zusammenfassung aller dieser Fragen in der ,Gesundheitskompetenz’ ist der Weg fur die gesetzgeberische Arbeit auf diesen fur die Allgemeinheit so wichtigen Gebieten freige- worden. Die endlich erreichte Selbstandigkeit der gesundheitspolitischen Initiative wird sich als das geeigntee Mittel erweisen, um diese

107 Provozierend und parteipolitisch uberspitzend erklart Hessens Arbeitsminister Hemsath (SPD) am 2. Februar 1965 im 1. Fernsehprogramm sogar, dass seit Grundung des Bundesgesundheitsministeriums 1962 gesundheitspolitisch weniger geleistet worden sei als zuvor vom Bundesinnenministerium. Ernst - aber nicht hoffnungslos. Gesundheitspolitik in der Bundesrepublik, Sendung des Fernsehens des Hessischen Rundfunks vom 2. Februar 1964, 20.15 bis 21.00 Uhr, BA Koblenz, B142/2993 (P111 II), S. 3.

108 Schwarzhaupt, Lebensbericht, ACDP 01-048-001/3, S. 7.

109 Spiegel 48/1961 vom 22. November 1961, S. 29.

110 So Joachim Sobotta in seinem Nachruf „Adenauers First Lady. Zum Tode von Elisabeth Schwarzhaupt" in der Rheinischen Post am 31. Oktober 1986.

111 Kommentar „Adenauer und die Frauen" im Neckar-Echo vom 7.1.1958.

112 Die Zahlen machen dies deutlich. 1953 erhielten die Unionsparteien von den Frauen 47,2 Prozent der Zweitstimmen, von den Mannern nur 38,9. 1957 stieg der Anteil auf 53,5 zu 44,6 Prozent, und selbst im fur Adenauer schlechten Wahlergebnis von 1961 lag der Anteil immer noch bei 49,6 zu 40,4. Ade­nauer wusste dies naturlich und mahnte am 23. November 1956 im Bundesvorstand der CDU ein noch intensiveres Umwerben der Frauen an: „Wir mussen uberhaupt die Frauen etwas poussieren, damit sie besser wahlen". CDU-Bundesvorstandsprotokolle 1953-1957, S. 1164. Frank Bosch, Die Adenauer- CDU. Grundung, Aufstieg und Krise einer Erfolgspartei 1945-1969, Stuttgart 2001, S. 299, halt die weibliche Bevolkerung fur die sowohl quantitativ als auch qualitativ „starken Anhanger" der CDU und rechnet vor, „ein reines Frauenwahlrecht [...] hatte der Union noch 1969 die absolute Mehrheit be- schert."

113 Das Gesprach Adenauers mit den Vorsitzenden der deutschen Frauenverbande vom 3. Februar 1961 ist auch als Onlineressource erreichbar http://www.kreidestriche.de/onmerz/pdfdocs/adenauer frau- en.pdf.

114 Neckar-Echo, Adenauer und die Frauen.

115 Franz-Josef Wuermeling (1900-1986) war von 1953 bis 1962 Bundesfamilienminister im zweiten, drit­ten und vierten Adenauerkabinett. Selbst Vater von funf Kindern, setzte Wuermeling sich vehement fur eine familienfreundlichere Politik und die Erhohung des Kindergeldes ein. Auf seine Initiative ging der Bundesbahn-Ausweis - im Volksmund „Wuermeling-Ausweis“ genannt - zuruck, mit dem Kinder und Jugendliche aus kinderreichen Familien die Bundesbahn zum halben Preis nutzen konnten. Kurzbio- grafie unter http://www.dhm.de/lemo/html/biografien/WuermelingFranzJosef/.

116 Schon die Einrichtung des Familienministeriums 1953 mit Franz-Josef Wuermeling an der Spitze war „besonders von Frauen als bewusster Schachzug Adenauers gegen die etwa zeitgleich gefuhrte Gleichberechtigungsdebatte gewertet worden.“ Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 89. Wuermeling gab das Ministerium 1962 tatsachlich ab.

117 So die Einschatzung des Kommentators des Neckar-Echos.

118 So der Spiegel 48/1961 vom 22. November 1961, S. 29. Adenauer bot bereits 1953 dem bayerischen CSU-Abgeordneten Franz-Josef StraulJ das Familienministerium an. Dieser entgegnete: „Herr Bun- deskanzler, damit wurde ich die Witzfigur der Nation. Ich bin jetzt 38 Jahre, unverheiratet, ohne Familie werde ich Familienminister, so fordert das alle Karikaturisten geradezu heraus.“ Schwarz, Staatsmann, S. 110.

119 Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 89, schreiben: „An Initiativen seitens der Frauen hatte es zwar nicht gemangelt, aber die Proteste waren zu spat gekommen, zu zogerlich formuliert und das gewiefte Taktieren des Regierungschefs [war] unterschatzt worden.“

120 Helene Weber (1881-1962) saJ fur die NRW-CDU von 1949 bis 1965 im Bundestag. Elisabeth Schwarzhaupt charakterisierte sie folgendermalJen: „Helene Weber war so eine alte gestandene Zent- rumsabgeordnete, war schon im Reichstag gewesen, gehorte zu denen, die gegen das Ermachti- gungsgesetz gestimmt hatten, was gar nicht das ganze Zentrum getan hat und war eine [...] sehr machtige Personlichkeit. Sie hat mich aber immer sehr, obwohl wir in manchen Sachen verschiedener Meinung waren, zum Beispiel gerade in Fragen des vaterlichen Entscheidungsrechts, geachtet. Sie hat auch wohl sich sehr dafur eingesetzt, daJ ich Minister wurde.“ Schwarzhaupt, Archivgesprach, ACDP 01-049-001/2, S. 11.

121 Brief Konrad Adenauers an Helene Weber vom 20. Dezember 1957, ACDP 01-048-002/3. Wie gereizt Helene Weber auf diesen reichlich arroganten „Bescheid“ (Drummer/Zwilling, Schwarzhaupt, S. 90) des Kanzlers reagierte, zeigt ihr beleidigter handschriftlicher Vermerk auf dem Kanzlerbrief: „Zu un- ser[e]m Material". Die Neckar-Zeitung halt die Verargerung der Frauen in ihrem polemischen Kommen- tar „Adenauer und die Frauen" vom 7. Januar 1958 fur sehr berechtigt: „Bundeskanzler Dr. Adenauer lielJ es sich zum Jahreswechsel, wie es leider in nur wenigen Zeitungen zu lesen war, angelegen sein, die Frauen in der Bundesrepublik - mit Verlaub zu sagen - auf den Arm zu nehmen. [...] Damit die Frauen in der Bundesrepublik aber nicht leer ausgehen, bekommen sie zum neuen Jahr als Geschenk des Kanzlers Preiserhohungen fur Brot und fur Briketts. Das Wirtschaftsgeld bleibt zwar das gleiche, eine Frau Minister gibt es auch nicht - aber dafur durfen die Frauen zahlen. Offenbar sind sie nach den vergessenen Versprechen in Bonn nur dafur gut genug."

122 Ein wichtiges Druckmittel war sicher, dass die SPD bei der Wahl 1961 „uberdurchschnittlich hohe Ge- winne [...] nun auch bei den Frauen" realisieren konnte, die „"unter Adenauer straflich vernachlassigt worden waren". Bosch, Adenauer-CDU, S. 393.

123 Nur neun Tage nach der Kabinettsbildung, Anfang November 1957, wurde sie mit 153 von 199 Stim- men in den sechskopfigen Fraktionsvorstand gewahlt. Auch wollte Wuermeling sie - etwa zur selben Zeit - zu seiner Staatssekretarin machen, was Schwarzhaupt aber ablehnte, weil sie ihr Mandat nicht aufgeben wollte. Sie ware damit die erste Staatssekretarin uberhaupt gewesen. Siehe u.a. Artikel „Eine Frau im Fraktionsvorstand'1 im „Frauen-Journal“ vom Dezember 1957, ACDP 01-048-015/1.

124 Vertraulicher Brief des CDU-Frauenreferats an die Vorsitzenden der Landesvereinigungen der Frauen der CDU vom 22. September 1961, ACDP 01-048-002/3.

Ende der Leseprobe aus 179 Seiten

Details

Titel
Elisabeth Schwarzhaupt als Bundesgesundheitsministerin (1961-1966)
Hochschule
Justus-Liebig-Universität Gießen  (Historisches Institut)
Note
1,0
Autor
Jahr
2003
Seiten
179
Katalognummer
V444422
ISBN (eBook)
9783668828421
ISBN (Buch)
9783668828438
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Emanzipation, Frauenrechte, Politik, Gesundheitspolitik, Umweltpolitik, Adenauer, Erhard, Bonn, Frankfurt am Main, Bundesgesundheitsministerium, Frau, Ministerin, Kabinett, Contergan, Politikerin, Ministerium, EKD, Oberkirchenrat, Oberkirchenrätin
Arbeit zitieren
Harald Ille (Autor:in), 2003, Elisabeth Schwarzhaupt als Bundesgesundheitsministerin (1961-1966), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/444422

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