In der deutschsprachigen Versorgungslandschaft sind bislang nur wenige Konzepte zur Behandlung ehemalig forensischer Patienten vorhanden. Die Gemeindepsychiatrie steht einerseits vor der Herausforderung, die politischen und gesellschaftlichen Erwartungen zu erfüllen, dass keine weitere Gefahr von den Klienten ausgeht. Andererseits kollidiert ein sozialpsychiatrisches Selbstverständnis mit dem klinischinstitutionellen, oder nach Goffmann totalen Charakter des Maßregelvollzugs. In der deutschsprachigen Literatur finden sich keine Hinweise darauf, dass eine stationäre Behandlung inklusive der damit einhergehenden Entortung aus dem sozialen Umfeld des Betroffenen im besonderen Maße wirksamer ist als eine ambulante Behandlung. Es stellt sich die Frage, wie zukunftsfähig das bislang gelebte Modell der klinischen Sicherung und Besserung ist. Entlassungen aufgrund nichtmehr gegebener Verhältnismäßigkeit und der zunehmend relevanter werdende Aspekt der Verlagerung psychiatrischer Versorgungsstrukturen in die Lebenswirklichkeit von Betroffenen lassen erahnen, dass eine Verständigung zwischen der Gemeindepsychiatrie und der institutionellen Psychiatrie von hohem Stellenwert ist. Die Zugänglichkeit ambulanter psychosozialer Behandlungen ist bisweilen nicht ausreichend gewährleistet, betrachtet man diese im Verhältnis zur Jahres und Lebenszeitprävalenz psychischer Störungen in der Gesamtbevölkerung. Wenn es für Menschen mit einem normalen bis hohen Funktionsniveau problematisch ist, entsprechende Versorgungsleistungen zu erhalten, ist es für Menschen mit mittleren bis schweren psychischen Störungen voraussichtlich kaum zu bewältigen. Zu betrachten ist auch, dass die Bereitschaft allgemeinpsychiatrischer Dienste sowie durch niedergelassene Ärzte eine Behandlung mit forensischen Patienten zu beginnen gilt als niedrig beschrieben werden kann. Mit dem Modell des Forensic Assertive Community Treatments soll dem Problem Sorge getragen werden und eine zukunftsfähige psychiatrische Versorgungslandschaft entstehen. In der vorliegenden Arbeit wird das Assertive Community Treatment in seiner ursprünglichen Form beschrieben und anschließend zur Behandlung forensischer Klienten erweitert.
Inhaltsverzeichnis
1 Einfuhrung
2 Grundlagen des Assertive CommunityTreatments
2.1 Hintergrund der Intervention
2.2 Aufbau der Intervention
2.3 Das ..Hamburger Modell"
3 Forensic Assertive Community Treatment
3.1 Unterschiede zum Assertive CommunityTreatment
4 Rolle der psychiatrischen Pflege
5 Schlussbetrachtung
6 Literaturverzeichnis
Abbildungsverzeichnis
ABBILDUNG I - KOORDINIERTE VERSORGUNG "HAMBURGER MODELL" ANGELEHNT AN GALLINAT, KAROW.& LAMBERT [2017]
Tabellenverzeichnis
TABELLE 1 - ,,BIG EIGHT" ANGELEHNT AN ANDREWS & BONTA [2010]
1 Einfuhrung
In der deutschsprachigen Versorgungslandschaft sind bislang nur wenige Konzepte zur Behand- lung ehemalig forensischer Patienten vorhanden. Die Gemeindepsychiatrie steht einerseits vor der Herausforderung, die politischen und gesellschaftlichen Erwartungen zu erfullen, dass keine weitere Gefahr von den Klienten ausgeht. Andererseits kollidiert ein gemeinde- respektive sozi- alpsychiatrisches Selbstverstandnis mit dem klinisch-institutionellen, oder nach Goffmann tota- len Charakter (2016) des MaBregelvollzugs. In der deutschsprachigen Literatur finden sich keine Hinweise darauf, dass eine stationare Behandlung inklusive der damit einhergehenden Entortung aus dem sozialen Umfeld des Betroffenen um besonderen MaBe wirksamer ist als eine ambulante Behandlung (Lewe, 2016). Es stelltsich die Frage, wie zukunftsfahig das bislang gelebte Modell der klinischen Sicherung und Besserung ist. Entlassungen aufgrund nichtmehr gegebener VerhaltnismaBigkeit und der zunehmend relevanter werdende Aspekt der Verlage- rung psychiatrischer Versorgungsstrukturen in die Lebenswirklichkeit von Betroffenen lassen erahnen, dass eine Verstandigung zwischen der Gemeindepsychiatrie und der institutionellen Psychiatrie von hohem Stellenwert ist.
Die Zuganglichkeit ambulanter psychosozialer Behandlungen ist bisweilen nicht ausreichend gewahrleistet, betrachtet man diese im Verhaltnis zur Jahres- und Lebenszeitpravalenz psychi- scher Storungen in der Gesamtbevolkerung. Wenn es fur Menschen mit einem normalen bis ho- hen Funktionsniveau problematisch ist, entsprechende Versorgungsleistungen zu erhalten, ist es fur Menschen mit mittleren bis schweren psychischen Storungen voraussichtlich kaum zu be- waltigen. Zu betrachten ist auch, dass die Bereitschaft allgemeinpsychiatrischer Dienste sowie durch niedergelassene Arzte eine Behandlung mit forensischen Patienten zu beginnen gilt als niedrig beschrieben werden kann (Schmidt-Quernheim & Hax-Schoppenhorst, 2008; Steinbock et al., 2004; Stubner & Nedopil, 2009).
Mit dem Modell des Forensic Assertive Community Treatments soil dem Problem Sorge getragen werden und eine zukunftsfahige psychiatrische Versorgungslandschaft entstehen. In der vorlie- genden Arbeit wird das Assertive Community Treatment in seiner ursprunglichen Form beschrieben und anschlieBend zur Behandlung forensischer Klienten erweitert.
Die Methodik dieser Arbeit basiert auf einer Kombination systematischer Literaturanalysen im deutsch- und englischsprachigen Raum und durch Gesprache mit Experten. Methoden der quali- tativen Forschung wurden, aufgrund des limitierten Umfangs dieser Arbeit primar als Explorati- onshilfe eingesetzt Ferner wurden die Onlinedatenbanken PubMed, Uni-Bib-Bielefeld und der Zentralbibliothek Bonn untersucht. Es wurde das Schneeballprinzip angewendet und Experten befragt. Suchbegriffe waren: „Case", „Forensic", „Assertive", ..Community", „Treatment" „Mana- gement", „Chronische Krankheit", „Stepped Care", „Recovery", „Krankheitsmanagement", „Adhe- rence". Diese Keywords wurden zudem verschieden miteinander kombiniert und in deutscher sowie englischer Schreibweise verwendet.
Die Arbeit beginnt mit den Grundlagen des Assertive Community Treatments und zeigt ein Mo- dellprojekt in Deutschland auf. AnschlieBend wird Bezug auf den Einsatz bei „psychisch kranken Rechtsbrechern" genommen und das Forensic Assertive Community Treatment vorgestellt Nachdem ein direkter Blick auf die Rolle der psychiatrischen Pflege im Kontext des Forensic Assertive Community Treatments geworfen wurde, wird eine Schlussbetrachtung gewagt.
Um eine bessere Lesbarkeit zu gewahrleisten, werden die Begriffe „Assertive Community Treatment" und „Forensic Assertive Community Treatment" durch die Kurzel „ACT" und „FACT" ersetzt.
2 Grundlagen des Assertive Community Treatments
2.1 Hintergrund der Intervention
Die Entstehung des ACT geht bereits in die 1970er Jahre zuruck. Es hat sich zunachst langsam entwickelt, jedoch Anwendung in den USA, Kanada, teilen von Europa und Australien gefunden. Das ACT wird als psychosoziale Intervention beschrieben fur Menschen mit schweren psychi- schen Storungen und einem hohen Versorgungsbedarf. Ziel der Intervention ist es, den betroffe- nen Menschen ein selbststandiges Leben zu ermoglichen und die Kosten durch hochfrequente Wiederaufnahmen inpsychiatrische Krankenhauser zu verringern (Morrissey, 2013).
Zentrale Probleme der psychiatrischen Versorgung sind neben langen Behandlungsdauern, un- ubersichtlichen Angeboten und letztliche langen Wartezeiten auf Behandlungen bei gleichzeiti- gem hohen Bedarf (engl.: inverse care law) eine hohe Unzufriedenheit und Uberforderung bei den Adressaten.
Die Jahrespravalenz leichter bis mittelgradiger psychischer Storung wird mit rund 20% (COAG, 2012) angegeben und macht deutlich, dass jeder funfte Mensch eine psychosoziale Hilfeleistung in Anspruch nehmen konnte. In der ambulanten Psychotherapie befinden sich lediglich 3-5% Patienten mit schweren psychischen Storungen, wohingegen die direkten und indirekten Kosten fur die Behandlung der Betroffenen mit ca. 45.000€ in einem Jahr erheblich sind. Zudem ist zu beachten, dass ein erhohtes Mortalitatsrisiko besteht. Die durchschnittliche Lebenserwartung bei Menschen mit schweren psychischen Storungen betragt55 Jahre (Lambert etal., 2013).
Die heterogenen Anforderungen an die psychiatrische Versorgung haben dazu gefuhrt, dass das ACT entstanden ist. Die zentralen Schlusselprinzipien sind nach Morrissey (2013):
1. Ein Multidisziplinares Team
2. Integrative Serviceangebote
3. Geringe Klienten/Therapeuten Ratio
4. Gemeindezentrierung
5. Langfristiges Medikamentenmanagement
6. Bewaltigung von Alltagsproblemen
7. Krisenservice (24/7)
8. Individuelle Serviceplanung
9. Keine zeitliche Limitierung
In uber 20 kontrollierten Studien konnte nachgewiesen werden, dass es Verbesserungen durch die Senkung von Wiederaufnahmeraten und Nutzung von institutionellen Behandlungswegen gibt.
Durch die sofortige Handlungsmoglichkeit des Krisenteams bei akuten Bedarfen, der Entlastung des Adressaten durch die Ersparnis einer Terminvorgabe und der direkten Informationsweiter- gaben im integrierten Team konnten exemplarisch wichtige Wirkmechanismen identifiziert werden. In den veroffentlichen Studien gibt es bislang keine konsistenten Ergebnisse im Bezug auf die Verbesserung von Symptomen, der personlichen Lebensqualitat, des Substanzmiss- brauchs sowie der sozialen Einbindung (ebd.). Es ist jedoch davon auszugehen, dass durch vali- de Interventionen entsprechende Wirkbereiche positiv beeinflusstwerden konnen.
2.2 Aufbau der Intervention
Die Intervention des ACT stutzt sich auf ein rund 10 Personen starkes Team. Dieses ist zusam- mensetzt aus Experten der Bereiche Psychiatrieerfahrene, Pflege, Medizin, Sozialarbeit, Psychology und ggf. weiteren Spezialisten. Es befindet sich als zentrales Versorgungselement im Ge- meindepsychiatrischen Selbstbewusstsein und nutz vorhandene Strukturen um eine zielgerech- te, durch ein Case Management koordinierte Serviceleistung anbieten zu konnen. Unter 2.3 wird ein Modellvorhaben aus dem deutschsprachigen Raum vorgestellt.
2.3 Das „Hamburger Modell“
Das Hamburger Modell, entstanden im Jahr 2007 beschreibt ein Konzept der integrierten Ver- sorgung fur Menschen, die unter schweren Psychosen leiden. Es ist auf der gesetzlichen Grund- lage des § 140 SGB V begrundet und siehteine sektorubergreifende, langfristige Versorgung vor. Durch ein Netzwerk zwischen der Klinik fur Psychiatrie und Psychotherapie Hamburg- Eppendorf und niedergelassenen Psychiatern wird die Intervention tragfahig durchgefuhrt. Die Finanzierung wird, im Rahmen von „Kopfpauschalen" durch mehrere Krankenkassen gesichert und ist abhangig von spezifischen diagnostischen Indikationen zur Aufnahme in das Programm, welche mit den Kostentragern zuvor vereinbart wurden. Das gesamte Angebot an psychosozia- len Leistungen steht den Klienten zur Nutzung offen. Wie auch im Rahmen s.g. Modellvorhaben nach §64b SGB V werden Jahrespauschalen an den Dienstleister gezahlt. Dieser kann mit den zur Verfugung stehenden Mitteln das gesamte Repertoire an MaBnahmen finanzieren. Am Beispiel des „Hamburger Modells" wurde ein Vertrag zur integrierten Versorgung mit den Krankenkassen geschlossen. Dieser uberlasst dem Dienstleister die Auswahl und Planung geeigneter MaB- nahmen und Behandlungspfade.
Das koordinierte Versorgungsmodell in Hamburg Vereint verschiedene evidente Verfahren zu einem Gesamtangebot (vgl. Abbildung I).
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung I - Koordinierte Versorgung "Hamburger Modell" angelehnt an Gallinat, Karow, & Lambert ( 2017)
Die Behandlung im „Hamburger Modell" gliedert sich in vier zentrale, in ihrer Intensitat gestufte Behandlungsarme (Gallinatet al., 2017):
Stufe1 - Niederschwellige Angebote und Begleitung aus dem Versorgungssystem:
Die Nutzer konnen vorhandene Angebote selbststandig nutzen. Ihnen wird durch das ACT die Moglichkeit via ortsgebundener Dienste, Telemedizin (E-Health) und Peer-Begleitung sich aktiv um ihre personliche Gesunderhaltung zu kummern. Eine Begleitung aus dem Versorgungssystem in die Lebenswirklichkeit zuruck wird durch das ACT gewahrleistet
Stufe 2 - Koordinierte Versorgung
Eine durch die Betroffenen und Experten geplante Behandlungsfolge, die von den Betroffenen selbststandig wahrgenommen werden kann. Die Koordination des Angebotes erfolgt durch das ACT.
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