Der Einfluss von Blockchain-Technologien auf die Finanzbranche. Ein Modell zur Einschätzung evolutionärer oder disruptiver Wirkungen


Fachbuch, 2019

84 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis

Abbildungsverzeichnis

Tabellenverzeichnis

1 Einleitung

2 Innovation: Begriffserklärung, Merkmale und Arten disruptiver und evolutionärer Innovation
2.1 Begriffserklärungen
2.2 Definition und Merkmale evolutionärer und disruptiver Innovation
2.3 Arten der disruptiven Innovation
2.4 Kritische Beurteilung der Theorie Christensens

3 Blockchain-Technologie im Bankwesen
3.1 Begriffserklärungen
3.2 Funktionsweise und Architektur der Blockchain-Technologie
3.3 Anwendungsbereiche der Blockchain-Technologie im Bankwesen

4 Ableitung eines Modells zur Beurteilung der Wirkung der Blockchain
4.1 Die Einsparpotenzial-Umsatzverlustpotenzial-Matrix
4.2 Entscheidungsfaktoren für induziertes Einsparpotenzial und Umsatzverlustpotenzial
4.3 Einordnung der definierten Anwendungsbereiche in die Einsparpotenzial-Umsatzverlustpotenzial-Matrix
4.4 Normstrategien für Felder der Matrix

5 Diskussion und Fazit

6 Literaturverzeichnis

7 Anhang
7.1 Anhang 1: Veränderungen von Finanzdienstleistungen durch die Blockchain
7.2 Anhang 2: Beispiele für Projekte zur Implementierung der Blockchain-Technologie im Bankwesen
7.3 Anhang 3: Beispiele für regulatorische Aktivitäten im Bereich der Blockchain-Technologie

Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildungsverzeichnis

Abbildung 1. Zukunftsbestimmende Trends in der Finanzbranche, in Anlehnung an Finanzprodukt (2015)

Abbildung 2. Struktur der Arbeit

Abbildung 3. Evolutionäre Innovation der Aufzeichnungsdichte von Laufwerken, in Anlehnung an Christensen (2011, S. 28)

Abbildung 4. Low-End Disruption, in Anlehnung an Christensen und Raynor (2003, S. 44)

Abbildung 5. New-Market Disruption, in Anlehnung an Christensen und Raynor (2003, S. 44)

Abbildung 6. Vereinfachte Darstellung eines DLT -Netzwerks, in Anlehnung an Froystad und Holm (2016, S. 9)

Abbildung 7. Zentralisierte, dezentralisierte und verteilte Netzstruktur, in Anlehnung an Baran (1964, S. 2)

Abbildung 8. Schematischer Ablauf einer Blockchain Transaktion, in Anlehnung an Froystad und Holm (2016, S. 10)

Abbildung 9. Ablauf einer internationalen Zahlungstransaktion, in Anlehnung an Roßbach (2016, S. 1)

Abbildung 10. Internationaler Geldtransfer über das Ripple Netzwerk, in Anlehnung an Froystad und Holm (2016, S. 35)

Abbildung 11. Schematische Abbildung des Kassa-Aktienhandels in den U.S.A., in Anlehnung an Schneider et al. (2016, S. 44)

Abbildung 12. Einfluss der Blockchain-Technologie auf Kapitalmarkttransaktionen, in Anlehnung an Belinky et al. (2015, S. 15), Schneider et al. (2016, S. 46), Van de Velde et al. (2016, S. 12)

Abbildung 13. Analoge Handelsfinanzierung über ein Akkreditiv, in Anlehnung an Belinky et al. (2015, S. 8)

Abbildung 14. Blockchainbasierte Handelsfinanzierung über ein Akkreditiv, in Anlehnung an Belinky et al. (2015, S. 8)

Abbildung 15. Möglicher Aufbau einer dezentralisierten Regulierungsblockchain, in Anlehnung an Peters und Vishnia (2018, S. 323)

Abbildung 16. Einsparpotenzial-Umsatzverlustpotenzial-Matrix

Abbildung 17. Entscheidungsfaktoren für blockchaininduziertes Einsparpotenzial

Abbildung 18. Entscheidungsfaktoren für blockchaininduziertes Umsatzverlustpotenzial

Abbildung 19. Einsparpotenzial im Bereich des Zahlungsverkehrs

Abbildung 20. Umsatzverlustpotenzial im Bereich des Zahlungsverkehrs

Abbildung 21. Einsparpotenzial im Bereich der Kapitalmärkte

Abbildung 22. Umsatzverlustpotenzial im Bereich der Kapitalmärkte

Abbildung 23. Einsparpotenzial im Bereich der Handelsfinanzierung

Abbildung 24. Umsatzverlustpotenzial im Bereich der Handelsfinanzierung

Abbildung 25. Einsparpotenzial im Bereich der Regulatorik

Abbildung 26. Umsatzverlustpotenzial im Bereich der Regulatorik

Abbildung 27. Einsparpotenzial-Umsatzverlustpotenzial-Matrix mit Normstrategien, in Anlehnung an Mougayar und Buterin (2016, S. 102), Bea und Haas (2016, S. 162f.)

Tabellenverzeichnis

Tabelle 1. Merkmale disruptiver Innovation (Vgl. Tellis 2006, S. 34; Christensen 2011, S. 41)

Tabelle 2. Einzelwirtschaftliche Funktionen von Geschäftsbanken (Wierichs und Smets 2010, S. 16)

Tabelle 3. Blockchain Modelle (Vgl. Garzik 2015, S. 11)

Tabelle 4. Veränderungen von Finanzdienstleistungen durch die Blockchain (Vgl. Tapscott und Tapscott 2016, S. 94f.)

Tabelle 5. Projekte zur Implementierung der Blockchain-Technologie im Bankwesen (Vgl. Vysya und Kumar 2017, S. 6)

Tabelle 6. Regulatorische Aktivitäten im Bereich der Blockchain-Technologie (Vgl. Vysya und Kumar 2017, S. 7; Froystad und Holm 2016, S. 43)

1 Einleitung

Banking is necessary, banks are not. Diese provokante Aussage Bill Gates‘ aus dem Jahr 1994 besitzt, insbesondere im Kontext der aufkommenden Blockchain-Technologie im Bankwesen, Relevanz. Die Blockchain ermöglicht Teilnehmern, Transaktionen sicher und unwiderruflich zu speichern während diese in Echtzeit kommuniziert werden. Sie gilt als zukunftsbestimmende Technologie in der Finanzbranche. Nach Aufkommen der Blockchain mit der Erfindung des Bitcoins im Jahr 2008, polarisierte die Technologie stark. Befürworter sprachen von unbegrenzten Anwendungsmöglichkeiten in fast allen Bereichen und riesigen Einsparpotenzialen. Gegner bezeichneten sie hingegen auch mal als ‚Hype‘, der nicht lange anhalten werde.

Insbesondere in den letzten beiden Jahren scheint jedoch ein fundamentales Umdenken über die Blockchain, insbesondere im Finanzdienstleistungssektor, stattgefunden zu haben. Plötzlich initiierten eine Vielzahl von Banken eigene Projekte zur Untersuchung der Potenziale der Blockchain-Technologie1, was zu einer „explosionsartigen Entwicklung immer neuer Anwendungsfälle und […] einer unüberschaubaren Anzahl an Akteuren“ (Froystad und Holm 2016, S. 43; Vgl. Vysya und Kumar 2017, S. 7) führte.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 1. Zukunftsbestimmende Trends in der Finanzbranche2, in Anlehnung an Finanzprodukt (2015)

Forschung zur Blockchain-Technologie behandelt bisher oft technologische3 oder juristische4 Aspekte, wobei sich insbesondere in der akademischen Forschung zu Auswirkungen der Blockchain auf bestehende Geschäftsmodelle zahlreiche Fragestellungen ergeben (Vgl. Schütte et al. 2017, S. 15). Schütte et al. (ebd.) identifizieren unter anderem den Bedarf einer Prognose der „Auswirkungen einer Blockchain-Implementierung auf etablierte Geschäftsmodelle“ und stellen die Frage, „ob es sich [bei der Blockchain-Anm. d. A.] um einen Hype handelt oder die Technologie genügend disruptives Potenzial besitzt“ (Schütte et al. 2017, S. 5).

Das Ziel dieser Arbeit ist es, mit der Entwicklung eines entscheidungsorientierten und pragmatischen Modells zur Beurteilung der Wirkung der Blockchain-Technologie im Finanzdienstleistungssektor einen Beitrag im akademischen Forschungsprozess zu leisten. Die Arbeit gliedert sich wie folgt.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 2. Struktur der Arbeit

Im Anschluss an die thematische Einführung werden in Kapitel zwei wesentliche Konzepte und Begrifflichkeiten im Bereich der Innovation erarbeitet. Schwerpunktmäßig wird auf das Konzept der disruptiven Innovation eingegangen. Ziel ist es dabei, den Begriff der disruptiven Innovation zum Zweck dieser Arbeit zu definieren. In Kapitel drei werden essentielle Begriffe und Konzepte der Blockchain-Technologie und des Bankwesens für das Verständnis der Arbeit geklärt. Des Weiteren werden vier Anwendungsbereiche der Blockchain-Technologie im Bankwesen identifiziert und Anwendungsmöglichkeiten der Blockchain in diesen erörtert. In Kapitel vier wird aus bestehender Literatur sowie den im Zuge der Arbeit gewonnenen Erkenntnissen die Einsparpotenzial-Umsatzverlustpotenzial-Matrix abgeleitet, die zur Beurteilung der Wirkung der Blockchain auf Anwendungsfälle im Bankwesen dient. In einem weiteren Schritt werden definierte Anwendungsfälle in das erstellte Modell eingeordnet. Zusätzlich werden Normstrategien aus der Literatur abgeleitet und den Feldern der Matrix zugeordnet. Kapitel fünf fasst die Kerngedanken der Arbeit zusammen, würdigt diese kritisch und schließt mit dem Aufzeigen weiteren Forschungsbedarfs.

2 Innovation: Begriffserklärung, Merkmale und Arten disruptiver und evolutionärer Innovation

In diesem Kapitel werden die Grundlagen für das weitere Vorgehen in der Arbeit gelegt. Der Begriff der Innovation, sowie der disruptiven und evolutionären Innovation wird eingegrenzt und beschrieben. Hierbei werden insbesondere die Theorie Christensens zu disruptiver, sowie evolutionärer Innovation behandelt. Darüber hinaus wird in der Literatur bestehende Kritik an der Theorie der disruptiven Innovation nach Christensen zusammengefasst und der Begriff der disruptiven Innovation zur Anwendung in dieser Arbeit definiert.

2.1 Begriffserklärungen

2.1.1 Innovation

Innovation, abgeleitet vom lateinischen Verb innovare5. wird im wirtschaftswissenschaftlichen Kontext definiert als Produkte oder Prozesse, die signifikante technologische Verbesserungen bieten, auf dem Markt eingeführt (Produktinnovation) oder im Produktionsprozess implementiert sind (Prozessinnovation) und dessen Einführung eine Reihe wissenschaftlicher, technologischer, organisatorischer, finanzieller sowie vermarktungstechnischer Aktivitäten impliziert (Vgl. Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) 1997). Um den Begriff der Innovation tiefer zu erfassen, ist auch eine soziologische Betrachtung von Innovation hilfreich.

„Als Innovationen werden materielle oder symbolische Artefakte bezeichnet, welche Beobachterinnen und Beobachter als neuartig wahrnehmen und als Verbesserung gegenüber dem Bestehenden erleben.“(Braun-Thürmann 2005, S. 6)

Innovation greift maßgeblich auf die Idee interaktiver Produkte zurück. Somit kann keine Idee Innovation sein, ohne dass mindestens eine zweite Person das Hergestellte als Novum wahrnimmt und dies weiterkommuniziert (Vgl. Braun-Thürmann 2005, S. 6f.).

2.1.2 Wertesysteme und Entwicklungspfade

Das Value-Network oder Wertesystem wird beschrieben als „Kontext, innerhalb dessen ein Unternehmen Kundenbedürfnisse identifiziert (und diese versucht zu befriedigen), Probleme löst, Ressourcen beschafft, auf Konkurrenz reagiert und nach Erfolg strebt“ (Christensen 2011, S. 53) und basiert maßgeblich auf den Ideen von Christensen und Rosenbloom (1995, S. 240)6. Christensen und Rosenbloom (1995, S. 242f.) argumentieren, dass sich ein in einem spezifischen Value-Network befindliches Unternehmen Innovation in genau diesem Value-Network anstreben wird, um den Kundenwert in diesem Segment zu maximieren. Der Fokus auf bestehende Wertesysteme und entsprechende Ressourcenallokation erklärt laut Christensen „den Erfolg [etablierter Unternehmen-Anm. d. A.] bei evolutionären Technologien und den Misserfolg bei disruptiven Technologien“ (Christensen 2011, S. 54), da disruptive Innovation nicht im primären Wertesystem des Unternehmens stattfindet. Innovation im technologischen Kontext verläuft innerhalb bestehender Wertesysteme laut Christensen anhand eines sogenannten Entwicklungspfades7, an dem zukünftige Leistungsverbesserungen kontinuierlich stattfinden (Vgl. Christensen 2011, S. 16).

2.2 Definition und Merkmale evolutionärer und disruptiver Innovation

Um die überschneidungsfreie Bearbeitung der Forschungsfrage zu ermöglichen, muss eine klare Abgrenzung und Definition evolutionärer, sowie disruptiver Innovation erfolgen. Evolutionäre Innovation wird im Kontext dieser Arbeit als Äquivalent der Sustaining Innovation verwendet, während bei disruptiver Innovation auf eine, unter Berücksichtigung der Kritik in der Literatur abgeänderte, Definition Christensens zurückgegriffen wird. Des Weiteren sind auch die Begriffsabgrenzungen Sustaining / Disruptive Technology / Innovation in der Literatur ungenau definiert und werden oft synonym verwendet. Zunächst wurde im Jahr 1997 der Begriff Disruptive Technology von C. Christensen eingeführt (Christensen 2011), im Jahr 2003 allerdings auf disruptive Innovation abgeändert. Christensen argumentiert, dass eine disruptive Wirkung nicht ausschließlich einer Technologie zugeschrieben werden kann, sondern auch das unterliegende Geschäftsmodell in Betracht gezogen werden muss. Diesem Anspruch wird das Wort Innovation besser gerecht (Christensen und Raynor 2003). Aus diesem Grund wird in dieser Arbeit, falls nicht durch direkte Zitate bedingt, der Begriff der disruptiven / evolutionären Innovation verwendet. Im nachfolgenden Abschnitt sollen die Begriffe evolutionärer sowie disruptiver Innovation herausgearbeitet werden.

2.2.1 Definition und Merkmale evolutionärer Innovation

Evolutionäre8 Innovationen erhalten die Marktmacht der bisherigen Marktteilnehmer und bewegen sich auf dem technologischen Entwicklungspfad der jeweiligen Branche. Evolutionäre Innovationen sind darauf ausgerichtet, bestehende Produkte und Prozesse im Markt, anhand von Anforderungen der profitabelsten Kundensegmente zu verbessern (Vgl. Christensen 2011, S. 125). Christensen (2011, S. 26) merkt an, dass evolutionäre Innovation nicht zwangsläufig inkrementeller, sondern auch radikaler Natur sein kann, solange die Anhebung der Leistung innerhalb des historisch definierten Entwicklungspfades geschieht. Im Bereich der evolutionären Innovation präsentieren sich etablierte Unternehmen als Technologieführer und treiben evolutionäre Innovation voran. So können durch die Verbesserung der Produktperformance Gewinnmarge und Abatz gesteigert und die kurz- und mittelfristige Dominanz des Unternehmens gesichert werden. Als Beispiel für eine evolutionäre Innovation kann die Entwicklung der Computerindustrie, genauer der des Computerlaufwerks, im Zeitraum 1970-1995 dienen.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 3. Evolutionäre Innovation der Aufzeichnungsdichte von Laufwerken, in Anlehnung an Christensen (2011, S. 28)

Die Grafik verdeutlicht den Prozess der evolutionären Innovation. Evolutionäre Innovation folgt einem definierten Entwicklungspfad mit dem Ziel, die Aufzeichnungsdichte von Computerlaufwerken zu maximieren. Die Verbesserungen innerhalb der jeweiligen Technologien stellen hierbei inkrementelle, der Wechsel zur innovativeren Technologie radikale, evolutionäre Innovation dar (Vgl. Christensen 2011, S. 27).

2.2.2 Definition und Merkmale disruptiver Innovation

Das Konzept der disruptiven Innovation geht, ebenso wie das Konzept der evolutionären Innovation, auf Christensen zurück. Christensen beschreibt disruptive Innovationen als Technologien, deren Anwendung zu Produkten führen, die zunächst nicht mit der Leistungsfähigkeit etablierter Produkte Schritt halten können. Disruptive Innovationen sprechen dediziert eine kleine, oft bisher nicht adressierte Kundengruppe an und bieten für diese Kundengruppe Vorteile (Vgl. Christensen 2011, S. 6). Tellis (2006, S. 34) bemängelt die ungenaue Definition disruptiver Innovation Christensens und arbeitet fünf zentrale Merkmale disruptiver Technologien heraus, die in der Neuauflage des Innovator’s Dilemma integriert und in der folgenden Tabelle abgebildet sind (Vgl. Christensen 2011, S. 41).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 1. Merkmale disruptiver Innovation (Vgl. Tellis 2006, S. 34; Christensen 2011, S. 41)

Eines der zentralen Merkmale disruptiver Innovation, ist die Beobachtung, dass die disruptive Technologie der am Markt vorherrschenden Technologie in den von den Mainstream-Nutzern geforderten Dimensionen unterlegen ist (ebd.). Ein Beispiel für disruptive Innovation stellt die Entwicklung der Dampfschifffahrt im 19. Jahrhundert dar. Das Segelschiff war die dominante Technologie und sowohl in der Binnen, als auch in der profitablen Hochsee-Transportschifffahrt, unangefochten. Das Aufkommen der Dampfschiffe, zunächst nur in der Binnenschifffahrt, wurde für die Hochseeschifffahrt als nicht relevant erachtet, da Dampfschiffe als zu langsam und störanfällig für Hochseefahrten galten und der Markt für Binnenschifffahrt klein war. Als im Jahr 1889 der erste Hochseedampfer in Dienst gestellt wurde, war der Technologievorsprung der neueingetretenen Unternehmen bereits so groß, dass etablierte Hersteller von Segelschiffen diesen nicht mehr aufholen konnten. Dieses Beispiel führt zu einem weiteren zentralen Merkmal disruptiver Innovation, etablierte Marktteilnehmer werden ersetzt, obwohl sie genau das tun, was die wissenschaftliche Literatur als maßgeblich für das Erreichen langfristigen wirtschaftlichen Erfolges erachtet9: Auf die Meinung des Kunden zu hören (Vgl. Tellis 2006, S. 35).

2.3 Arten der disruptiven Innovation

Christensen unterscheidet zwei Arten disruptiver Innovation: Die New-Market Disruption und die Low-Market Disruption. Im Folgenden sollen beide Arten definiert werden. Es ist hinzuzufügen, dass sich Low-End sowie New-Market Disruption in der Praxis oft nicht trennscharf unterscheiden lassen und disruptive Innovationen oft auch hybrider Form auftreten, wenn neue Wertenetze entstehen, die sowohl bisherige Nichtkonsumenten, als auch weniger anspruchsvolle Kunden, sogenannte Overshoot Customers ansprechen (Vgl. Reinhardt und Gurtner 2011, S. 294).

2.3.1 Low-End Disruption

Low-End Disruptionen sprechen Bedürfnisstrukturen der Overshoot Customers an, die durch das immer technologischer und komplexer werdende Angebot der Marktführer keinen Vorteil generieren. Low-End Disruptionen schaffen es, die von den Overshoot Customers geforderten Werte zu einem günstigeren Preis zu liefern und gewinnen so Marktanteile (Christensen und Raynor 2003, S. 46–48).

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Abbildung 4. Low-End Disruption, in Anlehnung an Christensen und Raynor (2003, S. 44)

2.3.2 New-Market Disruption

Technologien einer New-Market Disruption schaffen Nachfrage nach einer neuen Technologie und entwickeln sich in einem neuen Marktumfeld. Die New-Market Disruption schafft ein neues Wertesystem, in dem sich Kundenpräferenzen gravierend von den Leistungsdimensionen des herkömmlichen Wertesystems unterscheiden und zielt somit auf Nichtkonsumenten ab (Vgl. Christensen und Raynor 2003, S. 45). Ein Beispiel für eine New-Market Disruption ist der Markt für Carsharing, mit dem innovativen Disruptor Car2Go (Vgl. Bartman 2015, S. 1f.). Car2Go und andere Carsharing Anbieter schaffen einen neuen Markt für Mietwagen, der von den klassischen Mietwagenfirmen nicht adressiert wird und stehen nicht im Wettbewerb mit etablierten Unternehmen im Markt, sondern mit dem Nichtkonsumieren des Produkts (Vgl. Christensen und Raynor 2003, S. 45).

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Abbildung 5. New-Market Disruption, in Anlehnung an Christensen und Raynor (2003, S. 44)

2.4 Kritische Beurteilung der Theorie Christensens

Die Theorie der disruptiven Innovation nach Christensen ist vielfach kritisiert worden. So beschreiben Tellis (2006, S. 35) und Danneels (2004, S. 247) Probleme bei der Definition des Begriffs der disruptiven Innovation. Insbesondere wird das Merkmal der anfänglichen Unterlegenheit disruptiver Innovationen, im von Kunden geforderten Leistungsmerkmal, hinterfragt. Der Fokus auf den reinen ‚Angriff von unten‘ lasse andere Phänomene der diskontinuierlichen Veränderung außer Acht, die möglicherweise von gleicher oder größerer Wichtigkeit sind (Vgl. Utterback und Acee, S. 7; Markides 2006, S. 22f.). So gibt es auf der einen Seiten Technologien, die eine Weltneuheit darstellen und somit disruptiv auf Unternehmen und Konsumenten wirken, jedoch nach Christensen nicht als disruptiv klassifiziert werden können (Vgl. Markides 2006, S. 22). Auf der anderen Seite gibt es viele Technologien, die etablierten, im von Kunden geforderten Leistungsmerkmal, unterlegen sind, aber infolge ihres geringen Einflusses ebenfalls nicht als disruptive Innovation klassifiziert werden können (Vgl. Tellis 2006, S. 35). Sood und Tellis (2011, S. 340) argumentieren weiterhin, dass der Begriff ‚disruptiv‘ sowohl als Auslöser, als auch als zu beobachtender Effekt eingeführt, und in der wissenschaftlichen Literatur verwendet wird10. Auch der starke Fokus Christensens auf disruptive Innovationen ist zu kritisieren, so weist Hayes (1985) auf die Vorteile evolutionärer, im Gegensatz zu sprunghaften Entwicklungen hin. Er argumentiert, es sei insbesondere in einfachen Wettbewerbssituationen entscheidend, in der Entwicklung evolutionärer Technologien zu führen. Henderson und Clark (1990, S. 18) merken darüber hinaus an, dass Unternehmen auch dann scheitern können, wenn sie bei der Entwicklung evolutionärer Innovationen zurückfallen.

Darüber hinaus kritisieren mehrere Autoren den Mangel an empirischen Studien, die die Generalisierung der Theorie Christensens rechtfertigen (Vgl. Govindarajan und Kopalle 2006, S. 13; Tellis 2006, S. 35; Utterback und Acee, S. 7). Eine weitere in der Literatur häufig kritisierte Eigenschaft der disruptiven Innovation nach Christensen ist die mangelnde Aussagekraft über zukünftig eintretende Ereignisse, da von Christensen gewählte Beispiele ausschließlich nachträglich gewählt wurden (Vgl. Tellis 2006, S. 35; Kostoff et al. 2004, S. 145). Da die Aussage über eine mögliche disruptive Wirkung der Blockchain-Technologie auf bestimmte Anwendungsbereiche im Bankwesen das Ziel dieser Arbeit ist, muss die Definition disruptiver Innovationen angepasst werden.

Angesichts der berechtigten Kritik am ursprünglichen Modell Christensens, wird im Zuge dieser Arbeit eine breitere Definition des Begriffs der disruptiven Innovation verwendet. Disruptive Innovationen sind Innovationen, die zu einem signifikanten Teil auf neuen Technologien oder Geschäftsmodellen basieren, Veränderungen des Konsumverhaltens und der Geschäftsstruktur implizieren, als substanzielle Verbesserungen enthaltend wahrgenommen werden und für etablierte Marktteilnehmer zunächst unattraktiv sind (Vgl. Sandberg 2002, S. 187).

3 Blockchain-Technologie im Bankwesen

In diesem Kapitel soll der Einfluss der Blockchain-Technologie im Bankwesen aufgezeigt werden. Das Kapitel umfasst sowohl grundlegende Erklärungen der relevanten Begriffe, als auch eine Einführung in die Funktionsweise der Blockchain-Technologie sowie deren Einfluss auf ausgewählte Teilbereiche des Bankwesens.

3.1 Begriffserklärungen

3.1.1 Bankwesen

Grundsätzlich wird das Bankensystem in das Zentralbanken- sowie das Geschäftsbankensystem gegliedert, wobei Zentralbanken für die Durchführung der Währungspolitik verantwortlich sind und in dieser Arbeit nicht weiter behandelt werden (Vgl. Hepp 2008, S. 26f.; Vgl. Schierenbeck und Hölscher 1993, S. 29–60). Eine Bank erfüllt maßgeblich zwei Gruppen von Funktionen. Die volkswirtschaftlichen Funktionen, etwa der Liquiditätsausgleich innerhalb verschiedener wirtschaftlicher Akteure, wird bedingt durch den begrenzten Umfang der Arbeit, nicht behandelt. Die einzelwirtschaftlichen Funktionen einer Bank, Umtausch- Depot- Transport- und Finanzierungsfunktion, werden behandelt und sind in der untenstehenden Tabelle erläutert (Vgl. Wierichs und Smets 2010, S. 16).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Tabelle 2. Einzelwirtschaftliche Funktionen von Geschäftsbanken (Wierichs und Smets 2010, S. 16)

Die vorliegende Arbeit verzichtet darauf, Geschäftsbanken von Kreditinstituten sowie Finanzdienstleistern im juristischen Sinne abzugrenzen. Die genannten Begriffe werden synonym verwendet.

3.1.2 Blockchain, die Distributed Ledger Technologie

Die Blockchain-Technologie ist eine kryptografisch gesicherte, globale, mit einem dezentralen Überprüfungsmechanismus ausgestattete, praktisch unveränderbar verteilte (Distributed) Datenbank, die es erlaubt, Transaktionen und andere Einverständnisse in einer sicheren und überprüfbaren Art und Weise zu speichern (Vgl. Mougayar 2016, S. 18–23; Walport 2016, S. 17). Das Wort Blockchain setzt sich zusammen aus den englischen Wörtern Block und Chain. Ein Block ist eine Liste mit einer bestimmten Anzahl von Transaktionen. Mehrere solcher Blöcke sind in einer Kette (Chain) miteinander verbunden und beziehen sich aufeinander (Vgl. Wright und Filippi 2015, S. 6f.). Jeder Teilnehmer im Netzwerk, auch Node genannt, hält eine Auflistung aller im Netzwerk abgeschlossener Transaktionen. Eine solche Aneinanderreihung von Informationen, die auf mehrere Rechner im Netzwerk verteilt sind und auf die jeder Partizipant zugreifen kann, wird als Distributed Ledger bezeichnet (Vgl. Walport 2016, S. 17f.). Die Begriffe der Distributed Ledger Technologie (DLT) und der Blockchain-Technologie werden in der vorliegenden Arbeit synonym verwendet.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 6. Vereinfachte Darstellung eines DLT-Netzwerks, in Anlehnung an Froystad und Holm (2016, S. 9)

Die Blockchain selbst stellt keine radikale technologische Neuerung dar. So wurde die zugrundeliegende kryptografische Sicherung bereits in den späten 1970er Jahren entwickelt11. Auch das Peer-to-Peer (P2P) Netzwerk, in dem gleichberechtigte User Dienste in Anspruch nehmen und zur Verfügung stellen können und abhängig von bestimmten Merkmalen unterschiedliche Aufgaben übernehmen, ist ebenfalls keine neue Idee12. Ebenso der dezentrale Überprüfungsmechanismus, Proof of Work13, oder die verteilte Speicherung von Daten14. Die Leistung der Blockchain-Technologie, die erstmalig als unterliegende Technologie der Kryptowährung Bitcoin im Jahr 2008 bekannt wurde15, liegt darin, bereits bestehende Technologien und Ansätze zu verknüpfen, um den zuvor nicht möglichen unmittelbaren digitalen Wertetransfer zu ermöglichen (Vgl. Wright und Filippi 2015, S. 4f.).

3.2 Funktionsweise und Architektur der Blockchain-Technologie

Einer sehr plakativen, aber leicht verständlichen Formulierung bedient sich Mougayar (2016, S. 1), wenn er die Funktionsweise der Blockchain-Technologie mit der von Dokumentensharing-Plattform ‚Google Docs‘ vergleicht. Mougayar argumentiert, dass sowohl Google Docs als auch die Blockchain gleichzeitigen Zugriff und gleichzeitige Bearbeitung ermöglichen und somit für effizientere Arbeitsabläufe und erhöhte Transparenz stehen.

Morabito (2017, S. 23) nennt drei Attribute, die zentrale Bedeutung für die Funktionsweise und das Potenzial der Blockchain besitzen:

Verteiltheit16 ist eine der Haupcharakteristiken einer Blockchain. Verschiedene Marktteilnehmer sind im Rahmen eines peer-to-peer Netzwerks zusammengeschlossen in dem sie Transaktionen und Transfers von Werte vornehmen können, ohne dabei auf einen Intermediär angewiesen zu sein.

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Abbildung 7. Zentralisierte, dezentralisierte und verteilte Netzstruktur, in Anlehnung an Baran (1964, S. 2)

Transparenz und Validität17. Die Blockchain-Technologie bietet einen eindeutigen Herkunftsnachweis jeglicher Transaktionen im Netzwerk. Da jeder Block in der Blockchain Informationen über den jeweils vorgelagerten Block enthält, wird jeder weitere Block automatisch validiert.

Belastbarkeit und Unwiderrufbarkeit18 beschreibt die Sicherheit, dass abgeschlossene Transaktionen im Netzwerk nachträglich nicht geändert werden können. Die Belastbarkeit und Unwiderrufbarkeit von Transaktionen wird sichergestellt, indem jeder Teilnehmer im Netzwerk (Node) eine Kopie der gesamten Blockchain speichert und anhand dieser Kopie neue Transaktionen im Netzwerk validiert. Eine Manipulation der Blockchain ist somit praktisch ausgeschlossen19.

Als konkretes Beispiel für die Funktionsweise der Blockchain-Technologie soll eine Transaktion über ein fiktives und simplifiziertes Blockchain Netzwerk simuliert werden.

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Abbildung 8. Schematischer Ablauf einer Blockchain Transaktion, in Anlehnung an Froystad und Holm (2016, S. 10)

(1) Transaktionsdefinition20: Im ersten Schritt erstellt der Sender eine Transaktion, in der Informationen über die öffentliche Adresse (Public Key) des Empfängers, den Wert der Transaktion sowie eine digitale Signatur zur Authentifizierung enthalten sind (Vgl. Morabito 2017, S. 24).
(2) Transaktionsautorisierung21: Wenn die Netzwerkteilnehmer die Transaktion erhalten, wird zunächst die digitale Signatur überprüft, um die Transaktion zu validieren (ebd.).

[...]


1 Siehe Anhang 2.

2 Befragung von 265 Unternehmern im Technologiebereich sowie Bankangestellten in der Schweiz.

3 Siehe z.B. Croman et al. 2016, Andrychowicz und Dziembowski 2014, Pass et al. 2016.

4 Siehe z.B. Kiviat 2015, Oudin 2017, Maupin 2017.

5 Aus dem Lateinischen: Erneuern.

6 Das Konzept des Wertesystems basiert unter anderem auf der Idee der technologischen Paradigmen von Dosi. Dosi definiert ein technologisches Paradigma als „pattern of solution of selected technological problems, based on selected principles derived from natural sciences and on selected material technologies“ (Dosi 1982, S. 152)

7 Aus dem Englischen: Trajectory.

8 Abgeleitet vom lateinischen Wort evolvere: ‚Herausrollen‘, ‚auswickeln‘, ‚entwickeln‘.

9 Siehe z.B. Drucker 2014, Levitt 1960.

10 Vgl. Kostoff et al. 2004, S. 141.

11 Siehe z.B. Diffie und Hellman 1976, Rivest et al. 1976.

12 Siehe z.B. Oram 2001.

13 Siehe z.B. Back 1997.

14 Dezentralisierte, verteilte Datenspeicherung wie etwa bei Quellcode-Managementsystem Git existiert bereits seit 2005. (https://git-scm.com/book/en/v2/Getting-Started-A-Short-History-of-Git)

15 Siehe z.B. Nakamoto 2008.

16 Aus dem Englischen: Decentralization.

17 Aus dem Englischen: Trust and Provenance.

18 Aus dem Englischen: Resilience and Irreversibility.

19 Um eine unrechtmäßige Änderung der Blockchain validieren zu können, müsste ein Angreifer über mehr als 50% der im gesamten Netzwerk vorhanden Rechenkapazität verfügen (Vgl. Nakamoto 2008, 4).

20 Aus dem Englischen: Transaction Definition.

21 Aus dem Englischen: Transaction Authentication.

Ende der Leseprobe aus 84 Seiten

Details

Titel
Der Einfluss von Blockchain-Technologien auf die Finanzbranche. Ein Modell zur Einschätzung evolutionärer oder disruptiver Wirkungen
Autor
Jahr
2019
Seiten
84
Katalognummer
V444785
ISBN (eBook)
9783956877032
ISBN (Buch)
9783956877056
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Blockchain, Disruptive Innovation, Distributed Ledger, Bankwesen, evolutionäre Innovation, Einsparpotenzial, Umsatzverlustpotenzial, Zahlungsverkehr, Regulatorik, Kapitalmärkte, Handelsfinanzierung, Modell, Entscheidungsfaktoren, Matrix, FinTech, Finanztechnologie, Finanzbranche, Innovation, Trend
Arbeit zitieren
Jonas Schoell (Autor:in), 2019, Der Einfluss von Blockchain-Technologien auf die Finanzbranche. Ein Modell zur Einschätzung evolutionärer oder disruptiver Wirkungen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/444785

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