Blaise Pascal als Moralist


Seminararbeit, 2001

33 Seiten, Note: 1+


Leseprobe


Inhalt

0. Einführung und Rechtfertigung

1. Die Frage nach dem Menschen

2. Die Wissenschaft vom Menschen

3. Pascal als Moralist

4. Schlußbetrachtung

Anmerkungen

Alphabetisches Literaturverzeichnis

0. Einführung und Rechtfertigung

Qu‘on ne dise pas que je n‘ai rien dit de nouveau, la disposition des matières est nouvelle. (L 696)*1)

Inwiefern besitzt der Autor Blaise Pascal aktuelles Interesse? Inwiefern die Moralistik? Und inwiefern ist die Frage aktuell, in welcher Hinsicht Pascal als Moralist angesehen werden darf oder soll und in welcher nicht?

Blaise Pascal erlebte im vergangenen 20.Jahrhundert eine doppelte Renaissance, die auf seine bleibende Aktualität hinweisen kann. In einer Zeit des Existentialismus, nach dem Schockerlebnis zweier Weltkriege bildeten die radikalen Fragestellungen Pascals an den Menschen einerseits, und in Bezug auf den wiedererblühenden Katholizismus der Nachkriegszeit seine unbedingte Glaubenseinstellung andererseits die entscheidenden Anhaltspunkte für ein neues Interesse an seinem Leben und Werk. Romano Guardini sieht Pascals „ Pensées" in der Reihe einiger Bücher „[i]m abendländischen Schriftbereich [...], welche die Gewähr einer unvergänglichen Wirkung in sich tragen, weil sie aus einem geistig-religiösen Schicksal hervorgehen, das allgemeingültig ist"*2). Bücher dieser Art zeitloser Bedeutung - Guardini nennt neben Pascals Pensées als Beispiele Platons Apologie und Phaidon und die Bekenntnisse des Augustinus - „führen zur Begnung mit dem Wesentlichen und werden so für den, der in der richtigen Stunde auf sie trifft, selbst zum Schicksal" (- ein ähnlicher Anspruch, wie ihn eine Pressemeldung der 50er Jahre für Claudels „Seidenen Schuh" stellt, dem zu begegnen „ein wahres Abenteuer" sein „und über ein ganzes Leben entscheiden" könne*3)). Auch für die Existentialisten, insbesondere für Camus, besitzt Pascal unbedingtes Interesse, da er die gleichen existentiellen Fragen stellt wie diese, wobei er zu dem gegensätzlichen Ergebnis kommt, daß alles davon abhänge, ob Gott existiert, während für Camus genau diese Frage irrelevant wird*4).

Diesem subjektiv-zeitlosen Interesse an Blaise Pascal (vor allem als dem großen christlichen Denker bzw. dem existentiellen Fragesteller), das ja höchstens zeitweise verdrängt werden, nicht aber verjähren konnte, gesellte sich in den 90er Jahren das abermals neue Interesse an Pascal als Erkenntnistheoretiker und -kritiker, das eine neue Welle der Beschäftigung mit seinen Werken auslöste. Jacques Morel bringt in seinem Artikel „La modernité des Pensées" die Gründe für dieses neue Interesse auf den Punkt:

Modernité de Pascal. On retrouve chez lui les remises en question et les fascinantes intuitions des penseurs de l‘âge existentialiste et post-existentialiste. On rencontre dans son œuvre une problématique comparable à celle des sciences abstraites ou appliquées de notre temps. On y découvre surtout un encouragement à cette pensée rigoureuse et libre à la fois, dédaigneuse de tout dogmatisme, fût-il celui de la raison même, une pensée capable d‘accorder les contraires et d‘admettre en chacun les raisons qu‘il a d‘être ce qu‘il est et de vivre en conformité avec ses exigences personnelles.*5)

Pascals zentrale Themengebiete sind also offenbar zeitlos, und seine Art zu denken („rigoureuse et libre à la foi, dédaigneuse de tout dogmatisme") erlebt noch mehr als 300 Jahre nach seinem Tod die staunende Anerkennung ihrer Modernität. Seine Religiosität in Verbindung mit seiner naturwissenschaftlich geprägten Rationalität ist vielleicht heute aktueller denn je, da sich die Frage der Hinterfragbarkeit der Religion bzw. der Möglichkeit einer nicht hinterfragten Religion, die nicht in Fanatismus führt, einerseits und der Sinnkrise einer religionslosen Welt andererseits wieder neu stellt. Überdies gilt Pascal bis heute als einer der herausragenden Stilbildner der französischen Sprache und Literatur, der im Kanon der Pflichtlektüre eines gebildeten Franzosen oder eines franko-romanisch gebildeten Menschen nicht fehlen dürfe. Als Vertreter des „klassischen Jahrhunderts" einerseits charakteristisch, nimmt Pascal andererseits in seiner Verbindung einer doppelten Strenge (naturwissenschaftlicher und religiöser Art) und großer polemischer Kunst, die für seine Zeit nicht unbedingt als typisch zu bezeichnen ist, auch unter historischer Hinsicht eine Sonderstellung ein. Er fällt gewissermaßen aus einer Zeit heraus, in der er gleichwohl verwurzelter ist als die meisten seiner Zeitgenossen, indem er sich selbst noch mit der zeitlosesten Frage immer anhand konkreter Probleme und Anlässe beschäftigt. Dabei ist er insofern kein Philosoph (wie etwa Descartes), und sieht sich selbst auch nicht als solchen, als er eben philosophische Fragen immer am Konkreten behandelt und seine Gedanken zu sehr an konkreten Formulierungen haften. Er ist - trotz seiner unangezweifelten sprachlichen Meisterschaft - insofern kein formalästhetischer Schriftsteller (wie etwa La Rochefoucauld), weil er oft der inhaltlichen Präzision seiner Formulierung formale Aspekte opfert. Er hat sich zu intensiv als Naturwissenschaftler betätigt, um dem Zeitideal des universell, aber oberflächlich gebildeten „honnête homme" zu entsprechen; dennoch gibt er sich mit der Naturwissenschaft keineswegs zufrieden und sieht genau in einem breiten Wissen sein anzustrebendes Ziel. Er ist weder Stoiker, noch Pyrrhonist, noch Dogmatiker, sondern wendet sich im Gegenteil gegen jede einzelne dieser philosophischen Richtungen, die zu seiner Zeit en vogue sind. Wie ist Pascal als Schriftsteller und Denker also einzuordnen? Ist es berechtigt, wenn Guardini ihn mit Blick auf die Pensées einerseits den „phantastisch-schweifenden„ Romantikern, andererseits den „formvollendet-lässigen„ Moralisten gegenüberstellt?*6)

Das zeitgenössische Interesse an Blaise Pascal scheint eng zusammenzuhängen mit der Frage, die sich diese Arbeit stellt: Ist Blaise Pascal ein Moralist? Die Moralistikforschung, wie sie seit Hugo Friedrich besteht, beschäftigt sich durchaus mit Pascal, allerdings nicht als mit dem Paradebeispiel eines zentralen Vertreters dieser Strömung der französischen Literatur, wie es beispielsweise La Rochefoucauld oder La Bruyère darstellen. Unter den Veröffentlichungen der letzten Jahre ist zwar einiges über Pascal unter den verschiedensten Aspekten, aber wenig zu genau jener Fragestellung zu finden. Ich habe in meiner Arbeit die wichtigsten Kriterien der Moralistik im Werk Pascals vor allem anhand ihrer inhaltlichen Fragestellungen, die allerdings immer auch mit Formproblemen zusammenhängen, untersucht und mich dabei von allgemeineren zu spezifischeren Aspekten bewegt. Verschiedene, die Thematik berührende Gesichtspunkte konnten nur gestreift oder gar nicht behandelt werden, daher habe ich das Verzeichnis der verwendeten durch ein Verzeichnis weiterführender, nicht verwendeter Literatur ergänzt. Die Quellenlage der Werke Pascals ist diffizil*7). Das gilt vor allem für die „Pensées sur la religion et sur quelques autres sujets", die Pascal selbst nicht als komplettes Werk vollendet, geschweige denn herausgegeben hat. So existieren eine Vielzahl verschiedener Editionen, die sich schon in der Auswahl der aufgenommenen Texte teilweise sehr unterscheiden. Die Anordnung und Numerierung der Fragmente ist dementsprechend natürlich auch sehr unterschiedlich, was einen Vergleich verschiedener Ausgaben ohne entsprechende Tabellen sehr aufwendig macht. Ich habe im Wesentlichen die Ausgabe Louis Lafumas (1951) und eine Übersetzung der „Endgültigen Ausgabe" von Fortunat Strowski verwendet, ohne über entsprechende Vergleichstabellen zu verfügen. Leider mußte ich daher teilweise auf vergleichende Hinweise an Stellen verzichten, an denen ich die Übersetzung herangezogen habe.

1. Die Frage nach dem Menschen

„Was ist der Mensch?" - die Beschäftigung mit dieser Frage ist nach Hugo Friedrich eines der entscheidenden Merkmale eines Moralisten im begrifflichen Sinne des Wortes. Dabei bleibe ein solcher die eigentliche Antwort schuldig, was ihn nicht davon abhalte, alle Arten von Erscheinungsweisen des Menschen zu betrachten und zu beschreiben - seelische, sittliche, sittengeschichtliche, gesellschaftliche, politische etc.*8) Die Moralistik steht damit im Gegensatz einerseits zur Morallehre und andererseits zur Moralphilosophie: während die Morallehre fragt und lehrt, was der Mensch tun solle, fragt die Moralistik, was er tue *9); und während die Moralphilosophie ein System von Werten und Normen aus unabhängigem Denken zu entwickeln sucht, bezieht sich die Moralistik auf empirische Beobachtungen und entzieht sich jeder Systematik. Dafür besitzt hier die Sprache eine besondere Eigenwertigkeit, indem sie „die Reflexion des Moralisten in die „terres inconnues" der menschlichen Natur trägt"*10). Moralistik geht also einher mit einer neuen Form der Reflexion, indem sie sich vorbehält, einerseits „zum Gegenstand der Erkenntnis zu machen, was seinem Wesen nach der Erkenntnis sich ins Unerkennbare entzieht"*11) und andererseits gerade diese Nicht-Erkenntnis als Dynamik des Suchens formgebend wirken zu lassen. Nichtsdestotrotz stützt sich der Moralist auf bestimmte Normen, die er vertritt, und denen er seine Autorität verdankt.*12) Verschiedentlich wird als essentiell moralistisch eine „negative Anthropologie"*13) angeführt, die teilweise auch als spezifisch klassisch nur zum engeren, d.h. historischen Begriff der Moralistik zugehörig wäre, allerdings unter anderen Vorzeichen durchaus dreieinhalb Jahrhunderte zu überdauern gewußt haben könnte.

Diese Deutung des Begriffs „Moralistik" zugrundegelegt, kommt es also nicht nur darauf an, daß ein Autor sich die Frage nach dem Menschen stellt, sondern ebensosehr darauf, wie er dieses tut und inwiefern er versucht, eine Antwort zu geben, um als Moralist zu gelten. Es handelt sich sowohl um inhaltliche als auch um Form- und Stilfragen, die zu beantworten wären, ehe man einen Autor als Moralisten einordnet, ohne daß es eine spezifisch moralistische Form gäbe - höchstens kann man sagen, daß „offene" literarische Formen unter Moralisten bevorzugt sind. Die Art der Gedankenführung spielt hierbei jedoch eine größere Rolle als bestimmte äußere Merkmale: Subtilität, Gelenkigkeit und Differenziertheit angesichts „ungreifbarer Tiefen" der menschlichen Natur, die sich dem Zugriff versagt und in Vielfältigkeiten zerfällt, die sich verwandelt und durch Masken und Verstellungen einen Schein vortäuscht, der nicht die Wahrheit ist*14). Die Entlarvung solcher Verstellungen, das „hinwegziehen" von „Vorhängen", kann daher auch gleichsam als eine typisch moralistische Geste verstanden werden.

Daß Blaise Pascal in seinen Schriften - insbesondere in den Pensées sur la Religion et sur quelques autres sujets - die Frage nach dem Menschen ganz vehement stellt, steht außer Zweifel. Wie er sie stellt, inwiefern er sie beantwortet oder Hinweise gibt, wie der Mensch diese seine eigenste Wahrheit finden könne, ob und inwiefern dabei eine Beschreibung menschlicher Erscheinungsformen und ein negatives Menschenbild vorliegt, ob sein Stil von einer „Dynamik des Suchens" geprägt ist und der Gegenstand seiner Erkenntnis „sich ins Unerkennbare entzieht", bleibt zu untersuchen. Wenden wir uns zunächst der Stilfrage zu.

In seinem Aufsatz „Pascal et la négation" stellt Michel Le Guern zunächst fest, daß es schwierig sei, einen Stil Blaise Pascals zu beschreiben, da er eigentlich verschiedene Stile besitze, die sich teilweise mit verschiedenen Pseudonymen verbinden*15). Als konstante Tendenzen der Sprache Pascals stellt er zwei Merkmale heraus: répétition und concision. Eine charakteristische Eigenschaft pascalscher Gedankenführung („fait de pensée") sei die Antithese, die die sprachliche Folge einer Häufung von Negationen habe:

Mais un fait de pensée peut être en même temps un fait de style. C‘est que l‘on pourrait dire aussi d‘un autre trait constant des écrits de Pascal - qui se trouve être en relation le plus souvent avec les constructions antithétiques - un emploi particulièrement fréquent de la négation. (S.81)

Die Negation, die Pascal überdurchschnittlich oft verwendet, sei eine Eigenschaft einerseits der théatralischen, andererseits der polemischen Sprache, wie auch eines fiktiven oder geplanten Dialoges:

tout ce qui relève du dialogue est favorable à une fréquence élevée des négations.

Qu‘il s‘agisse de la polémique ou du dialogue, la fréquence des négations traduit la prise en compte du destinataire, qu‘il faut libérer de l‘emprise d‘un éventuel adversaire. (S.82)

Die Negation einer eventuellen Gegenrede bedeutet hier die Versicherung des eigenen Gesagten. Sie bedeutet einerseits einen Vorgriff auf eventuelle Einwände oder Mißverständnisse, andererseits eine Verdeutlichung und zusätzliche Abgrenzung der Aussage:

L‘emploi fréquent de la négation exprime une vision du monde, une manière de considérer les êtres, les objets et les événements. Décrire un élément de la réalité, c‘est à la fois dire ce qu‘il est et dire ce qu‘il n‘est pas. [...] la négation s‘articule avec une affirmation. (S.83)

Ein erster Gegensatz zwischen Pascal und einem seiner bevorzugten Autoren wird an dieser Stelle deutlich: Michel de Montaigne benutzt statt distinkten Negationen, wie Pascal selbst feststellt, häufiger Fragekonstruktionen, um seinen universellen Zweifel, besonders den an seiner eigenen Wahrnehmung, auszudrücken:

C‘est dans ce doute qui doute de soi et dans cette ignorance qui s‘ignore, et qu‘il appelle sa maîtresse forme, qu‘est l‘essence de son opinion qu‘il n‘a pu exprimer dans aucun terme positif. Car, s‘il dit qu‘il doute, il se trahit en assurant au moins qu‘il doute; ce qui était formellement contre son intention, qu‘il n‘a pu exprimer que par interrogation; de sorte que, ne voulant pas dire: „Je ne sais", il dit: „Que sais-je?" dont il fait sa devise (OL, S.78) *16)

Ist Pascals Stil, oder mehr noch: ist seine Art der Gedankenführung nun zu entschieden für einen Moralisten? Oder ist seine distinkte Sprache gar Zeichen moralistischer „Enthüllungen"? _Gibt er zu klar Antwort, wo Montaigne als Vater der Moralistik seinen methodischen Zweifel an der eigenen Urteilskraft pflanzte? Weiß und sagt Pascal, wer wir Menschen sind?

Quelle nécessité y a-t-il [...] d‘expliquer ce qu‘on entend par le mot homme ? Ne sait-on pas assez quelle est la chose qu‘on veut désigner par ce terme? [...]

On voit assez de là qu‘il y a des mots incapables d‘être définis; et si la nature n‘avait suppléé à ce défaut par une idée pareille qu‘elle a donnée à tous les hommes, toutes nos expressions seraient confuses (OL, S.125)

Eine Definition des Menschen ist für Pascal unnütz; er führt das Wort „homme„ in seiner Abhandlung „De l‘Esprit géométrique" als Beispiel eines „mot primitif" an, das nicht weiter definiert werden könne, ohne daß „l‘éclaircissement qu‘on en voudrait faire apporterait plus d‘obscurité que d‘instruction" (OL, S.124). In ihrem Artikel „Pascal et la définition de l‘homme" erklärt Martine Pécharman diesen Umstand folgendermaßen:

Que les mots primitifs ne soient découverts pour Pascal qu‘à partir de la nécessité pour les hommes d‘arrêter „l‘éclaircissement„ de leurs idées, fait nécessairement d‘eux les mots qui sont pour les hommes les plus clairs de tous, les plus connus de tous. Des mots tels que rien de plus clair ne peut être conçu par l‘esprit humain : non pas des mots absolument clairs, mais des mots d‘une „extrême évidence„ parce qu‘ils sont le dernier degré de clarté atteint par notre connaissance. (S.661)

Allerdings unterscheide sich die Evidenz des Wortes „homme" von anderen als mots simples angeführten Wörtern (Zeit, Raum, Zahl, Bewegung..) dadurch, daß „la désignation naturelle de la chose qu‘il nomme ne fait pourtant pas de lui un mot dont il suffit de supposer l‘intelligibilité pour qu‘une science humaine [...] se constitue en évitant le risque d‘affaiblir le fondement de son discours par une définition inutile" (S.666). Es muß also auf anderem Weg erklärt oder zumindest deutlicher gemacht werden, was der Mensch sei, als auf dem der Logik.

Die Natur des Menschen ist der menschlichen Vernunft als Ganzes nicht faßbar. Die direktesten Beschreibungen des Menschen in Pascals Schriften sind denn auch meistens eher bildlich-poetischer als geometrisch-exakter Natur. Einige Beispiele:

S‘il se vante, je l‘abaisse.

S‘il s‘abaisse, je le vante.

Et le contredit toujours

Jusqu‘à ce qu‘il comprenne

Qu‘il est un monstre incompréhensible. (L 130)

Il n‘y a que deux sortes d‘hommes, les uns justes qui se croient pécheurs, les autres pécheurs qui se croient justes. (L 561)

Les hommes sont si nécessairement fous que ce serait être fou par un autre tour de folie de n‘être pas fou. (L 412)

Description de l‘homme

Dépendance, désir d‘indépendance, besoins. (L 78)

L‘homme n‘est qu‘un roseau, le plus faible de la nature, mais c‘est un roseau pensant. Il ne faut pas que l‘univers entier s‘arme pour l‘écraser; une vapeur, une goutte d‘eau suffit pour le tuer. Mais quand l‘univers l‘écraserait, l‘homme serait encore plus noble que ce qui le tue, puisqu‘il sait qu‘il meurt et l‘avantage que l‘univers a sur lui. L‘univers n‘en sait rien. (L 200)

Der Mensch ist ein „monstre incompréhensible", und das muß ihm selbst erst klargemacht werden. Mein erstes Beispiel (L 130) besitzt mindestens drei moralistische Merkmale. Zunächst ein eher negatives Menschenbild: Der Mensch ist ein Ungeheuer. Der Begriff „monstre„ taucht an anderer Stelle in ähnlicher Konnotation, auf eine spezifisch menschliche Eigenschaft bezogen, auf: „L‘orgeuil [...] un étrange monstre" (L 477). Es ist aber nicht nur Negatives, das in diesem Ausdruck anklingt: ein „monstre incompréhensible" ist auch Fabelwesen, unbegreiflich, und daher nicht tatsächlich bewertbar für den Betrachter, der in diesem Falle er selbst ist. „S‘il se vante, je l‘abaisse. / S‘il s‘abaisse, je le vante": Er ist weder zu loben, noch zu erniedrigen - oder gerade beides. Der Mensch ist widersprüchlich; wenn er meint, eine zutreffende Bewertung seiner selbst gefunden zu haben, gilt es, ihm zu widersprechen. In jenem „contredi[re] toujours" verbirgt sich diese moralistische Erkenntnis, die das Paradox zum charakteristischsten Merkmal moralistischer Beschreibungen des Menschen gemacht hat.

Ähnliches zeigt sich im zweiten der ausgewählten Beispiele (L 561): Zwei Arten von Menschen, denen jeweils eine Eigenschaft und eine Selbsteinschätzung zugeordnet werden, die einander widersprechen. Es gibt demnach sowohl gerechte Menschen als auch „pécheurs", Sünder. Eine allgemein menschliche Eigenschaft ist es dabei offensichtlich, sich selbst zu verkennen. In diesem Fragment findet sich außer des schon beschriebenen moralistischen allerdings noch ein anderer Aspekt: Aus Pascals Sicht, die immer als eine christliche verstanden werden muß, ist der Gerechte deshalb gerecht, weil er sich für einen Sünder hält. Andersherum: Es ist ungerecht, sich als Mensch für gerecht zu halten. Für Pascal ist die Erbsünde eine notwendige Glaubenswahrheit, ohne die der heutige Zustand des Menschen*17) nicht zu erklären sei. Dabei gesteht er nicht nur ein, sondern argumentiert sogar damit, daß die Vernunft sich gegen die Vorstellung wehren muß, schuldig geboren zu werden:

[...]

Ende der Leseprobe aus 33 Seiten

Details

Titel
Blaise Pascal als Moralist
Hochschule
Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf  (Romanisches Seminar)
Veranstaltung
Proseminar Französische Moralistik von Montaigne bis Houellebecq
Note
1+
Autor
Jahr
2001
Seiten
33
Katalognummer
V4455
ISBN (eBook)
9783638127592
ISBN (Buch)
9783640474851
Dateigröße
689 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Philosophie vs. Philologie
Arbeit zitieren
Eva Bisanz (Autor:in), 2001, Blaise Pascal als Moralist, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/4455

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