Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Digitalisierung – eine Herausforderung für Trauerarbeit in der Moderne
2. Trauer und Trauerbewältigung in der modernen Gesellschaft
2.1 Trauerverhalten und Phasen des Trauerns nach Gerhard Schmied
2.2 Riten und Bräuche der Trauerzeit in der modernen Gesellschaft
3. Annäherungen an den Begriff der Digitalisierung
4. Digitale Angebote und Möglichkeiten der Trauerbewältigung in unserer Zeit
4.1 Gedenkseiten
4.2 QR Codes
4.3 Virtuelle Friedhöfe
4.4 Trauer auf Social Networking Sites am Beispiel Facebook
5. Chancen und Grenzen digitalisierter Formen der Trauer-bewältigung
6. Fazit und Ausblick
7. Literatur- und Quelleverzeichnis
1. Digitalisierung – eine Herausforderung für Trauerarbeit in der Moderne
„A story about loss and the way we cope when our lives are
increasingly immortalized through our use of the internet and
social media, the episode isn’t just a meditation on grief in the
digital age, but also on the intangibles of humanness that make
up the people we love.“[1]
– so beginnt eine Zusammenfassung der Folge „be right back“ der Serie „Black Mirror“ und wirft somit eine Situation auf, vor die ein jeder von uns schon einmal gestellt wurde oder werden wird: Wie gehe ich mit dem Verlust eines geliebten Menschen um?
In dieser Folge geht es genau um diese Frage, wie man mit einem solchen Verlust im Todesfall umgehen und welche Rolle auch die Digitalisierung dabei spielen kann. Wird im Zuge dieser Folge die verstorbene Person wieder „lebendig gemacht“, indem die Digitalisierung die Möglichkeit bietet auf Grund von gespeicherten Daten und der Nutzung des Internets zu Lebzeiten des Verstorbenen, mit diesem oder zumindest seinem „virtuellen-Ich“ zu schreiben und zu telefonieren und mit dieser Person am Ende sogar im realen Leben in Form einer Art nachgestellten Puppe sogar zu leben, drängte sich mir die Frage auf, inwieweit unsere moderne, digitalisierte Gesellschaft tatsächlich solche Möglichkeiten bietet.
Nachdem ich zwar unter anderem auch darauf gestoßen bin, dass Versuche der digitalen Sicherung einer Person schon unternommen werden und es auch ähnliche Tendenzen gibt, wie sie in dieser Folge gezeigt werden, suchte ich in einem zweiten Schritt nach Formen digitaler Trauerarbeit, welche es tatsächlich schon gibt und auch im hohen Maße genutzt werden. In diesem Zuge hat sich mir die Frage gestellt, ob digitale Möglichkeiten der Trauerarbeit eher eine Grenze überschreiten oder auch Hilfe bieten können. Demzufolge soll es in dieser Arbeit um die Digitalisierung als Herausforderung der Trauerarbeit in der Moderne gehen. Konkret werde ich dabei das Hauptaugenmerk auf Entwicklungen in Deutschland richten.
Um aber Vor- und Nachteile abwiegen zu können wird es zunächst kurz um Trauer nach einem Todesfall in Form von Trauerphasen und Bräuchen im Zuge eines Trauerfalls gehen, um einen kurzen Einblick zu gewährleisten. Vor der Vorstellung der Möglichkeiten der Trauerarbeit welche durch die Digitalisierung möglich wurden, soll zunächst versucht werden sich dem Begriff der Digitalisierung zu nähern, um nach diesen beiden Schritten Chancen und Grenzen der digitalen Trauerbewältigung analysieren zu können. Am Ende soll ein abschließendes Fazit die aufgeworfene Frage beantworten und einen Ausblick liefern.
Für die inhaltliche Erarbeitung dienen Literatur über Trauer und Digitalisierung, sowie Internetseiten zur Veranschaulichung.
2. Trauer und Trauerbewältigung in der modernen Gesellschaft
Trauern kann immer als Prozess verstanden werden. Dieser Prozess ist von Mensch zu Mensch zwar unterschiedlich, dennoch sollen in folgenden Ausführungen Phasen des Trauerns vorgestellt und in Zusammenhang mit Riten und Bräuchen der modernen, westlichen Gesellschaft gebracht werden. Dabei wird sich auf das Phasenmodell nach Gerhard Schmied bezogen, welches eines von zahlreichen Trauermodellen darstellt.
2.1 Trauerverhalten und Phasen des Trauerns nach Gerhard Schmied
Nach Gerhard Schmied ist ein einfaches Modell des Ablaufs von Trauer in drei Stufen zu unterteilen. Die erste Stufe bezeichnet er als „Schock und Apathie“, welche ein paar Stunden bis hin zu einigen Tagen andauern kann. Während dieser Phase kommt es zur Ablehnung, welche damit einhergeht, dass der Trauernde so handelt, als würde der Verstorbene noch leben. Diese Ablehnung wird oftmals begleitet vom eingebildeten Sehen oder Hören des Verstorbenen. Ebenfalls ist die „Beherrschung“ ein Bestandteil dieser Phase. Gemeint sind damit das Kontaktieren von Behörden und das Organisieren der Bestattung, sowie die Bestattung an sich.
Die zweite Phase des Trauerns bezeichnet Gerhard Schmied als „Desorganisation“. In diesem Zeitraum, welcher der längste ist, beschäftigt sich der Trauernde mit den Hinterlassenschaften des Verstorbenen. In diesem Zusammenhang wurden zwei häufige Reaktionen erkannt. Entweder schafft die trauernde Person alle Gegenstände weg, welche sie an die Verstorbene Person erinnern oder versucht den Zustand beizubehalten und zu konservieren. In dieser Phase weint die trauernde Person oft, ist wortkarg und kann absichtlich andere Personen meiden. Auch gehen mit dieser Phase oft der Verlust von Gewicht aufgrund von Appetitlosigkeit und Ermüdung aufgrund von Schlaflosigkeit einher. Neben diesen „Symptomen des Alltags“ wurde auch eine überdurchschnittlich hohe Mortalität festgestellt, welche an Krankheiten und einer erhöhten Suizidrate bei den Hinterbliebenen liegt. Ferne lassen sich die Gemütszustände dieser Phase charakterisieren als Depression, Angst, Aggression, welche sich gegen all diejenigen richtet, welche „am Tod schuld“ sein könnten (z.B.: Ärzte oder Gott), Einsamkeit, einhergehend mit dem Gefühl alleine gelassen worden zu sein und Schuld, indem die Gedanken aufkommen können nicht alles getan zu haben, was den Tod hätte verhindert.
Die dritte Phase des Trauerns bezeichnet Gerhard Schmied als „Reorganisation“. Diese Phase ist dann beendet, wenn folgende Ziele erreicht wurden: Zunächst hat man erreicht sich von der Beziehung zum Verstorbenen zu lösen. Gemeint ist damit, dass Erinnerungen oft noch schmerzlich sind, diese Situation aber nicht von Hilflosigkeit begleitet wird. Ein weiterer Faktor hierbei ist, dass Trauersymptome, welche vorher einsetzten zurückgehen und die trauernde Person wieder „im Leben steht“. Der dritte Abschluss dieser Phase ist die Anpassung der Beziehungskreise an die neue Situation, welche bei einem Trauerfall innerhalb der Familie oft damit einhergeht, dass das Familienleben neu gestaltet wird.[2]
2.2 Riten und Bräuche der Trauerzeit in der modernen Gesellschaft
Trauern ist in modernen Gesellschaften kaum durch Bräuche und Riten gesichert. Weitverbreitete Riten sind lediglich die Beisetzung im Anschluss an den Tod, das Aufgeben einer Todesanzeige, die Zusammenkunft von Angehörigen im Anschluss an die Beisetzung und das Anzünden von Trauerkerzen.[3] Die Beisetzung erlebt der Trauende oft in der Phase der Apathie. Durch das Aktivwerden in Form der Vorbereitungen kann die Beisetzung aber auch aus dieser herausführen. Generell beinhaltet das Begräbnis einen öffentlichen Ausdruck und somit auch ein offizielles „Tot-Erklären“, welches als Faktum der Endgültigkeit wahrgenommen wird. Gerade in der Teilnahme am Begräbnis werden Beziehungsgefüge deutlich. So wird oftmals durch die Sitzordnung der Grad der Nähe zum Verstorbenen einsichtig. Die Zusammenkunft im Anschluss an die Beisetzung ist oft verbunden mit einem Mahl, welches die Möglichkeit bietet ins Gespräch zu kommen und Gefühle auszutauschen.[4]
Generell erlauben Riten einen Ausdruck der Gefühle, dienen zur Wiedererlangung des emotionalen Gleichgewichts der trauernden Person[5] und haben die Funktion, den Verstorbenen zu ehren und den Hinterbliebenen den Abschied zu erleichtern.[6]
Wie nun die Digitalisierung diese Bräuche und auch die Phasen des Trauners verändert und/oder einschließt, soll in einem weiteren Schritt zu erläutern versucht werden. Hierzu werden im Anschluss an die Annäherung an den Begriff der Digitalisierung einige, heutzutage geläufige Formen der digitalen Trauerarbeit vorgestellt.
3. Annäherungen an den Begriff der Digitalisierung
Digitalisierung kann gesehen werden als „Umwandlung sämtlicher Informationen und Medien […] in Einsen und Nullen.“[7]. Dies klingt kompliziert und ist es auch. Somit soll an dieser Stelle nur ein Versuch einer Annäherung stattfinden. Zunächst kann man sicherlich damit anfangen, dass Digitalisierung grundsätzlich als Technik verstanden werden kann, deren Fortschritt exponentiell wächst. In diesem Zuge ist das „Moore`sche Gesetzt“ zu nennen, welches von einer Leistungsverdopplung ausgeht.[8] Was hiermit gemeint ist zeigt das Beispiel einer Sage, welche mit der Erfindung des Schachbettes einhergeht. In dieser Sage heißt es, dass der Erfinder des Schachspiels im sechsten Jahrhundert in die Hauptstadt Indiens reiste, um dem Kaiser sein Spiel zu präsentieren. Dieser war so begeistert, dass er ihm anbot sich selbst eine Belohnung auszusuchen. Die ausgesuchte Belohnung bestand in dem Wunsch Reis zu erhalten um seine Familie zu ernähren. Dabei sollte das Schachbett zum Ermitteln der Reismenge genutzt werden: Auf das erste Feld des Bretts sollte ein Reiskorn gelegt werden und mit jedem weiteren Feld sollte die Anzahl der Reiskörner des vorherigen Feldes potenziert werden. Konkret bedeutet dies also, dass bei einem Beginn von nur einem Reiskorn, am Ende eine unvorstellbare Summe von über 18 Trillionen Stück zusammen gekommen wäre. Überträgt man dies nun auf die Erläuterung der Digitalisierung im Zuge des rasanten Technikfortschrittes, so erhält man ein Bild von dem was Digitalisierung meint. Hierdurch wird auch deutlich, warum es zu einer heutzutage so schnellen Weiterentwicklung der Technik gekommen ist – wir befinden uns nämlich bildlich gesehen mittlerweile auf der zweiten Hälfte des Schachbetts.[9] Gerade die Entwicklung in der Computertechnik führt uns dies vor Augen. Gleichzeitig zeigt gerade die Technik des Computers die althergebrachte Funktion der Grundlage. Auch hierbei geht es alleine um eine Kette aus Einsen und Nullen in unterschiedlichen Codierungsformen und einer Vielzahl an Algorithmen, also eindeutigen Handlungsvorschriften zur Lösung von vermeintlichen Problemen.
Zur Veranschaulichung, was Digitalisierung weiterhin meint, soll ein kurzer Blick auf die Technologie geworfen werden. Bezüglich der Technologie wird unterschieden in die Technologie der ersten Ordnung, die der zweiten Ordnung und die der dritten Ordnung, dabei wird jeweils von einem Auslöser der Technologie, einem Anwender und einer Zwischenstellung ausgegangen. Bei der Technologie erster Ordnung nutzt der Anwender, in diesem Falle das Lebewesen, etwas, das die Anwendung herausfordert. Dies könnte beispielsweise eine Sonnenbrille sein, welche ein Mensch im Zuge des Sonnenscheins nutzt. Bei der Technologie zweiter Ordnung ist der Auslöser etwas Technisches, welches einer ebenfalls technischen Zwischenstellung bedarf, und vom Menschen bedient wird. So nutzt beispielsweise der Mensch einen Schraubendreher zur Anwendung einer Schraube. Bei der Technologie der dritten Ordnung kommt nun auch die Digitalisierung mit ins Spiel.[10] Bei dieser Ordnung ist nicht mehr der Mensch aktive ausführende Kraft, sondern ein digitalisiertes Medium: So gibt beispielsweise der Drucker im Falle der leeren Tintenpatrone, einem digitalen Endgerät (z.B. dem Computer) die Information weiter, sodass es zu einem Bestellvorgang kommen kann, ohne menschliche Einwirkung. Auch hierbei kann man sicherlich nochmals an die zweite Hälfte des Schachfeldes erinnern.
Grundsätzlich kann man im Zuge dieser Erläuterung zur Digitalisierung unterscheiden zwischen der technischen Bedeutung der Digitalisierung und der sozioökonomischen Bedeutung der Digitalisierung. Technisch gesehen meint Digitalisierung den soeben versuchten Erklärungsansatz der rasanten Fortentwicklung der Computertechnik, welcher den Prozess der Codierung von Informationen ermöglicht und im Zusammenhang mit der zunehmenden Vernetzung technischer Geräte steht.
Sozioökonomisch gesehen meint Digitalisierung einen Prozess der Verwertung dieser technischen Möglichkeiten und dessen Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft.[11]
Im Allgemeinen ist festzuhalten, dass Digitalisierung immer mehr Lebensbereiche verändert und Einfluss nimmt auf ursprüngliche Sitten und Gebräuche. In diesem Zusammenhang steht auch die Begrifflichkeit der digitalen Revolution, welche sich in ihrer Tragweite sicherlich mit den Veränderungen der industriellen Revolution vergleichen lässt, was die Bereiche der Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und Technik betrifft und eine Fortsetzung der technischen, wirtschaftlichen und ökonomischen Umwälzungen im 20. Jahrhundert erfuhr. Somit kann von der Digitalisierung der letzten zwanzig Jahre als neue anthropologische und kulturelle globale Revolution mit sich rasant ausbreitendem Tempo gesprochen werden, die dazu geführt hat, dass heutzutage oftmals das Online-Leben nicht mehr unabhängig von der physischen Welt gesehen werden kann.[12]
Demzufolge greift Digitalisierung in jeden Bereich unseres Lebens ein und ist nicht mehr wegzudenken. Wie und in welchem Ausmaß Digitalisierung unser Leben aber betrifft, wenn es um emotionale Gegebenheiten, wie Trauer geht, soll in einem nächsten Schritt gezeigt werden, indem moderne, digitale und anerkannte Formen der Trauerarbeit vorgestellt werden.
4. Digitale Angebote und Möglichkeiten der Trauerbewältigung in unserer Zeit
Der Tod eines nahestehenden Menschen ist immer einhergehend mit einem schmerzlichen Verlust. Die Formen der Trauer und ihre Bewältigung sind, wie oben beschrieben, je nach Persönlichkeit unterschiedlich und somit sind auch Bräuche im Zuge des Trauerns schwierig zu fassen. Festzustellen ist jedoch, dass gerade dieser Prozess immer häufiger zum Gegenstand virtueller Kommunikation wird: Angefangen bei virtuellen Trauerkerzen und digitalen Kondolenzbüchern, hin zu Online-Friedhöfen, Trauerforen und Trauern in sozialen Netzwerken.[13]
Die folgende Ausführung soll einen Einblick in die digitale Trauerarbeit ermöglichen.
[...]
[1] https://www.inverse.com/article/22535-black-mirror-be-right-back-best-episode-netflix (letzter
Zugriff: 14.03.18)
[2] Vgl. Schmied, Gerhard, Sterben und Trauern in der modernen Gesellschaft, S. 148-154.
[3] Ebd., S. 143.
[4] Vgl. Schmied, Gerhard, Sterben und Trauern in der modernen Gesellschaft, S. 169f.
[5] Ebd., S. 144.
[6] Vgl. Offerhaus, Anke, Klicken gegen das Vergessen, S. 51.
[7] s. Brynjolfsson, Erik/McAfee, Andrew, The Second Machine Age, S. 78.
[8] Vgl. Brynjolfsson, Erik/McAfee, Andrew, The Second Machine Age, S. 55.
[9] Vgl. Brynjolfsson, Erik/McAfee, Andrew, The Second Machine Age, S. 60-64.
[10] Vgl. Floridi, Luciano, die 4. Revolution, S. 45-57.
[11] Vgl. Brynjolfsson, Erik/McAfee, Andrew, The Second Machine Age, S. 77ff.
[12] Vgl. Otto, Philipp/Gräf, Eike, 3TH1CS, S. 10-14.
[13] Vgl. Offerhaus, Anke, Klicken gegen das Vergessen, S. 37.