Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Disability Studies
2.1. Ableism, disability und Disability Studies – Eine Begriffserklärung
2.2. Disability Studies und ihre Bedeutung in der medialen Darstellung
3. Die Entwicklung der Zombienarration in der Popkultur
4. Zombienarration in Verbindung mit den Disability Studies
4.1. Die Darstellung von Zombies in der Zombienarration
4.2. Die Darstellung der Überlebenden Menschen in der Zombienarration
5. The Walking Dead
5.1. Amputationen in The Walking Dead
5.1.1. Amputationen an Menschen
5.1.2. Amputationen bei Zombies
5.2. Disability und ihre Deutungsmöglichkeit in The Walking Dead
6. Schlussfolgerungen
Literaturliste
Filmliste
1. Einleitung
Die Geschichten, welche sich um Zombieapokalypsen herum aufbauen, sind zu einem wichtigen Bestandteil der aktuellen Popkultur geworden. Dabei lässt sich durchaus sagen, dass sich die Darstellung der wandelnden Untoten im Laufe der Zeit durchaus verändert hat. So unterscheiden sich die heutigen Filme und Serien dieses Subgenres von den anfänglichen. Jamie Russel macht in seinem „Book of the Dead“ die 1930er Jahre als Beginn des Zombiefilms aus.[1] Er nennt hier unter anderem den Film White Zombie aus dem Jahr 1932. Diese Wandlung bringt immer wieder neue Interpretationsmöglichkeiten und lässt sich so auch dem aktuellen Zeitgeschehen anpassen. Die Disability Studies sind in den letzten Jahren ebenfalls immer wichtiger geworden, und auch in der Deutung und Bearbeitung unterschiedlicher Medien gewinnen sie immer mehr an Wichtigkeit. Daher soll in dieser Arbeit mithilfe der Erkenntnisse, die aus den Disability Studies gewonnen wurden, das Genre des Zombiefilms einer genaueren Betrachtung unterzogen werden.
Im Zentrum dieser Arbeit soll vor allem die aktuelle Darstellung von Zombies stehen. Ebenso auch von Menschen, welche sich in einer postapokalyptischen einem Überlebenskampf liefern müssen. Hierzu soll die Serie The Walking Dead genauer untersucht werden. Da hier nicht nur Zombies, sondern auch Menschen im Fokus stehen, bietet sie einen guten Vergleich in ihren Darstellungen. So kann hier betrachtet werden, wie sich zum Einen das Bild des Zombies im Laufe der Geschichte entwickelt hat und welche Rolle es innerhalb der Serie einnimmt, zum Anderen bietet die Serie aber auch einen großen Einblick auf das Leben der letzten Überlebenden, auf die gesellschaftlichen Strukturen und den Überlebenskampf. Die Verbindung von Disability und Ableism und deren Bedeutung kann somit auf den Zombie wie auch auf den Menschen angewendet werden.
Dafür sollen zunächst die Aspekte der Disability Studies genauer betrachtet werden, um einen Rahmen für die Arbeit zu schaffen und die Begriffe genauer zu erklären, welche hier ihre Anwendung finden. Danach soll ein kurzer Einblick zur Entwicklung des Zombies in der Popkultur geboten werden. Dies dient unter anderem dem Zweck, um herauszuarbeiten, inwiefern sich die Serie The Walking Dead möglicherweise von anderen Darstellungen unterscheidet. Ebenfalls genauer betrachtet wird danach die Bedeutung des Zombies für die Disability Studies bzw. wie sich darauf Bezug nehmen lässt. Danach wird die Serie The Walking Dead genauer in der Verbindung mit den Disability Studies betrachtet. In der Schlussfolgerung werden dann noch einmal die in dieser Arbeit gewonnen Erkenntnisse zusammengetragen und ein Fazit gezogen.
2. Disability Studies
Vor einer genaueren Auseinandersetzung mit den sogenannten Disability Studies sollte noch einmal auf den Unterschied zwischen Disability Studies und Ableism eingegangen werden, da diese beiden Aspekte einen großen Bestandteil der Arbeit bilden.
2.1. Ableism, disability und Disability Studies – Eine Begriffserklärung
Ableism ist ein Begriff aus den Disability Studies, für den es schwer ist, eine adäquate Übersetzung in die deutsche Sprache zu finden, daher wird in dieser Arbeit auch im Fortlaufenden von ableism gesprochen. Dennoch sollte zunächst geklärt werden, welche Bedeutungen mit diesem Wort einhergehen, um abzustecken, welche Aspekte hineinfließen um ein einheitliches Verständnis zu schaffen.
Jamie McDaniel widmet sich in seinem Text unterschiedlichen Konzepten von disability und ableism und kommt er unter anderem zu folgender Erkenntnis:
„A person’s body consequently fixes his or her identity within the nation, creating a kind of static relationship between the individual and the body politic. In this light, the body acts as a kind of property that ultimately defines a subject’s individual identity within a supposedly proper national identity as well as that subject’s relationship to other national inhabitants. Cultural definitions of propriety overcode the disabled body with dominant cultural ideas concerning a particular person’s or group’s correct role and contribution to a national identity, and society interprets transgressions of that role as deviant behavior.“[2]
Der Körper eines Menschen, bestimmt lauf McDaniel dessen Rolle in der Gesellschaft. Daraus ergibt sich, dass sämtliche körperliche Eigenschaften, alle Fähigkeiten, ausschlaggebend sind dafür, welche Position eine Person einnimmt. Oder um es mit den Worten von Markus Dederich zu sagen: „Die menschliche Welt [würde] ohne den Körper nicht existieren.“[3] Durch den Körper existiert die Menschheit, denn nur durch ihn wird Handeln überhaupt erst möglich und dadurch wird auch der Blick auf ihn gerichtet und ihm eine große Bedeutung zugesprochen. Daraus folgend ist aber wiederum auch das Fehlen bestimmter Fähigkeiten und eine damit einhergehende Einschränkung des Handelns – es lässt sich wohl davon ausgehen, dass die Fähigkeiten durch bestimmte Konventionen vorgegeben sind – für die Rolle der Personen innerhalt der Gesellschaft ausschlaggebend. Sind Fähigkeiten und Handeln eingeschränkt, kann sozusagen einer Unfähigkeit des Handels oder auch von einem Unvermögen gesprochen werden, einer Behinderung bzw. disability. Es kann somit eine Vielzahl an Einschränkungen des Handelns um seinen Körper der Gesellschaft zur Verfügung zu stellen als eine disability bezeichnet werden. In der Einleitung des Handbook of Disability Studies heißt es dazu: „As our parents reap the blessings of hard work and long lives, disability enters as a companion affecting their cognitive, intellectual, physical, and social functioning.“[4] Hier zeigt sich, welche Bereiche von disability betroffen sein können. Snyder und Mitchell schreiben diesbezüglich: „Nearly every culture views disability as a problem in need of a solution, and this belief establishes one of the major modes of historical address directed toward people with disabilities.“[5] Sie arbeiten hierbei die gesellschaftlichen Problematiken der disability heraus, laut denen diese immer einen Zustand beschreiben, der problematisch ist, da er von der Norm abweicht und den es aus diesem Grund zu lösen gilt. Dies ist eine Ansicht, welche sich im Laufe der Zeit im allgemeinen Verständnis festgesetzt hat und auf Menschen mit disabilities zurückfällt, deren Leben somit als problematisch und somit auch als nicht vollwertig angesehen wird und es somit immer wieder der Ansicht ausgesetzt ist, dass diese disabilities behoben werden müssen.
Über den Körper des Individuums werden eine große Zahl Positionen bestimmt. Idealisiert wird hierbei der unversehrte und unbeeinträchtigte Körper. „However, this ideal ableist body is a fabrication, and, consequently, an ideal that no one can truly achieve. For people with disabilites, though, this otherness – the lack of conforming to the ableist ideal – […] among others.“[6] Ein in keiner Weise eingeschränkter Körper, eben ein „ableist body“ wird von McDaniel zu einem konsequent konstruiertem Ideal erklärt, welchem letztendlich niemand entsprechen kann, da der vollständig fähige Körper nicht existieren kann. Darauf aufbauend stellt sich ebenfalls die Frage, wann ein Körper als „disabled“ gilt, was einen „ableist body“ ausmacht. Dies sind unter anderem Fragen, mit denen sich die Disability Studies auseinandersetzen. Zusammengefasst kann festgelegt werden, dass unter dem Wort Ableism die Bewertung eines Körpers anhand seiner Fähigkeiten zu verstehen ist. Diese Bewertung findet durch, so legt es McDaniels Argumentation nahe, eine gesellschaftlich konstruierte Konvention statt. Disability wiederum ist die Unfähigkeit diesen Ansprüchen zu genügen, also in einer Form eingeschränkt zu sein, die von der Gesellschaft auch als solche Einschränkung wahrgenommen wird. Mit all diesen Problematiken beschäftigen sich die Disability Studies.
2.2. Disability Studies und ihre Bedeutung in der medialen Darstellung
Der Darstellung von disability widmen sich unter anderem Mitchell und Snyder in Narrative Prosthesis sehr ausführlich. Bereits einführend schreiben sie:
„[D]isability pervades literary narrative, first, as a stock feature of characterization and, second as an opportunistic metaphorical device. We term this perpetual discursive dependency upon disability narrative prosthesis. Disability lends a distinctive idiosyncrasy to any character that differentiates the character from the anonymous background of the ‚norm‘.“[7]
Mitchel und Snyder führen hier den Begriff der „Narrativen Prothese“ ein. Sie beschreibt die Notwendigkeit, eine Figur einzuführen, welche eine disability aufweist, da sich dadurch die Möglichkeit ergibt, einen Charakter zu gestalten, welcher sich aus der Anonymität der Masse abhebt und aus der Norm herausfällt. Ein Charakter mit einer disability wird damit ganz automatisch interessant, da er sich vom Durchschnitt unterscheidet. Des Weiteren wird betrachtet, wie disabilities in der Narration repräsentiert und dargestellt werden und welche Bedeutung dies für den Verlauf der Handlung hat. So heißt es bei Mitchell und Snyder weiter: „[D]isability perpetually serves as the symbolical symptom to be interpreted by discourses on the body. Whereas the ‚able‘ body has no definitional core (it poses as transparrently ‚average‘ or ‚normal‘), the disabled body surfaces as any body capable of being narrated as ‚outside the norm‘.“[8] Der invalide, behinderte Körper ist also innerhalb der Erzählung immer ein Körper außerhalb der Norm. Dabei ist eine Interpretation zu einer disability eine auf den Körper bezogene. Es muss also vor Augen gehalten werden, dass es sich hierbei vor allem um ein körperliches Verständnis handelt. Es sei noch einmal daran erinnert, dass es im vorangegangenen Abschnitt um die Bedeutung des Körper eines Menschen für die Gesellschaft ging und er daher auch über seinen Körper, seine ability definiert wird bzw. eben über Defizite des körperlichen und auch geistigen Handelns, also die disabilities. Darüber hinaus beschreibt die „Narrative Prothese“ das Potential der disability, welches von der Literatur genutzt wurde, um bestimmte Einsichten zu liefern:
„Our phrase narrative prosthesis is meant to indicate that disability has been used throughout history as a crutch upon which literary narratives lean for their representational power, disruptive potentiality, and analytical insight. Bodies show up in stories as dynamic entities that resist or refuse the cultural scripts assigned to them.“[9]
So schreibt Dederich, der sich hauptsächlich auf Mitchell und Snyder bezieht: „[d]er in der Sprache repräsentierte Körper ist nicht der physische, ‚reale‘ Körper, sondern ein sprachliches Gebilde, eine Repräsentation.“[10] Das heißt der Körper hat ein metaphorisches Potential, welches ihm zugesprochen wird und an welchem gearbeitet wird. So haben auch „behinderte Charaktere“[11] eine „Stellvertreterfunktion“[12], sie stehen nie einfach nur für sich, sondern für einen Faktor, der über ihren behinderten Körper hinausgeht. Es kann also davon ausgegangen werden, Mitchells und Snyders Hypothese folgend, das eine disability immer eine Metapher für ein anderes Phänomen ist.
Trotz der Präsenz, die Personen mit disabilities in der Literatur haben, scheinen sie im sozialen Leben zu verschwinden. Ihr metaphorisches Dasein ist nicht gleichbedeutend mit ihrem physischen Dasein, darauf weisen Mitchell und Snyder hin: „disabled peoples‘ social invisibility has occured in the wake of their perpetual circulation throughout print history.“[13] Gleichermaßen stellen sie die Frage: „Why does the ‚visual‘ spectacle of so many disabilities become a predominating trope in the nonvisual textual mediums of literary narratives?“[14] Im Gegensatz zu anderen Minderheiten treten Menschen mit disabilities erstaunlich häufig in der Literatur auf.[15] Was insofern überraschend ist, dass ja gerade körperliche Einschränkungen extrem sichtbar sind, sie in der Literatur aber lediglich durch Beschreibungen hervortreten, da Texte ja „nonvisual“ sind. Dies mag daran liegen, dass hier „Grenzen und Übergangsbereiche zwischen Normalität und Abweichung in der Erfahrung der Leser (re-)konstruiert“[16] werden und womöglich diese Formen der Abweichung näher an der eigenen kulturellen Erfahrung heranreichen, zumal bereits im vorangegangenen Abschnitt formuliert wurde, dass vollständige ability nicht erreicht werden kann. So wird hier zumindest im imaginären Verständnis für das Bild, das mit disability erzeugt wird, Anklang erzeugt. Im sozialen Leben wiederum finden diese Abweichungen keinen Raum, Menschen mit Behinderung können schwieriger bzw. gar nicht daran teilnehmen, da ihre Körper eingeschränkt sind. Hier tritt das Prinzip des ableism zum Vorschein, welches die Diskriminierung invalider Personen bezeichnet. Es bedarf somit der „Narrativen Prothese“ um ihnen einen Raum zu schaffen, der letztendlich aber auch durch das Verständnis des jeweiligen kulturellen Kontext geprägt und metaphorisch ist.
Nun war ausschließlich die Rede von dem „nonvisual textual medium“. Bei The Walking Dead allerdings handelt es sich um eine Serie bzw. eine Graphic Novel. Und auch allgemein finden sich Zombies häufig eher in visuellen Medien, vor allem im Film oder auch in Videospielen. Hier gibt es noch einmal deutlich andere Möglichkeiten disability darzustellen und aufzuarbeiten. Gerade durch die technischen Entwicklungen der letzten Jahre sind der Kreativität kaum noch Grenzen gesetzt. Und auch in diesem Genre spielt disability durchaus eine Rolle. Diese soll nun in den folgenden Kapiteln genauer betrachtet werden.
3. Die Entwicklung der Zombienarration in der Popkultur
In seinem Buch Book of the Dead beschreibt Jamie Russel die gesamte Geschichte des Zombie Films sehr ausführlich. Er widmet sich hierbei der Entstehung des Zombiemythos durch den Voodoo-Glauben, der auf Haiti durch die dort lebenden Sklaven verbreitet wurde, und erarbeitet von dort ausgehend die gesamte mediale Entwicklung der Zombiefigur, welche hauptsächlich von Kinofilmen ausging. Anders, als z.B. Dracula oder Frankenstein, beides verbreitete Figuren im Horror-Genre, welche eine literarische Vorlage haben, ist dies beim Zombie weniger der Fall. Lediglich das von Russel erwähnte Buch The Magic Island gibt ein vages Vorbild für den Zombie. Russel beschreibt den Zombie als „something of a cultural upstart, an interloper from the Caribbean that no one really knew nothing about.“[17] Mittlerweile jedoch ist der Zombie extrem populär geworden und in einer Vielzahl unterschiedlicher Medien vertreten, wie es Kevin Boon nahe legt: „Film does not hold exclusive domain over the zombie. The zombie has lumbered into every American art form, including theater, music, literature, performance art, painting, and sculpture.“[18] Der Zombie trottete also in jede Kunstform und ist somit nun allgegenwärtig. Wie die Entwicklung vonstattenging, soll im Folgenden genauer betrachtet werden.
[...]
[1] Vgl.: Jamie Russel: Book of the Dead. Surrey, 2005, S. 7.
[2] Jamie McDaniel: „You can point a finger at a zombie. Sometimes they fall off.“: Contemporary Zombie Films, Embedded Ableism, and Disability as Metaphor. In: The Midwest Quarterly; Summer 2016, Vol. 57, Issue 4, S. 423-446, hier S. 428.
[3] Markus Dederich: Körper, Kultur und Behinderung. Eine Einführung in die Disability Studies. Bielefeld, 2007, S. 85.
[4] Gary L. Albrecht/ Katherine D. Seelman/ Michael Bury: Introduction. The Formation of Disability Studies. In: In: Handbook of Disability Studies. Hrsg.: Gary L. Albrecht u.a., Thousand Oaks, 2001, S. 1-8, hier S. 1.
[5] David T. Mitchell/ Sharon L. Snyder: Narrative Prothesis. Disability and the Dependencies of Discourse. Michigan, 2000, S. 47.
[6] Jamie McDaniel: „You can point a finger at a zombie. Sometimes they fall off.“: Contemporary Zombie Films, Embedded Ableism, and Disability as Metaphor. In: The Midwest Quarterly; Summer 2016, Vol. 57, Issue 4, S. 423-446, hier S. 426f.
[7] David T. Mitchell/ Sharon L. Snyder: Narrative Prothesis. Disability and the Dependencies of Discourse. Michigan, 2000, S. 47.
[8] Ebd. S. 49.
[9] Ebd.
[10] Markus Dederich: Körper, Kultur und Behinderung. Eine Einführung in die Disability Studies. Bielefeld, 2007, S. 113.
[11] Ebd. S. 117.
[12] Ebd.
[13] David T. Mitchell/ Sharon L. Snyder: Narrative Prothesis. Disability and the Dependencies of Discourse. Michigan, 2000, S. 52.
[14] Ebd. S. 53.
[15] Vgl. Ebd. S. 52.
[16] Markus Dederich: Körper, Kultur und Behinderung. Eine Einführung in die Disability Studies. Bielefeld, 2007, S. 109.
[17] Jamie Russel: Book of the Dead. Surrey, 2005, S. 20.
[18] Kevin Boon: And the Dead Shall Rise. Part Introduction by Kevin Boon. In: Better Off Dead: The Evolution of the Zombie as Post-Human. Hrsg. Deborah Christie und Sarah Juliet Lauro. New York, 2011, S. 5-8, hier S. 6.