Intertextualität in den Werken von Michael Ende


Masterarbeit, 2016

91 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Theoretische Ansätze der Intertextualität
2.1. Theorien der Intertextualität: Stand der Forschung
2.2 Intertextualität und Markierung
2.3 Funktionen der Intertextualität

3. Michael Ende und seine Werke: Grundzüge des literarischen Schaffens
3.1. Lebensweg, Stationen im Schaffen und Weltsicht von Michael Ende
3.2. Besonderheiten des Stils von Michael Ende
3.3. Das Schaffen von Michael Ende als Objekt der philologischen Untersuchungen

4. Systemreferenzielle Intertextualität in Michael Endes Märchen-Roman Momo
4.1. Das Gattungsmodell des romantischen Kunstmärchens
4.2. Wiederkehr der Romantik im Märchen-Roman von Michael Ende Momo

5. Einzeltextreferenzen im Roman von Michael Ende Die unendliche Geschichte
5.1. Intertextualität in Die unendliche Geschichte als Grundprinzip des Romanaufbaus
5.2. Bastians Weg nach Phantásien: literarische Quellen im ersten Teil des Romans
5.3. Bastians Reise in Phantásien: literarische Quellen im zweiten Teil des Romans

6. Fazit

7. Literaturverzeichnis
7.1. Literarische Primärtexte
7.2. Sekundärliteratur

1. Einleitung

Über 55 Jahre sind seit dem Erscheinen des ersten Buches von Michael Ende Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer (1960) vergangen, und immer nocherleben sowohl dieses als auch andere seine Bücher zahlreiche Auflagen, werden gelesen und gekauft, was auf die Qualität derer hindeutet. Auch das wissenschaftliche Interesse an Endes Schaffen, seinem poetischen Stil und am Ideengehalt seiner Werke lässt nicht nach. Immer wieder werden sie zum Untersuchungsobjekt von wissenschaftlichen Artikeln, Studien und Dissertationen (vgl.: Stojan 2002, Hocke et al. 2009, Steiert 2012, Kurwinkel et al. 2016 u.a.). Diese Untersuchungen belegen, dass Michael Ende die Rahmen von Kinderliteratur als einem spezifischen literarischen Genre, zu dem seine Bücher traditionell zählen, gesprengt hat. Entsprechend seiner Überzeugung über die Sinnlosigkeit der Einteilung in Kinder- und Erwachsenenliteratur, die er im Essay Gedanken eines zentraleuropäischen Eingeborenen (Ende 1994a: 55-60) zum Ausdruck bringt, hat Michael Ende seine Bücher an ein breites Leserpublikum gerichtet, an alle, in denen das „Ewig-Kindliche“ (Ende 1994e: 181) lebt. Millionen von Lesern faszinieren nicht nur die grenzenlose Phantasie, die bildhafte Sprache und die humorvolle Erzählweise von Michael Ende, sondern auch die einerseits aktuellen gesellschaftlichen, andererseits philosophischen, nachdenklich stimmenden Themen seiner Werke, eine komplizierte, einem Labyrinth ähnelnde Komposition seiner Texte.

Unter allen stilistischen Mitteln, zu denen am häufigsten Michael Ende greift, um seinen Werken einerseitsTiefe und andererseits Offenheit zu verleihen, spielt die Intertextualität eine sehr wichtige Rolle. Diese These haben viele Michael-Ende-Forscher hervorgehoben. Darunter sind beispielhaft folgende zu nennen: Ludwig 1988, Aschenberg 1991, Stojan 2002, Steiert 2012 u.a. Intertextualität ist der Schlüssel zur Ideenwelt sowohl zu Endes einzelnen Werken, als auch zu seinem ganzen Schaffen, weil die Autoren, literarische Werke und Werke anderer Künste, die Michael Ende teils offen, teils verschlüsselt in seinen Büchern erwähnt, auf die Bildung seiner Weltsicht Einfluss genommen haben.

Die Zielsetzung dieser Masterarbeit ist die Untersuchung der Intertextualität in den Werken von Michael Ende. Das besondere Augenmerk dieser Untersuchung richtet sich dabei auf folgende Fragestellung:

1) Fragen zur Theorie der Intertextualität:

- Was ist die Intertextualität und welche Forschungsrichtungengibt es in diesem Bereich?
- Wie werden Intertextualitätsbezüge im Text markiert?
- Welche Funktionen erfüllt Intertextualität im literarischen Text?

2) Fragen zum Leben und Schaffen von Michael Ende:

- Welche Stationen gibt es im Leben und Schaffen von Michael Ende?
- Was gehört zu Endes literarischen Oeuvre?
- Welche philologischen Studien untersuchen Endes Werke und von welchen
Standpunkten?
- Was gehört zu den grundlegenden Stilzügen von Michael Ende?
- Was macht das Gattungsmodell des romantischen Kunstmärchens aus?
- Wie wird dieses Modell im Endes Märchen-Roman Momo realisiert?
- Wie wird systemreferenzielle Intertextualität zwischen Momo und dem Genre des romantischen Kunstmärchensin diesem Märchen-Roman markiert?

4) Fragen zur Intertextualität in Endes Werken auf der Ebene der Einzeltextreferenz am Beispiel des Romans Die unendliche Geschichte:

- Zu welchen literarischen QuellengreiftMichael Ende im Roman Die unendliche Geschichte und welche Funktionen haben solche Einzeltextreferenzen?

- Wie werden intertextuelle Bezüge in Die unendliche Geschichte markiert?

Die vorliegende Masterarbeit ist entsprechend der oben angeführten Fragestellung folgendermaßen aufgebaut: Im theoretischen Teil, der aus zwei Kapiteln besteht, werden die ersten zwei Fragenkomplexe erörtert. Die nächsten zwei Kapitel des praktischen Teils sind den dritten und vierten Fragenkomplexen gewidmet. Zum Schluss wird ein Fazit zur gesamten Untersuchung gezogen.

Die theoretischen Grundlagen dieser Masterarbeitbilden die Untersuchungen im Bereich der Intertextualitätsforschung, in denen die intertextuellen Bezüge in Einzeltext- und Systemreferenz eingeteilt (Broich/Pfister 1985), ihre Markierungsformen (Helbig 1996) und Funktionen (Schulte-Middelich 1985) analysiert werden. Bei der Analyse der Systemreferenz in Endes Märchen-Roman Momo stützt sich die Verfasserin der vorliegenden Arbeit auf die Studie von Anja Hagen Gedächtnisort Romantik: Intertextuelle Verfahren in der Prosa der 80er und 90er Jahre (2003), in der die Forscherin das Gattungsmodell des romantischen Kunstmärchen ausgearbeitet hat. Für die praktische Umsetzung der oben erwähnten Theorien bei der Analyse der Intertextualität in den Werken von Michael Ende sind für diese Arbeit die Studien von Wernsdorff (1983), Ludwig (1988), Aschenberg (1991), Stojan (2004), Steiert (2012) von großem Wert, weil diese einen großen Beitrag zu der Intertextualitätsforschung von Endes Werken geleistet haben.

Im praktischen Teil dieser Masterarbeit werden zwei Werke von Michael Ende analysiert – der Märchen-Roman Momo (1973) und der Roman Die unendliche Geschichte (1979). Solche Wahl der für die Analyse ausgewählten Werke ist einerseits durch die große Bedeutung dieser Bücher im gesamten Oeuvre von Michael Ende, andererseits durch die Relevanzbestimmt, die genau diese Werke für das Thema der vorliegenden Untersuchung darstellen. So ist der Märchen-Roman Momo ein typisches Werk, in dem Michael Ende seine Zugehörigkeit zu den „neuen“ Romantikern bekennt: „Was meine eigenen Entscheidungen betrifft, so bin ich davon überzeugt, daß es der Mühe wert ist, an diesen allzufrüh abgerissenen Faden unserer Kulturgeschichte [die Romantik – Anmerk. von N.B.)] wieder anzuknüpfen“ (Ende 1994f: 269). Für den Schriftsteller war die Romantik „die erste und [...] bislang einzige originär deutsche Kulturleistung im Sinne einer gemeinsamen Lebensgebärde, [...] die auch auf die anderen europäischen Nationen so anziehend und überzeugend wirkte, daß sie sogar übernommen wurde.“ (ebd.: 268) In Momo zeigt sich besonders deutlich, wie Michael Ende diesen „abgerissenen Faden“ aufgreift, modifiziert und an die moderne Situation angepasst weiterentwickelt. Die romantischen Motive sind auch dem Roman Die unendliche Geschichte eigen. Hier aber sind die Spuren von literarischen Werken aus verschiedenen Epochen von der Antike bis zur modernen Zeit und von verschiedenen Genres von Mythen bis zum postmodernen Roman zu finden. Aus diesem Grund ist dieses Werk das ideale Untersuchungsobjekt für die Verwendung der theoretischen Ansätze im Bereich der Einzeltextreferenz, ihrer Markierungsformen und Funktionen. Die unendliche Geschichte stellt das Hauptwerk von Michael Ende dar, in dem der Schriftsteller viele Aspekte seiner Weltsicht zusammengetragen hat. Die Auseinandersetzungmit den intertextuellen Bezügen in diesem Werk gibt also die Möglichkeit, einerseits die gesamte Weltanschauung des Schriftstellers besser zu verstehen und andererseits Werke und Autoren näher kennenzulernen, die Michael Ende inspiriert haben.

2. Theoretische Ansätze der Intertextualität

2.1. Theorien der Intertextualität: Stand der Forschung

Die Intertextualitätsforschung nimmt ihren Ursprung in den späten 60-er Jahren, und wird von der Julia Kristevas Theorie geprägt, die sie aus den Beobachtungen von Michael Bachtin über die Dialogizität der Literatur ableitet: „Jeder Text baut sich als Mosaik von Zitaten auf, jeder Text ist Absorption und Transformation eines anderen Textes. An die Stelle des Begriffs Intersubjektivität tritt der Begriff der Intertextualität, und poetische Sprache lässt sich zumindest als eine doppelte lesen.“ (Kristeva 1972: 348) Dieses Intertextualitätskonzept nützt Kristeva schon in ihrer Dissertation Le texte du roman (1967) für die Analyse eines Romans aus dem 15. Jahrhundert und bezieht sich auf diese Studie auch in ihren späteren Arbeiten. So definiert sie in dem Aufsatz Probleme der Textstrukturation (1971) Intertextualität als das „[...] textuelle Zusammenspiel, das im Innern eines Textes abläuft. Für den Sachkenner ist Intertextualität ein Begriff, der anzeigt, wie ein Text die Geschichte "liest" und sich in sie hineinstellt.“ (Kristeva 1971: 500)

Heutzutage ist die Intertextualitätsforschung einer der facettenreichsten Bereiche der Literaturwissenschaft und der Textlinguistik und schließt in sich einige spezifische Theorien ein. Alle diese Theorien kann man in zwei Gruppen teilen. Die erste Kategorie der Intertextualitätstheorien geht vom weitgefassten Intertextualitätsbegriff aus, der von Julia Kristeva eingeführt und in den poststrukturalistischen und dekonstruktivistischen Untersuchungen von Ronald Barthes (1968), Harold Bloom (1973), Gerard Genette (1982), Renate Lachmann (1990) u.a. weiter ausgearbeitet wurde. Nach der poststrukturalistischen Theorie stellt der Einzeltext keine in sich geschlossene Einheit dar, weil ein Zeichen eine Vielzahl an möglichen Bezügen und verschiedene Bedeutungen aufweisen kann. Das führt zur Loslösung der starren Struktur und einer eindeutigen Interpretation der Zeichen. Das ganze verwendete Sprachmaterial bezieht sich auf ein anderes, zuvor gebrauchtes, das aus verschiedenen Quellen neu zusammengesetzt wird.

Die Theorien, die zur zweiten Kategorie gehören, untersuchen konkrete Formen der intertextuellen Bezüge, ihre Funktionen und Markierungsarten. Dazu zählen die Arbeiten von Ulrich Broich und Manfred Pfister (1985), Heinrich F. Plett (1985), Jörg Helbig (1996), Schulte-Middelich (1985) u.a. Besondere Forschungsrichtungen bilden in dieser Kategorie Untersuchungen der Ralationsformen zwischen verschiedenen literarischen Gattungen (Eicher 1996, Hagen 2003 u.a.) und verschiedenen Medien: Text und Film, Text und Theater, Text und bildende Kunst, Text und Musik (Hansen-Löve 1983, Müller 1996, Rajewsky 2002 u.a.).

Roland Barthes hat in seinen Arbeiten einen großen Beitrag zur Intertextualitätsforschung erster Kategorie geleistet. Jedes Textelement vom Wort bis zu syntaktischen Konstruktionen und stilistischen Mitteln gehört laut Barthes (Barthes 1968: 190) nicht allein diesem Text, sondern wird mit allen anderen Texten geteilt. In jeden Text schreiben sich somit Spuren des ganzen Universums der Texte ein. So entsteht ein „Gewebe von Zitaten“ (ebd.), die vom Textleser entschlüsselt werden müssen. Somit erhält der Rezipient eine wichtige Rolle, da er den Text, der aus verschiedenen Schriften besteht, erst zusammenfügen muss. Diesen Grundgedanken seiner Konzeption fasst Barthes so zusammen: „Die Geburt des Lesers ist zu bezahlen mit dem Tod des Autors.“ (ebd.: 193)

Im Mittelpunkt von Harold Blooms Untersuchung Einfluß-Angst: Eine Theorie der Dichtung (1995) stehen die bedeutenden poetischen Texte. Auf diese in einer Gesellschaft kanonisierten Texte reagieren die Autoren bewusst oder unbewusst, das heißt in ihrem Schaffen greifen sie immer auf die zentralen Gedichte zurück, auch wenn sie diese Gedichte nicht gelesen haben. Bloom bezeichnet solche Auseinandersetzung der Autoren mit den kanonischen Gedichten als „Revisionismus“, der als ein destruktiver Vorgang zu sehen ist:

Die Geschichte des fruchtbaren poetischen Einflusses, also sozusagen die Haupttradition der westlichen Dichtung seit der Renaissance, ist eine Geschichte der Angst und der selbstrettenden Karikatur, der Verzerrung, des perversen, absichtsvollen Revisionismus, ohne den die moderne Dichtung als solche nicht bestehen konnte. (Bloom 1995: 30)

Nach Renate Lachmann (vgl: Lachmann 1990) gilt das Gedächtnis eines Textes als seine Intertextualität. Literatur ist jene Instanz, die das Gedächtnis für eine Kultur schafft. Das Gedächtnis manifestiert sich in geschriebenen Texten, deren intertextueller Charakter sich daran zeigt, dass sie die Kultur neu interpretieren. Schreiben definiert sie als „Gedächtnishandlung und Neuinterpretation der (Buch-)Kultur.“ (Lachmann 1990: 56) Dank den intertextuellen Bezügen zwischen den Texten entsteht ein Raum, der das Kulturgedächtnis bestimmt.

Gérard Genette befasste sich mit der Thematik der Intertextualität in seinem literaturtheoretischen Werk Palimpseste. Die Literatur auf zweiter Stufe (1982) und insbesondere mit der Abhängigkeit und der Beziehung der Texte untereinander. In seiner Studie verwendet Genette den Begriff der „Transtextualität“ als Oberbegriff für fünf andere Transtextualitätstypen (Genette 1993: 9-15):

1) Intertextualität: die absichtsvolle Bezugnahme auf einen Text, z.B. in Form von Zitaten oder Anspielungen;
2) Paratextualität: der Zusammenhang des Textes und des ihn umgebenden Umfelds wie Titel, Einleitung, Klappentext;
3) Metatextualität: eine kritische Betrachtung eines anderen Textes durch eine Beschreibung oder Kommentierung;
4) Hypertextualität: eine Umformung des Ausgangstextes mittels der Technik der Transformation oder einer Neubearbeitung;
5) Architextualität: eine Gruppe von Texten, die gemeinsame literarische Gemeinsamkeiten aufweisen.

Die literaturtheoretische Intertextualitätsforschung erster Kategorie hat die Grundlage und Anregungen für die Untersuchungen gebildet, die auf die praktische intertextuelle Textanalyse gerichtet sind. Im Mittelpunkt dieser Intertextualitätsforschung zweiter Art steht „ein enger gefasster Begriff, der es ermöglicht, Intertextualität von Nicht-Intertextualität zu unterscheiden und historisch und typologisch unterschiedliche Formen der Intertextualität voneinander abzuheben.“ (Broich/ Pfister 1985: X)

Nach Manfred Pfister (Pfister 1985: 23) kann man von der Intertextualität in einem Text dann sprechen, wenn sein Autor absichtlich den Bezug auf einen anderen Text nimmt und von dem Leser erwartet, dass er diesen Bezug als wichtig für das Verständnis des Textes erkennt. Die Bezogenheit beider Texte aufeinander wird oft durch bestimmte Intertextualitätssignale markiert. Pfister und Broich teilen die intertextuellen Bezüge in zwei Arten ein: Einzeltextreferenz und Systemreferenz. Im Falle von Einzeltextreferenz wird laut Broich (Broich 1985: 49) in einem Text auf einen anderen so genannten Prätext referiert. Zu solchen Referenzen gehören z.B. Zitat, Motto, Übersetzung, Bearbeitung, Imitation, Paraphrase u.a. Von Systemreferenz spricht man nach der Auffassung von Pfister (Pfister 1985: 53) dann, wenn ein Text sich nicht mehr auf einen einzelnen Prätext bezieht, sondern auf eine Gruppe von Texten. Er „wird von Textkollektiva gebildet oder genauer von den hinter ihnen stehenden und sie strukturierenden textbildenden Systemen.“ (ebd.) Das System, das ein Text dann strukturiert, kann z.B. eine Gattung oder ein Diskurstyp (religiöser, philosophischer, wissenschaftlicher Diskurs u.a.) sein.

Heinrich F. Plett untersucht in seinen Arbeiten das Zitat als ein Intertextualitätssignal. Er geht davon aus, dass man die Intertextualität als implizit oder explizit differenzieren kann, und überträgt diese Konzeption auf verschiedene Markierungsarten der Intertextualität. Zitate bzw. ihre Segmente enthalten bestimmte intertextuelle Signale, die sie im neuen Kontext auffällig machen. “Als explizite Signale dürfen solche gelten, die auf Grund von Additionstransformationen ausdrücklich zu dem Zitatsegment hinzutreten. [...] Implizite Signale heben sich von den expliziten dadurch ab, dass sie Eigenschaften des Zitats selbst sind.“ (Plett 1985: 85)

Das Thema der Intertextualitätsmarkierung wird in der Studie von Jörg Helbig Intertextualität und Markierung (1996) weiter entwickelt. Er betrachtet Intertextualität als eine Art Kommunikation, die von fünf konstitutiven Faktoren geprägt wird (Helbig 1996: 82): Autor, Rezipient, manifester Text, Referenztext und Einschreibung. Laut diesem Ansatz werden die intertextuellen Einschreibungen aus dem Referenztext im manifesten Text vom Autor durch verschiedene Signale hervorgehoben, so dass er den Leser in eine Art „intertextuelles Spiels“ heranzieht. Je nach Markierungsgrad der intertextuellen Einschreibungen werden verschiedene Intertextualitätsformen unterschieden. Nach Helbig (ebd.: 83-142) gibt es explizit markierte Intertextualität, implizit markierte Intertextualität, unmarkierte Intertextualität, mehrfach markierte Intertextualität und thematisierte Intertextualität. Jede von diesen Markierungsformen verfügt über ein Inventar der intertextuellen Signale, die auf der Textoberfläche vom Leser zu erkennen sind und verschiedene Funktionen bei der Sinnerschließung im Text erfüllen.

Die Grundlage für die Forschung von intertextuellen Beziehungen zwischen verschiedenen literarischen Gattungen wurde von Gérard Genette gelegt, der den Begriff der Architextualität in der Intertextualitätsforschung etabliert hat. Heutzutage existiert eine Menge von Studien, die diesem Thema gewidmet sind. So wurde 1996 von Thomas Eicher die Aufsatzsammlung „Märchen und Moderne“ herausgegeben, in dem Fallbeispiele der intertextuellen Relation zwischen den Volksmärchen und den literarischen Texten der Moderne gesammelt wurden. Dabei ist das Ziel dieser Untersuchungen, die Funktionen der literarischen Bezugnahme auf das Märchen exemplarisch zu beschreiben und die Markierungsformen der Intertextualität zwischen den Texten verschiedener Gattungen, z.B. zwischen Volks – und Kunstmärchen aufzudecken. So hängt nach Eicher der Erkennungsgrad der intertextuellen Signale von vielen Faktoren ab. Im Sonderfall „Volksmärchen-Kunstmärchen“ geht es um eine hochgradige Markiertheit, weil hier „ [...] eine stoffliche oder motivliche Anleihe durch die Übernahme der Handlungsstruktur und diese wiederum durch eine Übertragung in eine andere Gattung bzw. ein anderes Medium übertroffen werden.“ (Eicher 1996: 16) Dabei findet man in den modernen literarischen Märchen keine konkrete Bezugnahme auf einzelne Volksmärchen, sondern „[...]das Verschwinden der Einzeltexte etwa aus der Sammlung der Grimms hinter der kollektiven Vorstellung von dem, was ein Märchen ausmacht“ (ebd.: 17).

Da der Begriff „Text“ in der modernen Philologie sehr weit aufgefasst wird, schließt die Bezeichnung „Intertextualität“ in sich mehrere Phänomene und Subkategorien ein. Wird sie um die Aspekte der anderen Medien erweitert, so spricht man laut Rajewsky (Rajewsky 2002: 6) von der Intermedialität, die ebenfalls als Oberbegriff für weitere Phänomene angesehen wird: Multimedialität, Poli- oder Plurimedialität, Transmedialität, Medienwechsel, Medientransfer, mediale Transformationen u.a.. Wie die Bezeichnungen dieser intermedialen Erscheinungsformen zeigen, findet die Bezugnahme eines Werkes auf ein anderes nicht innerhalb des Mediums Text statt, wie es im Falle der Intertextualität ist, sondern die Mediengrenzen werden überschritten. Aus dieser alle intermedialen Beziehungen prägenden Eigenschaft ergibt sich die Definition von Intermedialität als „Mediengrenzen überschreitende Phänomene, die mindestens zwei konventionell als distinktiv wahrgenommene Medien involvieren.“ (Rajewsky 2002: 13) Diese zwei „distinktiv wahrgenommene Medien“ sind Ausgangs- und Zielwerk. Auf dem Gebiet der Intermedialitätsforschung werden einerseits die intermedialen Spuren des Ausgangswerks im Zielwerk (vgl.: Rajewsky 2002, Wolf 2004) und andererseits Intermedialitätsarten und -funktionen untersucht. Ebenso wird geforscht, wie die Transformationen zwischen Medien stattfinden (vgl.: Müller 1994, Paech 1998).

Die Spuren des Ausgangsmediums im Zielmedium werden von Rajewsky „intermediale Bezüge“ genannt und als „[...] Verfahren der Bedeutungskonstitution eines medialen Produkts durch Bezugnahme [...] auf ein konventionell als distinkt wahrgenommenes Medium mit den dem kontaktnehmenden Medium eigenen Mitteln [...]“ (Rajewsky 2002: 19) definiert. Die Bezugnahme kann als Einzelreferenz oder als Systemreferenz im Zielmedium vorhanden sein. Dabei handelt es sich nach Rajewsky (ebd.) bei der Einzelreferenz um die intermediale Beziehung des kontaktnehmenden Mediums zu einem bestimmten Zielprodukt (z.B. eines literarischen Werkes zu seiner Verfilmung), und bei der Systemreferenz bezieht sich das Ausgangsmedium auf ein anderes semiotisches System (z.B. ein literarischer Text auf ein filmisches Genre) .

Im Mittelpunkt des anderen Ansatzes der Intermedialitätsforschung stehen Transformationen, die bei der Durchdringung eines Mediums von einem anderen passieren, und die Funktionen, die sie erfüllen. Infolge der intermedialen Transformationen entstehen „[...] Brüche, Lücken, Intervalle oder Zwischenräume, ebenso wie Grenzen und Schwellen, in denen ihr mediales Differenzial figuriert.“ (Paech 1998: 25)

Für die vorliegende Arbeit sind die Forschungsansätze relevant, die sich mit den intertextuellen Relationen sowohl auf der Gattungsebene, als auch zwischen den einzelnen Texten auseinandersetzen. Es wird untersucht, wie in den Werken von Michael Ende der systemreferenzielle Bezug auf die romantischen Kunstmärchen genommen wird und welche Funktionen solche Gattungsrelationen erfüllen. Außerdem werden in seinen Werken konkrete Signale der Intertextualität aufgedeckt, die die Beziehungen zwischen den Texten von Michael Ende und den Texten von anderen Autoren markieren. Dabei wird grundsätzlich, aber mit bestimmten Abweichungen, die Klassifikation von Jörg Helbig verwendet, die im nächsten Teil dieser Arbeit nachgegangen wird.

2.2 Intertextualität und Markierung

Der Begriff der Markierung hat eine lange linguistische Tradition. Als markiert und unmarkiert wurden noch von den Vertretern der Prager phonologischen Schule die Elemente der binären Lautopposition definiert. Später wurde diese Konzeption durch die generative Linguistik von Chomsky und Halle erweitert und zu einer Markiertheitstheorie entwickelt, in der sie den Begriff der Natürlichkeit zur Markiertheit als Gegenpol setzen. Unmarkierte sprachliche Einheiten sind gegenüber den markierten „die weniger komplexen, natürlicheren, d.h. erwarteten Formen“ (Bußmann 1983: 310). In der Textlinguistik wird der Markierungsgrad eines Textelements in Zusammenhang mit der Leserrezeption gesetzt. „Der Leser bleibt an einem markierten Textelement ‚hängen’, an einer Zeichenkette von höherer Komplexität, die zu verstärkter, bewusster Aufmerksamkeit bei der Rezeption zwingt.“ (Helbig 1996: 65)

Auch in der Intertextualitätsforschung ist der Markierungsbegriff vor allem mit dem Rezeptionsprozess verbunden. „Eine brauchbare Definition der Markierung muss [...] von zusätzlichen, konkreten markers für den Rezipienten ausgehen [...].“ (Broich 1985: 34-35) Die Rolle des Lesers besteht also bei der intertextuellen Kommunikation darin, die markierten Intertextualitätssignale zu erkennen, was von seiner Erkennungskompetenz abhängt, d.h. von seinem sprachlichen und literarischen Vorwissen. Die intertextuelle Markierung aktiviert dieses Vorwissen und steuert den Prozess der intertextuellen Rezeption. „Selbstverständlich ist der Grad der Eindeutigkeit eines Zitats ein Relationswert, der sich erst in Abhängigkeit vom Wissen eines Lesers bestimmen lässt (und dies schwankt mit Nationalität, Erziehung, Beruf, Alter, usw.).“ (Kaiser 1972: 160)

Bei der intertextuellen Kommunikation wird aber nicht nur dem Leser, sondern auch dem Textautor eine große Rolle zugeteilt. Es ist seine Aufgabe, durch intertextuelle Markierung dem Leser zu signalisieren, dass ein Textelement einen Verweis auf den Prätext enthält. Dabei kann der Autor den Transparenzgrad der Referenzsignale variieren und dadurch den Leser in eine Art des intertextuellen Spiels verwickeln. In diesem Spiel kann man aber nicht gewinnen oder verlieren, da sein Ziel ist, die Spannung beim Lesen zu schaffen, das Interesse zum Text zu wecken und aufrecht zu erhalten.

Um die spielerische Atmosphäre im Text zu schaffen, greift der Autor zu verschiedenen Formen der intertextuellen Markierung, die explizit oder implizit auf den Prätext verweisen. „Die Signale sprachlicher Intertextualität sind entweder expliziter oder impliziter Natur.“ (Plett 1985: 85) Jörg Helbig bietet eine hierarchisch strukturierte Klassifikation der intertextuellen Markierungsverfahren an, die er in Form einer Progressionsskala darstellt, „auf der die Grade unterschiedlicher Markierungsdeutlichkeit lokalisiert werden können.“ (Helbig 1996: 83) Dabei platziert er als Anfangspunkt auf dieser Skala die unmarkierte Intertextualität, der die implizit markierte, explizit markierte und thematisierte Intertextualität folgen. Die diesen Intertextualitätsformen entsprechenden Bereiche der Progressionsskala intertextueller Markierung bezeichnet Helbig (ebd.) als Nullstufe, Reduktionsstufe, Vollstufe und Potenzierungsstufe.

Die unmarkierte Intertextualität auf der Nullstufe weist keine erkennbaren Referenzsignale auf.

Unmarkiert ist Intertextualität also dann, wenn neben einem notwendigen Verzicht auf linguistische und/ oder graphemische Signale eine sprachlich-stilistische Kongruenz von Zitatsegment und Kontext vorliegt – eine Art literarischer Mimikry, welche die intertextuelle Kommunikativität des Textes reduziert und es ermöglicht, eine intertextuelle Spur nahtlos in einen neuen Kontext zu integrieren, ohne daß hierbei Interferenzen entstehen. (ebd.: 88)

Bei dieser Intertextualitätsform bekommt der Leser keine Signale, die sein Vorwissen aktivieren könnten. Die in den präsenten Text eingeflochtenen intertextuellen Referenzen auf den Prätext bleiben vielen Rezipienten verborgen. Die intertextuellen Spuren sind entweder sehr stark transformiert oder kommen als literarische Motive vor. Nach Helbig (ebd.: 89) kann der Autor zu der unmarkierten Intertextualität greifen, wenn er Satire oder Kritik möglichst versteckt in seinen Text einflechten, also der Zensur entgehen will. In der vorliegenden Arbeit wird bei der Untersuchung der Intertextualität in den Werken von Michael Ende auf diese Intertextualitätsform verzichtet, weil sie nur intuitiv festzustellen ist und dadurch der wissenschaftlichen Verifizierung nicht unterworfen werden kann.

Auf der Reduktionsstufe der Progressionsskala intertextueller Markierung befindet sich die implizit markierte Intertextualität. Implizite Markierung „legt Intertextualität nicht als solche offen, es kann jedoch mutmaßliche Intertextualitätssignale stärker in den Wahrnehmungsfokus rücken.“ (ebd.: 95) Diese Signale sind „polyvalenter Natur“ und fungieren nur „als Indiz für Intertextualität [...] niemals jedoch als eindeutiger Beweis.“ (ebd.) Anders gesagt, implizit markierte intertextuelle Spuren können von Rezipienten nicht eindeutig interpretiert, d.h. als Verweis auf verschiedene Prätexte wahrgenommen werden. Die Eindeutigkeit der intertextuellen Spur hängt vom Bekanntheitsgrad des Prätextes, vom Transformationsgrad der Referenz und davon ab, welche konkrete Verfahren der impliziten Markierung der Textautor verwendet.

Diese Verfahren der impliziten Markierung der Intertextualität teilt Helbig in zwei Gruppen ein (ebd: 97-111): Emphase durch Quantität und Emphase durch Position. Die quantitativ hervorgehobenen Signale der intertextuellen Markierung „[...] üben keinen unmittelbaren Einfluß auf die Transparenz einer Referenz aus, sie rücken diese jedoch (mit unterschiedlicher Intensität) in den Wahrnehmungsfokus des Rezipienten.“ (ebd.: 97) Dieser Effekt wird durch die mehrfache Wiederholung der intertextuellen Spur („Frequenz“) oder durch die Größe der Textstelle, die diese Spur enthält („Proportion“), erreicht. Emphase durch Position stellt „die Exponiertheit einer Referenz im Werkkontext, d.h. die Existenz generell privilegierter Positionen in einem Text“ (ebd.: 105) dar. An diesen Stellen können die intertextuellen Spuren mit einer größeren Intensität von dem Rezipienten des Textes wahrgenommen werden, was die Markierungsfähigkeit dieses Verfahrens im Vergleich zur Emphase durch Quantität erhöht.

Auf der Vollstufe der Progressionsskala intertextueller Markierung platziert Helbig die explizit markierte Intertextualität:

Im Rahmen dieser Vollstufe intertextueller Markierung wird im Gegensatz zu Null- und Reduktionsstufe nicht nur die Deutlichkeit einer Referenz, sondern auch ihre Transparenz verstärkt [...] Durch den Einsatz expliziter Markierungen können sich die Anforderungen an die Allusionskompetenz des Rezipienten daher auf ein Minimum reduzieren. (ebd.: 111-112)

Aber auch innerhalb der expliziten Markierungsverfahren besitzen die intertextuellen Signale einen unterschiedlichen Transparenzgrad. So sind laut Helbig (ebd.: 112) die onomastischen Einschreibungen weniger transparent als der linguistische Codewechsel, der seinerseits nicht so auffällig wie die graphemische Interferenz ist.

Die höchste Potenzierungsstufe der Progressionsskala enthält die thematisierte Intertextualität. Das sind solche intertextuellen Signale, „die einen Referenztext oder dessen Rezeption deskriptiv erfassen und dadurch das Problemfeld 'Intertextualität' als solches thematisieren. Hierzu gehören beispielsweise meta-kommunikative Verben zur Bezeichnung der Rezeption von Texten wie: lesen, vorlesen, verlesen, ablesen, rezipieren, zitieren, rezitieren, deklamieren, etc.„ (ebd.: 131) In einem literarischen Text trifft man nicht oft diese Art der intertextuellen Markierung, weil sie den spielerischen Aspekt komplett ausschließt.

Wie bereits erwähnt wird in der vorliegenden Arbeit die Klassifikation von Jörg Helbig bei der Analyse der Intertextualität in den Werken von Michael Ende benutzt. Die von Helbig ausgearbeiteten Kategorien erscheinen fassbar und treffen im Kern die Arten der Intertextualität, wie sie auch bei Ende aufzufinden sind. Außerdem kann dieses typologische Schema verwendet werden, um intertextuelle Gattungsrelationen in den Werken von Ende zu untersuchen.

2.3 Funktionen der Intertextualität

Die Analyse der intertextuellen Bezüge schließt in sich nicht nur die Untersuchung der zwischentextuellen Relationen und ihre Markierungsformen ein, sondern auch die Aufdeckung der Funktionen solcher Relationen. Das heißt, das wissenschaftliche Interesse des Forschers von der Intertextualität in einem oder mehreren konkreten literarischen Werken richtet sich nicht nur auf die Frage, wie die intertextuellen Bezüge in diesen Werken geschaffen werden, sondern auch wozu der Autor zu bestimmten Prätexten greift.

Im weiteren Sinne trägt die Intertextualität zu der „Erinnerungskultur“ (Assmann 1992) bei. Durch sie werden die Autoren, die literarischen Figuren und Motive vergegenwärtigt. Die intertextuell schaffenden Autoren würdigen die verwendeten Prätexte und lassen sie fester im kulturellen Gedächtnis verankern.

Außer dieser gemeinschaftsstiftenden Wirkung hat Intertextualität bestimmte Funktionen, die zur Sinnkonstitution des manifesten und/oder Referenztextes beitragen. In seiner Arbeit Funktionen intertextueller Textkonstitution (1985) hat Bernd Schulte-Middelich mehrere Funktionen der Intertextualität systematisiert. Darin stellt er unter anderem die These auf (Schulte-Middelich 1985: 205-207), dass ihre Hauptfunktion mit der Funktion der Literatur, Sinndeutung zu geben und die Wirklichkeit zu beeinflussen, gleichzusetzen ist. Das passiert im Rahmen des Kommunikationsprozesses, in dem drei wichtige Bestandteile zu unterscheiden sind: der Autor, der Rezipient und der Text. Intertextualität ist dabei ein spezifisch benennbares, konkret lokalisierbares und im Detail analysierbares Verfahren solcher Kommunikation. Der Autor handelt Rezipienten bezogen und setzt bewusst Signale der intertextuellen Bezüge in den Text ein.

Nach der Diskussion über die Hauptfunktion der Intertextualität schlägt Schulte-Middelich ein Modell vor, nach dem die einzelnen Funktionen der intertextuellen Textkonstitution unter vier Funktionstypen einzuteilen sind (ebd.: 215-230): Erstens erhält der Prätext mindestens eine Zusatzkodierung; zweitens erhält der Folgetext mindestens eine Zusatzkodierung; drittens erhalten der Prätext und der Folgetext gemeinsam mindestens eine Zusatzkodierung; und viertens entsteht außerhalb des Prätextes und/oder Folgetextes auf einer Metaebene mindestens eine neue Kodierung.

Beim ersten Funktionstyp (ebd.: 216-217) wird der Prätext durch Zitate oder andere Signale im Folgetext gespeichert und erhält eine neue Bedeutung, die mit einer kritisch wertenden Intention verbunden ist

Beim zweiten Funktionstyp (ebd.: 220-223) geht es darum, dass der gespeicherte Prätext Auswirkungen auf den Folgetext hat. Man kann vier Arten solcher Auswirkungen unterscheiden, die Schulte-Middelich in Form einer Skala darstellt. Auf der neutralen Stufe befindet sich dabei die Sinnkonstitution. Nur eine kurze Anspielung auf den Prätext reicht, um beim Leser zahlreiche Zusatzinformationen freizusetzen. Als nächste Funktion wird die sinnstützende Funktion genannt. Der intertextuelle Bezug wird dabei durch den Titel oder den Epilog geschaffen, der „einen zusätzlichen Schlüssel zu einem vertieften Verständnis des Textes“ (ebd.: 221) liefert. Eine weitere Funktion ist die Sinnerweiterung. Sie funktioniert dadurch, dass beispielsweise ein Wertsystem aus dem Prätext zu einer universellen Gültigkeit im Folgetext wird. Und auf dem anderen Ende der Funktionsskala innerhalb des zweiten Funktionstypes befindet sich der Sinnkontrast, bei dem es sich um eine Auf- oder Abwertung des Wirklichkeitsmodells im Folgetext handelt.

Bei dem dritten Funktionstyp (ebd.: 225) der intertextuellen Textkonstitution geht es darum, dass der Prä- und Folgetext zueinander in Spannung gesetzt werden, was auf die Sinnkonstitution beider Texte Auswirkung hat. Dabei entsteht ein drittes Wirklichkeitsmodell oder ein Modell, das auf die Sinngebung ganz verzichtet, was als ein typisches Merkmal der modernen und postmodernen Literatur des 20. Jahrhunderts gilt.

Beim vierten Typ (ebd.: 228-230) der intertextuellen Funktionalisierung entsteht die Sinnkonstitution auf der Metaebene, wenn das intertextuelle Verfahren selbst thematisiert wird. Der Autor spielt mit den intertextuellen Techniken, experimentiert damit, ohne seine Intention primär auf die Wirklichkeitsmodelle des Prä-oder Folgetextes zu richten.

Schulte-Middelich hebt in seinem Beitrag den praktischen Charakter seiner Klassifikation hervor. Da in der vorliegenden Arbeit der semantische Aspekt der Intertextualität in den Werken von Michael Ende untersucht werden muss, wurde dieses System der Funktionstypen an dieser Stelle ausführlich beschrieben.

3. Michael Ende und seine Werke: Grundzüge des literarischen Schaffens

3.1. Lebensweg, Stationen im Schaffen und Weltsicht von Michael Ende

Michael Ende wurde am 12. November 1929 in Garmisch geboren. Sein Vater Edgar Ende war ein surrealistischer Maler und seine Mutter Luise Ende – eine Geschäftsinhaberin, die sich selbst auch „Sonntagsmalerin“ nannte, weil sie hin und wieder malerischer Tätigkeit nachging. Laut Peter Boccarius (Boccarius 1995), dem Freund und Biographen von Michael Ende, beeinflusste die schöpferische Atmosphäre in der Familie die künstlerische Entwicklung vom jungenEnde.Schon als Schüler der Freien Waldorfschule in Stuttgart, wohin die Familie nach dem Krieg zog, gründete Michael mit Freunden ein Schülertheaterauf dem Dachboden. Das war seine erste Theatererfahrung, die er später durch Absolvieren der zweijährigen Schauspieler-Ausbildung erweiterte. Einige Monate war er auch in Schleswig-Holstein als Schauspieler tätig, sein eigentliches Ziel war aber, Theaterstücke zu schreiben. Ende widmete sich dieser Tätigkeit, als er 1951 nach München zurückzog und für Münchener literarische KabarettsTheaterstücke schrieb, die ihm zwar keinen Erfolg brachten.

Der Durchbruch im Schaffen geschah nach der Veröffentlichung seines ersten Kinderbuchs Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer (1960), für das er 1961 den Deutschen Jugendbuchpreis erhielt, und dessen Fortsetzung Jim Knopf und die Wilde 13 (1962). Die Handlung des Buches beginnt auf einer kleinen Insel Lummerland. Das Land wird von König Alfons dem Viertel-Vor-Zwölf regiert. Seine Untertanen sind der Lokomotivführer Lukas, Frau Waas und Herr Ärmel. Da im Lummerland mit der Ankunft des neuen Bewohners, des Negerkinds Jim Knopf, Platzprobleme entstehen, entscheiden sich Lukas und Jim,mit der Lokomotive Emma auf eine abenteuerliche Reise zu gehen. Die weitere Handlung des Buches enthält zahlreche Märchenmotive: die Befreiung der Prinzessin, Begegnungen mit Riesen, Drachen usw. Vor dem Hintergrund dieser märchenhaften Ereignisse wird imBuch eine scharfe Kritik auf einige Seiten der modernen Gesellschaft ausgeübt, dieEnde durch Humor und Satire ausdrückt. So wird das Problem des Rassismus zu einem der zentralen Themen in beiden Büchern. Seine Einstellung zu diesem sozialen Problem zeigt er zum Beispiel durch die verdeckte Kritik der Reinrassigkeit, auf die in der Drachenstadt ein besonderer Wert gelegt wird– die Halbdrachen dürfen deshalb nur außerhalb der Stadt leben. Ende hebt im Buch auch direkt hervor, dass die schwarze Hautfarbekein Grund für die Diskriminierung in der Gesellschaft ist:

Eine Menge Menschen haben doch irgendwelche besonderen Eigenschaften. Herr Knopf, zum Beispiel, hat eine schwarze Haut. So ist er von Natur aus und dabei ist weiter nichts Seltsames, nicht wahr? Warum soll man nicht schwarz sein? Aber so denken leider die meisten Leute nicht. Wenn sie selber zum Beispiel weiß sind, dann sind sie überzeugt, nur ihre Farbe wäre richtig und haben etwas dagegen, wenn jemand schwarz ist. So unvernünftig sind die Menschen bedauerlicherweise oft. (Ende, Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer: 131-132)

Bildreiche Erzählweise, spannende Handlung, Humor, spielerischer Umgang mit der Sprache unddie im Buch angesprochenen gesellschaftlichen Probleme haben zu seinem großen Erfolg nicht nur unter den Kindern, sondern auch unter den Erwachsenen geführt.

Der Erfolg von beiden Jim-Knopf-Büchern brachte Michael Ende finanzielle Unabhängigkeit. Ende der 60-er - Anfang der 70-er Jahre kehrte er wieder zum Kinderbuch zurück. Aus dieser Zeit stammt zum Beispiel das Bilderbuch „Tranquilla Trampeltreu“ (1972). Das ist eine Sammlung von kurzen Erzählungen, diegenauso wie Jim-Knopf-Bücher neben der spannenden Handlung viele soziale Probleme zum Ausdruck bringen. Neben den Kindererzählungen schrieb Michael Ende damals auch Gedichte. So erscheint 1969 sein „Schnurpsenbuch“, das Nonsens-Gedichte, Rätsel und Zaubersprüche enthält. Die beiden Bücher demonstrieren die Experimentierfreude des Schriftstellers mit der Sprache sowie seine Neigung zum Sprachspiel als einem stilistischenMittel.

1971 zog Michael Ende nach Italien. Dieses Land faszinierte ihn mit seiner Geschichte,Kultur und Toleranz zum künstlerischen Schaffen. Hier entstand eines seiner Hauptwerke - der Märchen-Roman Momo (1972). Der Einfluss von Italien auf den Schriftsteller kommt zum Vorschein schon auf der ersten Seite des Romans, wo der Handlungsort beschrieben wird. Das ist eine alte Stadt in einem warmen Land. Früher „erhoben sich da die Paläste der Könige und Kaiser, da gab es breite Straßen, enge Gassen und winkelige Gässchen, da standen herrliche Tempel mit goldenen und marmornen Götterstatuen [...]. Und vor allem gab es dort große Theater. [...] Man nannte sie Amphitheater.“ (Ende, Momo: 9) Die Anspielung auf Italien als Handlungsort ist in Momo nicht zufällig. Die Zeit als eine soziale und philosophische Kategorie wird zum Hauptthema in diesem Roman, und Italien ist ein Ort, wo die Verflochtenheit der Geschichte und der Gegenwart wie in keinem anderen Land besteht und die jahrhundertelangen Veränderungen im Leben der Menschen auch heute an Überresten der alten Kultur beobachtet werden können.

Als größtes Problem unseres Zeitalters betrachtet Michael Ende in Momo den falschen Umgang mit der Zeit, der durch das moderne Konsumdenken verursacht wird. In der Hektikdes modernen Lebens hat man vergessen, was echte Liebe, Freundschaft, Phantasie bedeutet. Mit demMotto „Zeit ist Leben. Und das Leben wohnt im Herzen“ (ebd.: 74) ruft Michael Ende dazu auf, die Zeit zu schätzen und als eine Gabe, als „ein großes und doch ganz alltägliches Geheimnis“ (ebd.: 59) wahrzunehmen.

Da die Menschen gegen denZeitverlust und die daraus folgenden Probleme allein nicht kämpfen können, nimmt ein Held diese Rolle auf sich, was ein typisches Märchenmotiv ist. Im Roman von Michael Ende ist das ein kleines Mädchen, ein Waisenkind, das Momo heißt. „Momo verkörpert ihrem Aussehen nach einen archaischen Kindertyp und erscheint im kleinen Amphitheater am Rand einer Großstadt – in den Ruinen der Vergangenheit. Die Ruine mit dem archaisch gestalteten Kind wirdbei Ende als Mahnung einer besseren, menschlicheren Vergangenheit für den heutigen Leser gesehen“ (Stoyan 2004: 96). Dieser idealisierten Figur ohne innere Widersprüche sind moralische Werte des Altertums eigen, und nur sie kann den Menschen die verlorene Zeit zurückbringen. Dafür muss sie die grauen Herren bekämpfen, die den Menschen die Zeit stehlen. Im Gegensatz zu Momo sind sie die Verkörperung des modernen zweckhaft-rationalen Denkens. Sie leben von der den Menschen geraubten Zeit, während sie die aus trockenen Stunden-Blumen hergestellten Zigarren rauchen. Sie sind Agenten der „Zeit-Spar-Kasse“, deren Werbeslogan ist „Gesparte Zeit ist doppelte Zeit“ (ebd.: 68). Momo erkennt aber die Gefahr solcher Lebenseinstellung, weil sie zur Zerstörung dermenschlichen Beziehungen, Liebe, Freundschaft und Phantasie führt.

Im Kampf gegen die grauen Herren hilft Momo Meister Hora. Entsprechend seinem sprechenden Namen Meister Secundus Minutus Hora wird er als „Verwalter der Zeit“ bezeichnet. Er gibt Momo eine Stunden-Blume, mit deren Hilfe das Mädchen die Tür zum Lager der gestohlenen Stunden-Blumen öffnet und sie befreit. „Es war wie ein warmer Frühlingssturm, aber ein Sturm aus lauter befreiter Zeit.“ (ebd.: 265) Momo wird durch diese Heldentat zur Erlöserin der Menschheit. Das positive Finale des Romans zeigt dem Leser, dass ein Mensch „[...] der die Harmonie des Universums innerlich erfassen kann (wie Momo), Kraft gewinnt für die Probleme des Alltags.“ (Stoyan 2004: 114)

Das dritte wichtige Buch, den Roman Die unendliche Geschichte, hat Michael Ende in der zweiten Hälfte der 70-er Jahre geschrieben. Dieser Roman, der 1979 beim Thienemann Verlagerschienen ist, gilt als Hauptwerk im Schaffen des Schriftstellers. Die in diesem Buchberührten Themen und Probleme schließen in sich die gesamte Konzeption seines Schaffens und seiner Weltanschauung ein. Der Roman hat eine komplizierte Gattungsstruktur. WährendMichael Ende selbst sein Genreals „Bildungsroman im alten Sinne“ bestimmt, denn „[...] hier wird eine innere Entwicklung beschrieben“ (Eppler 1982: 39), kann man darin die Merkmale von vielen anderen Literaturgenres und -richtungen entdecken: vom Volksmärchen, Mythos, der mittelalterlichen Heldendichtung und Frühromantik bis zum Fantasy und postmodernen Roman. Die komplizierte kompositionelle Struktur, die Mannigfaltigkeit von im Roman berührten Themen, Motiven und Problemen und vor allemdie zahlreichen intertextuellen Bezüge geben dem Roman solche Tiefendimension, die ihmden Charakter einesRätsels, eines Labyrinthes verleiht.

Inhaltlich lässt sich der Roman in zwei Teile gliedern, was auch formell ausgedrückt wird. Das Buch enthält 24 Kapitel: die ersten 12 Kapitel sind den Abenteuern von Atréju gewidmet, über die der Hauptprotagonist Bastian in einem Buch liest,und die nächsten 12 Kapitel beschreiben Bastians Reise durch das Land Phantàsien. Das Buch ist zweifarbig gedruckt – rot und grün. Dabei steht das Rot für die wirklichkeitsbezogenen Handlungen in der Rahmenerzählung, und das Grün – für die Binnenerzählung, die das Land Phantásien beschreibt. Auf solche Weise stellt Michael Ende das „Buch im Buch“-Motiv formell dar, das als eines der wichtigsten Gestaltungselemente des Romans betrachtet werden kann.

Trotz der Trennung der Handlungen, die in der Wirklichkeit und in Phantásien ablaufen, durch die Farbe und die Gliederung des Romans in zwei Grundteile hängen diese zwei Welten zusammen. Phantásien und Wirklichkeit stellen eine harmonische Einheit dar, und wenn ein Teil davon gefährdet wird, hat das eine negative Wirkung auf den anderen Teil. So wird im ersten Teil des Romans Die unendliche Geschichte das Land Phantásien von einem Unglück heimgesucht: das geheimnisvolle Nichts vernichtet Stück für Stück das Land. Aber dieses Unheil ist nicht nur für Phantásien gefährlich, sondern auch für unsere reale Welt. Diese Idee kann mandem Zitat Michael Endes Roman entnehmen, die seine Figur Werwolfs Gmork zum Ausdruck bringt:

Traumbilder seid ihr, [Bewohner Phantásiens – Anmerk. von N.B.] Erfindungen im Reich der Poesie, Figuren in einer unendlichen Geschichte! [...] Aber wenn du durch das Nichts gehst, dann bist du’s nicht mehr. [...] Sie werden zu Wahnideen in den Köpfen der Menschen, zu Vorstellungen der Angst, wo es in Wahrheit nichts zu fürchten gibt, zu Begierden nach Dingen, die sie krank machen, zu Vorstellungen der Verzweiflung, wo kein Grund zumVerzweifeln da ist. [...] Deshalb hassen und fürchten die Menschen Phantàsien und alles, was von hier kommt. Sie wollen es vernichten. Und sie wissen nicht, daß sie grade damit die Flut von Lügen vermehren, die sich ununterbrochenin die Menschenwelt ergießt – diesen Strom aus unkenntlich gewordenen Wesen Phantásiens, die dort das Scheindasein lebender Leichname führen müssen und die Seelen der Menschen mit ihrem Modergeruch vergiften. (Ende, die unendliche Geschichte: 142-143)

Da Phantásien und Wirklichkeit untrennbar sind, kann sie nur ein Mensch retten. Dabei soll es ein reines Wesen sein, das von aus dem kranken Phantásien stammenden Lügen und Wahnideen noch nicht vergiftet ist. Diese Rolle übernimmt im Roman ein Kind, der elfjährige Junge Bastian. Er soll der kranken Kaiserin von Phantásien einen neuen Namen geben und durch diesen Schöpfungsakt das Nichts vernichten und Phantásien retten.

Als Bastian mit dem Lesen des in einem Bücherladen gestohlenen Buchs anfängt, weiß er noch nicht, dass ihm diese Rolle zugeteilt ist. In der spannenden Geschichte liest er über die Abenteuer des Indianerjungen Atréju. Er bekommt die Aufgabe, auf die Große Reise zu gehen und das Heilmittel gegen die Krankheit der Kindlichen Kaiserin zu finden. In der Tat weiß die Kaiserin schon im Voraus, was sie und dadurch Phantásien retten könnte – ein neuer Name, den sie von einem Menschenkind bekommen sollte. Dieses Kind muss aber selbst nach Phantásien kommen, und es dahin bringen– das ist die wahre Aufgabe von Atréju. Je weiter Bastian Atréjus Abenteuer verfolgt, desto mehridentifiziert er sich mit ihm. So bekommt er Hunger, wenn Atréjuisst, und spürt den Schmerz, wenn Atréju vom Ygramul, einem bösen und gefährlichen Wesen Phantásiens, gestochen wird. Er wird von Kapitel zu Kapitel selbst ein Teil Phantásiens, obwohl er die Grenze noch nicht überschritten hat. Und am Ende der Reise, wenn der verzweifelte Atréju zur Kindlichen Kaiserin kommt und ihr sagt, dass er seinen Auftrag nicht erfülltund kein Heilmittel gefunden hat, bekommt der Held die Antwort, dass er seine Sache gut gemacht hat. Das Menschenkind weiß, dass er hier erwartet wird, und muss nur den neuen Namen der Kaiserin aussprechen.

Mit dem Akt der Namengebung beginnt die neue Epoche des Landes Phantásien und gleichzeitig die neue Etappe im Leben von Bastian. Er begibt sich auf eine Reise, die den Weg seiner Wünsche darstellt. Mit jedem Wunsch schafft er etwas Neues in Phantásien, er wird zu seinem Schöpfer. Dabei entsprechen diese Wünsche denen, die er im realen Leben nicht realisieren konnte. So wird Bastians Weg durch Phantásien zur unbewussten Suche nach der eigenen Identität. Zuerst wünscht er sich ganz banale Sachen: er will stark, mutig, berühmt sein. Aber mit der Zeit stellt es sich heraus, dass es keine wahren Wünsche sind. Seine Tatenführen zu Unglück, er verliert die Erinnerungen an die Menschenwelt und will nicht mehr zurückkehren. Die Wirklichkeit ist aber genau so von Phantásien abhängigwie die letzte von der Wirklichkeit. Und die Menschen, die sich in Phantásien verirren und den Bezug zur Wirklichkeit verlieren, werden wahnsinnig. Diese Idee hat Michael Ende am Beispiel der „Alten Kaiser Stadt“ dargestellt. Ihre Bewohner waren irgendwann auch Reisende in Phantásien, aber da sie sich zu viele unnütze Dinge gewünscht haben, haben sie ihre Erinnerungen an die Menschenwelt verloren und sind in dieser Stadt gelandet. Ihre Existenz hier ist sinnlos, sie treiben Sachen, die einem „Gänsehaut über den Rücken“ (Ende, die unendliche Geschichte: 366) jagen. Der einzige Gedanke, den Bastian nach dem Besuch in dieser Stadt hatte, war: „Er mußte aus diesem Tollhaus von Stadt hinaus! Und er wollte nie wieder hierher zurück!“ (ebd.: 370) Ab diesem Moment beginnt die wirkliche Suche nach dem wahren Wunsch von Bastian, mit dessen Hilfe er in die Menschenwelt zurückkehren könnte. Diese Suche ist mit vielen Schwierigkeiten und einer harten Arbeit verbunden, aber am Ende findet er seinen wahren Wunsch: Er will lieben und geliebt werden. Aus Phantásien bringt Bastian seinem Vater die Wasser des Lebens, die die Liebe symbolisieren. Durch seine innere Wandlung erhält er die Kraft, sich und auch andere innerlich zu verwandeln. „Auch in den schwersten Zeiten seines Lebens blieb ihm eine Herzensfrohheit, die ihn lächeln machte und die anderen Menschen tröstete.“ (ebd.: 416)

Der wahre Wunsch, den Bastian am Ende seiner Abenteuer begriffen hat, verändert ihn selbst, seinen Vater und seine Umgebung. So zeigt der Autor am Ende des Romans wieder den untrennbaren Zusammenhang von Phantasien und Wirklichkeit: Alles, was aus dem produktiven schöpferischen Aktstammt, kann uns selbst und unsere Welt verändern.

Nach dem Roman Die unendliche Geschichte hat Ende sein weiteres Schaffen wieder vor allem dem Theater zugewandt. So erscheinen 1982 das Stück Das Gauklermärchen und 1984 das Opernlibretto Der Goggolori. Eine bairische Mär. Das Gauklermärchen stellt eine Rahmenhandlung in Prosa dar. Im Handlungsverlauf wird der bankrotte Zirkus beschrieben. In sieben Bildern des Stücks wird erzählt, wie der Zirkus von einem Chemiekonzern das Angebot erhält, durch das Land zu ziehen und dafür zu werben. Dafür sollen sich aber die Zirkusleute von Eli trennen, einem behinderten Mädchen, das sie vor drei Jahren nach einem Chemieunfall im Straßengraben gefunden haben. Während der Diskussion um eine Entscheidung, bittet Eli den Clown Jojo, ihr ein Märchen zu erzählen. Das ist ein Märchen über Eli, die Prinzessin im Hier-und-Heute-Land, und über den Prinzen Joan im Morgen-Land, einem Phantasieland. Sie haben sich in einem Zauberspiegel gesehen und ineinander verliebt, sie können aber nicht zusammenfinden. Da beschließt der Prinz Joan, sein Morgen-Land zu verlassen, wofür er alle seine Erinnerungen verlieren muss. Dabei gibt er die Macht an die böse Spinne Angramain ab. Es stellt sich heraus, dass Eli das behinderte Kind und Jojo der Clown Prinz Joan ist. So finden beide doch noch zusammen. Jojo nimmt die Gauklertruppe mit ins Morgen-Land, wo es ihnen mit List und Scharfsinn gelingt, die böse Spinne Angramain zu besiegen. Aus diesem Märchen schöpft die Zirkustruppe die Kraft, dem Chemiekonzern abzusagen.

[...]

Ende der Leseprobe aus 91 Seiten

Details

Titel
Intertextualität in den Werken von Michael Ende
Hochschule
Universität Bielefeld
Note
1,3
Autor
Jahr
2016
Seiten
91
Katalognummer
V446490
ISBN (eBook)
9783668827141
ISBN (Buch)
9783668827158
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Michael Ende, Intertextualität, Die unendliche Geschichte, Momo
Arbeit zitieren
Natalya Bolshakova (Autor:in), 2016, Intertextualität in den Werken von Michael Ende, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/446490

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