Personale Identität und die Bedeutung der Verantwortung

Im Kontext der Identitätsmodelle nach John Perry und unter Berücksichtigung deontologischer sowie konsequentialistischer Aspekte der Moralphilosophie


Essay, 2017

13 Seiten, Note: 2,3


Leseprobe

Inhalt

1. Einführung

2. Grundlegendes zum moralischen Aspekt

3. Identitätsmodelle
3.1 Modell der Zweigsprache
3.2 Modell der Personenstadien

4. Abschluss

5. Quellen- und Literaturverzeichnis

1. Einführung

Die Frage nach personaler Identität ist als solche eine vieldiskutierte, welche sich in philosophischen Kreisen unterschiedlicher Ansätze und Denkrichtungen bedient. Besonderes Interesse gilt ihr, da sie zur Auseinandersetzung mit Thematiken, die sich auf die Unsterblichkeit oder grundgenerell auf ein Leben nach dem Tod beziehen, als wesentlicher Bestandteil oder gar Voraussetzung gesehen werden muss. Ein entscheidender Punkt eben dieser Frage, mit welcher sich bekannte Philosophen wie Hegel, Locke oder Perry beschäftigten, ist die Suche nach einer Begriffsklärung, welche, in Bezug auf die personale Identität, einhergeht mit der Trennung oder Zusammensetzung von Körper und Seele, und letztendlich das Problem, das sich durch polarisierende Ansichten und zwiespältige Meinungen zwischen den einzelnen Philosophen daraus ergibt. So sind an dieser Stelle zwei hauptsächliche Strömungen zu unterscheiden: zum einen nämlich Vertreter des körperlichen Kriteriums, von deren „Seite postuliert wird, dass nur körperliche Identität personale Identität garantieren könne.“[1] und zum anderen Anhänger des psychischen Kriteriums, welche zur Beantwortung der Frage nach personaler Identität allein auf die „Kontinuität und Verbundenheit mentaler Zustände“ verweisen.[2] Letzteres bezieht sich auf alle Zustände des Geistes und umfasst damit beispielsweise Überzeugungen, Charaktereigenschaften oder Erinnerungsvermögen als signifikante Merkmale des menschlichen Bewusstseins.

John Perry, ein moderner Philosoph an der Stanford University[3], bekennt sich zum psychischen Kriterium nach Locke, bei welchem die Erinnerung als der entscheidende Faktor zur Klärung personaler Identität fungiert. Das körperliche Kriterium lehnt er ab, da personale Identität keinen Bezug auf körperliche Merkmale nehme, was wiederum bedeutet, dass körperliche Identität insofern irrelevant ist, als dass Personen nicht anhand ihres Körpers identifiziert werden können.[4] Vielmehr, und hier stimmt er mit Locke überein, spielt das Bewusstsein, das sich in die Vergangenheit ausdehnen kann, eine entscheidende Rolle.[5] Perry geht es aber nicht nur um die Frage der Identität an sich, sondern darüber hinaus auch um die Frage des Begriffs, denn die Klärung einer solchen Identität bedarf einem im Rahmen des psychischen Kriteriums vorhandenen Bewusstseins, welches grundlegend ist um zu verstehen, was genau die Person, die man auf Identität prüfen möchte, begrifflich umfasst.[6] Das Verständnis darüber, welche Begriffsmerkmale dem Begriff zuzuordnen sind und welche Veränderungen über die Zeit hinweg auftreten können, ohne, dass die Identität aufhört zu existieren, sind nach Perrys Ansicht nach Probleme, die auf unseren Sprachgebrauch zurückzuführen sind. Doch trotz aller Schwierigkeiten im Umgang mit und der Deutung von Begriffen ist sich Perry sicher: „In gewisser Weise wissen wir alle, worin die Relation der zeitlichen Einheit für Personen besteht.“[7] Die hier gebrachte Aussage wird spätestens dann kritisch hinterfragt, wenn man die klassischen Beispiele zur Diskussion der Frage nach Identität aufführt: Zum einen nämlich haben Menschen an ihre ersten Lebensjahre kaum noch Erinnerungen vorzuweisen, was nach Lockes Theorie bedeuten würde, dass diese erste Lebenszeit nicht dem personalen Leben zuzuordnen wäre. Zum anderen aber ergibt sich ein ähnliches Problem bei der Betrachtung Demenzerkrankter, deren Erinnerungen an ihr früheres Leben mit der Zeit immer stärker verblassen. Anhand solcher oder ähnlicher Problematiken wird die Komplexität des Begriffs ersichtlich, welche erahnen lässt, dass die zeitlichen Relationen von Personen wohl doch nicht so eindeutig sind, wie Perry behauptet. Weitere Ausführungen zur Auseinandersetzung mit der Thematik nimmt Perry an einem anderen Beispiel vor: die Gehirnverjüngungskur[8]. Diese fiktive und futuristische Kurzgeschichte bezieht sich auf die drei Herren Brown, Jones und Smith, welche sich mit Hilfe der Gehirnverjüngungskur als ein medizinischer Eingriff, bei welchem die Gehirne entnommen und nach einer Regeneration wieder eingepflanzt werden, jüngeren und frischeren Schwung erhoffen. Dabei kommt es allerdings zu einem Missgeschick, denn der dafür zuständige Pfleger lässt die Gehirne von Brown und Smith fallen, so dass sie nicht weiterverwendet werden können. Um das Unglück zu vertuschen, lässt der Pfleger das übrige Gehirn von Jones einfach dreimal durch die Maschine laufen. Währenddessen stirbt Jones selbst allerdings an Herzversagen. Dem Pfleger bleibt nichts anderes übrig, als die Gehirne von Jones in Brown und Smith einzusetzen. Nach der Operation erwachen diese und behaupten beide Jones zu sein – allerdings stellen sie schnell fest, dass sie sich im falschen Körper befinden. Die zentrale Frage, die sich in Bezug auf die Identität und aus der exemplarischen Geschichte heraus ergibt, ist: Wer sind sie? Perry versuchte diese Frage anhand verschiedener Identitätsmodelle zu klären, die jeweils unterschiedliche Relationen der zeitlichen Einheiten von Personen einbeziehen. Im Folgenden Essay soll auf zwei Modelle eingegangen und allgemein versucht werden, diese auf Plausibilität zu prüfen. Der zentrale Schwerpunkt dieser Arbeit soll aber nicht die Frage der Identität an sich, sondern die Bedeutung dieser im moralischen Sinne sein. Die schriftliche Untersuchung soll demnach thematisieren, inwiefern sich die von Perry vorgestellten Modelle zur Identität eignen, um moralische Verantwortung zu zeigen. Dabei sollen sowohl deontologische als auch konsequentialistische Aspekte der klassischen Moralphilosophie einbezogen werden. Zum Einstieg soll ein kurzer Überblick über eben diese Richtungen dienlich sein.

2. Grundlegendes zum moralischen Aspekt

Die Frage, wie moralisches Handeln richtig begründet wird, führte auch im Bereich der Moralphilosophie zu diversen Theorien, unter denen u.a. die Deontologie auf der einen, überwiegend beeinflusst durch Kant, und der Konsequentialismus auf der anderen Seite mit Vertretern wie John S. Mill die wohl bekanntesten sind. Dabei stehen sie sich insofern gegenüber, dass die Ansätze sich im Wesentlichen durch ihr Handlungsmotiv unterscheiden. Während sich in der Deontologie das Motiv des Handelnden an allgemeingültigen Gesetzen oder gesellschaftlichen Regeln ausrichtet, wird im Konsequentialismus den Folgen einer Handlung bedeutend mehr Aufmerksamkeit geschenkt. Anders als beim deontologischen Prinzip sind hier beim Handeln nicht Gesetze an sich entscheidend, sondern die positiven Folgen, die sich aus einer Handlung ergeben. So können in der Gesellschaft verbreitete Regeln wie etwa das Verbot der Lüge gebrochen werden, wenn die Konsequenzen, die sich aus dieser Lüge als die ausgeführte Handlung ergeben, von überwiegend positiver Natur sind.[9]

Unter den hier beschriebenen Aspekten der Moralphilosophie, sowie unter Einbeziehung der exemplarischen Kurzgeschichte zur Gehirnverjüngungskur sollen nun die einzelnen Identitätsmodelle nach Perry analysiert werden.

3. Identitätsmodelle

3.1 Modell der Zweigsprache

In der Zweisprache verbinden sich verschiedene Personenstadien zu einer Relation R, wenn alle Elemente der Menge in R zueinanderstehen.[10] Am exemplarischen Beispiel der Kurzgeschichte bilden also alle Personenstadien von Jones einen Zweig, welcher sich auch nach der Operation fortsetzt, da das Gehirn von Jones jeweils in Brown und in Smith weiter existiert. Nach diesem Prinzip kann Jones als ursprünglicher Ast beschrieben werden, aus welchem nun zwei neue Zweige hervorgehen, nämlich zum einen die Verbindung Brown-Jones als ein Zweig, zum anderen Smith-Jones als ein anderer Zweig. Diese Zweige haben zwar den selben Identitätsursprung (Jones), spalten sich aber in zwei voneinander unabhängige Identitäten. Das Problem, das sich aus dem Modell der Zweigsprache ergibt, ist dieses, dass man unter der Voraussetzung der Mentalen Analyse, nach welcher alle Bestandteile des Geistes entscheidend sind, keine zeitlichen Relationen der Person eindeutig festlegen kann. Bei der Betrachtung einer Person kann nicht gesagt werden, dass es sich dabei um zwei oder mehrere Personen handelt. Das gilt auch für das hier angebrachte Beispiel, denn genauso wenig konnte vor der Operation festgelegt werden, mit vielen ein, zwei oder drei Personen Jones unterwegs war. Rückblickend kann man deshalb auch nicht sagen, dass Jones sich als Einzelner geteilt hat. Vielmehr müsste man die Gesamtheit der Personen in die Aussage mit einbeziehen: „Ihr habt euch geteilt“, anstelle von „Du hast dich geteilt.“ Da wir allerdings keinerlei Aussagen darüber machen können, was in Zukunft passiert, ist eben dieses „Ihr“ kein eindeutiges oder bestimmbares, als vielmehr ein zufälliges und unkontrollierbares Element.

Die zentrale Frage ist nun, ob das Modell der Zweigsprache geeignet ist, Verantwortung zu zeigen. Nehmen wir einmal an, dass Jones vor seiner Teilung in kriminelle Machenschaften verwickelt war, welche allerdings erst nach der Teilung aufgedeckt werden konnten. Müssen sich die aus der Ursprungsidentität stammenden und abgespaltenen Identitäten nun für diese Machenschaften verantworten?

Beziehen wir nun zur Klärung dieser Frage die Aspekte der Moralphilosophie mit ein. Der Konsequentialismus bewertet die Handlung nach ihren Folgen. Richtet sich das Motiv einer Handlung also nach überwiegend positiven Folgen dieser, dann ist auch die Handlung als solche als moralisch gut zu bewerten. Das Problem hierbei ist, dass wir nach dem Modell der Zweigsprache nicht in der Lage sind, Aussagen darüber zu treffen, mit wie vielen Identitäten eine Person derzeit unterwegs ist, da man keine Vorhersagen über zukünftige Ereignisse treffen kann. Damit können auch keine Aussagen über mögliche Konsequenzen für die sich in Zukunft spaltenden Identitäten getroffen werden, zumal es nicht einmal sicher ist, ob sich diese Personen überhaupt spalten werden. Die Frage, die bleibt, ist, ob wir Verantwortung für eine Zukunft übernehmen können, die wir nicht kennen? Dagegen spricht, dass zufällige Ereignisse, die sich in der Zukunft zutragen, außerhalb unseres Machtbereiches liegen. Sowohl Brown-Jones als auch Smith-Jones sind Produkte der Zukunft und von diesem Standpunkt aus nicht zur Rechenschaft zu ziehen. Allerdings spricht der Konsequentialismus von dem Handlungsmotiv, dass sich auf die Folgen der Handlung selbst bezieht. Unabhängig davon, wie viele Identitäten in einem Körper unterwegs sind und auf ihre Abspaltung warten, muss nach konsequentialistischem Prinzip die Handlung überwiegend positive Folgen haben. Wenn eine mögliche Folge der Handlung darin bestünde, gerichtlich zu Rechenschaft gezogen zu werden und eventuell eine Haftstrafe einbüßen zu müssen, dann wäre das eine negative Konsequenz, welche sich schwer durch die positiven Vorteile derselben Handlung aufwiegen lassen könnte. Durchaus müsste die Handlung dadurch als moralisch verwerflich beurteilt werden. Hinzukommt, dass durch die Möglichkeit der Spaltung der Identitäten von der ursprünglichen Identität, die diese Handlung begangen hat, eben diese Tat zusätzlichen, negativen Folgen ausgesetzt ist, da im Fall der Fälle nicht nur eine, sondern zwei oder mehrere Personen bestraft werden müssten. Das Eintreten von Folgen auf eine Handlung bleibt gegenwärtig genauso unsicher wie die Spaltung von Identitäten nach diesem Modell. Beim konsequentialistischen Prinzip geht es aber darum, dass alle Folgen und die Möglichkeiten ihres Eintretens in Betracht gezogen werden und anhand ihrer Wichtung miteinander verglichen werden. Sofern Jones also weiß, dass die Möglichkeit einer Teilung besteht, unterliegt er einer Verantwortung, und auch andersherum: selbst, wenn sich das Motiv der Handlung nach einer positiven Folge richten würde, übernimmt er mit Begehen der Tat ebenso die Verantwortung für alle Folgen, auf die er es nicht abgesehen hat, die aber durchaus in Betracht kommen. Die Frage, ob sich dieses Modell eignet, um Verantwortung zu zeigen, bleibt dennoch offen, da sie immer auch abhängig ist von der Handlung, den möglichen Folgen sowohl für die Identität, die die Handlung ausgeführt hat, als auch für die möglichen Identitäten, die sich von ihr abspalten. Der Umfang dieses Konstrukts ist sehr komplex und kann durchaus im Zuge einer Fehleinschätzung dazu führen, dass Personen bestraft werden, selbst wenn sie nichts Böses im Sinn hatten, auch unter Anbetracht dessen, dass es auf Dauer sehr anstrengend und ermüdend sein kann, auf alle Eventualitäten des Lebens Rücksicht nehmen zu müssen.

[...]


[1] Ausborn-Brinker, Sandra: Person und Personalität. Versuch einer Begriffsklärung. Tübingen: Mohr Siebeck, 1999, Seite 240.

[2] Vgl. Ausborn-Brinker, S., 1999, Seite 240.

[3] Vgl. Perry, John: Dialog über personale Identität und Unsterblichkeit. Stuttgart: Reclam, 2013, Seite 83.

[4] Vgl. Ausborn-Brinker, S., 1999, Seite 240.

[5] Vgl. Perry, J., 2013, Seite 44.

[6] Vgl. Perry, John: Kann das Ich sich teilen? In: Michael Quante (Hrsg.): Personale Identität. Paderborn: 1999, Seite 125.

[7] Perry, J., 1999, Seite 126.

[8] Vgl. Perry, J., 1999, Seite 121.

[9] Vgl. Institut Technik-Theologie-Naturwissenschaften: Die wichtigsten Moraltheorien. Wie begründe ich moralisch richtiges Handeln? In: Schleissing, Stephan (Hrsg.): Pflanzen. Forschung. Ethik. Grüne Biotechnologie im Kontext. München: 2013. Online im Internet. URL: http://www.pflanzen-forschung-ethik.de/ethik/1498.ethik-moraltheorien.html [letzter Zugriff: 14.03.2017].

[10] Vgl. Perry, J., 1999, Seite 131.

Ende der Leseprobe aus 13 Seiten

Details

Titel
Personale Identität und die Bedeutung der Verantwortung
Untertitel
Im Kontext der Identitätsmodelle nach John Perry und unter Berücksichtigung deontologischer sowie konsequentialistischer Aspekte der Moralphilosophie
Hochschule
Technische Universität Dresden
Note
2,3
Autor
Jahr
2017
Seiten
13
Katalognummer
V446506
ISBN (eBook)
9783668825307
ISBN (Buch)
9783668825314
Sprache
Deutsch
Schlagworte
personale, identität, bedeutung, verantwortung, kontext, identitätsmodelle, john, perry, berücksichtigung, aspekte, moralphilosophie
Arbeit zitieren
Jessica Bauer (Autor:in), 2017, Personale Identität und die Bedeutung der Verantwortung, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/446506

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