Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Einleitung
1 Der Allgemeine Sozialdienst des Landkreises [Name]
1.1 Aufgaben des Allgemeinen Sozialdienstes
1.1.1 Krisenintervention, Kindeswohlgefährdung und Inobhutnahme
1.1.2 Sozialpädagogische Diagnostik
1.1.3 Hilfen zur Erziehung (§27 SGB VIII)
1.1.4 Das Hilfeplanverfahren (§36 SGB VIII)
1.2 Methodisches Repertoire
1.2.1 Genogramm
1.2.2 Netzwerkkarte
1.3 Adressatinnen und Adressaten
1.4 Kooperationspartner_innen und Netzwerke
2 Rechtsgrundlagen für den Allgemeinen Sozialdienst
3 Eigene Tätigkeiten
4 Reflexion des Praxissemesters
Literaturverzeichnis
Einleitung
„Es schien, als habe es das Mädchen Jessica nie gegeben. Nach dem schrecklichen Tod fragen sich alle: Warum haben weder Nachbarn noch Ämter die Tragödie bemerkt?“ (Wiegans 2010). Der Allgemeine Sozialdienst (im Folgenden ASD genannt) wird in der Öffentlichkeit häufig erst dann wahrgenommen, wenn etwas im Rahmen des Kinderschutzes scheitert, womöglich sogar den Tod eines Kindes zur Folge hat (vgl. Kreft/Weigel 2011, S. 14 f.). In den vergangenen Jahren nahmen die Publikationen und Forschungsprojekte zum Thema ASD zu. Diese Entwicklung hängt vor allem mit der Sensibilisierung der Öffentlichkeit und der Sozialpolitik für das Thema Kinderschutz zusammen (vgl. Gissel-Palkovich 2011, S. 11).
Mein persönliches Interesse an diesem Praktikum war es, mir ein eigenes Bild von der Arbeit im ASD zu verschaffen. Des Weiteren war es mir wichtig, mir neues Wissen anzueignen und einen umfangreichen Einblick in verschiedene Arbeitsfelder, Institutionen und Methoden der Sozialen Arbeit zu erhalten. Ebenfalls sehr bedeutend für mich war es, möglichst viele verschiedene und vielschichtige Fälle und Problemlagen der Klientinnen und Klienten kennenzulernen, um in der späteren beruflichen Praxis besser vorbereitet zu sein. Meine Motivation für dieses Arbeitsfeld wurde aufgrund des erlernten theoretischen Wissens gestärkt. In meinem Studium beschäftigte ich mich vor allem mit dem Bereich der Kinder- und Jugendhilfe. Ich wollte erfahren, inwieweit Theorie und Praxis miteinander verbunden sind. Da die Klientinnen und Klienten in der Regel älter sind als ich, stellte ich mir die Frage, ob ich überhaupt ernst genommen werden würde. Meine vorherigen Praktika beinhalteten in der Regel die Arbeit mit Kindern und keine Elternarbeit, sodass sich die Arbeit im ASD für mich als eine Herausforderung darstellte. Außerdem stellte ich mir die Frage, wie der Kontakt zwischen den Fachkräften des ASD und den Klientinnen und Klienten sein wird, da es im Kinderschutz immer eine Herausforderung ist, eine gute Beziehung zu den Klientinnen und Klienten aufzubauen.
Ziel dieser Arbeit ist es, einen breiten Überblick über mein Praxissemester im ASD des Landkreises [Name] zu geben. Zunächst wird der Allgemeine Sozialdienst des Landkreises [Name] vorgestellt. Im Weiteren Verlauf erfolgt eine Darstellung der Aufgaben, der Methoden, der Kooperationsparnter_innen, der Adressatinnen und Adressaten sowie der wichtigsten Rechtsgrundlagen. Ein weiterer Schwerpunkt dieser Arbeit liegt auf der Beschreibung der eigenen Tätigkeiten sowie der Reflexion des Praxissemesters.
1 Der Allgemeine Sozialdienst des Landkreises Grafschaft Bentheim
Für den ASD gibt es keine einheitliche und deutschlandweit gültige Definition (vgl. Kreft/Weigel 2011, S. 12 f.). Balluseck (1999, S. 49) beschreibt den ASD als „allzuständigen-, zielgruppen-, generationen- und gesetzesübergreifenden Basisdienst, der zentrale soziale Dienst einer Kommune“.
Der ASD des Landkreises [Name] hat seinen Hauptsitz in [Ort in Niedersachsen]. Zum Einzugsgebiet des Landkreises gehören [verschiedene Orte]. Insgesamt hat der Landkreis [Name] eine Fläche von 980,86 qkm. Die letzte Erhebung aus dem Jahr 2016 hat eine Einwohnerzahl von 135.216 ergeben. Der ASD ist der Abteilung 5.2 zugeordnet. Insgesamt gibt es im Fachbereich 5 (Familie und Bildung) fünf Abteilungen. Dazu gehören die Verwaltung der Jugendhilfe (Abt. 5.1), der Allgemeine Sozialdienst (Abt. 5.2), der Bereich Familie, Jugend, Sport und Integration (Abt. 5.3), der Bereich Schule und Weiterbildung (Abt. 5.4) und die Beratungsstellen für Eltern, Kinder und Jugendliche (Abt. 5.5). Die Fachbereichsleitung hat Frau [Name], Abteilungsleiter der Abteilung 5.2 ist Herr [Name]. Zu der Abteilung 5.2 zählen die Aufgabenbereiche Bezirkssozialarbeit, Pflege- und Adoptionskinderdienst, Fachdienst unbegleitete minderjährige Asylsuchende, Jugendgerichtshilfe, ambulante Erziehungshilfen, Eingliederungshilfen gemäß § 35a SGB VIII, Jugendhilfeplanung, Trennungs- und Scheidungsberatung, Kinderschutz, Frühe Hilfen, Familienhebammen sowie die Schwangerschaftskonfliktberatung. Mein Hauptaufgabenbereich war der Bezirkssozialdienst.
Der Bezirkssozialdienst ist dezentral organisiert, d.h. jede Sozialarbeiterin bzw. jeder Sozialarbeiter ist innerhalb des Sozialbezirkes für bestimmte Straßen oder Gemeinden zuständig. Die Zuständigkeit für den Einzelfall ergibt sich somit aus dem Wohnort des Kindes oder Jugendlichen (vgl. Merchel 2015, S. 41). Die Teambesetzung des Bezirkssozialdienstes ist wie folgt aufgeteilt: Abteilungsleitung, stellvertretende Abteilungsleitung, vier Sachbearbeiterinnen, 17 fallzuständige Sozialarbeiter_innen und drei Jahrespraktikanten. Die einzelnen Sozialarbeiter_innen sind jeweils zu Vertretungsteams in 2er- oder 3er-Konstellationen zusammengestellt, um im Hilfeprozess Fachteams und im Krankheitsfall Vertretungen abhalten zu können (vgl. ebd., S. 67). Das Team trifft zusammen, wenn es einen Bedarf an Reflexion oder an kollegialer Beratung gibt. Jede Bezirkssozialarbeiterin bzw. jeder Bezirkssozialarbeiter bearbeitet im Schnitt 70 Fälle in ihrem/seinem Bezirk.
Wiederkehrende Aufgaben sind im Team klar verteilt. Hierzu zählt der Bereitschaftsdienst, der Vorsitz bei Dienstbesprechungen, das Schreiben von Protokollen in Teamsitzungen und Dienstbesprechungen sowie die Teilnahme an den Team36-Sitzungen. Alle Teammitglieder nehmen in regelmäßigen Abständen an der Fall-Supervision und an der Teamsupervision teil.
1.1 Aufgaben des Allgemeinen Sozialdienstes
Die im Folgenden genannten Aufgaben können von Kommune zu Kommune variieren, da das Leistungs- und Aufgabenspektrum des ASD besonders vielfältig ist (vgl. Gissel-Palkovich 2011, S. 106).
Nach Merchel (2015, S. 89) sind die Kernaufgaben des ASD:
- formlose Beratung in allgemeinen Fragen der Erziehung und Entwicklung junger Menschen (§ 16 Abs. 2 Nr. 2 SGB VIII)
- die Beratung Minderjähriger (§ 8 Abs. 2 und 3 SGB VIII)
- Beratung und Unterstützung im Zusammenhang mit Partnerschaftskonflikten, Trennung und Scheidung (§§ 17, 18 Abs. 3 SGB VIII)
- Gewährung von Leistungen nach dem SGB VIII
- Mutter/Vater-Kind-Einrichtungen und andere individualisierbare Leistungen (§§ 19, 20, 21 SGB VIII)
- Hilfen zur Erziehung (§ 27 ff. SGB VIII)
- Eingliederungshilfe (§ 35a SGB VIII)
- Hilfe bzw. Nachbetreuung für junge Volljährige (§ 41 SGB VIII)
- Annexleistungen (§§ 39, 40 SGB VIII)
- Hilfeplanung (§ 36 und §36a SGB VIII)
- Elternarbeit (§ 37 Abs. 1 SGB VIII)
- Wahrnehmung des Schutzauftrages bei Kindeswohlgefährdung (§ 8a SGB VIII)
- Inobhutnahme von Kindern und Jugendlichen (§ 42 SGB VIII)
- Mitwirkung in Verfahren vor den Familiengerichten (§ 50 SGB VIII)
Die Mitarbeiter_innen des ASD sind die erste Anlaufstelle bei schwierigen Lebenssituationen von Familien. Der ASD hat die Aufgabe soziale Probleme zu identifizieren und zu diagnostizieren, um den Klientinnen und Klienten im Hilfefall problemlösende Maßnahmen zuzuführen.
1.1.1 Krisenintervention, Kindeswohlgefährdung und Inobhutnahme
Die Krisenintervention gehört in der Arbeit des ASD zum Alltagsgeschäft. Eine Krise entsteht, wenn elementare Lebensbereiche so massiv bedroht sind, dass die Sorgeberechtigten überfordert sind, dies selbstständig zu bewältigen (vgl. Simmich et al. 1999). Das Ergebnis einer Krisenintervention ist abhängig von der Schwere der Problemlage. Zum einen kann es zur Einleitung einer Hilfe zur Erziehung (§ 27 SGB VIII) kommen, um die Familie sowohl kurz- als auch langfristig zu entlasten. Handelt es sich jedoch um eine akute Gefährdungssituation tritt der Art. 6 Abs. 2 GG in Verbindung mit § 8a SGB VIII und § 1666 BGB in Erscheinung. Der Art. 6 legitimiert den Staat bei einer Kindeswohlgefährdung einzugreifen und gegebenenfalls die elterlichen Rechte einzuschränken (vgl. Gissel-Palkovich 2011, S. 177 f.). In Art. 6 Abs. 2 GG findet das staatliche Wächteramt seinen Ausgangspunkt: „Pflege und Erziehung sind das natürliche Recht der Eltern und die ihnen zuvörderst obliegende Pflicht. Über ihre Betätigung wacht die staatliche Gemeinschaft.“ § 1666 BGB konkretisiert das staatliche Wächteramt: „Wird das körperliche, geistige oder seelische Wohl des Kindes oder sein Vermögen gefährdet und sind die Eltern nicht gewillt oder nicht in der Lage, die Gefahr abzuwenden, so hat das Familiengericht die Maßnahmen zu treffen, die zur Abwendung der Gefahr erforderlich sind“.
Mit der Einführung des § 8a SGB VIII wird eine zentrale Aufgabe des ASD gesetzlich beschrieben (vgl. Merchel 2015, S. 98). Werden dem Jugendamt gewichtige Anhaltspunkte für eine Kindeswohlgefährdung bekannt, die in der Regel telefonisch, per Post oder per E-Mail erfolgen, dann ist die zuständige Fachkraft dazu verpflichtet, diese zu überprüfen. Hierbei müssen gesetzlich vorgegebene Verfahrensschritte durchlaufen werden (vgl. Lillig 2012, S. 10 f.). Bei Wahrnehmung gewichtiger Anhaltspunkte für eine mögliche Kindeswohlgefährdung erfolgt zunächst die Einschätzung des Gefährdungsrisikos im Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte (vgl. § 8a Abs. 1 Satz 1 SGB VIII). Bei der Gefährdungseinschätzung sind die Personensorgeberechtigten sowie die betroffenen Kinder und Jugendlichen mit einzubeziehen, soweit dadurch der wirksame Schutz des Kindes oder Jugendlichen nicht in Frage gestellt wird. Sofern erforderlich, soll sich der ASD einen unmittelbaren persönlichen Eindruck von dem Kind und seiner persönlichen Umgebung verschaffen (vgl. § 8a Abs. 1 Satz 2 SGB VIII). Dies geschieht in der Regel in Form eines Hausbesuchs. Das Jugendamt hat den Erziehungsberechtigen Hilfe anzubieten, wenn es die Hilfe für geeignet und erforderlich hält, um die Gefährdung abzuwenden (vgl. § 8a Abs. 1 Satz 3 SGB VIII). Wenn die Erziehungsberechtigten nicht bereit oder in der Lage sind, an der Einschätzung der Gefährdung mitzuwirken, hat der ASD das Familiengericht anzurufen (vgl. § 8a Abs. 2 Satz 1 SGB VIII). Bei dringender Gefahr, also wenn eine familiengerichtliche Entscheidung nicht abgewartet werden kann, ist der ASD verpflichte, unmittelbar selbst tätig zu werden (§ 8a Abs. 2 Satz 2 SGB VIII). Das Kind oder der Jugendliche ist dann zu seinem Schutz in Obhut zu nehmen. Die Verpflichtung und gleichzeitige Ermächtigung des ASD zur Inobhutnahme ergibt sich aus dem § 42 SGB VIII. Die Ermächtigung erstreckt sich zeitlich maximal bis zum Ablauf des Folgetages nach Beginn der Maßnahme, ohne gerichtliche Entscheidung ist sie spätestens dann aufzuheben (vgl. Merchel 2015, S. 101). Ist ein sofortiges Tätigwerden erforderlich und wirken die Erziehungsberechtigte nicht mit, so schaltet das Jugendamt anderen Stellen, wie beispielsweise die Polizei oder das Gesundheitsamt, zur Abwendung der Gefährdung selbst ein (vgl. § 8a Abs. 3 SGB VIII). Die Einschätzung von Gefährdungssituationen ist eine der komplextesten und folgenreichsten Entscheidungsaufgaben in der Arbeit des ASD (vgl. Merchel 2015, S. 284).
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