Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Zusammenfassung
Abstract
Abk rzungsverzeichnis
1. Einleitung
1.1 Problemstellung, These und Forschungsfrage
1.2 Aufbau und Methodik
1.3 Ziele, Umfang und Abgrenzung
2. Alltagsmobilität im urbanen Raum mit Blick nach Wien
2.1 Begriffserkl rung „Mobilität“
2.2 Definition und Bedeutung des PNV
2.3 Geschichte und Trends des Mobilitätsverhaltens in Wien
3. Die Nutzerstruktur des ffentlichen Personennahverkehrs in Wien
3.1 Einfl sse der Bev lkerungsstruktur auf die Verkehrsnachfrage im PNV
3.2 Einfl sse auf die Verkehrsmittelwahl im Alltag
3.2.1 Objektive Einfl sse
3.2.2 Subjektive Einfl sse
3.3 Nutzergruppen des PNV
3.3.1 Wahlfreie Nutzergruppen
3.3.2 V-gebundene Nutzergruppen
4. Bev lkerungsstrukturen und der demografische Wandel in Wien
4.1 Begriffserkl rung „Demografie“ und „demografischer Wandel“
4.2 Europaspezifische demografische Trends
4.3 Die Bev lkerungsstruktur und der demografische Wandel in Wien
4.3.1 Bev lkerungsentwicklung
4.3.2 Altersentwicklung, Fertilität und Lebenserwartung
4.3.3 Migration
5. Auswirkungen der neuen Nutzerstruktur auf die ffentliche Verkehrsnachfrage in Wien
5.1 Neue Rahmenbedingungen für den PNV in Wien
5.2 Herausforderungen des demografischen Wandels für den PNV
5.2.1 Verkehrsnachfrage und Nachfrageverschiebungen
5.2.2 Barrierefreiheit und Sicherheit
6. Beispielhafte Handlungserfordernisse in der Angebotsstruktur des ffentlichen Personennahverkehrs in Wien
6.1 Flexible Bedienung durch den Richtungsbandbetrieb
6.2 Einsatz neuer Fahrzeuge und Serviceleistungen
6.3 Information barrierefrei gestalten und Sicherheit vermitteln
6.4 Barrierefreie Erschlie ung und Verkehrssicherheit gew hrleisten
7. Schlussfolgerung und Chancen für die Zukunft
8. Fazit der analytischen Betrachtung
Quellenverzeichnis
Literatur
Internetquellen
Abbildungsverzeichnis
Tabellenverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Zusammenfassung
Der europaweit evidente demografische Wandel zeichnet sich in Wien anhand einer berproportional wachsenden alten Bev lkerung ( ber 75-J hrige), einer in Europa vergleichsweise rapiden Bev lkerungsentwicklung aller Altersklassen und einer „Umpolung“ der Altersverteilung von den Wiener Innenbezirken in die Stadtperipherie ab. Diese Arbeit besch ftigt sich mit den Auswirkungen dieser demografischen Vorg nge auf die Struktur der Nutzer im ffentlichen Personennahverkehr und zeigt auf, welche Anspr che k nftige Nutzergruppen an das ffentliche Verkehrsnetz Wiens haben werden. Um die Eingangsthese zu bestätigen, werden V-Nutzer erst anhand ihres berwiegenden Mobilitätsmotivs kategorisiert. Nachdem eruiert werden konnte, welche Nutzergruppen den gr ten Einfluss auf die Verkehrsnachfrage im ffentlichen Personennahverkehr haben, werden demografische Trends in einen r umlichen Kontext gebracht, um sich weiters mit der Frage auseinanderzusetzen, vor welchen Herausforderungen der ffentliche Personennahverkehr der Stadt steht. Schlie lich werden Handlungserfordernisse zur Anpassung des Angebots im ffentlichen Personennahverkehr anhand von r umlichen, zeitlichen und betrieblichen Aspekten vorgelegt.
Das Ziel der Arbeit ist es, basierend auf den Bestrebungen der Stadt Wien zur Verbesserung des Modal-Splits, einen Situations berblick zu schaffen und m gliche Wege in Richtung einer zukunftsf higen Gestaltung der Angebotsstruktur im ffentlichen Personennahverkehr zu weisen.
Abstract
The demographic change that is evidentäthroughout Europe is manifested in Vienna by a disproportionately growing old population (over 75 years of age), a comparatively rapid population development across all age groups and a reversal of the age distribution from the inner districts of Vienna to the periphery of the city. This study deals with the effects of such demographic shift on the structure of users in public passenger transport and shows what demands future user groups will have on Vienna's public transport network. To validate the entry thesis, public transport users are first categorised according to their dominant reason for commuting. After identifying which user group has the greatest impact on the public transport sector, demographic trends will be put into a spatial contextäto further address the challenges faced by the city' s public transport system. Finally, requirements for adapting public transport services are presented on the basis of spatial, scheduling and operational aspects.
The aim of this study is to provide an overview of the situation, while keeping the aims of the city of Vienna in mind to improve the modal-split, and to point out possible ways towards a sustainable design of a dynamic service structure in public passenger transport.
1.Einleitung
1.1 Problemstellung, These und Forschungsfrage
Als eine der gr ten Herausforderungen moderner Gesellschaftskonstrukte wirkt sich der europaweit evidente „soziodemografische Wandel“, welcher aufgrund seiner Alterungs-, Schrumpfungs- und Wanderungsprozesse auch als „demografische Alterung“ bekannt ist, in erster Linie auf die Daseinsvorsorge aus.[1] Hierzu z hlen nach Sch fer alle G ter und Leistungen, welche als gesellschaftlich existenziell gelten. Der ffentliche Verkehr ist als infrastrukturelle Leistung Teil davon.[2]
Diese Arbeit besch ftigt sich mit der Frage, welche demografischen Ver nderungen in Wien zu erwarten sind und wie sich diese auf den ffentlichen Personennahverkehr auswirken k nnten. Im Mittelpunkt stehen unterschiedliche Nutzergruppen und Motive allt glicher Mobilität. Anhand der Ver nderung der Struktur der Nutzer wird eine ergebnisorientierte Analyse der Auswirkungen auf das Angebot der ffentlichen Verkehrsmittel in Wien durchgef hrt. Abschlie end zeigen beispielhafte Handlungsfelder Wege zur zukunftsf higen Gestaltung der Alltagsmobilität in Wien.
Die These dieser Arbeit lautet:
- Die im Europa des 21. Jahrhunderts evidente demografische Alterung wird die Nutzerstruktur im ffentlichen Personennahverkehr in Wien zuk nftig ver ndern. Daraus lassen sich Handlungsfelder zur Anpassung des Angebots des ffentlichen Verkehrs an eine „immobilere“ Nutzerstruktur ableiten. Diese sollen einen Ausblick für die zukunftsf hige Gestaltung der Alltagsmobilität in Wien geben.
Die in dieser Arbeit prozessbegleitenden und für das Ergebnis relevanten Fragen gliedern sich in folgender Reihenfolge:
- Was beeinflusst die Verkehrsmittelwahl im Alltag?
- Welche Nutzergruppen und Wegezwecke tragen am meisten zur ffentlichen Verkehrsnachfrage bei?
- Wie u ert sich der europaweit erkennbare demographische Wandel in Wien?
- Wie ver ndert dieser Wandel zuk nftig Nutzergruppen und Wegezwecke und somit die Verkehrsnachfrage und welche neuen Rahmenbedingungen bringen diese Ver nderungen für den ffentlichen Personennahverkehr in Wien mit sich?
- Welche Aussagen lassen sich ber die Gestaltung zukunftsf higer Alltagsmobilität in Wien im Zusammenhang mit den Forschungsergebnissen treffen?
Die Forschungsfrage dieser Arbeit lautet:
- Welche Auswirkungen haben die durch den demografischen Wandel bedingten neuen Rahmenbedingungen der Nutzerstruktur auf die Verkehrsnachfrage im ffentlichen Personennahverkehr in Wien und welche Anpassungen der Angebotsstruktur des ffentlichen Personennahverkehrs lassen sich daraus ableiten?
1.2 Aufbau und Methodik
Ausgehend von Begriffsdefinitionen wie „Mobilität“, „demografischer Wandel“ und „ ffentlicher Personennahverkehr“ n hert sich die Arbeit der Forschungsfrage und versucht, die anfangs gestellte These zu bestätigten. Jene umfangreichen Definitionen sollen das n tige Wissen für ein Verst ndnis der Arbeit vermitteln. Inhaltlich h lt der Aufbau an der Reihenfolge der im vorigen Abschnitt (1.1) aufgeworfenen Fragen fest.
Die Arbeit besch ftigt sich zuerst mit Allgemeinem zu Mobilität in Wien und analysiert im Anschluss potentielle Einfl sse auf die ffentliche Verkehrsnachfrage. Anhand von objektiven und subjektiven Einflussgr en wird auf die für den ffentlichen Verkehr relevantesten Wegezwecke und somit die relevantesten Nutzergruppen geschlossen. Dann wird das Ausma des demografischen Wandels in Wien erl utert und bringt Nutzergruppen und Wegezwecke mit der zuk nftigen Bev lkerungsstruktur in Zusammenhang. Zuletzt leitet die Arbeit in eine explorative Analyse m glicher Handlungserfordernisse im Bereich des Angebots des ffentlichen Personennahverkehrs in Wien ber, um mit einem Fazit zur zuk nftigen und nachhaltigen Alltagsmobilität zu schlie en. Die Ziele, die die Stadt Wien im STEP 2025 in Bezug auf den Modal-Split verfolgt, werden dabei als weisende Richtung verstanden.
Methodisch berwiegt die Literaturrecherche. Eine inhaltsanalytische Literaturschau, gespickt mit Daten amtlicher Statistiken, welche gesammelt, aufbereitet und verwertet werden, f hrt schlie lich zum Ergebnis. Die in dieser Arbeit verwendete Literatur wird mit Hilfe von Internetsuchmaschinen und in Onlinedatenbanken, wie der der TU Wien, recherchiert. Darunter befinden sich internationale Fachb cher, Zeitschriftenartikel, Online-Zeitungsartikel, amtliche Publikationen, Ausz ge aus statistischen Datenbanken, wissenschaftliche Berichte und Sammelwerke.
1.3 Ziele, Umfang und Abgrenzung
Durch die zu erwartende Ver nderung der Bev lkerungsstruktur sind neue Bed rfnisse und eine ver nderte Nachfrage im ffentlichen Personennahverkehr zu erwarten. Ziel dieser Arbeit ist es, die sich im demografischen Wandel ver ndernden Parameter zu analysieren und Handlungsfelder zu definieren, welche einen Ausblick auf die notwendigen Anpassungen der Angebotsstruktur in Wien geben. Die untersuchten Ph nomene sind die „Verkehrsmittelwahl“ sowie der „demografische Wandel“. Im Mittelpunkt der Forschung stehen die Nutzer des ffentlichen Personennahverkehrs und deren Handlungen. Der untersuchte Raum ist das administrativ abgegrenzte Stadtgebiet Wiens.
Methodiken zur Gewinnung von Rohdaten oder Sekund rdaten (Prognosen, Hochrechnungen, Projektionen, Z hlungen), welche von zitierten Quellen durchgef hrt wurden (Bsp.: Prognose zur Bev lkerungsentwicklung), sind nichtäteil dieser Arbeit. Die Arbeit begrenzt sich weiters auf die Stadt Wien. Die Betrachtung von St dten im internationalen Vergleich, sowohl auf demographischer, als auch auf verkehrssozialer Ebene, ist in diesem Umfang nicht m glich. Auch beschr nkt sich diese Arbeit auf g ngige Nutzergruppen innerhalb von Haushaltsstrukturen. Auswirkungen bedingt durch Touristen können nicht ber cksichtigt werden. Au erdem wird auf den Wandel im Bereich der Digitalisierung der Gesellschaft und des Verkehrswesens nicht eingegangen.
Vorausgesetzt wird ein allgemeines Verst ndnis von urbanen, demografischen sowie verkehrswirtschaftlichen Prozessen.
2.Alltagsmobilität im urbanen Raum mit Blick nach Wien
2.1 Begriffserkl rung „Mobilität“
Der Begriff „Mobilität“ geht auf das lateinische „mobilitas“ zur ck und l sst sich mit Beweglichkeit, Gewandtheit oder Unbest ndigkeit bersetzen.[3] Selbst in einschl giger Literatur findet sich keine durchg ngige Definition. Abzugrenzen ist der in dieser Arbeit verwendete Begriff jedoch von nicht verkehrs- oder raumbezogenen Definitionen, welche beispielsweise in den Sozial- und Geisteswissenschaften zu finden sind.
In dieser Arbeit wird Mobilität nach Kalwitzki als die ambivalente, r umliche Positionsver nderung von Menschen innerhalb eines Systems wahrgenommen.[4] Frei zitiert nach Prof. Harald Frey vom Institut für Verkehrswissenschaften der TU Wien ist Mobilität immer ein Ausdruck des Nicht-Vorhandenseins von Einrichtungen allt glicher, menschlicher Bed rfnisse am Ausgangsort.[5] Demnach wird Mobilität von allt glichen Motiven bestimmt und ist Mittel zum Zweck. Nach Schmutzer et al. ist Mobilität ein Prozess r umlicher Bewegung von Personen, welcher sich in Form wiederkehrender Verkehrsaktivitäten als Bestand der Alltagsroutine eines Menschen erkennbar macht. Mobilität ist also mit der Benutzung von Fortbewegungsmitteln verkn pft.[6]
Eine weitere Definition erkennt die sozialen Bed rfnisse der Gesellschaft als Gegenstand von Alltagsmobilität. „Mobilität ist als Grundbed rfnis der Menschen definiert. Sie beschr nkt sich nicht nur auf Aktivitäten, die zur Existenzerhaltung notwendig sind (Einkaufen, Arbeiten, etc.), sondern erstreckt sich auch auf die Teilhabe an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens. Mobilität ist eine Voraussetzung für die aktive Teilhabe am sozialen und kulturellen Leben der Gesellschaft und stellt einen wesentlichen Faktor der Selbstst ndigkeit dar.“[7]
Festzuhalten ist, dass Mobilität nicht mit „Automobilität“ gleichzusetzen ist. Der Begriff der Mobilität wird in der Mobilitätsforschung streng vom Autofahren abgegrenzt und mit der Zahl der Wege pro Tag und Person definiert. Diesen Wert nennt man die Mobilitätsrate. Jene teilt sich auf verschiedene Fortbewegungsmittel auf und ist verkehrsmittelunabh ngig.[8] Die Verkehrsmittelwahl der Bev lkerung einer Stadt wird durch den Modal-Split prozentuell beschrieben.
2.2 Definition und Bedeutung des PNV
Die sozialpsychologische Ansicht, dass die Wirtschaftlichkeit von Verkehrsdienstleistungen im direkten Zusammenhang mit Bed rfnissen und Interessen der Nutzer steht, setzte sich in der Planung Ende des 20. Jahrhunderts durch. So fürderte der nicht auf die Nutzerbed rfnisse abgestimmte Bau und Betrieb von Verkehrsdienstleistungen im letzten Jahrhundert, zusammen mit einer fluorierenden, mobilitätsvermittelnden Automobilindustrie, den motorisierten Individualverkehr in St dten und pr gte dadurch das bis zuletzt zentralste Handlungsmuster in st dtischer Alltagsmobilität: den Hang zum Automobil.[9]
Der stetig zunehmende Verkehr wird von enormen Auswirkungen auf das soziale und kologische Umfeld des Menschen begleitet. Unterschiedliche Verkehrsarten werden im 21. Jahrhundert von der Planung oft in „gut“ und „schlecht“ unterteilt. Der ffentliche Verkehr steht dabei dem motorisierten Individualverkehr als positive Alternative gegen ber.[10] Dieser ist wie folgt definiert:
„Als ffentlichen Verkehr ( V) bezeichnet man Verkehrsdienstleistungen, die für jedermann zug nglich sind, insbesondere die (...) der ffentlichen Personenbefürderung. Die Merkmale des V sind neben dieser allgemeinen Zug nglichkeit (Befürderungs- bzw. Transportpflicht) auch die Ausf hrung durch spezielle, eventuell konzessionierte Verkehrsunternehmen sowie die Fixierung von Befürderungsbedingungen und -preisen in publizierter Form (Fahrplan- und Tarifpflicht).“[11]
Unter dem Gesichtspunkt der Klimaerw rmung, des Fl chenverbrauchs und der steigenden Binnenpendlerzahlen wurden Ende des 20. Jahrhunderts weltweit St dte auf die positiven Effekte eines funktionierenden Systems des ffentlichen Personentransportes aufmerksam. Formelle Abkommen, wie das 2015 beschlossene Pariser Klimaabkommen, zu welchem sich auch sterreich bekannt hat, oder Instrumente auf lokaler Ebene, wie der STEP 2025 der Stadt Wien, welcher die Ziele der Stadt zur Anpassung des Modal-Splits bis ins Jahr 2025 darlegt, unterstätzen diesen Trend seither entschlossen.[12] Wurden im Jahr 2005 in sterreich noch 1,02 Mrd. Personen mit den st dtischen, ffentlichen Verkehrsmitteln transportiert, so stieg diese Zahl innerhalb von 10 Jahren auf 1,27 Mrd. Passagiere im Jahr 2015. Im Jahr 2017 befürderte der ffentliche Personennahverkehr in Wien mit 961,7 Mio. Fahrg sten so viele Passagiere wie noch nie zuvor und war somit für den Gro teil des ffentlichen Verkehrsaufkommens sterreichs verantwortlich.[13]
Demgem kann der ffentliche Verkehr als R ckgrat innerst dtischer Mobilität moderner Gro st dte gewertet und international verglichen werden. Der „Sustainable Cities Mobility Index“ des Niederl ndischen Infrastrukturberatungsunternehmens Arcadis vergleicht jene Systeme international in der Kategorie „People“ anhand von Kriterien wie Unfallh ufigkeit, Erschlie ung und Barrierefreiheit, Erreichbarkeit und Anschlusszeiten, Anteil des ffentlichen Verkehrs im Modal-Split der Stadt, oder P nktlichkeit und Nutzerfreundlichkeit. Nach Systemen in St dten wie Hongkong, New York und Tokyo an der Spitze der neuesten Auflage des Indexes des Jahres 2017 liegt Wien auf Platz 22.[14] Vergleiche wie diese lassen statistische R ckschl sse auf Bodenpreise, Standortpotentiale und soziale Milieus zu, was die Bedeutung des ffentlichen Verkehrswesens im urbanen Raum unterstreicht.
2.3 Geschichte und Trends des Mobilitätsverhaltens in Wien
Das durch die Wiener Linien GmbH betriebene ffentliche Verkehrswesen der Stadt Wien spielte seit der Eingemeindung vieler Vororte und der anschlie enden Inbetriebnahme der ersten elektrischen Stra enbahn im Jahr 1897 eine wesentliche Rolle in der Stadtentwicklung.[15] Die durch den Einsatz von Omnibussen ab dem Jahr 1907 erg nzte Stra enbahn blieb bis 1967 wichtigster Bestandteil des ffentlichen Personentransportes.[16] Im Jahr 1978 erm glichte die Er ffnung der ersten U-Bahn-Teilstrecke sterreichs schlie lich den bertritt in den Massenpersonentransport.[17] Dadurch erlangte der ffentliche Verkehr einen neuen Stellenwert.
Mit einer Streckenl nge von 78,5 Kilometern bediente die Wiener U-Bahn im Jahr 2016 104 Haltestellen innerhalb der administrativen Grenzen der Stadt und befürderte 440,1 Mio. Personen.[18] Damit belegt sie im internationalen Vergleich der World Metro Database Platz 49 in der U-Bahn-Netzl nge, sowie Platz 32 im Passagieraufkommen.[19] Die drei Befürderungssysteme Bus, U- und Stra enbahn bew ltigen seither mit 127, 5 und 29 Linien (Stand 2016) die stetig wachsende Nachfrage.[20]
Wie der Modal-Split des Jahres 2016 in Abbildung 1 zeigt, liegt der Anteil des ffentlichen Verkehrs an allen Wegen in Wien bei 39%. Das Fahrgastaufkommen innerhalb dieser 39% nahm seit dem Jahr 2005 um mehr als 200 Mio. j hrliche Fahrg ste zu.[21] Ein Vergleich mit den Zahlen aus dem Jahr 1993 offenbart, dass das Automobil in den letzten Jahrzehnten stark an Bedeutung verlor und von 40% im Jahr 1993 auf einen Anteil von 27% im Jahr 2016 zur ckfiel (Abbildung 1). Abbildung 2 zeigt wie sich der Anteil des ffentlichen Verkehrs auf die drei Befürderungssysteme verteilt. Mit 370,9 Pkw pro 1.000 Einwohner wies Wien im Jahr 2016 die geringste Pkw-Dichte aller Landeshauptst dte sterreichs auf.[22] Ende 2017 waren deutlich mehr Jahreskarten für die Wiener Linien (778.000 St ck) im Umlauf, als Pkws in der Stadt gemeldet waren.[23] Aufgrund der positiven Effekte der Etablierung des ffentlichen Verkehrs setzt die Stadt Wien weiterhin Ressourcen in den Ausbau des Netzes und plant allein im Jahr 2018 Investitionen in H he von 407 Mio. Euro.[24]
3.Die Nutzerstruktur des ffentlichen Personennahverkehrs in Wien
3.1 Einfl sse der Bev lkerungsstruktur auf die Verkehrsnachfrage im PNV
Nach Sch nfelder ist die Bev lkerungsstruktur und deren Entwicklung nur ein Baustein in der Zusammensetzung des Mobilitätsverhaltens und der Prognosen zur Verkehrsnachfrage.[25] „Exakte Prognosen des Verkehrsgeschehens ber cksichtigen in der Regel die Entwicklung weiterer wichtiger Rahmenbedingungen, wie etwa politische Vorgaben der sektoralen Bereiche Finanz-, Infrastruktur- oder Siedlungswesen, technologische Neuerungen, Preise oder Pfade der Wirtschaftsentwicklung.“[26] Alle zu ber cksichtigen Einflussfaktoren zeigt Abbildung 3.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
In der im Jahre 2000 erschienen „Mikroanalyse der Alltagsmobilität in St dten“ beschreibt Z ngler Verkehr als unerw nschte Nebenwirkung von Mobilität. Private Haushalte gelten als Verursacher dieser Nebenwirkung. Im Jahr 2000 konnten in Deutschland 88% der zur ckgelegten Wege auf sozial- oder konomisch-motivierte Mobilität privater Haushalte zur ckgef hrt werden.[27]
Das Mobilitätsverhalten, und damit die Verkehrsmittelwahl, von Haushalten kann nach Z ngler als Teil des Konsumverhaltens betrachtet werden. Dort spielen vor allem physische und soziale Komponenten eine wesentliche Rolle. In der Verkehrsmittelwahl haben deshalb Motive (Bed rfnisse bspw. der Wegezweck) und Pr positionen (Einstellungen bspw. die grundlegende Abwehrhaltung gegen ber einem Verkehrsmittel) zentrale Bedeutung.[28]
Das Mobilitätsverhalten einzelner Nutzergruppen innerhalb von Haushaltsstrukturen wird als weitgehend stabil angesehen, ndert sich also auch ber l ngere Zeitr ume nicht drastisch. Ver nderungen in der Verkehrsnachfrage oder Verkehrsmittelwahl lassen daher lediglich R ckschl sse auf eine ver nderte Bev lkerungs- oder Angebotsstruktur zu. So schrieb auch das Bundesministerium für Verkehr, Innovation und Technologie im Zuge einer sterreichweiten Mobilitätserhebung im Jahr 2014: „Das Mobilitätsverhalten der sterreicherinnen und sterreicher hat sich in den vergangenen knapp 20 Jahren deutlich ver ndert. Wie (...) Analysen (...) zum Mobilitätsverhalten der Personen im Vergleich zwischen den Erhebungen der Jahre 1995 und 2013/2014 zeigen (...), spielt dabei neben der ver nderten Siedlungs- und Raumstruktur insbesondere die starke Ver nderung der soziodemographischen Zusammensetzung der Bev lkerung eine entscheidende Rolle.“[29]
3.2 Einfl sse auf die Verkehrsmittelwahl im Alltag
Aus dieser einleitenden Analyse zu den Hintergr nden der Verkehrsmittelwahl l sst sich folgendes Bild ableiten: Physische und soziale Komponenten, also umstands- und personenbezogene Faktoren, beeinflussen die Verkehrsmittelwahl von Haushalten am st rksten. Um „ V-affine“ Nutzergruppen identifizieren zu können, spielen also sozio-demografische und sozialpsychologische Ans tze eine wichtige Rolle, auf welche nun genauer eingegangen wird.[30]
Die zwei deutlichsten Einflussbereiche auf die Verkehrsmittelwahl sind:[31]
- Objektive (umstandsbezogene) Einfl sse: Wegezweck und Wegel nge, Verkehrsangebot am Ausgangs- und Zielort, Verf gbarkeit von Information zu Bedienungszeiten sowie der Kostenaufwand, welcher mit der jeweiligen Verkehrsmittelwahl verbunden ist.
- Subjektive (personenbezogene, soziodemografische) Einfl sse: Alter, Erwerbstätigkeit und -status, Familienstadt bzw. Haushaltsgr e, pers nlichen Vorlieben und Bildungsstand.
Folgende detaillierte Betrachtung dieser Einfl sse dient dazu, den h ufigsten Wegezweck innerst dtischer Mobilität auszumachen. Anschlie end können die Wegezwecke identifiziert werden, welche am h ufigsten durch Nutzung des ffentlichen Verkehrssystems bew ltigt werden, um aus den subjektiven Einfl ssen potentielle „ V-affine“ Nutzergruppen herauszufiltern und beide Erkenntnisse zusammenzuf hren. Dadurch kann eine für die V-Nachfrage „hauptverantwortliche“ Gruppe sowie ein „hauptverantwortlicher“ Wegezweck definiert werden. Im Hinblick auf den demografischen Wandel können somit Auswirkungen auf den ffentlichen Verkehr ermessen werden (Kapitel 5).
3.2.1Objektive Einfl sse
In diesem Abschnitt soll der für das Verkehrsaufkommen im ffentlichen Personennahverkehr wichtigste Wegezweck identifiziert werden.
Objektive Einfl sse sind meist umstandsbezogene Gr en (also wegeabh ngig) und beziehen sich auf die Situation, wie beispielsweise Wegel nge, Verkehrsmittelangebot oder Verf gbarkeit von Informationen ber Wegeoptionen. Objektive Einfl sse sind unabh ngig von personenbezogenen Gr en, weshalb sie wesentlich weniger gruppendefinierend sind als subjektive Gr en. Dennoch sind sie wichtig, da sie Informationen zum Weg ber cksichtigen, verf gbare Verkehrsmittel bewerten und somit gewisse Optionen von vornherein ausschlie en. Tabelle 1 veranschaulicht alle objektiven Gr en im Zusammenhang mit der Verkehrsmittelwahl:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 1: Objektive Einfl sse zur Definition von Nutzergruppen I Quelle: vgl. Boltze et al. (2009), S. 29 I Eigene Darstellung
Hauptgliederungspunkt objektiver Einfl sse ist der Wegezweck. Dieser wird in einschl giger Literatur meist in sechs Kategorien unterteilt. Diese sechs Kategorien sowie deren Verteilung auf alle durchschnittlich pro Tag in Wien zur ckgelegten Wege (erhoben in einer Mobilitätsbefragung zwischen 2010 und 2014) zeigt Abbildung 4.[32]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 4: Wegezweck in % in Wien im Jahr 2014 (Durchgef hrt von Omnitrend im Auftrag der Stadt Wien) I Quelle: Heller &Schreiner (2015), S. 11 I Eigene Darstellung
Die drei wichtigsten Wegezwecke, welche kombiniert rund 77% aller Wege in Wien ausmachen, sind nach dieser Erhebung „Freizeit- und Besuchswege“, „Wege für Versorgungs- und Erledigungszwecke“ und der t gliche „Arbeitsweg inklusive gesch ftlicher Wege“. Alle in dieser Mobilitätsstudie ber cksichtigten Wege konnten wiederum zu gewissen Prozents tzen in einem Modal-Split den unterschiedlichen Verkehrsmitteln zugeordnet werden, wie Abbildung 5 zeigt:[33]
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abbildung 5: Modal Split der drei h ufigsten Wegezwecke in Wien im Jahr 2014 (Durchgef hrt von Omnitrend im Auftrag der Stadt Wien) I Quelle: Heller &Schreiner (2015), S. 11 I Eigene Darstellung
Haupteinflussbereich in Bezug auf den ffentlichen Verkehr sind „Arbeits- und Gesch ftswege“, gefolgt von den Kategorien „Freizeit und Besuch“ und „Versorgung und Erledigung“.
Dies ergibt eine hierarchische Gliederung. Gewichtet man also den Wegezweck und die jeweilige Verkehrsmittelwahl (Prozentanteil Wegezweck x Prozentanteil ffentlicher Verkehr desselben Wegezwecks x 10.000) der drei V-lastigsten Wegezwecke, so ergibt sich folgende Punktezahl und damit Wichtigkeit:
- Freizeit und Besuch: 1.840
- Arbeit und gesch ftlich: 920
- Versorgung und Erledigung: 884
Es stellt sich heraus, dass die Kategorie „Freizeit und Besuch“ die ausschlaggebendste (einflussreichste) Wegezweckkategorie für das Verkehrsaufkommen im ffentlichen Personennahverkehr in Wien ist.
3.2.2 Subjektive Einfl sse
In diesem Abschnitt sollen die „ V-affinen“ Nutzergruppen identifiziert werden.
Nach Bertocchi bestimmen neben den objektiven Gr en, die die Verkehrsmittelwahl eingrenzen, vor allem personenbezogene, subjektive Einfl sse die Motive zur Wahl des Verkehrsmittels im Alltag.[34] Diese beschreiben Boltze et al. in ihrer Definition der Nutzergruppen des ffentlichen Verkehrs als „personenbezogene Merkmale“, welche sozio-demografisch messbar sind.[35] Die wichtigsten subjektiven Faktoren sind das Alter und die Erwerbstätigkeit.
Die subjektiven Einfl sse der Verkehrsmittelwahl werden in Tabelle 2 zusammengefasst:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 2: Subjekte Einfl sse zur Definition von Nutzergruppen I Quelle: vgl. Boltze et al. (2009), S. 29 I Eigene Darstellung
3.3Nutzergruppen des PNV
Das Ergebnis dieser Einfl sse sind zwei Personengro gruppen:
- Wahlfreie Verkehrsteilnehmer: Personengruppen, welchen alle Verkehrsmittel zur freien Verf gung stehen, wenn die Wahl nicht durch umstandsbezogene (objektive) Parameter (bspw. Wegel nge oder Kosten) eingegrenzt wird.[36]
- Gebundene Verkehrsteilnehmer: Personenbezogene (subjektive) Gr nde lassen eine freie Verkehrsmittelwahl nicht zu. Der wichtigste Einflussfaktor ist die Pkw-Verf gbarkeit (bzw. das Vorhandensein von F hrerschein und Fahrt chtigkeit).[37] Zus tzlich kann die Wahl durch umstandsbezogene (objektive) Parameter weiter eingeschr nkt werden. Man unterscheidet au erdem zwischen V-gebundenen (an den ffentlichen Verkehr gebunden) und IV-gebundenen (an den Individualverkehr gebunden) Verkehrsteilnehmern. Der Anteil der gebundenen Verkehrsteilnehmer gibt folglich die Grenze des von einem Verkehrsmittel maximal erreichbaren Anteil am Modal-Split vor.[38]
Kategorisiert in „Wahlfreie Verkehrsteilnehmer“ und „ V-gebundene Verkehrsteilnehmer“ kann nochmals in „Nutzenorientierte Nutzer“ und „ kologieorientierte Nutzer“ sowie „Immobile Nutzer“ und „Nutzer in Schule und Ausbildung“ unterteilt werden.[39] [40] Diese vier Nutzergruppen stellen die Nutzerstruktur des ffentlichen Personennahverkehrs dar, wie Tabelle 3 zeigt:
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Tabelle 3: Nutzergruppen des ffentlichen Personennahverkehrs I Quelle: vgl. Boltze et al. (2009), S. 33fff I Eigene Darstellung
[...]
[1] vgl. Bertocchi (2009), Vorwort
[2] vgl. Sch fer (n.d.), Online
[3] vgl. Flade und Limbourg (1999), S. 5
[4] vgl. Kalwitzki (1994), S. 12
[5] vgl. Frey (2017) im Seminar 280.096 der Technischen Universität Wien im Wintersemester 2017
[6] vgl. Schmutzer et al. (1999), S. 23
[7] Haindl und Risser (2006), S. 13
[8] vgl. Knoflacher (1996), S. 24
[9] vgl. Schwedes (2014), S.14
[10] vgl. Schwedes (2014), S.12ff
[11] Schwedes (2007), S. 471
[12] vgl. Fachverband der Schienenbahnen (2018), S. 3
[13] vgl. Wiener Linien 15.02.2018 (2018), Online
[14] vgl. Batten (2017), S. 6
[15] vgl. Wiener Linien 31.10.2014 (2014), Online
[16] vgl. Wiener Linien 07.11.2014 (2014), Online
[17] vgl. Wiener Linien 19.02.2018 (2018), Online
[18] vgl. MA 23 Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien (2017), S. 44
[19] vgl. Serradell und Kennes (2017), Online
[20] vgl. MA 23 Wien in Zahlen (2017), S. 22
[21] vgl. MA 23 Statistisches Jahrbuch der Stadt Wien (2017), S. 45
[22] vgl. MA 23 Wien in Zahlen (2017), S. 22
[23] vgl. Wiener Linien 15.02.2018 (2018), Online
[24] ebd.
[25] vgl. Sch nfelder (2010), S. 7
[26] Sch nfelder (2010), S. 8f
[27] vgl. Z ngler (2000), S. 3
[28] vgl. Z ngler (2000), S. 10
[29] BMVIT (2016), S. 50
[30] vgl. Z ngler (2000), S. 10
[31] vgl. Boltze et al. (2009), S. 29
[32] vgl. Heller und Schreiner (2015), S. 11
[33] ebd.
[34] vgl. Bertocchi (2009), S. 16
[35] vgl. Boltze et al. (2009), S. 29
[36] vgl. Boltze et al. (2009), S. 20
[37] vgl. Boltze et al. (2009), S. 20 nach Wermuth (1980) und De Boor (2001)
[38] vgl. Boltze et al. (2009), S. 20
[39] vgl. Zemlin (2005), S. 49
[40] vgl. Boltze et al. (2009), S. 34