Anders als andere Moralphilosophen beabsichtigt Friedrich Nietzsche in „Zur Genealogie der Moral. Eine Streitschrift“ aus dem Jahr 1887 nicht, eine Moral herzuleiten oder zu begründen, sondern stellt psychologische, historische und soziologische Thesen über ihre Entwicklung auf. Er befasst sich nicht nur mit der Genealogie, also der Herkunft der Moral, sondern entfaltet eine Herkunftskritik. Nietzsche konstruiert die Geschichte des europäischen Denkens als Geschichte einer moralischen Weltanschauung, die Lebensverneinung ist. Moral ist für Nietzsche „Widernatur“ und stellt sich gegen das Leben. Hier ist der Ansatzpunkt für Nietzsches Kritik. Er spricht von Stehenbleiben, von zurückblickender Müdigkeit, einem sich gegen das Leben richtenden Willen, einer schändlichen modernen Gefühlsverweichlichung und einer letzen schwermütigen Krankheit der Mitleidsmoral, die den Menschen infiziert und in den Nihilismus führt. Sein Ziel ist eine neue, höhere Kultur, die den Rang der griechischen als einer sich selbst bejahenden Kultur wieder erreichen kann.
Die vorliegende Arbeit befasst sich mit der Frage, inwieweit in der zweiten Abhandlung der „Genealogie der Moral“ mit dem Titel „Schuld, schlechtes Gewissen und Verwandtes.“ die moralische Begriffswelt nach Nietzsche mit dem Obligationenrecht verknüpft ist. Zunächst wird die Grundfrage Nietzsches nach dem souveränen und verantwortlichen Individuum betrachtet. Anschließend widmet sich die Arbeit der Herkunft der moralischen Begriffswelt aus den privatrechtlichen Verhältnissen der römischen Antike als juristischem Moment, dem Staat als Milderung des urwüchsigen Schuldrechts als politischem Moment, dem Ursprung und Zweck der Strafe und schließlich dem Ahnenkultus der Urzeit, dem Gottesglauben und dem Christentum als religiösem Moment.
Inhaltsverzeichnis
- A. Einleitung: Die Grundidee der „Genealogie der Moral“
- B. Die Verantwortlichkeit des Menschen als paradoxe Aufgabe der Natur
- I. Das souveräne Individuum als ,,reifste Frucht“ der Kultur und seine historische Verfehlung
- II. Die Ambivalenz des Gewissens
- III. Der Künstler als Symbol der Überschreitung, Kunst als Wille zur Macht und der sadomasochistische Begriff des Selbst
- C. Obligationenrecht und moralische Begriffswelt
- I. Juristisches Moment - Die moralische Begriffswelt entstanden aus den privatrechtlichen Verhältnissen der römischen Antike
- 1. Die ursprünglichste Definition von Gerechtigkeit
- 2. Die sadomasochistischen Wurzeln der Moral - eine Ökonomie der Grausamkeit
- II. Politisches Moment - Der Staat als Milderung des urwüchsigen Schuldrechts durch die Organisation einer Herrschaft
- 1. Der Staat als Gläubiger-Schuldner-Beziehung
- 2. Weitere rechtspolitische und rechtsphilosophische Aspekte
- a. Wesen und Zweck der Strafe
- b. Gerechtigkeit als Liebe mit sehenden Augen im Kontrast zum Richten und Rächen aus dem Ressentiment
- III. Religiöses Moment - Der Ahnenkultus der Urzeit, der Gottesglaube und das Christentum
- 1. Das Verhältnis zu den Vorfahren als Gläubiger-Schuldner-Beziehung, die Transformation des Ahnherrn in eine Gottheit
- 2. Der christliche Glaube als schizoide Selbstmarterung und -verleugnung
- I. Juristisches Moment - Die moralische Begriffswelt entstanden aus den privatrechtlichen Verhältnissen der römischen Antike
- D. Fazit und Schlussbetrachtung: Die Marktwirtschaft als Rechtfertigung des Leidens, Kapitalismus und Religion
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Seminararbeit befasst sich mit Friedrich Nietzsches „Zur Genealogie der Moral“, insbesondere der zweiten Abhandlung. Das Ziel ist es, die Verbindung zwischen dem Obligationenrecht und der moralischen Begriffswelt in Nietzsches Werk zu analysieren und die Entstehungsgeschichte der Moral aus einer juridischen Perspektive zu beleuchten.
- Die Entstehung der Moral aus den privatrechtlichen Verhältnissen der römischen Antike
- Der Einfluss des Staates auf die Entwicklung des Schuldrechts
- Die Rolle des Ahnenkultus und des christlichen Glaubens in der Entstehung der Moral
- Nietzsches Kritik an der traditionellen Moral und der modernen Marktwirtschaft
- Die zentrale Bedeutung des Willens zur Macht in Nietzsches Philosophie
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung gibt einen Überblick über die Grundidee der „Genealogie der Moral“ und die zentrale Rolle des Menschen als verantwortliches Wesen. Kapitel B untersucht die paradoxe Aufgabe der Natur, den Menschen zu einem verantwortlichen Wesen zu entwickeln, und analysiert die Ambivalenz des Gewissens. Die Rolle des Künstlers als Symbol der Überschreitung und die Bedeutung des Willens zur Macht im Kontext des sadomasochistischen Selbstverständnisses werden ebenfalls beleuchtet.
Kapitel C widmet sich dem zentralen Thema der Arbeit, der Verbindung zwischen Obligationenrecht und moralischer Begriffswelt. Der erste Abschnitt beleuchtet die juristischen Wurzeln der Moral in der römischen Antike, die ursprünglichste Definition von Gerechtigkeit und die sadomasochistischen Ursprünge der Moral. Der zweite Abschnitt analysiert die Rolle des Staates in der Milderung des Schuldrechts und die Entstehung einer Herrschaft. Schließlich untersucht der dritte Abschnitt den Einfluss des Ahnenkultus und des christlichen Glaubens auf die moralische Begriffswelt.
Das Fazit befasst sich mit der Marktwirtschaft als Rechtfertigung des Leidens und den kritischen Perspektiven auf Kapitalismus und Religion, die Nietzsche in seiner „Genealogie der Moral“ entwickelt.
Schlüsselwörter
Obligationenrecht, Moral, Genealogie, Schuld, Recht, Staat, Ahnenkultus, Christentum, Wille zur Macht, Kapitalismus, Marktwirtschaft.
- Arbeit zitieren
- Anonym (Autor:in), 2013, Obligationenrecht und moralische Begriffswelt in der zweiten Abhandlung von Friedrich Nietzsches "Zur Genealogie der Moral", München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/446958