Vorsteuerabzug für nicht unternehmerisch genutzte Gebäudeteile - Auswirkungen des EuGH - Urteils vom 08. Mai 2003


Seminararbeit, 2005

35 Seiten, Note: ~ 2,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 08. Mai 2003 im Fall des deutschen Unternehmers “Seeling“

3 Umsatzsteuerliche Rechtsauffassung nach nationalem Recht
3.1 Klassifizierung der Umsätze vor der Seeling - Rechtsprechung
3.1.1 Steuerbare Umsätze - steuerpflichtig oder steuerfrei
3.1.2 Tatbestand der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken und Gebäuden
3.2 Betriebswirtschaftliche Auswirkungen der Zuordnung von Gebäuden zum Betriebsvermögen
3.3 Umsatzsteuerliche Auswirkungen der privaten Verwendung von Gebäuden im Betriebsvermögen
3.3.1 Eigenverbrauchsregelung
3.3.2 Vorsteuerberichtigungszeitraum

4 Die europäischen Umsatzsteuerregelungen der 6. Richtlinie des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (77/388/EWG)
4.1 Rdcheidungsgründe
4.2 Analogien zum deutschen Umsatzsteuerrecht und gemeinschaftsrechtlich autonome Begrifflichkeiten

5 Auswirkungen und Reaktionen auf das „Seeling-Urteil“
5.1 Auswirkungen auf die deutsche Rechtsprechung
5.2 Erläuterung der Reaktionen der deutschen Finanzverwaltung
5.3 Betrachtung vorherrschender Meinungen in der Literatur

6 Schlussbemerkung
6.1 Zusammenfassung der Erkenntnisse
6.2 Eigenes Fazit und Ausblick auf notwendige Entscheidungen

II. Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Warum öffnet der Europäische Gerichtshof die Tür zum unversteuerten Endverbrauch? Diese Frage beschäftigte Europa und die deutsche Finanzverwaltung, als jene höchste Europäische Gerichtsbarkeit am 08. Mai 2003 das Urteil im Fall „Seeling“ verlas.

Obwohl am Anfang des 3. Kapitels eine ausführliche Betrachtung der umsatzsteuerlichen Geschichte und der Entwicklung der Begrifflichkeiten stattfindet, soll an dieser Stelle mit einigen Kurzdefinitionen vorgegriffen werden, um die nachfolgende Einleitung verständlicher zu gestalten. Das Umsatzsteuerrecht kennt vier Begrifflichkeiten für eine Steuerart, welche allein durch die Unterschiedlichkeit der Blickwinkel des Betrachters bzw. des Steuerpflichtigen begründet sind. Sowohl die Umsatzsteuer, als auch die Vorsteuer und die Mehrwertsteuer bzw. Allphasen-Netto-Umsatzsteuer drücken grundsätzlich das Gleiche aus. Sie sind der Ausdruck für jene 7 bzw. 16 Prozent, welche zum Nettowert einer Lieferung oder sonstigen Leistung hinzugerechnet werden. Während der leistende Unternehmer von der Umsatzsteuer spricht, die er auf seinen Nettoumsatz aufzuschlagen gesetzlich verpflichtet ist, bezeichnet der die Leistung empfangende Unternehmer, welcher die Rechnung erhält, die durch ihn geschuldete Steuer als Vorsteuer.

Die Bezeichnungen Mehrwertsteuer bzw. Allphasen-Netto-Umsatzsteuer bezeichnen das zugrunde liegende System. Demnach wird prinzipiell aufgrund des Vorsteuererstattungs- und Umsatzsteuerzahlungsvorganges nur der Mehrwert, also die Wertschöpfung besteuert.

Zurück zur Urteilsverkündung - Was war geschehen? Der Europäische Gerichtshof gab einem deutschen Unternehmer das Recht, für seine private Nutzung und somit für den eigenen Endverbrauch, die Vorsteuer geltend zu machen. Der Einfluss dieser Entscheidung auf das deutsche Steuerrecht ist augenscheinlich. So regelt § 2 der Abgabenordnung, dass anwendbares Gemeinschaftsrecht den deutschen Steuergesetzen vorrangig ist. Allerdings war die Entscheidung zu Gunsten des Steuerpflichtigen nach deutscher Rechtsauffassung ein Paradoxon, denn die Sachlage war nach Auffassung der deutschen Finanzverwaltung eindeutig.

Der Unternehmer - Wolfgang Seeling - errichtete 1995 ein Gebäude, welches teilweise privat und teilweise unternehmerisch genutzt wird. Ein Grundsatz der Allphasen-Netto- Umsatzsteuer ist die Entlastungsfunktion des Vorsteuerabzugs. Er soll den Unternehmer im Rahmen seiner unternehmerisch wirtschaftlichen Tätigkeit von der geschuldeten oder entrichteten Mehrwertsteuer entlasten. Dieses System basiert somit auf dem Prinzip der Steuerneutralität, wodurch gesichert werden soll, dass alle wirtschaftlichen Tätigkeiten solange steuerlich unbelastet ausgeführt werden können, wie sie selbst wiederum der Mehrwertsteuer unterliegen.1

Für die Finanzverwaltung war zweifellos klar, dass in diesem Fall ein Mangel an unternehmerischer und wirtschaftlicher Tätigkeit vorlag, weshalb ein Vorsteuerabzug nicht in Betracht zu ziehen war. Ein Abweichen von dieser Haltung stellte jenes Neutralitätsprinzip nicht nur in Frage, vielmehr war es eine offensichtliche Bevorteilung des Unternehmers gegenüber einer Privatperson. Natürlich basierte die damalige Rechtsprechung nicht auf jenen offenkundig subjektiven Gründen der Bevorteilung. Der deutsche Staat hatte zur Vermeidung solcher Bevorzugungen rechtliche Grundlagen geschaffen. So regelte das Umsatzsteuergesetz im § 1 Abs.1 Nr. 2 UStG den Fall des Eigenverbrauchs eines Unternehmers von unternehmenseigenen Ressourcen. Hierbei war der Unternehmer wie eine externe dritte Person zu behandeln, welche aufgrund des realisierten Endverbrauchs keinen Anspruch auf Vorsteuerabzug im Sinne des § 15 Abs. 1 UStG besaß.

Am 08. Mai 2003 wurde diese Rechtsauffassung egalisiert. Dadurch erhielt das Instrument des Vorsteuerabzugs eine neue Bedeutung. Die Frage, ob das Herzstück des Mehrwertsteuersystems aufgrund einer systemwidrigen Entscheidung an Bedeutung verlor oder sich lediglich der Notwendigkeit einer Harmonisierung unseres europäischen Umsatzsteuerrechts unterordnen musste, soll in dieser Arbeit beleuchtet werden.

Dazu wird im folgenden Kapitel zwei zunächst das Urteil vom 8. Mai 2003 betrachtet. In Kapitel drei wird auf die deutsche Rechtsprechung eingegangen, wie sie bis zum Streitjahr maßgeblich war. Kapitel vier nennt die Rechtsgrundlagen, auf denen der EuGH seine Entscheidung begründet und setzt sich mit Analogien zum deutschen Steuerrecht, sowie gemeinschaftsrechtlich autonomen Begrifflichkeiten auseinander. Um eine Antwort auf die zuvor aufgeworfene Frage zu erhalten, werden im fünften Kapitel zunächst die Auswirkungen auf die, bis dahin gültige, nationale Rechtsprechung erläutert. Anschließend werden die Schritte der Finanzverwaltung betrachtet, mit denen diese den Auswirkungen des Seeling- Urteils und den befürchteten Steuerausfällen von bis zu 500 Mio. € entgegenzuwirken versucht. Um diese Schritte beurteilen zu können, werden die in der Literatur vorherrschenden Meinungen im Anschluss vorgestellt. In Kapitel 6 werden die Erkenntnisse subsumiert und eine Antwort auf die Leitfrage gegeben. Dabei werden Ansätze herausgestellt, welche verstehen helfen, warum die Branche der Steuerberatung die Möglichkeit eines gemeinschaftsrechtlich begründeten „Steuersparmodells“ in diesem Urteil erkennt. Abschließend wird ein Ausblick auf mögliche zukünftig notwendige Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofes gegeben.

Ganz sicher ist aber schon jetzt: Unabhängig davon wie die Antwort auf unsere Frage ausfällt, entstanden ist ein beachtliches umsatzsteuerliches Gestaltungspotenzial.

2 Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom 08. Mai 2003 im Fall des deutschen Unternehmers “Seeling“

In relevanten Streitfall war zu klären, ob ein Unternehmer Vorsteuerbeträge für die Herstellung von als Wohnräume genutzten Gebäudeteilen abziehen darf, wenn er in dem übrigen Gebäudeteil seine steuerpflichtigen Tätigkeiten verrichtet.2 Herr Seeling unterlag als Inhaber eines Baumpflege- und Gartenbaubetriebes der Regelbesteuerung. Im Jahr 1995 errichtete er ein Gebäude, das er insgesamt seinem Unternehmen zuordnete und seit Fertigstellung teilweise unternehmerisch, als auch teilweise für eigene Wohnzwecke nutzt. In seiner Umsatzsteuererklärung für 1995 beantragte Herr Seeling den vollen Abzug der im Zusammenhang mit der Herstellung des Gebäudes angefallenen Vorsteuer. Im Hinblick auf die private Nutzung einer Wohnung im Gebäude erklärte er steuerpflichtigen Eigenverbrauch.3 Aus § 1 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchstabe b UStG i. d. F. ging hervor, dass der Eigenverbrauch einen steuerbaren Umsatz darstellt. Demnach war Eigenverbrauch dann gegeben, wenn ein Unternehmer im Rahmen seines Unternehmens Leistungen, die keine Lieferungen sind, für Zwecke ausführt, die außerhalb des Unternehmens liegen. Zudem besagte die deutsche Rechtsauffassung, dass eine Vermietung oder Verpachtung von Grundstücken gemäß § 4 Nr. 12 Buchstabe a UStG steuerfrei ist. Führt ein Steuerpflichtiger steuerfreie Umsätze aus Vermietung oder Verpachtung aus, kann er diese Umsätze gemäß § 9 Abs. 1 UStG als steuerpflichtig behandeln, wenn die Leistung an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen ausgeführt wird. Voraussetzung für die Zulässigkeit des Verzichts auf Steuerbefreiung ist gemäß § 9 Abs. 2 UStG, dass der Leistungsempfänger das Grundstück ausschließlich für Umsätze verwendet, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen. Für den Fall, dass der Steuerpflichtige diese Option des § 9 UStG wählte, stand ihm das Recht des Vorsteuerabzugs nach § 15 Abs. 1 UStG zu. Im Fall des Verzichts auf die Optionsmöglichkeit sind diese Umsätze steuerfrei und schließen nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG den Vorsteuerabzug aus. Die fiktive Vermietung des Steuerpflichtigen Herrn Seeling an sich selbst ist der Vermietung an Dritte gleichgestellt worden und somit als umsatzsteuerfrei nach § 4 Nr. 12 Buchstabe a UStG zu behandeln gewesen. Da Herr Seeling von seinem Recht aus § 9 UStG keinen Gebrauch machte, war der Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ausgeschlossen. Somit war der Eigenverbrauch nach damaliger deutscher Rechtsprechung als steuerbar und steuerfrei zu behandeln. Dieser Rechtsauffassung folgte auch das Finanzgericht und wies die erhobene Klage des Steuerpflichtigen zurück. In der nachfolgenden Revision beim BFH erklärte Herr Seeling unter Berufung auf das Gemeinschaftsrecht, dass die Nutzung eines Teils des Gebäudes für private Zwecke steuerpflichtig und der Abzug der auf diesen Teil des Gebäudes entfallenden Vorsteuerbeträge daher nicht ausgeschlossen sei.4 Zunächst verwies der BGH auf die Rechtsprechung des EuGH im Fillibeck - Urteil vom 16. Oktober 1997. In seiner damaligen Entscheidung stellte der EuGH heraus, dass Art. 6 Abs. 2 Buchstabe a der Sechsten Richtlinie zum Ziel hat, sowohl den Steuerpflichtigen, als auch den Endverbraucher gleichgestellt zu behandeln. Demnach sei es im Sinne des Art. 6 Abs. 2 Buchstabe a der sechsten EG-Richtlinie zu vermeiden, dass eine private Nutzung von Unternehmensgegenständen der Besteuerung entzogen werde. Unter Betrachtung des Endverbrauchs ist es nach Ansicht der BGH daher unerheblich, ob eine Vermietung an Dritte oder eine Selbstnutzung vorläge. Unklar war neben der Frage, wie weit diese Gleichbehandlung reicht, vor allem inwieweit die private Nutzung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstandes wie eine Vermietung oder Verpachtung von Grundstücken im Sinne von Art. 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie angesehen werden könnte. Vor dem Hintergrund dieser gemeinschaftsrechtlich ungeklärten Fragestellungen wurde das Verfahren ausgesetzt und dem EuGH folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Darf ein Mitgliedstaat die nach Artikel 6 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie 77/388/EWG einer Dienstleistung gegen Entgelt gleichgestellte Verwendung einer Wohnung zu eigenen Wohnzwecken in einem insgesamt dem Unternehmen zugeordneten Betriebsgebäude als steuerfrei (gemäß Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Richtlinie 77/388/EWG, aber ohne Möglichkeit, auf die Steuerbefreiung zu verzichten) behandeln mit der Folge, dass der Abzug der im Zusammenhang mit der Herstellung des Gebäudes angefallenen Mehrwertsteuer als Vorsteuer insoweit gemäß Artikel 17 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie 77/388/EWG ausgeschlossen ist?

Die Antwort des EuGH auf diese Vorlagefrage rüttelte an der Rechtsauffassung der Finanzverwaltung hinsichtlich des Neutralitätsprinzips der Allphasensteuer. So entschied der EuGH, dass der Umsatz aus der privaten Nutzung den sonstigen Leistungen gemäß Art. 6 Absatz 2 der sechsten Richtlinie gleichzustellen ist. Damit handelt es sich um eine unentgeltliche Wertabgabe im Sinne des § 3 Abs. 9a UStG, welche der Besteuerung zu unterwerfen ist. Weiterhin führte er aus, dass Artikel 13 Teil B Buchstabe b der sechsten Richtlinie keinen Spielraum für die deutsche Konstruktion des Eigenverbrauchs als „Insich- Geschäft“ der Vermietung des Steuerpflichtigen an sich selbst lasse und somit weder auf Artikel 6 Absatz 2 Unterabsatz 1 Buchstabe a noch auf Artikel 13 Teil B Buchstabe b der Sechsten Richtlinie gestützt werden kann.5 Dem Versuch der deutschen Regierung die Steuerbefreiung nach Art. 13 Teil B Buchstabe b der Richtlinie im Sinne der damaligen Rechtsauffassung auszulegen, wurde damit der Riegel vorgeschoben. Somit wurde im Ergebnis dieses Urteils festgestellt, dass der Unternehmer, hier: Herr Seeling, das freie Wahrecht hat, ob er den privat genutzten Teil eines Gegenstandes dem Unternehmen zuordnet und daraus folgend gegebenenfalls die gesamte Vorsteuer zum Abzug gebracht werden kann.6 Im Gegenzug wird die private Nutzung gemäß den Art. 6 Abs. 2 Buchstabe a und Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchstabe c der Sechsten Richtlinie einer Dienstleistung gegen Entgelt gleichgestellt und der Umsatzbesteuerung unterworfen.

Bevor die Rechtsprechung eingehend betrachtet wird, soll zuerst der Hintergrund der deutschen Rechtsauffassung analysiert werden, wie er bis dahin gültig war.

3 Umsatzsteuerliche Rechtsauffassung nach nationalem Recht

Die deutsche Umsatzsteuer rührte aus dem 1916 eingeführten Gesetz über den Warenstempel her. Auf dieser Grundlage erschuf der preußische Finanzminister Popitz das Reichsumsatzsteuergesetz, das am 27. Juli 1918 in Kraft trat.7 Als Synonym für dieses bis 1967 gültige Besteuerungssystem wurde auch die Bezeichnung Allphasen-Brutto- Umsatzsteuer verwendet. Der bedeutendste Einschnitt in die Geschichte der Umsatzsteuer war die Einführung der „Achillesferse“8 unseres heutigen Mehrwertsteuersystems, dem Vorsteuerabzug. Im Umsatzsteuergesetz vom 29. Mai 1967 wurde zum 01. Januar 1968 die Allphasen-Netto-Umsatzsteuer mit Vorsteuerabzug eingeführt.9 Dieses System findet bis heute Anwendung und gewährleistet, dass auf jeder Wertschöpfungsstufe nur der Netto- Umsatz besteuert wird. Somit wird sichergestellt, dass nur der jeweils geschaffene Mehrwert bzw. die Wertschöpfung der Besteuerung unterworfen wird. Aus jener Überlegung heraus entwickelte sich ein weiteres Synonym für die Begrifflichkeit der Umsatzsteuer: Die Mehrwertsteuer.

In der Betrachtung des heutigen Steueraufkommens ist die Umsatzsteuer mit 31 Prozent eine der größten Einnahmenquellen des Bundes und der Länder und betrug im Jahr 2002 rund 138 Mrd. EUR.

3.1 Klassifizierung der Umsätze vor der Seeling - Rechtsprechung

Welche Umsätze der Besteuerung zu unterwerfen sind, ist im Umsatzsteuerrecht explizit geregelt. Sämtliche Umsätze, welche keiner Regelung im Umsatzsteuergesetz entsprechen sind nicht steuerbar und folglich auch nicht steuerpflichtig.

3.1.1 Steuerbare Umsätze - steuerpflichtig oder steuerfrei

Alle wirtschaftlichen Vorgänge, die im Umsatzsteuerrecht Berücksichtigung finden, werden als steuerbare Umsätze bezeichnet. Darunter fielen unter anderen die entgeltliche Lieferung und die entgeltliche sonstige Leistung im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG und der steuerbare Eigenverbrauch im Sinne von § 1 Abs. 1 Nr. 2 UStG der Fassung im Streitjahr. Das Umsatzsteuergesetz kennt gemäß § 1 UStG weitere steuerbare Umsätze, wie zum Beispiel die Einfuhr aus dem so genannten Drittland nach § 1 Abs. 1 Nr. 4 UStG und den innergemeinschaftlichen Erwerb im Inland gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 5 UStG. Es sei an dieser Stelle erwähnt, dass grenzüberschreitende Umsatzbesteuerung mangels Relevanz im zu Grunde liegenden Fall nicht weiter betrachtet wird. Das Umsatzsteuergesetz kennt neben der Unterscheidung ob steuerbar oder nicht steuerbar noch eine weitere bedeutende Differenzierung. Demnach wird zwischen steuerfreien und steuerpflichtigen Umsätzen und den damit einhergehenden Vorsteuerabzugsregelungen unterschieden. Sämtliche Umsätze, welche ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt sind steuerbar und steuerpflichtig, wenn sie keiner Steuerbefreiungsvorschrift zugeordnet werden können. Diese Umsätze berechtigen gemäß § 15 Abs. 1 UStG zum vollen Vorsteuerabzug auf alle Lieferungen und sonstigen Leistungen, die im Zusammenhang mit der Erbringung der steuerpflichtigen Umsätze stehen. Wie bereits zuvor erwähnt, basiert das System der Allphasen-Netto-Umsatzsteuer auf dem Neutralitätsprinzip, wonach es grundsätzlich nur dem Unternehmer gestattet sein soll Vorsteuerbeträge geltend zu machen, der steuerpflichtige Umsätze erbringt. Für steuerfreie Umsätze gilt somit prinzipiell die Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG, welche den Vorsteuerabzug ausschließt. Einzig in den Fällen der § 4 Nr. 1 bis 7, § 25 Abs. 2 und § 26 Abs. 5 hat der Gesetzgeber Ausnahmeregelungen getroffen, die den Ausschluss vom Vorsteuerabzug nicht eintreten lassen.

3.1.2 Tatbestand der Vermietung und Verpachtung von Grundstücken und Gebäuden

Der Tatbestand der Vermietung und Verpachtung, welcher den Vorsteuerabzug grundsätzlich ausschließt, findet seine schuldrechtliche Verankerung in den §§ 535 ff. des BGB. Im Ertragssteuerrecht sind die Einkünfte aus der Vermietung und Verpachtung im § 21 EStG geregelt. Die umsatzsteuerrechtlichen Vorschriften definieren die Vermietung und Verpachtung als eine sonstige Leistung nach § 3 Abs. 9 UStG, wonach sonstige Leistungen, Leistungen sind, die keine Lieferung darstellen. Während das BGB den Begriff der Vermietung relativ eng fasst und von Mieter, Vermieter, Mietvertrag, Gebrauchsüberlassung über eine bestimmte Dauer und zu einem bestimmten Mietzins ausgeht, sieht das Umsatzsteuerrecht diesen Begriff eher weitläufig. Im Sinne des § 3 Abs. 9 i. V. m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 i. V. m. § 4 Nr. 12 Buchstabe a UStG ist die Vermietung und Verpachtung ein steuerbarer, steuerfreier Umsatz, der zu den Umsätzen ohne Vorsteuerabzug gehört. Somit muss der Vermieter seine Umsätze nicht versteuern, kommt dadurch aber auch nicht in den Genuss des Vorsteuerabzugs. Für die „echte" Vermietung, in welcher der Vermieter und der Mieter unterschiedliche Personen darstellen und der Mieter ein Unternehmer ist, welcher den Mietgegenstand ausschließlich für Umsätze verwendet, die den Vorsteuerabzug nicht ausschließen, kann der Vermieter nach § 9 Abs. 1 UStG auf die Steuerbefreiung verzichten. Dies bewirkt eine Umqualifizierung von steuerfreien in steuerpflichtige Vermietungsumsätze. Als Folge erwirbt der Steuerpflichtige äquivalent das Recht auf Vorsteuerabzug hinsichtlich aller Leistungen, die mit den entsprechenden Umsätzen aus Vermietung und Verpachtung im Zusammenhang stehen. Wird in diesem Abschnitt von "echter" Vermietung gesprochen, liegt das in erster Linie daran, dass die „unechte“ Vermietung der Erläuterung bedarf. Denn eben diese „unechte“ Vermietung war sowohl im Streitjahr, als auch die Jahre davor eine Säule der deutschen Rechtsauffassung hinsichtlich der Eigenverbrauchsregelung. Dabei sind die Worte „echt“ und „unecht“ weniger durch die Literatur geprägt, als vielmehr eine rethorische Hilfe, um die Betrachtung dieses Tatbestandes zu schärfen. Als „unechte“ Vermietung wird jenes Konstrukt bezeichnet, welches sich im Streitjahr hinter der steuerfreien Eigenverbrauchsregelung verbarg. Auch nach der damaligen Rechtsprechung konnte ein Gebäude bzw. Grundstück voll dem Unternehmen zugeordnet werden und ein Teil wiederum für private Wohnzwecke genutzt werden. Die Bedeutung dieser Zuordnung war unbeachtlich, da die Verwendung eines dem Unternehmen zugeordneten Gegenstandes für unternehmensfremde Zwecke bis 30. März 1999 nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchstabe a UStG und später gemäß § 3 Abs. 9a Satz 1 Nr. 1 UStG als steuerfrei angesehen wurde. In dem Moment, in dem die entgeltliche Überlassung an einen Dritten eine Grundstücksvermietung im Sinne des § 4 Nr. 12 Buchstabe a UStG ergeben hätte, wurden die daraus resultierenden Folgen auch für die eigene Nutzung des Grundstückteils durch den Unternehmer angenommen.10 Somit waren sowohl Mieter, als auch Vermieter in einer Person vereint und die „unechte“ Vermietung begründet. Der in diesem Fall vorliegende Eigenverbrauch war also nur steuerfrei, weil die Finanzverwaltung eine fiktive Vermietung des Steuerpflichtigen an sich selbst unterstellte, das Konstrukt der so genannten „InSich- Vermietung“. Im Gegensatz zur „echten“ Vermietung konnte dieser fiktive Vermieter natürlich nicht vom Optionsrecht nach § 9 Abs. 1 UStG Gebrauch machen, da diese Vorschrift einen Umsatz an einen anderen Unternehmer für dessen Unternehmen voraussetzte. Somit war die private Nutzung eines dem Unternehmen zugeordneten Gebäudeteils ein steuerfreier, nicht optionsfähiger Umsatz, der den Vorsteuerabzug nach § 15 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 UStG ausschloss. Nicht zuletzt war die Zulassung der Vereinigung von Mieter und Vermieter in einer Person ein Beweis für die Weitläufigkeit mit der das Umsatzsteuerrecht den Begriff der Vermietung definierte. Bestätigung fand die damalige Rechtsprechung in einer Vielzahl von BFH-Urteilen (vgl. BFH v. 16.10.1980, V R 51/76, BFHE 132,119, BStBl II 1981, 228; BFH v. 18.12.1986, V R 176/75, BFHE 149, 78, BStBl 1987, 350).

3.2 Betriebswirtschaftliche Auswirkungen der Zuordnung von Gebäuden zum Betriebsvermögen

Eine der Säulen sowohl des Seeling-Urteils, als auch der Eigenverbrauchsregelung - wie sie im Streitjahr gehandhabt wurde - war die Zuordnung des Gebäudes bzw. Gegenstandes zum Unternehmen. Die aktuelle Rechtsprechung, welcher der EuGH, wenn auch nur befristet11, die Zustimmung erteilt hat, setzt mit § 15 Abs. 1 Satz 2 UStG eine 10-prozentige Mindestgrenze hinsichtlich der unternehmerischen Nutzung des gemischt genutzten Gegenstandes voraus. Wird der Gegenstand nicht zu mindestens 10 Prozent unternehmerisch genutzt, kann nicht von umsatzsteuerlichen Unternehmensvermögen ausgegangen werden. In diesem Abschnitt wird kurz auf einige betriebswirtschaftliche Auswirkungen eingegangen, die eine Zuordnung zum Unternehmen durchaus mit sich bringen kann. Am Beispiel eines selbsterstellten bzw. angeschafften Gebäude soll verdeutlicht werden, dass das Ziel, das Gebäude möglichst immer dem Unternehmen zuzuordnen durchaus auch Nachteile mit sich bringen kann.

Als Grundlage der Betrachtung dient ein bilanzierender Unternehmer, wie Herr Seeling, der einen Baumpflege- und Gartenbaubetrieb betreibt. Grundsätzliche Auswirkungen zeigen sich sowohl im Anlagevermögen als auch je nach Finanzierungsart möglicherweise in den Fremdkapitalpositionen. Die Bilanzanalyse ist in erster Linie ein Instrument für Gläubiger und potenzielle Kapitalgeber die wirtschaftliche Situation des Unternehmens abzuschätzen. Es ist sicher schwierig verallgemeinerungsfähige Aussagen zu treffen, ob Kapitalgeber, - beispielsweise Kreditinstitute oder Beteiligungsgesellschaften, - eine hohe Anlagenintensität eher positiv oder negativ bewerten würden. Allerdings gibt es dazu grobe, branchenspezifische Orientierungsvorschläge bezüglich der Beurteilung. So spricht es eher für betriebswirtschaftlich nachteilige Entscheidungen, wenn ein Handelsgewerbe einen hohen Anlagevermögensanteil am Gesamtvermögen hat. Handelsgewerbe, wie zum Beispiel der Baumpflege- und Gartenbaubetrieb von Herrn Seeling sind weniger auf langfristig zu bindendes Vermögen angewiesen, als beispielsweise Produktionsbetriebe, deren Produktionsanlagen eine notwendige Grundlage für die Leistungserbringung darstellen. Der Grund für diese Einschätzung liegt auf der Hand: Ein Unternehmen, wie das von Herrn Seeling ist auf die eigene Flexibilität angewiesen und darauf, das vorhandene Vermögen so kurzfristig als möglich zu binden. Im Gegensatz dazu wird in Produktionsbetrieben der Produktionsprozess langfristig auf eine Produktlinie festlegt und ist auf das Vermögen angewiesen, welches dem Unternehmen nicht nur kurzfristig sondern vor allem langfristig einen positiv zu bewertenden return on investment ermöglichen soll. Im Fall von Herrn Seeling müsste sehr genau abgeschätzt werden, ob aus der Zuordnung des Gebäudes zum Unternehmen nachteilige betriebswirtschaftliche Folgen entstehen können, die den Liquiditätsvorteil in Form des Vorsteuerabzugs überschatten. Eine weitere bedeutende Kennzahl, welche ein externer Dritter bei der Beurteilung eines Unternehmens heranzieht, ist die Umsatzrentabilität. Wie viel Gewinn pro Euro Umsatz erreicht wird, hängt von einer Größe ab, die zwar nicht liquiditätswirksam ist, allerdings entscheidende Aussagen beispielsweise zum Abnutzungsgrad des Anlagevermögens treffen kann. Die Abschreibung wird durch jedes angeschaffte oder hergestellte Investitionsgut beeinflusst und senkt die eigene Umsatzrendite des Unternehmens. Somit ist auch auf diese Position aufmerksam zu achten, bevor die Entscheidung einer Zuordnung zum Unternehmen gefällt wird. Nicht zuletzt kann eine übereilte Entscheidung, welche einen eventuellen Liquiditätsvorteil mittels der Vorsteuererstattung sichern soll, das Engagement eines Kapitalgebers verhindern, welches dem Unternehmen eventuell noch bessere liquide Voraussetzung hätte schaffen können.

3.3 Umsatzsteuerliche Auswirkungen der privaten Verwendung von Gebäuden im Betriebsvermögen

In unserem Fall entschied sich Herr Seeling in der Umsatzsteuererklärung für das Jahr 1995 das selbsterstellte Gebäude dem Unternehmen zuzuordnen. Das Gebäude wurde von Ihm teilweise unternehmerisch und teilweise privat genutzt. Bis dahin ließ die Finanzverwaltung keinen Zweifel an der Handhabung eines solchen Falles.

3.3.1 Eigenverbrauchsregelung

Für den Fall, dass ein Unternehmer sowohl Gegenstände aus seinem Unternehmen für Zwecke entnahm, die außerhalb seines Unternehmens lagen, als auch sonstige Leistungen gemäß § 3 Abs. 9 UStG i. d. F. von 1995 im Rahmen seines Unternehmens ausführte, für Zwecke, die außerhalb seines Unternehmens lagen, so sprach der Gesetzgeber damals vom steuerbaren Eigenverbrauch im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 Satz 2 Buchstabe a und b UStG. Der Zweck, welcher mit der Eigenverbrauchsregelung verfolgt wurde, war eindeutig.

[...]


1 Lange, Dr. H.-F: „Das Recht auf …“, S. 1773

2 Birkenfeld, W. „Vorsteuerabzug als „Eigenheimzulage“…“, S. 6125

3 EuGH-Urteil vom 08. Mai 2003, Rn. 15 und 16

4 EuGH-Urteil vom 08. Mai 2003, Rn.19

5 EuGH-Urteil vom 08. Mai 2003, Rn. 35

6 EuGH-Urteil vom 08. Mai 2003, Rn. 39

7 Borhnhofen, M.: „Steuerlehre 1 …2004“

8 Dziadkowski, Prof. D.: „EuGH billigt…“, S. 339

9 Borhnhofen, M.: „Steuerlehre 1 …2004“

10 Birkenfeld, Dr. W.: „EuGH billigt…“, Seite 6125

11 Grögler, Prof. Dr. H.: „Teilnahme am Vorsteuer-Modell …“, Seite 1653

Ende der Leseprobe aus 35 Seiten

Details

Titel
Vorsteuerabzug für nicht unternehmerisch genutzte Gebäudeteile - Auswirkungen des EuGH - Urteils vom 08. Mai 2003
Hochschule
Technische Universität Bergakademie Freiberg
Veranstaltung
Betriebliche Steuern
Note
~ 2,0
Autor
Jahr
2005
Seiten
35
Katalognummer
V44851
ISBN (eBook)
9783638423687
ISBN (Buch)
9783638657716
Dateigröße
739 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Vorsteuerabzug, Gebäudeteile, Auswirkungen, EuGH, Urteils, Betriebliche, Steuern
Arbeit zitieren
Sascha Habel (Autor:in), 2005, Vorsteuerabzug für nicht unternehmerisch genutzte Gebäudeteile - Auswirkungen des EuGH - Urteils vom 08. Mai 2003, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/44851

Kommentare

  • Sascha Habel am 3.11.2005

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