Diese Arbeit beschäftigt sich mit kindlichem Leseverhalten. Es werden kurze Bemerkungen zur historischen Betrachtung dieses Themas gemacht und behandelt wie Kinder Texte rezipieren und in welcher Weise sich das von jugendlicher oder erwachsener Rezeption unterscheidet.
Außerdem wird das viel diskutierte Konkurrenzverhältnis zwischen Fernsehen und Buch angesprochen. In diesem Zusammenhang steht die Kernaussage, dass die Erlangung der Kulturtechnik Lesen für den Umgang mit dem Medium Fernsehen wichtiger ist als es den Anschein haben mag.
Im abschließenden Kapitel der Arbeit wird über die Breitenwirkung der Harry-Potter-Serie (Band I – V) gesprochen, die für das Medium Buch eher ungewöhnlich ist.
Inhalt
1. Kinder als Leser
1.1. Besonderheiten der Kinder – und Jugendliteratur
1.2. Kinder als Leser
2. Medien in der Kinder- und Jugendliteratur
2.1. Medien: Eine Definition
2.2. Lesen und Fernsehen in Konkurrenz zueinander
2.3. Medienästhetik in der Kinder – und Jugendliteratur anhand einiger Beispiele
a) Buch und Bibliothek
b) andere Medien
3. Harry Potter
3.1. Das Phänomen
a) Marketing und Merchandising
b) Breitenwirkung
3.2. Fans
4. Literaturverzeichnis
4.1. Primärliteratur
4.2. Sekundärliteratur
4.3. Homepages
1. Kinder als Leser
1.1. Besonderheiten der Kinder – und Jugendliteratur
„Die intentionale Kinder – und Jugendkultur war seit ihren Anfängen für pädagogische Zwecke funktionalisiert. Das erzieherische Anliegen war wichtig, nicht künstlerische Qualität oder Unterhaltsamkeit.“[1] Allerdings hat sich in Bezug auf diese Funktion der Kinder – und Jugendliteratur seit ihren Anfängen Ende des 18. Jahrhunderts einiges verändert. Sie ist zwar immer noch aktuell, wird aber in die meisten Werke im Sinne einer Nebenabsicht integriert.
Außerdem zeichnet sich Kinder- und Jugendliteratur durch ihre „[…] Einstiegsfunktion aus. Also dadurch, dass sie gestaffelte Schwierigkeitsstufen hin zu komplexeren und abstrakteren textuellen Mustern sukzessive zur Verfügung stellt.“[2]
Jugendliteratur hat häufig bereits die Komplexität von Erwachsenenliteratur. Und im Falle von Kinderliteratur sollte Einfachheit (in Stil und Handlungssträngen) nicht mit Simplizität verwechselt werden. Denn Kinderliteratur ist oft auf mehreren Ebenen rezipierbar, wofür das Bilderbuch „Aufstand der Tiere“ von Jörg Müller und Jörg Steiner ein gutes Beispiel abgibt: Viele Kleinigkeiten würden einem kindlichen Leser entgehen.
Ein anderes Wesensmerkmal der Kinder – und Jugendliteratur sollte ebenfalls erwähnt werden: Es handelt sich durchwegs um Werke, die der Zielgruppe zugeschrieben werden.[3] Instanzen, die eine solche Zuschreibung vornehmen, wären AutorInnen, KritikerInnen und Verlage. Folglich wurde nicht jedes Werk der Kinder– und Jugendliteratur als ein solches geschrieben.
Außerdem sollte in diesem Zusammenhang erwähnt werden, dass sich solche Zuschreibungen je nach gesellschaftlichen Werten und historischen Bedingungen verändern.
Was die Psychologen und Erziehungsorgane zu einem jeweiligen Zeitpunkt der Geschichte als adäquaten Lesestoff für Kinder und Jugendliche sehen, muss sich nicht zwangsläufig mit dem decken, was diese tatsächlich bzw. tatsächlich bevorzugt lesen oder gelesen haben.
Die Leseerfahrungen jeder Generation prägen, was sie der nachfolgenden an Lesestoff nahe legt. Unter anderem dieser Faktor spielt eine große Rolle bei der Herausbildung von Klassikern.
Einer unter wenigen Gradmessern für die zeitgenössischen Unterschiede zwischen dem, was Kinder lesen wollen, und dem, was Erwachsene ihnen ans Herz legen, sind Kinderliteraturpreise, die von Kindern vergeben werden. Im britischen Raum bietet sich das Beispiel des „Children’s Book Award“ an. Zahlreiche solche wurden z.B. Roald Dahl verliehen, bevor die Literaturkritik auf ihn aufmerksam wurde.[4]
Wenn von Kinderliteratur die Rede ist, sollte immer mitbedacht werden, dass „Kinder“ keine homogene Zielgruppe sind: Sie unterscheiden sich - wie Erwachsene – in Hinblick auf Alter, Geschlecht, Kulturkreiszugehörigkeit und Interessen.[5] Dennoch ist diese Zielgruppe leichter „unter einen Hut zu bringen“ als Erwachsenenliteratur, denn Kinder haben gemeinsam, dass sie am Anfang ihrer psychischen und physischen Entwicklung stehen und mit der Kultur- technik Lesen erst vertraut werden müssen.
Deshalb: „Children’s literature will often have less complexity of plot, less profundity of psychological analysis, and more simple pleasures and pains than are found in adult writing; […] yet in its creation of new worlds, its explorations of alien points of view, its subtle investigation of language and metaphysics, and its continual spiritual penetration, it gives us a creative country as ‘mature’ as adult’s.”[6]
In der akademischen Welt kämpft die Kinder- und Jugendliteratur nach wie vor – besonders in Österreich – um einen gesicherten Platz. Gut sichtbar ist das etwa an der Universität Wien, wo heuer seit den 1980er Jahren zum ersten Mal wieder eine Vorlesung zu diesem Thema gehalten wird.
Dazu möchte ich am Ende dieses Abschnitts Hans-Heino Ewers, einen der führenden Literaturwissenschaftler auf dem Gebiet der Kinder- und Jugendliteratur, zitieren:
„Titel, die weitgehend den für die jeweilige ‚Hochliteratur’ maßgeblichen poetischen bzw. literarischen Gesetzmäßigkeiten verpflichtet sind, sind prädestiniert, einen lebenden Beweis dafür abzugeben, dass es sich bei Kinder- und Jugendliteratur nicht um eine triviale oder bloß didaktische, sondern um vollwertige Ausprägung von Literatur handelt […]“[7]
1.2. Kinder als Leser
In der vorliegenden Arbeit muss auf einen Abriss der historischen Entwicklung kindlichen Lesens aus Platzgründen verzichtet werden. Allerdings halte ich es trotzdem für zweckmäßig einige kurze Bemerkungen zu machen:
Gegen Ende des 18. Jahrhunderts begann die Kinder- und Jugendliteratur sich als gesonderter Bereich innerhalb der Gesamtliteratur zu formieren.[8] Eine Konstante quer durch die Geschichte ist, dass „[…]die Familie – als eine Institution, die sich selbst historisch verändert – eine prominente Rolle spiel[t].“[9]
Ob Vater oder Mutter als Vermittler des „Verhaltens“ Lesen angesehen wurden, hat sich im Laufe der Zeit verändert. Von Illustrationen lässt sich zum Beispiel ablesen, dass im 19. Jahrhundert dieser Vorgang vom Vater zur Mutter verschoben wurde:[10] Die Vorlesesituation des autoritativen Vorlesens im bürgerlichen Haushalt wurde vom kommunikativen Vorlesen (etwa Reihum-Lesen oder Rollenspiele) abgelöst.[11]
Eine wesentliche Veränderung für das Leseverhaltens von Kindern wie Erwachsenen stellt die Einführung der Schulpflicht dar. Für Kinder ergab sich mit ihr die zuvor nicht da gewesene Unterscheidung von Freizeitlektüre und Schullektüre - im Sinn von Lektüre, die rein dem Wissenszuwachs gewidmet war.[12]
Psychologische Merkmale des Lesens, die vom historischen Umfeld relativ unabhängig sind wären zum Beispiel die folgenden beiden:
Erstens: „Der angenehme emotionale Zustand der Lektüre bleibt in der Erinnerung haften, nicht der Textinhalt, der in dieser affektivem Funktion verdampft. Kinder werden vor allem solche Gefühlsleser.“[13]
Und zweitens:„[…]Leseerfahrungen sind nicht von anderen Erfahrungen qualitativ isolierbar. Lesen ist qualitativ selbst eine Art und Weise des Daseins, in der sämtliche denkbaren Erfahrungen gemacht werden können[…]“[14] Umso wichtiger ist es, zu lernen den Unterschied zwischen Wirklichkeit und fiktionaler Wirklichkeit erkennen zu können.
Interessant ist folgende Bemerkung von Cornelia Rosebrock:
„Der einsame, nur aus sich heraus motivierte mit seinen Erfahrungen bei sich bleibende ‚Bücherwurm’ war vielleicht schon immer ein Zerrbild des Lesers[…]“[15] Im Gegenteil: Leser möchten über ihre Erfahrungen sprechen. Das gilt nicht nur für Kinder und Jugendliche, sondern auch für Erwachsene. Wäre der Wunsch nach Darüber-Reden nicht vorhanden, gäbe es wohl kaum so etwas wie Autorenlesungen, Buchvorstellungen oder öffentliche Diskussionen, etwa auf Buchmessen.[16] Aber besonders bei Kindern ist es wichtig ihnen beim Verarbeiten ihrer Leseerfahrungen zu helfen, damit sie sie erfolgreich in ihren Erfahrungs- bzw. Wissensschatz integrieren können.
Beachtenswert ist ferner, dass die Kulturtechnik Lesen eine „[…]Schlüsselkompetenz für die Orientierung in der Medienlandschaft und den mündigen Umgang mit einzelnen Medien […][ist]. Diese Bewertung wäre auf mehreren Ebenen durchaus sinnvoll begründbar[…]“.[17] So fördert Lesen auf kognitiver Ebene das Rekapitulieren, Erweitern und neu Verknüpfen von Wissen. Auf emotionaler Ebene werden beim Lesen Gefühle produziert, zueinander in Beziehung gesetzt und in den eigenen Schatz integriert. Und auf sozialer Ebene wird die Fähigkeit unterstützt sich in andere hineinversetzen zu können. Im Hinblick auf die mediale Ebene ist Lesen hilfreich, weil hier die Distanz von Wirklichkeit und Fiktion zunehmend erlernt wird – eine Fähigkeit, die beim Umgang vor allem mit dem Fernsehen wichtig ist.[18]
Lesen als eine KulturTECHNIK ist mit einem komplizierten Lernprozess verbunden. Zusätzlich erschwerend wirkt sich folgendes aus: Bei einem Volksschulkind liegt ein „[…] Missverhältnis zwischen den technischen Lesefertigkeiten und der schon vergleichsweise hoch entwickelten literarischen Verstehensfähigkeit […]“[19] vor. Ist diese erste Krise überwunden, etabliert sich meist eine „relativ stabile kindliche Lesefreude“[20]. Und „wenn der Wunsch, Geschichten selber lesen zu können, der Fähigkeit vorauseilt, treten keine Motivationsprobleme auf […]“[21].Ein weiterer positiv wirkender Faktor ist, dass Kinder ihre erworbene Lesefähigkeit als Schritt in die Unabhängigkeit des Erwachsenseins.[22]
Aber „[d]ie Fähigkeit beim Lesen Lust zu empfinden, stellt sich nicht naturwüchsig ein, sie muss im sozialen Kontext erlernt und eingeübt werden.“[23] Allerdings räumt Werner Graf ein, dass „es nicht (ganz) ausgeschlossen [ist], später noch zum Leser zu werden.“[24]
Etwas, das im Zusammenhang mit Lesen allgemein oft ins Gespräch gebracht wird ist die Flucht-Funktion. Hierzu sagt Werner Graf Folgendes: „Das lesende Auswandern in eine andere Welt wird oft als Flucht kritisiert[.][…] Solche Bewertungen verkennen jedoch wesentliche Bedeutungsschichten dieser kindlichen Lektüre, die im Selbstverständnis der Leser oft als intensives Bei-sich-Sein verstanden wird. […] Leser fliehen ihr Ich, tun dies aber auf der Suche nach sich selbst oder nach einem Selbst, das sie sein könnten oder wollten.“[25]
Eine andere Bemerkung desselben Autors lässt darauf hoffen, dass wer einmal zum Leser geworden ist, dieses Verhalten sein Leben lang beibehält:
„Lesende Phantasiebefriedigung löst die psychische Spannung nie endgültig auf – weswegen Leser immer weiterlesen wollen.“[26]
Das gilt grundsätzlich für Leser aller Altersstufen.
Ich schließe an dieser Stelle einige kurze Bemerkungen zum jugendlichen Leseverhalten an:
Auf die erste Lesekrise in der Kindheit folgt in der Pubertät die nächste: Nämlich durch die schulischen Auflagen: „Das ‚private’ Lesen ist dabei häufig sozusagen triebnah und offen wunschgeleitet […]“[27] und der schulische Kanon widerspricht den Erwartungen, die Jugendliche an ihre bevorzugte Lektüre stellen.
Um den Leser bei der Stange zu Halten wird eine „sekundäre literarische Initiation“[28] notwendig: Diese erfolgt im Idealfall durch den Freundeskreis (analog zur primären literarischen Initiation durch die Familie).[29]
Es wird häufig zu Trivialliteratur gegriffen, da zwar die Themen andere sind, aber „der Komplexitätsgrad der Sprach- und Erzählform den der Kinder- und Jugendlektüre nicht wesentlich übersteigt. Diese Lesehaltung kann auch vom Erwachsenen beibehalten werden […]“[30]
[...]
[1] Horst Heidtmann: Kinder-und Jugendliteratur im Medienverbund. Veränderungen von Lesekultur, Lesesozialisation und Leseverhalten in der Mediengesellschaft. – In: Karin Richter und Sabine Riemann [Hrsg.]: Kinder - Literatur - "neue" Medien. - Baltmannsweiler: Schneider 2000. S. 23.
[2] Cornelia Rosebrock: Literarische Sozialisation im Medienzeitalter. – In: Cornelia Rosebrock [Hrsg.]: Lesen im Medienzeitalter. - Weinheim [u.a.]: Juventa 1995. S. 22.
[3] Angelika Mühlbauer: Generic hybridity in the Harry Potter novels. - Wien, Univ., Dipl.-Arb. 2004. S 65.
[4] Julia Eccleshare: A guide to the Harry Potter novels . - London [u.a.]: Continuum 2002. S. 11ff, S. 33f.
[5] Angelika Mühlbauer: Generic hybridity in the Harry Potter novels. S. 66.
[6] Manlove zitiert nach Angelika Mühlbauer: Generic hybridity in the Harry Potter novels. S. 66.
[7] Hans-Heino Ewers: Die universitäre Perspektive auf die Kinder- und Jugendliteratur im Wandel. – In: Karin Richter und Sabine Riemann [Hrsg.]: Kinder - Literatur - "neue" Medien. - Baltmannsweiler: Schneider 2000. S. 78.
[8] Christa Berg[Hrsg.]: Kinderwelten. - Frankfurt: Suhrkamp 1991. S. 275.
[9] Christa Berg: Kinderwelten. S. 274.
[10] Christa Berg: Kinderwelten. S. 279.
[11] Christa Berg: Kinderwelten. S. 280.
[12] Hans-Heino Ewers: Die universitäre Perspektive auf die Kinder- und Jugendliteratur im Wandel. S. 178.
[13] Cornelia Rosebrock: Literarische Sozialisation im Medienzeitalter.S. 107.
[14] Cornelia Rosebrock: Literarische Sozialisation im Medienzeitalter. S. 15.
[15] Cornelia Rosebrock: Literarische Sozialisation im Medienzeitalter. S. 21.
[16] Cornelia Rosebrock: Literarische Sozialisation im Medienzeitalter. S. 21.
[17] Cornelia Rosebrock: Literarische Sozialisation im Medienzeitalter. S. 10.
[18] Cornelia Rosebrock: Literarische Sozialisation im Medienzeitalter. S. 10f.
[19] Cornelia Rosebrock: Literarische Sozialisation im Medienzeitalter. S. 24.
[20] Cornelia Rosebrock: Literarische Sozialisation im Medienzeitalter. S. 24.
[21] Werner Graf: Fiktionales Lesen und Lebensgeschichte. Lektürebiographien der Fernsehgeneration. – In:
Cornelia Rosebrock [Hrsg.]: Lesen im Medienzeitalter. - Weinheim [u.a.]: Juventa 1995. S. 102.
[22] Werner Graf: Fiktionales Lesen und Lebensgeschichte. S. 102.
[23] Werner Graf: Fiktionales Lesen und Lebensgeschichte. S. 106.
[24] Werner Graf: Fiktionales Lesen und Lebensgeschichte. S.106.
[25] Werner Graf: Fiktionales Lesen und Lebensgeschichte. S.110.
[26] Werner Graf: Fiktionales Lesen und Lebensgeschichte. S. 122.
[27] Cornelia Rosebrock: Literarische Sozialisation im Medienzeitalter. S. 25.
[28] Werner Graf: Fiktionales Lesen und Lebensgeschichte. S. 115.
[29] Werner Graf: Fiktionales Lesen und Lebensgeschichte. S. 116.
[30] Werner Graf: Fiktionales Lesen und Lebensgeschichte. S. 117.
-
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen. -
Laden Sie Ihre eigenen Arbeiten hoch! Geld verdienen und iPhone X gewinnen.