Wohlfahrtsstaat und Armut


Hausarbeit, 2018

14 Seiten, Note: 1,0

Anonym


Leseprobe


Inhalt

1. Einleitung

2. Armutsdefinition und Messmethoden
2.1. Beeinflussung von Vor-/Nachsteurlicher-Armut
2.2. Mittlere/Lange Frist im Gegensatz zur kurzen Frist
2.3. Mögliche Endogenität vorsteuerlicher Armut und die Rolle der Effizienz, sowie Struktur der Ausgaben

3.Fazit

4.Literaturverzeichnis

1. Einleitung

Armut ist und bleibt ein zeitlos relevantes Thema, eventuell gewinnt es momentan sogar an Salienz. Denn infolge des demographischen Wandels, ebenso wie nach den Ereignissen der Finanzkrise 2008, rückt Armut und das, was der Wohlfahrtsstaat gegen sie tut, oder auch nicht tut, wieder vermehrt in die öffentliche Debatte. Um jedoch mögliche Auswirkungen von diskutierten Kürzungen oder Umstrukturierungen bestimmter Wohlfahrtsprogramme auf den Anteil der armen Bevölkerung zu verstehen, soll im folgenden Text zunächst gezeigt werden, ob der Wohlfahrtsstaat überhaupt eine armutsreduzierende Wirkung besitzt. Außerdem soll dargestellt werden, wie es überhaupt zu dem Anteil der armen Bevölkerung eines Landes kommt, denn ohne ein solches Wissen lassen sich die aktuell diskutierten Veränderungen nicht verstehen und bewerten. Zu beidem bietet die wissenschaftliche Literatur eine Vielzahl an Wissen an, dementsprechend kann der folgende Text lediglich einige wenige Punkte in Betracht ziehen und stellt keineswegs einen allumfassenden Überblick dar. Dennoch weist er einige wesentliche Punkte auf, bei denen es sich nicht nur um rein theoretische Hypothesen handelt, sondern um die Ergebnisse aus international empirisch vergleichenden Studien.

2. Armutsdefinition und Messmethoden

Zunächst einmal ist klarzustellen, dass es sich im folgenden um monetäre Armut handelt und genauer um relative monetäre Armut. Monetäre Armut meint Einkommensarmut, diese wird zumeist zu zwei verschiedenen Zeitpunkten gemessen, einmal als Markteinkommen und einmal als Nettoeinkommen.

Beim Markteinkommen später auch pre-tax genannt „(…) handelt es sich um das Einkommen einer Person oder eines Haushalts, das erzielt würde, wenn es keinerlei staatliche Eingriffe in die Einkommensverteilung gäbe, also weder Steuern und Abgaben noch Geld oder Sachleistungen.“ (Ullrich, 2005: 167). Als Einkommen zählen Löhne und Gehälter aber auch Gewinne aus Vermögen wie zum Beispiel Miete oder Dividenden aus Aktien. Ebenso würden private oder betriebliche Renten zum Markteinkommen und nicht zum Nettoeinkommen gezählt werden (Wang et al., 2012: 36). Hier ist anzumerken, dass das Markteinkommen demnach ein fiktives Einkommen ist, welches, wenn es das einzige bezogene Einkommen wäre, weil es den Staat nicht gäbe, vermutlich zu einem anderen Verhalten aufgrund unterschiedlicher Anreizstrukturen vieler Menschen führen würde (Bruce Headey et al., 1996: 339).

Das Nettoeinkommen für eine Person oder einen Haushalt setzt sich aus dem Markteinkommen + soziale Transfers – Steuern und Beiträge zusammen. Um diese beiden Messgrößen innerhalb der Bevölkerung und zwischen Bevölkerungen verschiedener Länder vergleichen zu können, wird das Einkommen zumeist als Haushaltsäquivalenzeinkommen angegeben, welches für die Anzahl und zum Teil auch für das Alter der Bewohner eines Haushaltes korrigiert und somit vergleichbar gemacht wird. Denn ansonsten käme es zu Skaleneffekten (‚economies of scale‘), welche den Größenvorteil von Mehrpersonenhaushalten, wie zum Beispiel die gemeinsame Nutzung von Haushaltsgeräten außer Acht lassen würde. Zur Berechnung des Haushaltsäquivalenzeinkommens gibt es mehrere Methoden. Die der OECD weist jedem Haushaltsmitglied einen Gewichtungsfaktor zu, durch welchen dann das gesamte summierte Einkommen aller Haushaltmitglieder geteilt wird. So erhält die erste erwachsene Person den Faktor 1 und jeder weitere Erwachsene 0.7, Kinder werden mit 0.5 gewichtet. Es gibt jedoch auch andere Möglichkeiten der Berechnung, wie zum Beispiel „urch Division der Haushaltseinkommen durch die Quadratwurzel der Anzahl der Haushaltsmitglieder“ (Birkel, 2006: 177), welche aufgrund ihrer relativ häufigen Verwendung die Vergleichbarkeit erhöht (Bruce Headey et al., 1996: 338).Damit ist die Anzahl möglicher Berechnungen jedoch nicht erschöpft, und mit jeder weiteren Methode erhält man ein leicht unterschiedliches Ergebnis (Ullrich, 2005: 168).

Im Gegensatz zur absoluten Armut, für die die Weltbank die Grenze bei 1.90$ Kaufkraftparität definiert (gilt ab 2015 für Daten ab 2012), meint relative Armut, dass die gemessene Armut im Verhältnis zum Medianäquivalenzeinkommen innerhalb eines Landes betrachtet wird. Nach der EU Definition liegt bei 60% des Netto-Medianäquivalenzeinkommens die Armutsgefährdungsschwelle, welche von der EU, aber auch von Studien wie dem deutschen SOEP, zumeist für ihre Berichte verwendet wird. Die OECD hingegen sieht bei 60% erst die Armutsgefährdungsgrenze und zieht die Armutsgrenze erst bei 50% des median gewichteten Nettoeinkommens. Ab 40% beginnt dann strenge Armut für die OECD sowie die EU. Es ist also auch hier jeweils wieder genau darauf zu achten, welche Armutsgrenze in einer Studie verwendet wird, und somit lassen sich auch schon direkt einige signifikante Unterschiede zwischen Armutsmessungen erklären.

Wenn dann noch von Interesse ist, wie weit Personen unter dieser Armutsgrenze liegen, ist die Armutslücke ein nützliches Instrument. „The ‚poverty gap‘ is calculated as the dollar amount by which those who are poor fall below the poverty line. The poverty gap is normally defined as the mean percentage by which poor people’s incomes fall below the poverty line. The median gap, however, gives a better indicator of the situation oft he ‚typical‘ poor person.“ (Bruce Headey et al., 1996: 340). Auch hier ist also wieder je nach Interesse die Messmethode genau zu betrachten.

2.1. Beeinflussung von Vor-/Nachsteurlicher-Armut

In (Moller, 2003) stellen die Autoren eine OLS Regression zur Analyse von Faktoren der Armut bei Markteinkommen sowie Faktoren zur Armutsreduktion auf. Die Armutsreduktion des Wohlfahrtstaates messen die Autoren als den Unterschied zwischen Markteinkommen und Nettoeinkommen mittels der Formel: 100*(1-((post-tax/transfer poverty rate)/(pre-tax/transfer poverty rate))). Dabei überprüfen sie eine Vielzahl an in der Diskussion geläufigen Theorien. Als Datenbasis nutzen sie dafür die Luxemburg Income Study (LIS), aus welcher sie Zeitreihendaten für 14 fortgeschrittene kapitalistische Demokratien für die Jahre 1970 bis 1997 benutzen. Die Daten sind von der LIS für den Ländervergleich harmonisiert worden und die Autoren nutzen nur die Daten für die Altersgruppe der 25 bis 59-jährigen, da sie annehmen, dass dies die Bevölkerung im arbeitsfähigen Alter ihrer Meinung nach am besten abdeckt. Somit haben hier zum Beispiel staatliche Renten keinen Einfluss auf die Armut bei Markteinkommen (Moller, 2003: 33).

Auf die Armutsquote bei Markteinkommen haben in ihrem Modell, welches dann auch für die Zeitreihen kontrolliert wurde, letzten Endes dann noch drei unabhängige Variablen als signifikanten Einfluss. Dies ist der Prozentsatz der Beschäftigten im sekundären Sektor (‚Industrial Employment‘), der Prozentsatz der Arbeitslosen (‚Unemployment‘) und der Grad der Lohnkoordination (‚Wage coordination/corporatism‘). Als stark signifikant (**p < .01) und negativ auf die Armutsquote bei Markteinkommen wirkt demnach der Anteil der Beschäftigten im industriellen Sektor. Die Theorie dahinter ist „The manufactoring sector is typically characterized by higher avarage wages and a more equal income distribution than is the service sector.“ (Moller, 2003: 25). Ebenfalls einen signifikant negativen Effekt (*p < .05) auf die Armutsquote weist auch die Lohnkoordination auf. Theoretisch lässt sich das so begründen, dass mit jeder Skaleneinheit, mit der die Lohnverhandlungen koordinierter ablaufen, auch die Gleichheit der gezahlten Löhne steigt und somit die Lohnspanne zwischen den Arbeitern sinkt. Beim Prozentsatz der Arbeitslosen hat sich, wie zu erwarten, ein signifikant positiver Effekt (*p < .05), also ein armutssteigender Effekt in der Analyse bestätigt. Dies war auch zu erwarten, denn wenn der Anteil derjenigen ohne Markteinkommen steigt, muss auch die Armutsquote bei Markteinkommen steigen. Demnach lässt sich auf Grundlage der Ergebnisse von Moeller et al sagen, dass die ebenfalls in der OLS-Regression getesteten ökonomischen und politischen unabhängigen Variablen kaum einen Einfluss auf die Armutsquote vor Transfers und Steuern haben, da sie sich nicht über alle Modelle hinweg als signifikant erwiesen haben.

In Bezug auf die armutsreduzierende Wirkung des Wohlfahrtsstaates fanden Moeller et al sieben signifikant verbleibende Faktoren, von denen sie sechs im Modell behielten, von welchen vier ein direkter Einfluss zugesprochen werden kann, und zwei eher indirekt wirken (Moller, 2003: 43). Direkt wirken demnach: Linksorientierte Politik (‚Left cabinet‘), welche über die Anzahl der Sitze in der Regierung gemessen wurde, Vetopunkte (‚Constitutional structure‘), also die Anzahl an Entscheidungsebenen, die über ein Gesetzesvorhaben zu entscheiden haben, das Ausmaß des Wohlfahrtsstaates (‚welfare generosity‘), gemessen als das Verhältnis der Sozialausgaben am BIP zu den gesamten Einnahmen des Wohlfahrtsstaates am BIP, sowie Kinder- und Familienzuwendungen (‚Child and family allowences‘), die als Prozentsatz anteilig an den gesamten Sozialausgaben gemessen wurden. Negativ auf die Armutsreduzierung wirkt sich von diesen vier Faktoren lediglich die Anzahl der Vetopunkte (**p < .01) aus, die theoretische Überlegung dazu ist recht simpel, denn umso häufiger ein Gesetzesvorschlag bestätigt werden muss, desto wahrscheinlicher ist es, dass er es eventuell nicht schafft, alle Hürden zu nehmen, da eine Regierung zumeist nicht die Mehrheit auf allen Entscheidungsebenen besitzt. Auch bei den anderen drei positiv wirkenden unabhängigen Variablen ist die Überlegung zu ihrer Wirkung zunächst selbstverständlich, ob dies aber ganz so simpel ist werde ich später im Text erläutern. Aber allgemein besteht die Vermutung, wenn es mehr Sozialausgaben gibt, dann wird damit auch mehr Armut reduziert. Dabei sind Kinder und Frauen eine Risikogruppe weshalb eine Förderung eben dieser besonders effektiv sein sollte. Bei der linken Politik ist es so, dass davon ausgegangen wird, dass diese einen stärkeren Fokus auf mehr Umverteilung legt. Aus ihrem letzten Modell hatten die Autoren den Grad der gewerkschaftlichen Dichte (‚union density‘) ausgeschlossen, da ‚left cabinet‘ eine größere Varianzaufklärung brachte. Die gewerkschaftliche Dichte hat sich bei ihnen dennoch als positiver Faktor (*p < .05) auf die Armutsreduktion gezeigt. Die Überlegung dabei folgt der Argumentation der Lohnkoordination. Man sollte jedoch bedenken dass es dabei auch zu einem ambiguen Effekt kommen kann, denn so wird möglicherweise der Unterschied zwischen Festangestellten und befristeten Arbeitnehmern größer (van VLIET and Wang, 2015: 618). Eher indirekt, jedoch ebenfalls als positiver Faktor, verblieb auch die berufliche Bildung (*p < .05) im Modell von Moller et. al. Als indirekt lässt sich dieser Effekt beschreiben, da er über jede Einheit mehr zur Verfügung stehende berufliche Bildung die Bedürfnisse des Arbeitnehmers verändert, so bedarf es zum Beispiel für hochqualifizierte Arbeitnehmer, die arbeitslos werden, eventuell länger, wieder einen Job zu finden, und somit längerer staatlicher Unterstützung, als bei niedrig, eher allgemein und nicht so spezifisch ausgebildeten Arbeitnehmern. Ebenfalls nicht direkt armutsreduzierend, jedoch den Erfolg der Armutsreduktion steigernd ist der Anteil der Arbeitslosen (‚unemployment‘) (*** p < .001). Denn, wenn es mehr Menschen ohne Markteinkommen gibt, gibt es natürlich auch mehr Menschen, denen der Staat mit seinen Maßnahmen aus dieser Situation helfen kann, dennoch würde vermutlich niemand mehr Arbeitslosigkeit einfordern, damit der Wohlfahrtsstaat erfolgreicher ist. Jedoch sollte man auch nicht dem Trugschluss erliegen, dass mehr Menschen in Arbeitsverhältnissen immer auch weniger Menschen in relativer Armut bedeuten. Denn so finden van Vliet und Wang einen positiv signifikanten Effekt von der Beschäftigungsrate auf relative Armut. Dies begründen sie damit, dass es auf die Qualifikation der Beschäftigten ankommt. Viele Hochqualifizierte ziehen auch das Medianeinkommen nach oben, infolgedessen würden dann mehr Menschen unter die relative Armutsgrenze fallen, auch wenn sich ihr absolutes Einkommen nicht verändert hat, weswegen gerade diese für den relative Armut vergrößernden Effekt verantwortlich sind, während viele gering qualifizierte Arbeiter das Medianeinkommen nach unten ziehen und demnach einen armutsreduzierenden Effekt aufweisen (van VLIET and Wang, 2015: 622ff), die Gruppe der ‚Working Poor` würde also kleiner werden.

[...]

Ende der Leseprobe aus 14 Seiten

Details

Titel
Wohlfahrtsstaat und Armut
Hochschule
Universität zu Köln
Note
1,0
Jahr
2018
Seiten
14
Katalognummer
V448973
ISBN (eBook)
9783668834095
ISBN (Buch)
9783668834101
Sprache
Deutsch
Schlagworte
wohlfahrtsstaat, armut, vorsteurliche armut, nachsteurliche armut, endogenität, effizienz, kurze frist, lange frist
Arbeit zitieren
Anonym, 2018, Wohlfahrtsstaat und Armut, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/448973

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