Diskriminierung oder soziale Herkunftseffekte

Wie sind die schlechteren Übertrittsraten von Schüler/-innen mit Migrationshintergrund beim Übergang in die Sekundarstufe I zu erklären?


Hausarbeit (Hauptseminar), 2018

15 Seiten, Note: 1,3

Neema Li (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Einleitung

2 Theoretischer Hintergrund
2.1 Primäre, sekundäre und tertiäre Herkunftseffekte
2.2 Tastes for discrimination.
2.3 Statistische Diskriminierung
2.4 Expectation confirmation bias.

3 Empirische Studien
3.1 Becker & Beck (2012) – Herkfuntseffekte oder statistische Diskriminierung von Migranten in der Primarstufe?
3.2 Schneider (2011) – Die Bedeutung der sozialen Herkunft und des Migrationshintergrundes für Lehrerurteile am Beispiel der Grundschulempfehlung.
3.3 Sprietsma (2009) – Discrimination in Grading? Experimental Evidence from Primary School

4 Zusammenfassung und Diskussion

Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Die Persistenz ethnischer Ungleichheiten im deutschen Bildungssystem ist ein bekanntes und umfassend untersuchtes Phänomen. Es wurde vielfach gezeigt, dass Kinder aus Zuwandererfamilien im Bildungssystem schlechter abschneiden als Deutsche. Außerdem sind erstere an den Hauptschulen über-, an Realschulen, sowie Gymnasien unterrepräsentiert (vgl. Esser 1990; Wagner et al. 2001). Vor allem primäre und sekundäre soziale, wie ethnische Herkunftseffekte werden zur Erklärung der Ursachen herangezogen (vgl. Boudon 1974; Kristen & Dollmann 2009). Jedoch können damit nicht alle Unterschiede zwischen Schüler/-innen mit und ohne Migrationshintergrund aufgeklärt werden. Ethnische Unterschiede bleiben nämlich, auch nach Kontrolle der Schulleistungen bestehen. Gresch (2012) geht deshalb davon aus, dass über die schulischen Leistungen und die Bildungsaspirationen der Eltern hinweg, ein Resteffekt des Migrationshintergrundes auf die Schulnoten und die Übertrittsempfehlung auf eine weiterführende Schule wirkt, welchen sie als tertiären ethnischen Herkunftseffekt bezeichnet. Darunter fällt insbesondere die intendierte und unintendierte unterschiedliche Bewertung der Lehrkräfte aufgrund des ethnischen Hintergrundes der Schüler. Die Benachteiligung im Bildungssystem widerspricht jedoch den Ansprüchen einer modernen Demokratie und ihren meritokratischen Prinzipien (vgl. Becker & Hadjar 2017). Aus der benachteiligten Positionierung im Bildungssystem ergeben sich daraus entsprechende Konsequenzen für die späteren Ausbildungschancen und in der Folge auch für die Stellung auf dem Arbeitsmarkt (Granato & Kalter 2001). Noten sind das wichtigste Abbild der Begabung und Leistung, welches durch die Lehrer gezeichnet wird. Die Noten können sich langfristig auf den schulischen und später auch den beruflichen Erfolg auswirken. Die Benotung ist jedoch ein subjektiver Prozess. Obwohl Lehrer bei der Beurteilung von Schüler/-innen überwiegend Notenschemata nutzen, können viele subjektive Eindrücke bei der Bestimmung der Note trotzdem eine Rolle spielen (vgl. Sprietsma 2009: 1).

Die Kenntnis über das Bestehen unbewusster Diskriminierungsprozesse von Seiten der Lehrkräfte führt nachweislich zur Verringerung dieser (vgl. Rudman et al. 2001). Ob und inwiefern die Diskriminierung von Schüler/-innen mit Migrationshintergrund aber tatsächlich zur Benachteiligung derer beiträgt, konnte trotz unterschiedlicher Studien in Deutschland nicht endgültig geklärt werden (Kristen 2006a). Deshalb sollen im Rahmen der Hausarbeit zum Thema Diskriminierung oder soziale Herkunftseffekte? Wie sind die schlechteren Übertrittsraten von Schüler/-innen mit Migrationshintergrund beim Übergang in die Sekundarstufe I zu erklären ? die grundlegenden Theorien zur Entstehung von diskriminierendem Verhalten sowie dabei ablaufende Mechanismen dargestellt und durch Erläuterung in Deutschland durchgeführter Studien analysiert werden. Zunächst wird im zweiten Kapitel der theoretische Hintergrund erläutert, wobei zunächst auf die Unterscheidung in soziale wie ethnische primäre, sekundäre und tertiäre Herkunftseffekte eingegangen wird. Nachfolgend werden die Theorien der ‚tastes for discrimination‘, der ‚statistischen Diskriminierung‘ sowie die Theorie der ‚expectation confirmation bias‘ vorgestellt. Im dritten Abschnitt werden, für eine empirische Prüfung der theoretischen Ansätze, die zentralen Ergebnisse der quantitativen Studien von Becker und Beck (2012) und Schneider (2011) sowie die qualitative Studie von Sprietsma (2009) berichtet. Abschließend werden die Ergebnisse im vierten Kapitel zusammengefasst und kritisch reflektiert.

2 Theoretischer Hintergrund

Wenn es um die Erklärung möglicher Prozesse ethnischer Diskriminierung geht, werden häufig zwei Positionen unterschieden: Die Vertreter der institutionellen Diskriminierung gehen von einem weiter gefassten Verständnis von Diskriminierung aus und problematisieren vor allem die Struktur des Bildungssystems sowie dort etablierte Praktiken. Anhänger des enger gefassten Konzepts der individuellen Diskriminierung fokussieren vor allem das diskriminierende Handeln individueller Akteure, besonders von Lehrer/-innen (vgl. Diehl & Fick 2016: 243).

Der in diesem Zusammenhang interessierende Effekt, bezieht sich auf die Benotung von Schüler-/innen durch Lehrkräfte und damit auf das Konzept der individuellen Diskriminierung, welches im Folgenden weiter spezifiziert werden soll. In diesem Zusammenhang wird unter Diskriminierung ein Verhalten von Personen verstanden, welches bewusst oder unbewusst, von den Einstellungen gegenüber Personen anderer Gruppen beeinflusst wird (vgl. Diehl & Fick 2016: 243).

Im Folgenden werden Erklärungsansätze vorgestellt, welche den Einfluss von Stereotypen und Vorurteilen, von Informationsmangel und bestehenden Erwartungen, auf die Beurteilung von Schüler/-innen betonen.

2.1 Primäre, sekundäre und tertiäre Herkunftseffekte

Die Unterscheidung von primären und sekundären Effekten wurde ursprünglich von Boudon (1974), zur Untersuchung schichtspezifischer Unterschiede im Bildungserfolg eingeführt. Die primären Herkunftseffekte beschreiben den Einfluss der sozialen Herkunft auf den Kompetenzerwerb. So weisen Schüler mit verschiedener sozialer Herkunft im Durchschnitt ein unterschiedliches Schulleistungsniveau auf (vgl. Schindler 2014: 44). Neben den primären, über die Schulleistung vermittelten Leistungsunterschieden, wirken außerdem sekundäre Herkunftseffekte, welche sich auf das Entscheidungsverhalten der Akteure an den entscheidenden Übergängen ihres Bildungsweges beziehen. Dieses spezifische Entscheidungsverhalten wirkt unabhängig von fachlichen Kompetenzen (primären Effekten) und ergibt sich aufgrund von Vorerfahrungen, besonderer Motivation oder dem Wunsch des Statuserhalts der Familie (vgl. Kristen & Dollmann 2012: 110 f.). Kristen und Dollmann (2009; 2012) haben diese Differenzierung auf den Migrationshintergrund erweitert und unterscheiden explizit in primäre und sekundäre Effekte sozialer und ethnischer Herkunft. Primäre ethnische Herkunftseffekte sind für Migranten spezifischen Einflüsse, welche auch nach Kontrolle der primären sozialen Effekte weiter auf den Kompetenzerwerb der Schüler einwirken. Beispielsweise zählen dazu unterschiedliche Vorkenntnisse der schulischen Verkehrssprache (vgl. Kristen & Dollmann 2012: 107 f.). Sekundäre ethnische Effekte beziehen sich auf migrationsspezifische Bedingungen, die zusätzlich zu den sekundären sozialen Effekten auf die Bildungsentscheidungen wirken. Damit sind vor allem die hohen Bildungsaspirationen zu verstehen, die durch Informationsdefizite oder einer großen Motivation zur Aufwärtsmobilität entstehen (vgl. Kristen 2008: 498 f.; Relikowski et al. 2010: 147 f.).

Gresch (2012) knüpft an die Erweiterung von Kristen und Dollmann an, indem sie einen tertiären ethnischen Effekt definiert. Dieser wirkt, unabhängig von den sozialen wie ethnischen primären und sekundären Effekten auf den Bildungsübergang, nämlich durch die Beurteilungsprozesse der Lehrkräfte. Sie meint damit eine intendierte oder unintendierte Sonderbehandlung durch konkrete Bevorzugung oder Benachteiligung von Schüler/-innen mit Migrationshintergrund, aufgrund der ethnischen Herkunft (vgl. Gresch 2012: 54; Kemper 2015: 44 f.). Dieser tertiäre Effekt der ethnischen Herkunft soll der Untersuchungsgegenstand der vorliegenden Arbeit darstellen.

2.2 Tastes for discrimination

Stereotype und Vorurteile können eine Ursache für Diskriminierung darstellen. Fiske (1998) konnte zeigen, dass besonders emotional aufgeladene Vorurteile zu diskriminierendem Handeln führen, mehr als eher kognitiv begründete Stereotype. Becker (1971) erkennt darin die Hauptursache für Diskriminierung und erarbeitet daraus die Theorie der tastes for discriminiation, wobei er sich auf diskriminierende Mechanismen auf dem Arbeitsmarkt bezieht. Wie sich aus dem Begriff schließen lässt, versteht er darunter eine persönliche Diskriminierungsneigung aufgrund nicht-rationaler, persönlicher Präferenzen oder Abneigungen gegen bestimmte Personengruppen, welche sich aus Vorurteilen ergeben können. Diese persönlichen Präferenzen fließen als ‚nicht-monetäre Nutzentherme‘ in die Entscheidung der Akteure ein und können sich am Arbeitsmarkt unter anderem durch ein niedrigeres Einkommen auswirken (vgl. Becker 1971: 14ff.). Unbewusst und subtil existierende Vorurteile, oder nach Becker ‚Präferenzen‘, können beispielsweise zur Diskriminierung in Form der Kontaktvermeidung führen (vgl. National Research Council 2004: 57). Auf die Schule übertragen wäre beispielsweise denkbar, dass Schüler/-innen mit Migrationshintergrund aus dem Gymnasium herausgehalten werden, um ‚unter sich‘ zu bleiben und so eine ethnisch homogene Gemeinschaft zu erhalten (vgl. Diehl & Fick 2016: 246). Diskriminierendes Verhalten bleibt im Bildungssystem für die diskriminierende Person oft folgenlos. Dies unterscheidet das Bildungssystem vom Arbeitsmarkt, wo aufgrund von Wettbewerbsnachteilen durch Diskriminierung zusätzliche Kosten entstehen können (Kristen 2006b: 3).

2.3 Statistische Diskriminierung

Die Theorie der statistischen Diskriminierung liefert die Anschlusstheorie für die Theorie der ‚tastes for discrimination‘. Dabei wird von einem Informationsmangel als Ursache für diskriminierendes Verhalten ausgegangen. Die Produktivität, beziehungsweise Leistungsfähigkeit einer Person, in diesem Fall der Schüler/-innen ist oft nur durch sehr hohen Aufwand zu ermitteln. Es bedarf deshalb günstiger Indikatoren, die auf die gesuchte Leistungsfähigkeit hinweisen. Unter Unsicherheitsbedingungen, können askriptive Merkmale herangezogen werden, um auf die Leistungsfähigkeit eines Schülers/ einer Schülerin zu schließen. In einem solchen Fall, wenn Informationen fehlen die zur objektiven Bewertung benötigt würden, kann auf stereotype Vorstellungen über das Verhalten und die Kompetenzen der Personengruppe, welcher der/die Schüler/-in angehört, bei der Bewertung zurückgegriffen werden. Eine solche Personengruppe kann beispielsweise die ethnische oder die soziale familiäre Herkunft darstellen. Dafür wird vorausgesetzt, dass die individuelle Leistungsfähigkeit weitestgehend unbekannt ist, einzelne Gruppen aufgrund eines Merkmals klar abgrenzbar sind und dass eine Vorstellung über die mittlere Produktivität für diese Gruppe besteht (vgl. Arrow 1973: 24f.).

Die Einschätzung der Leistungsfähigkeit der Personengruppe, nach der die Bewertung erfolgt, kann entweder der Realität entsprechen, oder aufgrund von Vorurteilen oder einer kognitiven Fehleinschätzung verzerrt sein. Dieser Sonderfall der statistischen Diskriminierung wird als error discrimination bezeichnet (vgl. England 1992: 60). Die Erfahrung von Lehrkräften, dass Kinder mit Migrationshintergrund oder aus sozial schwachen Elternhäusern größere Schwierigkeiten beim Übergang auf ein Gymnasium haben, könnte dazu führen, dass bei der Übergangsempfehlung dieser Gruppenmittelwert als Bewertungsgrundlage herangezogen wird. Die Gefahr dabei ist jedoch, dass die individuelle Leistungsfähigkeit der einzelnen Schüler unterschätzt wird. Ist dies der Fall, ist von ‚error discrimination‘ die Rede (vgl. Diehl & Fick 2016: 247).

[...]

Ende der Leseprobe aus 15 Seiten

Details

Titel
Diskriminierung oder soziale Herkunftseffekte
Untertitel
Wie sind die schlechteren Übertrittsraten von Schüler/-innen mit Migrationshintergrund beim Übergang in die Sekundarstufe I zu erklären?
Hochschule
Otto-Friedrich-Universität Bamberg
Note
1,3
Autor
Jahr
2018
Seiten
15
Katalognummer
V449109
ISBN (eBook)
9783668835337
ISBN (Buch)
9783668835344
Sprache
Deutsch
Schlagworte
diskriminierung, herkunftseffekte, übertrittsraten, schüler/-innen, migrationshintergrund, übergang, sekundarstufe
Arbeit zitieren
Neema Li (Autor:in), 2018, Diskriminierung oder soziale Herkunftseffekte, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/449109

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