Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Beschleunigung in der modernen Gesellschaft
2.1. Die moderne Gesellschaft
2.2. Beschleunigung nach Hartmut Rosa
3. Burn-out und der Zusammenhang mit dem Kapitalismus
3.1. Was ist Burn-out?
3.2. Moderne Arbeitswelt - geprägt durch Flexibilisierung und Teamwork
3.2.1. Fordismus als geschichtliche Voraussetzung
3.2.2. Entgrenzung und Flexibilisierung der Arbeitswelt - Team- und Projektarbeit
3.2.3. Identitäts- und Sinnkrise als Folge
4. Empirische Daten zum Ausmaß psychischer Erkrankung auf dem deutschen Arbeitsmarkt (1997-2017)
5. Conclusio
I. Quellenverzeichnis
Internetquellen:
II. Abbildungsverzeichnis
1. Einleitung
Vom Vater meines ersten festen Freundes lernte ich den Spruch: „Dumme hasten. Schlaue warten. Weise gehen in den Garten.“
Ist dies dann ein Indikator dafür, dass wir in einer immer dümmer werdenden Gesellschaft leben? Wir, die wir in einer immer schneller werdenden Zeit leben, in der wir möglichst viel machen wollen und das am besten gleichzeitig. Auf deutschen Autobahnen sieht man zurzeit große Plakattafeln auf denen die Worte „weil leben schön ist - runter vom Gas“ zu lesen sind. Ziel ist es natürlich die rasenden Autofahrer dazu zu bewegen vorsichtiger und langsamer zu fahren. Doch man könnte es auch ins Allgemeine übertragen verstehen, sollte es vielleicht sogar. Zu sehen sind auf diesen Schildern Menschen, die entspannt an einem ruhigen See im Wald sitzen oder lachend mit Freunden an einem Tisch. Brauchen wir wirklich solche Erinnerungen? Vielleicht. So haben vor ein paar Jahren nicht einfach nur Illustrierte, sondern auch so renommierte Blätter wie etwa die Süddeutsche Zeitung angefangen über den dänischen Ausdruck Hygge zu schreiben. Dieser beschreibt eine Form von einfacher, entspannter Gemütlichkeit, wie sie in dänischen Haushalten zelebriert wird. - Eine Tasse warmer Tee, eine weiche Decke, Feuer im Kamin und ein gutes Buch in der Hand. Seit letztem Jahr steht Hygge nun sogar im deutschen Duden.
Warum ich das alles schreibe? Mir geht dieser Gedanke nicht aus dem Kopf, dass es sinnvoll ist über das zu schreiben, was einen persönlich anspricht. Denn ich kämpfe seit ich 19 Jahre alt bin mit einer diagnostizierten Depression und bei meiner Mutter habe ich erlebt, wie sie über ein Jahr lang wegen Burn-out krankgeschrieben war, nachdem sie Jahre lang Vollzeit mit viel Engagement ihren Beruf ausgeübt hat. In diesem Sinne interessiere ich mich auch aus persönlichen Gründen für das Zusammenspiel von Gesellschaftssystemen und deren Auswirkungen auf das individuelle psychische Befinden von Menschen.
Die zentrale These der Arbeit, die eingehend untersucht werden soll, ist, dass wir aktuell leben in einer immer schneller werdenden Gesellschaft leben, die mit diesem stetig erhöhenden Tempo neue Aufgaben an ihre Mitglieder stellt. Diese zunehmenden Herausforderungen, die vielen Menschen gerade in der Arbeitswelt begegnen, gehen einher mit einem Anstieg von psychischen Erkrankungen wie Depressionen, Angststörungen und Erscheinungen wie dem Burn-out Syndrom.
Einer der Gründe für diese Beschleunigung ist im kapitalistischen System im Kontext des Neoliberalismus zu suchen, welches tief in der modernen Gesellschaft verankert ist. Es fordert eine zunehmende Ökonomisierung unseres Lebens und unseres Alltags, sowie eine zunehmende Flexibilisierung, welche zu Diskontinuitäten im Lebenslauf vieler führt. Ziel dieser Arbeit soll es sein diese Zusammenhänge anhand einer umfangreichen Literaturrecherche dem aktuellen Stand der Forschung entsprechend darzustellen und kritisch zu beleuchten. Dazu werden zunächst allgemeine soziologische und ökonomische Theorien herangezogen und beschrieben, welche in einem weiteren Schritt mit konkreten Daten und Fakten in Bezug gesetzt werden.
Da es sich hier nicht um eine Doktorarbeit oder eine Habilitation handelt, werde ich nicht in der Lage sein alle in diesem komplexen System zusammenspielenden Komponenten einzeln darzustellen oder auf sie genauer einzugehen. Auch weil ihnen das gar nicht gerecht werden kann. Deshalb werde ich mich im Folgenden auf den Begriff der Beschleunigung, welcher stark durch Hartmut Rosa geprägt wurde, den Burn-out Begriff und wie er von Sighard Neckel eingeordnet wurde, sowie eine Darstellung dessen, welche Rolle Arbeit in der heutigen modernen Gesellschaft einnimmt, beschränken. Die empirischen Daten, mit welchen ich die von mir gezogenen Schlüsse untermauere stammen von Krankenkassen in Deutschland aus dem Zeitraum von 1997 bis 2017. Sie beziehen sich dabei vor allem auf durch psychische Erkrankungen bedingte Arbeitsfehltage. Abgerundet wird das Ganze schließlich durch eine Zusammenfassung der Ergebnisse und aus der Ausführung zu ziehenden Erkenntnisse, sowie heute vielleicht schon erkennbaren Gegenbewegungen zum momentanen Trend und persönliche Gedanken zum Thema und der eventuell zu erwartenden Entwicklung.
Diese Arbeit stellt also einen Versuch dar zu erschließen, wie unserere heutige kapitalistische Gesellschaft zu mehr Erscheinungen wie Burn-out und anderen psychischen Erkrankungen beiträgt.
2. Beschleunigung in der modernen Gesellschaft
Zunächst sollen einige wichtige und für die Erarbeitung des Themas zentrale Begriffe und Konzepte genau beschrieben und erläutert werden, damit deutlich wird, was unter den Begrifflichkeiten dieser Arbeit verstanden werden soll. Somit wird gewährleistet, dass es zu keinerlei Missverständnissen oder Unklarheiten kommt.
Kommen wir also als erstes zu der Frage „Was ist Beschleunigung?“.
Oder anders ausgedrückt „Was ist mit sozialer Beschleunigung eigentlich gemeint?“. Die rein physikalisch, naturwissenschaftlich definierte Formel für die Beschleunigung lautet:
Abbildung in dieer Leseprobe nicht enthalten
Nach dieser Definition ist die Beschleunigung gleich der Veränderung der Geschwindigkeit während einer bestimmten Zeitspanne. Auch aus soziologischer Perspektive macht diese Überlegung durchaus Sinn. Wobei es dann noch zu klären gilt, was im Zusammenhang mit Gesellschaft genau mit Geschwindigkeit gemeint ist. Denn es wird wohl nicht das reine Überwinden einer Strecke zwischen zwei Punkten A und B innerhalb einer gewissen Zeit sein. Soziologisch betrachtet tritt Beschleunigung auf unterschiedliche Art und Weise und in den verschiedensten Formen im Leben der Gesellschaftsmitglieder zu Tag und wirkt sich sowohl auf ihr grundlegendes Zeitempfinden, ihren Alltag, wie auch ihren Beruf aus.
Um der Frage was gesellschaftliche Beschleunigung genau ist anzunähern macht es Sinn sich die folgenden Fragen mit zu berücksichtigen:
‚Was ist der Zusammenhang zwischen moderner Gesellschaft und Beschleunigung?‘, ‚Ist Beschleunigung wichtig in der modernen Gesellschaft?‘ oder ‚Welche Rolle/Bedeutung nimmt sie ein?’.
Wesentlicher Fokus liegt in der hier entstehenden Arbeit auf der Beschleunigung innerhalb der modernen Gesellschaft, welche durch das kapitalistische System im Kontext des Neoliberalismus und den mit dem Wettbewerb einhergehenden Wachstumsgedanken angetrieben wird. Aus diesem Grund wird zunächst unter Punkt
2.1. die moderne Gesellschaft allgemein beschrieben, was sie auszeichnet und prägt. Um im Anschluss, unter Punkt 2.2., auf die Beschleunigung bzw. den Beschleunigungsbegriff und wie der Soziologe Hartmut Rosa in ausgelegt hat zu kommen.
2.1. Die moderne Gesellschaft
In diesem ersten Unterpunkt geht es nun um die Frage: ‚Was ist eigentlich modern?’ Mit modern assoziieren wir heute gerne alles was neu ist. Dies kann wiederum sowohl positiv oder negativ besetzt sein. Zygmunt Bauman definiert in Bezug darauf: „Ambivalenz [ist], die Möglichkeit, einen Gegenstand oder ein Ereignis mehr als nur einer Kategorie zuzuordnen […]“ (ebd. 2016, S. 11). So bezieht sich der uns allen bekannte Spruch ‚ Fr ü her war alles besser. ‘ wohl eher auf die negativen Seiten des Modernen. Ist jedoch unsere Kleidung oder unser Handy auf dem neuesten Stand empfinden wir dies als etwas Positives. Hier lässt sich also eindeutig eine gewisse Ambivalenz in Bezug auf das Moderne feststellen.
Im Speziellen geht es nun um das soziologische Konzept der modernen Gesellschaft. Dieses ist jedoch gar nicht so einfach zu beschreiben, wie man im ersten Moment vielleicht meinen möchte. Denn, wenn es in der Naturwissenschaft oft nur eine oder zumindest eine vorherrschende Theorie zu einer bestimmten Sache gibt, so existieren in den Sozialwissenschaften meist mehrere ähnliche oder aber voneinander abweichende Erklärungsmodelle.
Allgemein ist Moderne, in der Soziologie, quasi als eine Art Überbegriff für die Beschreibungsmöglichkeiten von Gesellschaft(en) zu sehen.
„Gemeinsam ist allen jedenfalls, daß es sich beim gesellschaftlichen Phänomen der Moderne um eine radikale Veränderung im strukturellen Aufbau der Gesellschaft handelt.“ (Nassehi 2001, S. 233).
Als die mehr oder weniger allgemeingültigen Merkmale moderner Gesellschaften kann man, laut Nassehi, folgende festhalten. Zum einen die Verbreitung der Demokratie als Staatsform, sowie des Kapitalismus im Wirtschaftssystem. Das Ganze mit der Unterstützung und getragen durch das positive Recht in der Judikative. Was noch ergänzt wird und wurde durch eine ausgeprägte und zunehmende Arbeitsteilung, die zum Teil mitbegünstigt wird durch die allen Gesellschaftsmitgliedern zugänglich gemachte Bildung, was nicht zuletzt mit einer Verstärkung universalistische Werte einhergeht (vgl. Nassehi 2001, S. 208).
Um diese Veränderungen, welche mit dem Übergang zur modernen Gesellschaft einhergegangen sind, klar zu machen unterscheidet Nassehi viererlei Möglichkeiten, um Moderne zu betrachten: zeitlich, sachlich, normativ und sozialräumlich (vgl. Nassehi 2001, S. 234). Im Folgenden werden wir uns diese näher ansehen.
Zeitlich gesehen ist die Moderne eine Epoche, damit beschreibt der Begriff modern nicht nur einen einzelnen Zeitpunkt, sondern gleichzeitig immer auch ein Verhältnis zu einem anderen, früheren oder späteren Zeitpunkt (vgl. Nassehi 2001, S.213). Prägend für moderne Gesellschaften ist auch, dass der „[jeweilige] Jetztzustand als potentielle Vergangenheit einer erwartbaren Zukunft“ (Nassehi 2001, S. 234) angesehen wird und dadurch die tatsächliche Wahrnehmung des Jetzt eingeschränkt erscheint, weil alles immer auf einen zukünftigen Zustand Bezug nimmt. Dadurch kommt es gewissermaßen zu einer Schrumpfung des Gegenwartsbewusstseins. Sprich alles was gegenwärtig ist verliert an Relevanz, im Gegenzug nimmt alles Zukünftige und alle damit einhergehenden Möglichkeiten an Relevanz zu (vgl. Nassehi 2001, S. 216). Dies führt unweigerlich zu einer Form von Beschleunigung innerhalb der Gesellschaft, weil ihre Mitglieder gewissermaßen immer dem nachhetzen was noch passieren wird. Um einen Ausblick auf mögliche psychische Folgen (s.u. für weiteres) der Beschleunigung zu leisten, ist an dieser Stelle die 2018 in Psychopharmacology erscheinen Studie zu zitieren. In dieser Studie zeigt sich, dass Probanden, wenn sie die Zeit weniger "zusammengedrückt" wahrnehmen, also die Zeit "akkurat" einschätzen, sich weniger gestresst und depressiv fühlen (vgl. Mitchell/Weinstein/Vega 2018).
Von der theoretischen Ebene aus betrachtet stehen die Veränderungen, welche sich im Zeitverlauf ergeben haben im Zentrum der Aufmerksamkeit. Beispiele für den Wandel während der Entwicklung der modernen Gesellschaften sind etwa in der Verbreitung und Ausweitung von Demokratien als Staatsform zu finden oder in dem den breiten Maßen zugänglich gemachten Bildungswesen (Nassehi 2001, S. 235).
Die normative Betrachtungsweise hat ihrem Charakter nach etwas Wertendes inne. Dadurch ist vom Standpunkt der Moderne ausgehend jeder frühere Zeitpunkt oder Zustand eines Staates oder einer Gesellschaft als primitiver oder traditioneller anzusehen. Zentral dafür ist, dass sich die Moderne immer als ihr eigener wertbezogenen Orientierungspunkt wahrnimmt (vgl. Nassehi 2001, S. 235 f.).
Betrachtet man die modernen Gesellschaften sozialräumlich, so kommt es hier zur Gleichzeitigkeit der Ungleichzeitigkeit. Gemeint ist damit, dass das Stadium der Entwicklung von Staaten zum selben Zeitpunkt nicht überall auf der Erde gleich ist. Während sich beispielsweise die Länder im geografischen Norden der Erde als entwickelter, ja moderner, ansehen, gibt es vor allem im geografischen Süden noch einige Regionen, die eine weitaus traditionellere Form des Zusammenlebens pflegen (vgl. Nassehi 2001, S. 236).
Nachdem nun die wichtigsten Merkmale moderner Gesellschaften benannt sind und außerdem die möglichen Perspektiven, aus denen man moderne Gesellschaften beschreiben kann, noch einige das Ganze ergänzende und abschließende Gedanken. Die Entwicklung hin zur modernen Gesellschaft und der Epoche der Moderne wurde stark mitbegünstigt durch das, seit dem 18. Jahrhundert, in der Gesellschaft aufkommende Gefühl von zunehmender Selbstbestimmtheit. Dies war sowohl für die Individuen als auch für das Kollektiv von hoher Relevanz (vgl. Nassehi 2001, S. 209 f.). Aus der Möglichkeit über sein eigenes Leben selbst entscheiden zu können entspringen zweierlei Konsequenzen. Zum einen eine Zunahme an individueller Freiheit, zum anderen eine Zunahme an persönlicher Verantwortung. Hier kommen wir wieder zu der am Beginn schon angesprochenen Ambivalenz, welche die moderne Gesellschaft begleitet, zurück. Beispielsweise stellt die Befreiung von feudalen Machtverhältnissen mit den daraus entstehenden Möglichkeiten die eine Seite des Ganzen für die Gesellschaftsmitglieder dar. Die fehlende Orientierung durch vorgegebene kirchliche Werte und Verhaltensweisen die andere (vgl. Nassehi 2001, S. 211).
Ein weiteres zentrales Merkmal moderner Gesellschaften, das aus diesen Entwicklungen hervorgeht, ist der steigende Grad an Differenzierung auf unterschiedlichsten Ebenen innerhalb der Gesellschaft. So kommt es einerseits zur sozialen Differenzierung, z.B. durch die Emanzipation einzelner Gesellschaftsgruppen und andrerseits zur funktionalen Differenzierung, was etwa in der nie zuvor in dieser Form, dagewesenen Arbeitsteilung deutlich wird (vgl. Nassehi 2001, S. 227).
Begleitet werden die beschriebenen Entwicklungen moderner Gesellschaften vom neoliberalen Kapitalismus, welcher geprägt ist durch minimale Einflussnahme durch den Staatssektor und eine hohe Bedeutung des Marktgeschehens (vgl. Krämer 2001, S. 132 f.).
Dementsprechend verändert sich im Laufe der Zeit mit dem Übergang zur modernen Gesellschaft die Rolle der/des Einzelnen. Vor allem in der Beziehung zwischen Individuum und Gesellschaft wird dieser Wandel deutlich. Sie gestaltet sich nun so, dass dem einzelnen Menschen wesentlich mehr Freiheiten und Eigenverantwortung zukommt. Wobei er in einer stark durch das kapitalistische Wirtschaftssystem geprägten Welt seinen eigenen Weg finden und sein Leben und seinen Alltag meistern muss, ohne dabei klare Orientierungsmuster durch Religion oder Staat zu haben.
Dieser Wandel in der Gesellschaft führt uns schließlich zum nächsten Unterpunkt, der sich mit der zunehmenden und immer mehr spürbaren Beschleunigung in modernen Gesellschaften beschäftigt. Denn wie es in der Trendstudie des Zukunftsinstituts zur Neuen Achtsamkeit von 2017 so schön heißt: „Die Welt verändert sich. Die Welt beschleunigt sich - in rasendem Tempo. Digitalisierung, Globalisierung, Automatisierung: Dieser Wandel ist spektakulär. Unaufhaltbar.“ (Horx 2017, S. 7)
2.2. Beschleunigung nach Hartmut Rosa
Was also hat es mit dieser Aussage von Matthias Horx genau auf sich? Um dem ein Wenig auf die Schliche zu kommen, werden wir uns ansehen, was Beschleunigung im soziologischen Rahmen meint bzw. genauer wie der deutsche Soziologe und Politikwissenschaftler Hartmut Rosa diese definiert. Hartmut Rosa ist einer der führenden, zeitgenössischen Wissenschaftler, zu dessen Forschungsschwerpunkten neben der Gesellschaftskritik, auch die Zeitdiagnose und Moderneanalyse, die Subjekt- und Identitätstheorien, sowie die Zeitsoziologie und Beschleunigungstheorie und außerdem die Soziologie der Weltbeziehung gehören (vgl. soziologie.uni-jena.de). Er hat sich also in umfangreichem Maße mit dem für diese Arbeit relevanten Thema, der sozialen Beschleunigung, beschäftigt.
Vorbereitend für die späteren Überlegungen zu Beschleunigung in der modernen Gesellschaft richten wir unsere Aufmerksamkeit jetzt auf die verschiedenen Zeitebenen von welchen die Menschen Gebrauch machen, um die Wahrnehmung der Beschleunigung zu beschreiben, die innerhalb unserer Gesellschaft stattfindet. Rosa bedient sich hierbei drei unterschiedliche Betrachtungsweisen, die Individuen für das Wahrnehmen von Zeit nutzen. Der ursprüngliche Entwurf dieser drei Dimensionen stammte von, dem britischen Soziologen, Anthony Giddens. Aufteilen lassen sich die Wahrnehmungsebenen in die Zeitstruktur des Alltagslebens, neben der Zeitperspektive auf das Leben als Ganzes und die jeweils ü bergeordnete Zeit der entsprechenden Generation oder Epoche, in welche die ersten beiden Ebenen eingebettet sind (vgl. Rosa 2016, S. 30).
Im Folgenden wird erklärt, was jeweils im Einzelnen damit gemeint ist. Die Zeitstruktur des alltäglichen Lebens der Menschen richtet sich stark nach der jeweiligen Lebenssituation der Person. Studiert man noch oder arbeitet man schon, hat man Kinder oder nicht, ist man alleinerziehend oder hat man einen Partner, der Alltag wird jeweils eine andere Form annehmen. Gerade Gewohnheiten spielen hier eine zentrale Rolle, aber auch die entsprechenden sozialen Erwartungen, denen sich ein Individuum während eines bestimmten Lebensabschnitts oder in einer bestimmten Situation in ihrem Leben gegenübersieht. Die zeitliche Perspektive auf das ganze Leben eines Menschen ist geprägt von ständigen Reflexionsprozessen auf das eigene Sein, Wollen und Tun. Also von Evaluationen dessen, wie man gegenwärtig handelt oder in der Vergangenheit gehandelt hat in Bezug zu dem, wer man zukünftig gerne sein möchte und was man in seinem Leben alles erreichen und erleben will. Diese ersten beiden Dimensionen der Wahrnehmung von Zeit sind begleitet durch ständige Fragen der zeitlichen Abstimmung, dessen wie schnell etwas passiert oder passieren soll, wie lange es dauert und der Bildung und Bestimmung einer Reihenfolge von bestimmten Ereignissen. Schlussendlich finden die Alltagswahrnehmung und das Empfinden unseres Lebens als Ganzes ihre Einbettung innerhalb einer Epoche oder einer Generation, der man angehört. Damit gemeint ist, dass wir alle Kinder unserer Zeit sind. Egal ob wir es wollen oder nicht. In irgendeiner Form wieder es mit Sicherheit unser Handeln und unser Sein prägen, in welchen Zeiten wir aufgewachsen sind und leben (vgl. Rosa 2016, S. 30 f.).
Gehen wir nun einen Schritt weiter und sehen uns an, wodurch die soziale Beschleunigung innerhalb der modernen Gesellschaft charakterisiert ist. Auch hier unterscheidet Rosa drei Arten von sozialer Beschleunigung. Diese lassen sich feststellen als die technische Beschleunigung, die Beschleunigung des Lebenstempos und schließlich die Beschleunigung der sozialen und kulturellen Ver ä nderungsrate (vgl. Rosa 2016, S. 124).
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