An deinem Mund der herbstliche Mond - Zum Mondmotiv bei Georg Trakl


Hausarbeit (Hauptseminar), 2004

19 Seiten, Note: 1


Leseprobe


Gliederung

1. Zur Geschichte des Mondmotivs und zur Sprachnot zu Beginn des

2. Jahrhunderts
2. Das Mondmotiv in der Lyrik Georg Trakls
2.1 Das Sinnproblem bei Georg Trakl
2.2 Das Mondmotiv im Frühwerk Georg Trakls
2.3 Das Mondmotiv im Spätwerk Georg Trakls
2.4 Die Schwester in Trakls Lyrik- ein lunarisches Wesen

3. Trakls Lyrik als Selbstzeugnis einer gespaltenen Persönlichkeit

4.Anhang

5.Bibliographie

6. Erklärung

1. Zur Geschichte des Mondmotivs und zur Sprachnot zu Beginn des 20. Jahrhunderts

Ziel dieser Arbeit soll es sein, das Mondmotiv in der Lyrik Trakls (1887-1914) näher zu betrachten, um, ausgehend von der Annahme, dass seine Lyrik über eine „semantische Tendenz“[1] verfüge, diese auf die Ambiguität der Darstellungsweise des Mondmotivs zurückzuführen. Die dualistische Darstellungsweise von Motiven soll als konstitutives Merkmal Traklscher Lyrik anhand des Mondmotivs in Früh- und Spätwerk aufgezeigt werden und zuletzt auf die semantische Affinitätsbildung des Schwester- und des Mondmotivs eingegangen werden. In diesem letzten Abschnitt werden die androgynen Eigenschaften des Mondes, beziehungsweise der mythischen Mondgöttin Luna zum Tragen kommen.

Dem Mond, der vermutlich unter allen Naturerscheinungen „am meisten von Mythos und Poesie umworben [wurde]“[2], werden positive, sowie negative Eigenschaften nachgesagt.[3] Er erleuchtet die gefahrenbergende Nacht, er regelt die Gezeiten, teilt das Jahr in zwölf gleiche Abschnitte und spendet lebenszeugendes „Mondwasser“, den Tau. Zugleich ist schon im Matthäusevangelium die Rede von der Heilung der Mondsüchtigen, „lunaticus“ heißt auf lateinisch soviel wie „verrückt“, im trügerischen Licht des Mondes werden Dinge verhext und der

„[…] Ausdruck »Mondkalb«, der seit dem 16. Jahrhundert

belegt ist, weist auf den unguten Einfluß des Mondes bei

der Geburt eines mißgestalteten Tieres.“[4]

Das literarische Mondmotiv steht in einer sehr alten Tradition. Es ist bereits in der älteren europäischen Literatur zu finden, zum Beispiel in Gedichten der Sappho (um 600 v. Chr.)[5], und zieht eine Spur durch alle Epochen hindurch. Besonders in der Romantik, die die deutsche Naturlyrik zu ihrem Höhepunkt führte, spielt es eine bedeutsame Rolle. Aufgrund der „um sich greifenden Vorliebe für die „Mondbeglänzte Zaubernacht / Die den Sinn gefangen hält (Tieck; […] )“[6] kommt es während der Romantik „zum inflationären Gebrauch des Motivs […]“[7]. Doch durch diese lange Geschichte des Mondmotivs und durch seine Überbeanspruchung zur Zeit der Romantik, haben sich dieses Bild und viele andere erschöpft. Daraus entsprang die Sprachnot der Expressionisten:

„Die Sprachnot des sogenannten Expressionismus

erwächst aus der langen Geschichte der Bilder, die sich

verbraucht haben und all der Gefühle, für die sich seit der

Romantik gar zu leicht ein Ausdruck darbietet.“[8]

Die Sprachnot entsteht dadurch, so Walther Killy, dass die alten Bilder dem Dichter nurmehr als abgegriffene Chiffren, welche für nichtige Gefühle stehen, vorkommen oder keinen Zusammenhang zur erfahrenen Wirklichkeit mehr besitzen.[9]

Schon 1876 durchdachte Nietzsche die Problematik der Sprachnot:

„Indem die Sprache fortwährend auf die letzten Sprossen

des ihr Erreichbaren steigen musste, […] ist ihre Kraft durch

dieses übermäßige Sichausrecken in dem kurzen Zeitraum

der neueren Zivilisation erschöpft worden: […]. Der Mensch

kann sich in seiner Not vermöge der Sprache nicht mehr zu

erkennen geben, also sich nicht wahrhaft mitteilen:[…] und

infolge dieser Unfähigkeit sich mitzuteilen tragen dann

wieder die Schöpfungen ihres Gemeinsinns das Zeichen

des Sich-nicht-Verstehens,[…].“[10]

Der historische Ort der Lyrik Trakls ist eben diese epochale Sprachkrise zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die sich zugleich in besonderem Maße als „Krise des lyrischen Dichtens und als Traditionsbruch zeigt“[11].

Besonders ausführlich untersucht Hans Esselborn die Veränderungen der traditionellen lyrischen Formen und Thematiken bei Georg Trakl, die er auf eben diese Sprachkrise zurückführt.[12] Er belegt Trakls „Misstrauen gegen das Wort als begriffliche[n] Träger“[13] anhand von Textstellen:

„Wo "Wort" in Trakls Werk erscheint, wird entweder sein

Sinn verneint (z.B. "Drei Träume": "von trauriger Worte

Widerhall / doch konnte ich ihren Sinn nicht verstehen"

[…]), oder es wird nur als Hall und Rauch, also als Klang

ohne Bedeutung aufgefasst (z.B. "Naturtheater": "leiser

Hauch der Worte"[…]), oder es ist vom Schweigen bedroht

(z.B. "von den stillen Tagen": " Und Worte sucht für eine

traurige Geste, / Die schon verblasst in schweigen

ungemessen." […]).[14]

Durch diese epochale Sprachkrise zu Beginn des 20. Jahrhunderts erwächst die Sinnproblematik Traklscher Lyrik, die es der Forschung so schwer macht, eine einheitliche Deutung vorzunehmen.[15]

2. Das Mondmotiv in der Lyrik Georg Trakls

2.1 Das Sinnproblem bei Georg Trakl

Wer sich mit dem lyrischen Werk Georg Trakls beschäftigt, merkt schnell, dass er mit der „klassischen“ Herangehensweise an Lyrik bei diesem Dichter nicht weit kommt.

Rilke gab zu, dass er dieser Lyrik „[…]ergriffen, staunend, ahnend und ratlos[…]“[16] gegenüber stehe und in „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ ist zu lesen:

„Die Zeit der anderen Auslegung wird anbrechen, und es

wird kein Wort auf dem anderen bleiben, und jeder Sinn

wird wie Wolken sich auflösen und wie Wasser niedergehen.“[17]

Tatsächlich benötigt man für Trakls Lyrik eine andere Art von Auslegung. In der Forschung sind, stark zusammengefasst, zwei unterschiedliche Richtungen präsent. Zunächst eine, die versucht, durch „Weglassen und Hinzufügen ein zusammenhängendes und verständliches Szenarium [zu] schaffen.“[18] Die andere Vorgehensweise behilft sich dadurch, jegliche durchgehende Bedeutungsstruktur zu leugnen und die Texte als ein reines Montageprodukt oder lyrisch-musikalisches Arrangement anzusehen.[19]

Nun wird aber beim Blick in die historisch-kritische Trakl-Ausgabe[20] deutlich, dass es nicht möglich ist, in Trakls Lyrik Kohärenz oder logische Durchstrukturierung vorauszusetzen[21], um ein verständliches Szenarium entstehen zu lassen. Denn allzu häufig findet sich bei Trakl in Folge von Überarbeitungen der Texte eine „Umkehrung der moralischen Pointe“[22] oder auch das nicht erklärbare Ersetzen eines Wortes durch sein Gegenteil.

Hierzu seien lediglich zwei Beispiel angeführt:

In dem Gedicht Nachtergebung lautet die letzte Strophe in der fünften Fassung:

„Mondeswolke! Schwärzlich fallen

Wilde Früchte nachts vom Baum

Und zum Grabe wird der Raum

Und zum Traum dies Erdenwallen.“[23]

Und in der vierten Fassung dieses Gedichts erscheint der Anfang der letzten Strophe folgendermaßen:

„Blaue Wolke! Schwärzlich fallen

Faule Früchte dumpf vom Baum[…]“[24]

So zeigt sich, dass in der vierten Fassung eine ganz andere Grundstimmung, nämlich eine stark vom Verfall geprägte, vorherrscht, deren hoher Grad an Morbidität in der fünften Fassung nicht mehr in dieser Ausprägung zu finden ist.

Oder in einem in der zweiten Hälfte des März 1913 entstandenen Gedicht, das im Nachlass erschien, ist zu lesen:

„[...]

Das Rinnen der Glasperlen erinnert an unsere Kindheit,

Nachts fanden wir einen schwarzen Mond im Wald.“[25]

Der „schwarze Mond“, der dem Leser auf den ersten Blick als unentschlüsselbares Chiffre entgegentritt, gewinnt an Verstehbarkeit, wenn man die zu diesem Vers vorhandene Variante beachtet:

„[…]

Das Rinnen der Glasperlen erinnert an unsere Kindheit,

An einem Abend da der Mond in einer Höhle schlief.“[26]

Hier zeigt sich, dass das Schwarz der Höhle, in der der Mond zunächst verborgen war, sich in der endgültigen Fassung auf den Mond selbst übertragen hat. Dass eine Qualität den Gegenstand wechselt, ist bei Trakl keine Seltenheit.[27]

Mit der Absage an die erste Deutungsweise gilt der Blick nun der zweiten Vorgehensweise. Aber auch hier lässt sich einwenden, dass „[…]eben doch immer wieder Bedeutungszusammenhänge sichtbar [sind]“[28] und man so nicht davon ausgehen kann, dass Trakls Lyrik aus Zusammenfügungen nach unbekannten Regeln entstanden sei. Peter von Matt spricht hier von einer „semantischen Tendenz“[29], die sich in Trakls Lyrik abzeichne.

Walther Killy sieht die Lösung des Sinnproblems bei Trakl darin, Abstand zu nehmen von der Vorstellung, dass „[…]es gelte[,] zuerst den „Sinn“ zu begreifen, sogar Weltanschauung herauszufinden in der Weise, wie man „Goethes Weltanschauung“ oder „Hölderlin und seine Götter“ darzustellen berechtigt war. Nimmt man aber jene Eigenschaften als von Natur zu dieser Dichtung […]gehörig hin, so zeigt sich, daß sie keineswegs dem Zufall, auch nicht dem gefährdeten Gemüt eines Drogenessers entwachsen sind.“[30] Die Eigenschaft der Lyrik Trakls, von der Killy spricht, das ist deren Vieldeutigkeit, Widersprüchlichkeit, Wandelbarkeit und die Austauschbarkeit von Erscheinungen.

Außerdem kann man nicht mehr davon ausgehen, dass die empirisch wahrnehmbare Welt Gegenstand der Mimesis bei Trakl ist, sondern vielmehr, dass „Trakls Bildwelt eine visionäre ist“[31], eine antimimetische. Seine Landschaften entsprechen „inneren Landschaften“. So schreibt schon Rilke über die Bedingungen, aus denen Trakls Lyrik entstanden sein mögen:

[...]


[1] Peter von Matt: Die Dynamik von Trakls Gedicht. S.60, im folgenden zitiert als Matt: Dynamik.

Aus: Silvio Vietta (Hg.): Expressionismus- sozialer Wandel und künstlerische Erfahrung.

München, 1982, S.58-72.

[2] Elisabeth Frenzel: Motive der Weltliteratur. Stuttgart, 1999, S.547, im folgenden zitiert als Frenzel: Motive.

[3] Vgl. hierzu: Frenzel: Motive.S.547 f..

[4] Frenzel: Motive.S.548.

[5] Vgl. hierzu: Frenzel: Motive. S.550.

[6] Horst Daemmrich / Ingrid Daemmrich: Themen und Motive in der Literatur: Ein Handbuch. Tübingen,

1995, S.259, im folgenden zitiert als Daemmrich: Themen.

[7] Daemmrich: Themen. S.259.

[8] Walther Killy: Wandlungen des lyrischen Bildes. Göttingen, 1998, S.129, im folgenden zitiert als

Killy: Wandlungen.

[9] Killy: Wandlungen. S.131.

[10] Hans Esselborn: Georg Trakl. Die Krise der Erlebnislyrik. Köln, 1981, S.5, im folgenden zitiert

als Esselborn: Trakl.

[11] Esselborn: Trakl. S.2.

[12] Vgl. hierzu: Esselborn: Trakl. S.4 f..

[13] Esselborn: Trakl. S.5.

[14] Esselborn: Trakl.S.5.

[15] Vgl. hierzu: Esselborn: Trakl. S.2.

[16] Walther Killy: Über Georg Trakl. Göttingen, 1967, S.5, im folgenden zitiert als Killy: Trakl.

[17] Esselborn: Trakl. S.3.

[18] Matt: Dynamik. S . 59.

[19] Vgl. hierzu: Matt: Dynamik. S.58.

[20] Walther Killy (Hg.): Georg Trakl. Dichtungen und Briefe. Band I / II. Salzburg, 1987, im folgenden zitiert als

Trakl: Dichtungen. Band 1./ II.

[21] Diese Eigenheit Trakelscher Lyrik ist aber nicht als ein Ausnahmephänomen zu verstehen, denn schon um 1890 waren führende Künstler der Überzeugung, dass die erfahrene Wirklichkeit nicht logisch-kausalen Gesetzlichkeiten, wie es Wissenschaft und Philosophie propagierten, folgen würde und „[…]es mehrten sich Versuche, auch dem A-Logischen und A- Kausalen wieder den ihnen zukommenden Platz in Kunst und Literatur zu geben.“ Martin Stern: Der Traum in der Dichtung des Expressionismus bei Strindberg, Trakl und Kafka. S.115. Aus: Therese Wagner-Simon (Hg.): Traum und Träumen. Göttingen, 1984, S.113-132, im folgenden zitiert als Stern: Der Traum.

[22] Matt: Dynamik. S.60.

[23] Trakl: Dichtungen. Band I. S.164.

[24] Trakl: Dichtungen. Band I.S.417.

[25] Trakl: Dichtungen. Band I . S.311.

[26] Trakl: Dichtungen. Band II. S.400.

[27] Vgl. hierzu: Killy: Trakl. S.48.

[28] Matt: Dynamik. S.60.

[29] Matt: Dynamik. S.60.

[30] Killy: Trakl. S.46.

[31] Christoph Eykmann : Die Funktion des Hässlichen in der Lyrik Georg Heyms, Georg Trakls und Gottfried

Benns. Bonn, 1965, S.58, im folgenden zitiert als Eykmann: Funktion.

Ende der Leseprobe aus 19 Seiten

Details

Titel
An deinem Mund der herbstliche Mond - Zum Mondmotiv bei Georg Trakl
Hochschule
Ludwig-Maximilians-Universität München
Note
1
Autor
Jahr
2004
Seiten
19
Katalognummer
V45107
ISBN (eBook)
9783638425728
Dateigröße
670 KB
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Mund, Mond, Mondmotiv, Georg, Trakl
Arbeit zitieren
Johanna Zeiß (Autor:in), 2004, An deinem Mund der herbstliche Mond - Zum Mondmotiv bei Georg Trakl, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45107

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