Rashomon. Eine philosophische Filmanalyse


Seminararbeit, 2000

27 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhalt

0. Einleitung

1. Am Anfang war...das Leid

2. Gegenüberstellung von Optimismus und Pessimismus
2.1. Die beste aller möglichen Welten
2.2. Die schlechteste aller möglichen Welten
2.3. Pessimistische Kritik der optimistischen- Optimistische Kritik der pessimistischen Weltbilder

3. Rashomon
3.1. Inhalt
3.2. “The Great Rashomon Murder Mystery”
3.3. Zum Schluß

Literaturverzeichnis/Filmnachweis

Eine philosophische Filmanalyse im Rahmen des Proseminars “ Pessimistische Kritik der optimistischen Weltbilder ”

0. Einleitung

Im Rahmen eines Philosophieseminars die Analyse eines Spielfilms vorzunehmen, scheint zunächst ziemlich gewagt: Spielfilme dienen, so das Alltagsverständnis, der Unterhaltung und Entspannung. Der Zuschauer will seinen Spaß haben. Deswegen geht er ins Kino.

Da scheint die Philosophie mit ihren intellektuell fordernden, oft nur schwer verständlichen Diskursen und manchmal Jahrhunderte dauernden Disputen reichlich deplaziert. Doch das ist sie nicht.

Spielfilme sind zwar Unterhaltung, aber keine Berieselung. Der Kinobesucher ist zwar Zuschauer, aber dabei keineswegs so passiv, wie manche Theorien ihn erscheinen lassen.

Filme fordern, wie andere Kunstwerke, die Wahrnehmung des Betrachters heraus, weil in ihnen (schon durch die filmtypischen Eigenschaften wie Kadrierung und Montage) nichts so erscheint, wie wir es aus dem Alltag kennen. Das Mechanische, Automatische, die Routinen unserer Alltagswahrnehmung werden verfremdet und aufgebrochen.1 Dabei spielt der Zuschauer eine höchst aktive Rolle: Denn erst in seinen mentalen Prozeßen entsteht diese Verfremdung. “ Der Zuschauer sucht im Werk aktiv nach Hinweisen [cues] und reagiert darauf mit den Wahrnehmungsfähigkeiten [viewing skills], die er durch seinen Umgang mit anderen Kunstwerken und mit dem Alltagsleben erworben hat ” 2. Das Anschauen eines Films ist ein Ereignis von größter mentaler Aktivität. Der Zuschauer akzeptiert nicht nur, daß er dieser geistigen Anstrengung unterzogen wird, er verlangt es sogar. Offenbar ist es nämlich genau diese Aktivität, dieses Suchen und Finden von Hinweisen, wie er die Handlungselemente untereinander, aber auch mit seinem Leben, mit seinen innersten Gefühlen und Problemen verbinden kann, das, was ihm beim Filmesehen Vergnügen und Spaß bereitet.3

Im täglichen Leben - im Beruf, im Straßenverkehr, im Kaufhaus - spielt Philosophie (für die meisten) keine Rolle: Alles wird routiniert, automatisch, pragmatisch erledigt.

Im Film ist das anders: Hier erwartet der Zuschauer die Herausforderung, das Besondere, das, was im Alltag nicht vorkommt oder zu kurz kommt. Hier kann in dramatischer Form (ähnlich dem Theater) das ausgetragen werden, was den Menschen in seinem Innersten bewegt und berührt. Dazu gehören insbesondere die menschlichen Grundfragen und -probleme, also genau jener Bereich, mit dem sich die Philosophie beschäftigt.

Es scheint also nicht nur legitim, sondern geradezu notwendig, im Rahmen der Philosophie einen Blick auf jene Künste zu werfen, die sich mit den gleichen Fragen und Problemen beschäftigen. Es ist zwar unrealistisch anzunehmen, daß man in der Kunst die Antworten und Lösungen findet, um die sich die Philosophie (vergeblich?) bemüht/bemüht hat, doch kann eine Beschäftigung mit ihr vielleicht ein neues Licht auf die Problematik werfen. Schließlich ist auch der Philosoph im Kino nur ein Zuschauer, dessen Wahrnehmung verfremdet und dessen Sichtweise verändert wird. Diese Arbeit will versuchen, die Chancen, die sich daraus für die Betrachtungsweise eines so schwerwiegenden Problems wie dem der Gegenüberstellung von (metaphysischem) Optimismus und Pessimismus ergeben könnten, zu nutzen.

Es soll zunächst versucht werden, einen Überblick über die Problematik zu gewinnen, bevor dann zwei exponierte Vertreter der optimistischen wie der pessimistischen Weltbilder, Gottfried Wilhelm Leibniz und Arthur Schopenhauer, einander gegenübergestellt werden. Von einer kritischen Würdigung beider Positionen ausgehend, wird dann der Film “Rashomon” einer Analyse unterzogen, inwieweit er gleichsam Beispiel und Lösungsversuch der Problematik ist.

Die Wahl des Films ist dabei nicht zufällig: Akira Kurosawas “Rashomon” (Japan, 1950) gilt als herausragendes Beispiel für die japanische Filmkunst (Großer Preis von Venedig, 1951, und Oscar für den besten fremdsprachigen Film, 1952). Er veranschaulicht durch seine Thematik das Grundproblem, um das es - nach Kurosawas eigener Aussage - in seinen Filmen geht:

Darum nämlich, warum es den Menschen nicht gelingt glücklicher zu werden.4 Es geht darin um Glück und Leid, also um die Phänomene, die als Grundlage dienen für die philosophischen Positionen von Optimismus und Pessimismus.

1. Am Anfang war...das Leid

Ausgangspunkt für die “Pessimistische Kritik der optimistischen Weltbilder” ist die Frage nach dem Umgang mit dem Phänomen des Leidens und der Übel in der Welt.

Keine Nachrichtensendung vergeht ohne Berichte von Krieg, Seuchen, Katastrophen, Verbrechen, Armut und Hunger. Jeder scheint mit jedem im Streit zu liegen. Und auch unser eigenes Leben scheint oft voller Mangel und Schmerz, Krankheit und Leid, Kummer und Sorge, Ärger und Unzufriedenheit, welche erst mit dem Tod - dem Übel der zeitlichen Beschränktheit unseres Daseins - ein Ende nehmen. Das Leben scheint unvermeidbar mit Leid verbunden zu sein.

Wie kann der Mensch mit dieser Grunderfahrung umgehen? Wenn Leben leiden heißt, wie kann ein Mensch dann leben wollen? Die Frage nach dem menschlichen Leiden führt direkt zur Frage aller Fragen, der nach Sein oder Nichtsein, nach Optimismus oder Pessimismus.

Im Optimismus wird die Frage nach Sein oder Nichtsein klar zugunsten des Seins entschieden: Das Sein ist dem Nichtsein, das Leben dem Tod vorzuziehen. “ Der metaphysische Optimismus, ” definiert Meyers Kleines Lexikon Philosophie, “ ruht auf der Annahme, daßdie Welt durch eine natürliche (vernünftige) Weltordnung charakterisiert und das Gute dem Bösenüberlegen ist. ” 5 Mit anderen Worten: Die Freude ist dem Leid, das Glück dem Unglück in der Welt überlegen. Es gibt einen positiven Weltgrund, eine Instanz, die dem Menschen ein Glück garantiert, das die Leiderfahrung zwar nicht aufheben, aber ertragbar machen kann. „ Die Proletarier haben nichts in [der Revolution] zu verlieren als ihre Ketten. Sie haben eine Welt zu gewinnen. “ 6 - um nur eines der bekannteren Heilsversprechen zu nennen.

Demgegenüber ist der Pessimismus dadurch gekennzeichnet, daß er “ einen in der Welt selbst angelegten oder außerhalb der Welt lokalisierbaren Sinn grundsätzlich in Frage stellt bzw. Welt und Leben verneint. ” 7 Im Pessimismus wird die Leiderfahrung als so gravierend wahrgenommen, daß es keine Instanz, kein Gott, keine Hegelsche/Marxsche Dialektik ausgleichen und für eine Kompensation sorgen kann. Es gibt nichts, wodurch das Leiden ertragbar werden könnte, weil nur ihm die eigentliche Realität zukommt. Nicht hingegen dem Guten oder dem Glück. Deshalb ist für den Pessimisten das Nichtsein dem Sein vorzuziehen: „ Sterben- schlafen- Nichts weiter!- und zu wissen, daßein Schlaf das Herzweh und die tausend St öß e endet, die unsers Fleisches Erbteil- ‘ s ist ein Ziel aufs innigste zu wünschen: Sterben- schlafen- schlafen! “ 8

Das wohl (wirkungsgeschichtlich) bedeutendste optimistische Weltbild der letzten Jahrtausende ist der Glaube an den einen, guten und allmächtigen Schöpfergott, wie er in der Bibel zu finden ist: “ Gott schuf also den Menschen als sein Abbild; als Abbild Gottes schuf er ihn. Als Mann und Frau schuf er sie. [...]Gott sah alles an, was er gemacht hatte: Es war sehr gut. ” 9

Angesichts des Bösen und der Leiden in der Welt fordert dieser Glaube “Es war sehr gut” natürlich die pessimistische Kritik heraus. Erste Anzeichen dafür finden sich sogar schon in der Bibel selbst, so z.B. im Buch Hiob, in dem das Phänomen des ungerechten Leidens problematisiert wird.

Weitaus schwerer wiegt jedoch die außerbiblische Kritik am Schöpfungsglaube, wie sie z.B. vom Manichäismus (ca. 300 n.Chr.) formuliert wird: Es gibt nicht den einen guten Schöpfergott, sondern zwei Weltprinzipien, das Licht und die Finsternis, das Gute und das Böse, die in einem ewigen Kampf miteinander liegen. In einer stärker christlich geprägten Form wurde daraus der Glaube, daß es einen bösen Schöpfergott gibt, der die Welt als solche schlecht geschaffen hat, weshalb der Mensch von einem guten Erlösergott im Rahmen einer die Welt vernichtenden Heilseschatologie gerettet werden muß.10

Da Welt und Leben bösen Ursprungs sind, müssen beide vernichtet werden: Welche Konsequenz die Verbreitung eines solchen Glaubens in einem Zeitalter der Massenvernichtungswaffen haben könnte, da der Mensch fähig geworden ist, seine eigene Eschatologie herbeizuführen, möchte man sich kaum vorstellen.

Der Philosoph Odo Marquard legt in seiner “Apologie des Zufälligen” dar, daß die Neuzeit entscheidend von der “ Neutralisierung der Erlösungseschatologie ” geprägt sei. Eine zentrale Funktion der Neuzeit sei es zu zeigen, “ daßdie Welt auch bei ausbleibendem Heilsende aushaltbar ist. ” 11 Eine wichtige Rolle spiele dabei die Theodizee, die Rechtfertigung Gottes vor der menschlichen Vernunft.

Wie kann es in einer von einem gütigen und allmächtigen Gott geschaffenen Welt Leiden und Übel geben? Wenn Gott den Willen hat, Gutes zu tun, und die Macht, dies zu realisieren, warum ist die Welt dann trotzdem so, wie sie ist? Dies ist die Grundfrage der Theodizee, bei der es, wie oben ausgeführt, eben nicht nur darum geht, Gott, sondern vielmehr auch die Welt und den Menschen zu rechtfertigen. Trotz des Schlechten in der Welt muß es einen positiven Grund dafür geben, daß der Mensch sich eben nicht der sofortigen Apokalypse, der Vernichtung anheimgibt.

Die Grundfrage dieser Arbeit ist also, wie das menschliche Leben sein Dasein rechtfertigen kann trotz der Übel und Leiden in der Welt, die es unerträglich zu machen scheinen. Welche Gründe, kann der Mensch seiner Vernunft dafür nennen, daß es besser ist, zu sein als nicht zu sein?

Ziel dabei kann nicht ein platter Optimismus, eine “Alles wird gut”-Vertröstung sein. Dies ist vielmehr genau wie der radikale Pessimismus zu vermeiden. Es muß deshalb um die Konstruktion eines “kritischen Optimismus” oder auch “kritischen Pessimismus” gehen, der die Leiden nicht schönredet/überzeichnet, sondern eine konstruktiv-pragmatische Haltung einnimmt, die eine Minimierung des Leidens zum Ziel hat.

Unmittelbar in Zusammenhang mit der Rechtfertigung des Lebens steht also auch eine Rechtfertigung der Ethik. Soll das menschliche Zusammenleben nicht völlig zusammenbrechen, muß es eine wie auch immer geartete Sinnkonstruktion für das ethische Handeln geben.

Die nachfolgende Untersuchung wird sich also darauf richten, inwieweit die einander gegenübergestellten Positionen von Leibniz und Schopenhauer für diese Aufgaben: a) Rechtfertigung des menschlichen Lebens und b) Rechtfertigung des ethischen Handelns Lösungen finden, welche Probleme sie aufwerfen und wie der Film “Rashomon” gleichzeitig geistesgeschichtlicher Ausdruck dieser Kontroverse wie Lösungshorizont ist.

2. GEGENÜBERSTELLUNG VON OPTIMISMUS UND PESSIMISMUS

2.1 DIE BESTE ALLER MÖGLICHEN WELTEN

“ Wenn es keine beste (optimum) unter allen möglichen Welten gäbe, würde Gott gar keine geschaffen haben. ” 12

1648 ging der Dreißigjährige Krieg zu Ende. Und mit ihm auch der uneingeschränkte Glaube an die Religion und die von ihr gestützten Autoritäten. Die Botschaft, die den Menschen das Heil bringen sollte, hatte ihnen das Inferno gebracht. Die neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse stellten mehr und mehr das Weltbild in Frage, das über Jahrhunderte gegolten hatte. Der Mensch verlor die festgefügte, hierarchische Ordnung des Mittelalters und stand nun zunehmend als freies Subjekt in der Welt.13 Eine Befreiung - und zugleich Quelle neuen Leidens.

Zwei Jahre zuvor, 1646, wurde in Leibzig Gottfried Wilhelm Leibniz geboren, der die Leiden und Gefahren seiner Zeit erkannte und bereits 1673 in seinem “Bekenntnis des Philosophen” die

[...]


1 vgl. Thompson, Filmanalyse, S. 28-29

2 ebd., S. 30

3 vgl. Blothner, Erlebniswelt Kino, S. 46 f.

4 Visarius, Rashomon, S. 120

5 Meyers Kleines Lexikon Philosophie, S. 302

6 K.Marx/F.Engels, Manifest der Kommunistischen Partei, S. 56

7 Meyers Kleines Lexikon Philosophie, S. 310

8 W.Shakespeare, Hamlet, S. 55

9 Genesis 1,27/1,31

10 Vgl. Marquard, Apologie des Zufälligen, S. 15

11 ebd., S. 16

12 Leibniz, Die Theodizee, S. 362

13 Janssen, Gott-Freiheit-Leid, S.10-11

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Rashomon. Eine philosophische Filmanalyse
Hochschule
Universität zu Köln
Veranstaltung
Pessimistische Kritik der optimistischen Weltbilder
Note
1,0
Autor
Jahr
2000
Seiten
27
Katalognummer
V45142
ISBN (eBook)
9783638425964
Dateigröße
403 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Analyse des Films "Rashomon" von Akira Kurosawa (Japan 1950) auf dem Hintergrund der Gegenüberstellung von metaphysischem Optimismus (am Beispiel der Theodizee von Leibniz) und metaphysischem Pessimismus (am Beispiel von Schopenhauer).
Schlagworte
Rashomon, Eine, Filmanalyse, Pessimistische, Kritik, Weltbilder
Arbeit zitieren
Christian Junklewitz (Autor:in), 2000, Rashomon. Eine philosophische Filmanalyse, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45142

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