Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Faszination Gewalt
2. Gesellschaft in der griechischen Antike
2.1 Beginn des Sports
2.2 Teilnehmer an den Wettkämpfen
2.3 Gewalt in den Olympischen Spielen
2.3.1 Der Ringkampf
2.3.2 Der Faustkampf
2.3.3 Das Pankration
2.4 Humane und wissenschaftliche Errungenschaften der Griechen
3. Die Gesellschaft in Fight Club
4. Gewalt in Fight Club
4.1 Darstellung der Gewalt durch David Fincher
4.2 Regeln im Fight Club
5. Parallelen zwischen dem antiken Griechenland und Fight Club
5.1 Gemeinsamkeiten in der Gesellschaft
5.2 Gemeinsamkeiten im Kampf
6. Abbildungsverzeichnis
7. Literaturverzeichnis
1. Faszination Gewalt
„Look, the people you are after are the people you depend on: we cook your meals, we haul your trash, we connect your calls, we drive your ambulances, we guard you while you sleep. Do not fuck with us.“1 Mit dieser an den Polizeipräsidenten gerichteten Warnung betont Tyler Durden in David Finchers Film Fight Club (USA 1999) die Relevanz der Mitglieder des Fight Clubs im gesellschaftlichen Alltag. Die Männer, die sich wöchentlich in dunklen Kellerräumen fast zu Tode prügeln, sind Kellner, Müllmänner und Mechaniker, aber auch Krankenwagenfahrer und Polizisten und somit Gesichter des öffentlichen Lebens und die Stützen der modernen Gesellschaft. Doch die in Fight Club dargestellte Kluft zwischen Zivilisation und exzessiver Gewalt ist kein einmaliges oder absurdes Phänomen.
Schon im Rahmen der Olympischen Spiele des antiken Griechenlands gab es trotz einer augenscheinlich überdurchschnittlich gebildeten und zivilisierten Gesellschaft brutale Kämpfe, an denen sich die Zuschauer ergötzten.
Wie der Soziologe Norbert Elias in seinem Text Der Sport und das Problem der zulässigen Gewalt darlegt, ist man bezüglich der griechischen Gesellschaft „hin und hergerissen zwischen den hohen humanen Werten, die man mit den Errungenschaften in Philosophie, Naturwissenschaft, bildender Kunst und Dichtung verknüpft, und dem geringen menschlichen Wert, den man scheinbar den alten Griechen beimißt, wenn man von ihrer gering ausgeprägten Abneigung gegen physische Gewalt spricht.“2
In dieser Seminararbeit soll erörtert werden, inwieweit altgriechische Kampfsportarten Fincher bei der Darstellung von Gewalt in Fight Club als Vorbild gedient haben könnten. Darüber hinaus werden weitere Parallelen zwischen der Gesellschaft des antiken Griechenlands und der in Fight Club dargestellten Gesellschaft herausgearbeitet und mit Heranziehung soziologischer Texte untersucht, wieso sich solch zivilisierte Gesellschaften so stark von der körperlichen Gewalt faszinieren lassen und sogar selber exzessiv ausüben.
2. Gesellschaft in der griechischen Antike
2.1 Beginn des Sports
Es waren die Völker der griechischen Antike, die um circa 800 v. Chr. die Form des Sports, so wie wir ihn heute kennen, erstmals vor einem Publikum in der griechischen Stadt Olympia praktizierten.3 Sinn und Zweck der „Olympischen Spiele“ war neben der reinen Unterhaltung des Publikums auch das Sammeln von Ruhm und Ehre für die siegreichen Sportler, deren Familien und sogar für ihre Heimatstädte.4 Darüber hinaus fanden die Wettkämpfe zu Ehren der Götter statt, die dem Glauben der Griechen nach auch über den Ausgang entschieden.5
Während zu Beginn der Olympischen Spiele nur leichtathletische Disziplinen in den alle vier Jahren stattfindenden Wettkämpfen veranstaltet wurden, gab es im Jahre 708 v. Chr. den ersten Ringkampf, 20 Jahre später den ersten Faustkampf und 648 v. Chr. die Aufnahme des Pankrations in die Olympischen Spiele. Da die Kampfsportarten bei den Zuschauern aber eine höhere Beliebtheit besaßen, gab es bei diesen nunmehr auch ein höheres Preisgeld.6
2.2 Teilnehmer an den Wettkämpfen
Die Teilnahme an den Olympischen Spielen war den Vorschriften nach allen freien, griechischen Staatsbürgern möglich. De facto stammten die Wettkämpfer aber fast ausnahmslos aus der Oberschicht, da für das langwierige Training eine kostspielige Finanzierung notwendig war. Die Adeligen erhofften sich durch das anspruchsvolle Training eine Steigerung ihrer kämpferischen Fähigkeiten, die im Falle von Kriegen vonnöten wären, und aufgrund ihrer starken Physis eine moralische – aber vielmehr geistige und körperliche – Vollkommenheit. Diese Vollkommenheit wurde als „Arete“ bezeichnet und als gesellschaftliches Ideal betrachtet, das den Weg zu einem gesellschaftlichen Aufstieg ebnen und die Privilegien des Adels konservieren sollte.7 Ein Sieg in einem Olympischen Wettkampf steigerte die Chancen eines gesellschaftlichen Aufstiegs des Siegers und seiner Familie umso mehr.8
2.3 Gewalt in den Olympischen Spielen
2.3.1 Der Ringkampf
Die 708 v. Chr. zuerst in die Olympischen Spiele aufgenommene Kampfsportart war das Ringen, bei dem sich durch folgende Regeln der Gewinner des Zweikampes ergab:
„1. Der Ringkampf ist Standkampf. Sieger ist, wer seinen Gegner dreimal zu Fall gebracht hat. Eine Fortsetzung des Kampes als Bodenkampf gibt es nicht.
2. Der ganze Körper von Kopf bis Fuß ist Gegenstand der Griffe.
3. Beinausschlagen ist erlaubt.
4. Beim gemeinsamen Fall entscheidet der Kampfrichter, wer den Fall bewirkt hat.
5. Es ist verboten, den Gegner durch schmerzhaftes Schlagen, Würgen, Verdrehen der Gelenke oder ähnliches zum Aufgeben zu zwingen.“9
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 1: Die beiden Athleten in der Ausgangsposition des Ringkampfes, in einem Vasenbild dargestellt.
Ergänzend ist zu erwähnen, dass wie bei allen Olympischen Kampfsportarten die Kontrahenten gänzlich nackt waren und es keine Gewichtsklassen gab. Letzteres ergab einen deutlichen Vorteil für den schwereren Athleten, sodass die Ringer versuchten, neben ihrem Kraft- und Techniktraining eine große Masse an Muskeln und vor allem Fett zu gewinnen.10 So äußerte sich auch der Philosoph Philo von Alexandria im ersten Jahrhundert nach Christus zum Thema Essen wie folgt: „Ich tue es nur, um zu leben; der Athlet auch, um kräftig und stark zu werden.“11
2.3.2 Der Faustkampf
Im Jahre 688 v. Chr. wurde der Faustkampf in die Olympischen Spiele aufgenommen. Seine Besonderheit war das Umwickeln des Knöchels, Handgelenkes und Unterarmes mit einem etwa drei Meter langen Lederriemen. Da die Finger frei blieben, ist davon auszugehen, dass die Riemen ursprünglich eine knöchelschützende Funktion innehatten. Im fünften Jahrhundert vor Christus wurden die Riemen durch ein Riemengeflecht, einem Handschuh ähnlich, ersetzt, bei denen ebenfalls die Finger frei blieben und die nun auch die Schlagwucht erhöhte.12
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Abb. 2: Die Schläge galten dem Gesicht.
Es gab keine zeitlich beschränkenden Regeln, sondern lediglich den Sieg durch Kampfunfähigkeit des Gegners oder den Sieg durch Aufgabe des Gegners, die wörtlich oder durch ein Handzeichen erfolgen musste. Allerdings waren Schläge auf Körperpartien unterhalb des Kopfes sowie Klammern und Festhalten verboten, sodass quasi alle Schläge dem Gesicht galten, was den Sport in Kombination mit der durch das Riemengeflecht gewährleisteten „Bewaffnung der Faust“13 durchaus deutlich brutaler als den heutigen Boxkampf machte. Darüber hinaus sorgten die Treffer am Kopf für enorme Verletzungen und Entstellungen.14
2.3.3 Das Pankration
Der bei weitem brutalste Olympische Kampfsport war das Pankration. Als eine Art eine Kombination des Ringkampfes und des Faustkampfes war das Pankration ein im Prinzip regelloser Wettkampf, bei dem ein tödliches Ende keine Seltenheit war.15 Das Duell begann in aufrechter Startposition, Schläge waren erlaubt, allerdings mit unbewaffneter Faust, aber nach einem Fall war der Kampf keineswegs zu Ende. Stattdessen artete er zu einem brutalen Allkampf aus: Die Athleten würgten sich, schlugen und traten mit Fäusten, Füßen, Ellenbogen und Knien auf alle Körperteile des Gegners ein; sie attackierten Gelenke und Augen der Gegner. Die wenigen, aber historisch nicht eindeutig überlieferten Regelwidrigkeiten wurden lediglich mit Rutenschlägen durch den Kampfrichter sanktioniert; etwaige zugefügte Verletzungen wurden nicht weiter bestraft, sodass der Kampf trotzdem ohne Pause fortgesetzt wurde.16
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Abb. 3: Ein Pankrationist versucht, seinem Gegner das Schultergelenk zu verdrehen.
Die Kämpfe endeten durch Aufgaben oder Tod des Gegners. Daher versuchten die Athleten, dem Kontrahenten größtmögliche Schmerzen, etwa durch gezieltes Brechen von Knochen, hinzuzufügen, um diesen zur Aufgabe zu zwingen. Durch den Einsatz von Würgegriffen war ein Tod des Gegners auch keine Seltenheit und auch kein Regelverstoß, stattdessen kam ihnen posthume Ehre zuteil.17
2.4 Humane und wissenschaftliche Errungenschaften der Griechen
Die in den Olympischen Spielen auftretende Gewalt war keineswegs ungewöhnlich für die antiken und altorientalischen Hochkulturen, wohl aber der Kontrast zwischen den kulturellen Errungenschaften, die die griechische Gesellschaft auszeichneten, und der Gewaltakzeptanz. Die Fortschritte der Griechen in der Philosophie, der bildenden Kunst, der Poetik sowie der Naturwissenschaft waren enorm.18 Vor allem die Einführung der Demokratie im 5. Jahrhundert vor Christus in Form von Volksentscheidungen, bei denen jeder männliche Vollbürger das Recht hatte, Anträge vorzutragen und Vetos einzulegen, zeigt die hohen humanen Werte der Antike.19
Zwar hatten Frauen kein politisches Mitspracherecht, doch war die Emanzipation schon so weit vorangeschritten, dass sie in Läden arbeiteten oder öffentliche Feste organisierten. Somit sorgte das Streben nach politischer Gleichberechtigung zwischen den Ständen und nach geschlechtlicher Gleichberechtigung im Alltag für ein friedliches und harmonisches Zusammenleben in Staat und Familie.20
3. Die Gesellschaft in Fight Club
In David Finchers Fight Club gründen die Protagonisten, der namenlose Erzähler (dargestellt von Edward Norton) und Tyler Durden21 (Brad Pitt) den sogenannten Fight Club, in dem sich Männer freiwillig bekämpfen. Als die beiden bei einem Zweikampf von anderen Männern mit Begeisterung beobachtet werden, veranstalten sie jede Samstagnacht den Fight Club im Keller einer Bar. Die Mitgliederzahl steigt stetig, der Fight Club wird auch an anderen Wochentagen ausgetragen und von Tyler auf nahezu alle Städte in den USA erweitert.
Die Mitglieder des Fight Clubs sind allesamt männlich und größtenteils zwischen 30 und 40 Jahren alt. Unzufrieden mit ihrem Beruf und ihrer Stellung in der kapitalistischen Gesellschaft, suchen sie durch „Selbstzerstörung“22 nach Befriedigung und Verdrängung ihrer Probleme. Durch das Kämpfen, egal ob bei Sieg oder Niederlage, erlangen sie ein Gefühl von Freiheit. Aus der Sicht des Erzählers ist es ein Weg zum Wohlbefinden und ein Ersatz für die Selbsthilfegruppen, also eine Therapie, die ihm das Gefühl gibt, nach dem Kämpfen sei „alles andere im Leben leiser gedreht. Man wird mit allem fertig.“23
Die Berufe der Mitglieder sind Kellner, auch in der gehobenen Gastronomie, Mechaniker oder eben Filmvorführer und Rückrufkoordinator bei einer großen Automobilfirma. Gegen Ende des Films, als der Fight Club sich zum „Projekt Chaos“ weiterentwickelt hat, sind es auch Polizisten und Mitarbeiter in den Kreditkartenfirmen, die das Projekt zu bekämpfen plant. Um die Eingebundenheit der Mitglieder in den beruflichen Alltag zu verdeutlichen, lässt Fincher manche Charaktere unpassend zu dem Ambiente Hemd und Krawatte tragen, während sie den Kämpfenden im Fight Club applaudieren. Jeder von ihnen geht tagsüber einem geregelten Tagesablauf nach, von dem sie aber gelangweilt und angewidert sind, und sie leben nur auf den nächsten Kampf im Fight Club hin.
[...]
1 Fight Club (1999, Kapitel 25, ab 01:34:37).
2 Elias (1997, S. 75).
3 Vgl. Elias (1997, S. 71).
4 Vgl. Elias (1997, S. 89).
5 Vgl. Rudolph (1975, S. 13f.).
6 Vgl. Rudolph (1975, S. 18ff.).
7 Vgl. Rudolph (1975, S. 12ff.).
8 Vgl. Elias (1997, S. 89).
9 Rudolph (1975, S. 104).
10 Vgl. Rudolph (1975, S. 109f.).
11 Philo von Alexandria (1962, S. 50).
12 Vgl. Rudolph (1975, S. 94f.).
13 Rudolph (1975, S. 97).
14 Vgl. Rudolph (1975, S. 96ff.).
15 Vgl. Elias (1997, S. 80).
16 Vgl. Rudolph (1975, S. 116f.).
17 Vgl. Elias (1997, S. 79f.).
18 Vgl. Elias (1997, S. 75).
19 Vgl. Schulz (2008, S. 166ff.).
20 Vgl. Schulz (2008, S. 165f.).
21 In dieser Seminararbeit wird nicht darauf eingegangen, dass Tyler Durden nur das Produkt der multiplen Persönlichkeitsstörung des Erzählers ist, sondern als einzelner Charakter betrachtet.
22 Fight Club (1999, Kapitel 15, ab 00:45:18).
23 Fight Club (1999, Kapitel 14, ab 00:39:11).