Das Verhältnis Hannah Arendts zur technischen Entwicklung im Hinblick auf eine Emanzipation aus dem Privaten


Hausarbeit (Hauptseminar), 2018

21 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe

Inhaltsverzeichnis

Siglenverzeichnis

1. Einleitung

2. Die Arbeit und die Fessel der Lebensnotwendigkeiten
2.1. Die Grundtätigkeiten der Vita activa
2.2. Wesen und Verortung der Arbeit
2.3. Wandel der Einstellung zur Arbeit in der Neuzeit

3.Der politische Bereich und die soziale Frage

4. Der technische Fortschritt
4.1. Entwicklung der neuzeitlichen Technik
4.2. Technik - Chance oder Gefahr?

5.Zusammenfassung und Fazit

Literaturverzeichnis

Siglenverzeichnis

Abbildung in dieser leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Die absolute Freiheit im Arendtschen Sinne bedeutet, politisch handeln zu können. ״Freisein heißt weder Herrschen noch Beherrschtwerden“ (VA 42). Doch um in diesem Sinne frei sein zu können, bedarf es bereits einer Freiheit: Der Freiheit, frei zu sein, um es mit dem Titel des zuletzt aus Hannah Arendts Nachlass veröffentlichten Essay auszudrücken. Die Konstituierung dieser Freiheit, die, so trivial es klingt, das Freisein bedingt, muss auch das Ziel von Revolutionen sein. Diese dürfen sich, so stellt Arendt mit Verweis auf Condorcet fest, nur als revolutionär bezeichnen, sofern sie die Freiheit zum Ziel haben (vgl. FF 11). ״Politik ist für Arendt beides, die tätige Verwirklichung von Freiheit und zugleich die Praxis der Selbstbegrenzung dieser Tätigkeit“1. Sie unterscheidet dabei die positive Freiheit, die Freiheit politisch zu handeln - also frei zu sein - von einer negativen Freiheit, die ״lediglich“ die Abwesenheit von Amiut oder politischer Unterdrückung bedeutet. Die negative Freiheit ist das Resultat der Befreiung, der ersten Stufe der Revolution, denn ״[n]ur diejenigen, die die Freiheit von Not kennen, wissen die Freiheit von Furcht in ihrer vollen Bedeutung zu schätzen, und nur diejenigen, die von beideni frei sind, von Not wie von Furcht, sind in der Lage, eine Leidenschaft für die öffentliche Freiheit zu empfinden“ (FF 26). In über die Revolution analysiert und vergleicht Arendt die Französische und die Amerikanische Revolution. Während sich die amerikanischen Revolutionäre hinsichtlich der Befreiung nur mit dem Problem der politischen Unterdrückung auseinandersetzen mussten, kämpfte die Französische Revolution darüber hinaus mit ״der verzweifelte[n] Amiut der Massen, die zum ersten Mal sichtbar wurden, als sie auf die Straßen von Paris strömten“ (FF 24). Die Gründung der Freiheit in Amerika konnte nur gelingen, weil den ,gründenden Vätern‘ die politisch unlösbare soziale Frage nicht im Wege stand“ (ÜR 85), während die Französische Revolution im Terror endete.

Laut Arendt haben die französischen Revolutionäre die ״Freiheit der Notwendigkeit [geopfert]“ (ÜR 74). Nicht die Politik darf für die Lösung der sozialen Frage das Mittel der Wahl sein, stattdessen kann ״die Befreiung vorn Fluch der Amiut [...] technisch bewältigt werden“ (ÜR 82). Auf diesem Gedanken beharrend2 führt sie jedoch nicht näher aus, inwiefern die Technik zur Befreiung des Menschen von der Not aussehen soll. Dabei kommt irritierend hinzu, dass ihre Einstellung hinsichtlich der Technik als Teil der modemen Entwicklung keineswegs durchgehend positiv zu sein scheint.

Diese Arbeit beschäftigt sich mit Hannah Arendts Verhältnis zur technischen Entwicklung und stellt weiter die Frage, ob aus ihrer Sicht die Emanzipation des Menschen aus dem privaten Bereich durch technischen Fortschritt gelingen kann.

Zunächst wird dazu die Arbeit, als die Tätigkeit, die der Notwendigkeit entspringt und den Menschen im Privaten hält, in Abgrenzung zum Herstellen betrachtet. Dabei findet auch der Wandel der Einstellung zur Arbeit mit dem Beginn der Neuzeit Berücksichtigung. Weiter stellt sich die Frage, aus welchem Gmnd die soziale Frage nicht mit politischen Mitteln lösbar ist. Die Technik als von Arendt postulierte Alternative ist der Gegenstand des letzten Kapitels der vorliegenden Arbeit. Zunächst wird die technische Entwicklung grob Umrissen um schließlich in Forni von möglichen Chancen und Gefahren auf Arendts Bewertung ebenjener einzugehen.

Die Literato betreffend liegt das Hauptaugenmerk auf Arendts Vita Activa oder Vom tätigen Leben, insbesondere auf den Kapiteln drei und vier, die sich mit der Arbeit und dem Herstellen beschäftigen, sowie auf Kapitel sechs, das sich mit der Vita activa3 in der Neuzeit auseinandersetzt. Die technische Entwicklung wird dabei vor allem im vierten Kapitel thematisiert. Der Philosoph Hans Jonas, ein jahrelanger Freund Amdts, beschrieb in einem Beitrag für den Merkur die Vita Activa respektive den Originaltitel The Human Condition (1958) als ״sicher de[n] anspruchsvollste[n] unter all ihren Schriften, fast erschreckend in seinem Ausmaß“.4 Weiter finden Abschnitte aus über die Revolution - primär das zweite Kapitel über die soziale Frage - Berücksichtigung, sowie der erst kürzlich posthum veröffentlichte Essay Die Freiheit, frei zu sein. Seyla Benhabib bietet in Hannah Arendt. Die melancholische Denkerin der Moderne eine neue Lesart Arendts und kritisiert im gleichen Zuge die ״Standardauffassung“ der Arendtschen politischen Philosophie, welche ebenjene als nostalgisches und elitäres Denken versteht. Benhabib plädiert vielmehr für eine ״subtilere und nuanciertere Art“5 des Lesens, vor allem in Bezug auf die Vita activa. Ich werde versuchen, einer solchen differenzierten Lesart gerecht zu werden. Zur Einordnung und Abgrenzung der Tätigkeiten und Räume bei Arendt erwiesen sich die Aufsätze des Sammelbandes Raum und Zeit. Denkformen des Politischen bei Hannah Arendt als sehr hilfreich. Mit dem Begriff der Arbeit sowie ihrem Bedeutungswandel bei Hannah Arendt und Karl Marx setzt sich Thomas Geisen intensiv auseinander6 und bot besonders hinsichtlich der unterschiedlichen Begriffsbestimmungen dieser beiden Denker eine gute Anlaufstelle. Grundsätzlich versucht diese Arbeit möglichst nah an den Primärtexten zu bleiben.

2.Die Arbeit und die Fessel der Lebensnotwendigkeiten

Zunächst soll kurz auf die menschlichen Grundtätigkeiten eingegangen werden und im Besonderen auf das Arbeiten als die Tätigkeit, die dem alleinigen überleben des Menschen dient. Die Arbeit ist solange altemativlos, als der Mensch eine Möglichkeit findet, sie an andere abzugeben.7 Die Befreiung von der Not muss also bei dieser Tätigkeit ansetzen. Zwar unterliegt das Herstellen in gewisser Weise ebenfalls einem Zwang, dieser ergibt sich allerdings aus der Mittel-Zweck-Relation des Herstellungsprozesses, während die Entscheidung ob und was hergestellt wird, im Grunde frei ist.8

2.1. Die Grundtätigkeiten der Vita activa

Bezeichnend für Hannah Arendts Hauptwerk Vita activa ist die ״Kunst der Unterscheidung“9. Die für die Vita activa wesentlichsten Unterscheidungen zeigen sich in der Differenzierung der menschlichen Grundtätigkeiten Arbeiten, Herstellen und Handeln, die sich aus den Grundbedingungen des Lebens ergeben und der an Aristoteles‘ oikos und polis angelehnte Trennung des privaten und des öffentlichen Raums.

Die primitivste und zugleich existenziellste Tätigkeit des Menschen ist das Arbeiten. Durch die Arbeit erhält sich das Individuum zum einen am Leben, zum anderen wird das Fortbestehen der Gattung gesichert. Bedingt durch sein Dasein als Lebewesen ist der Mensch dem Kreislauf des Lebensprozesses und den damit einhergehenden wiederkehrenden Notwendigkeiten unterworfen, denen er nur in seiner Wesenheit als Animal laboráns, durch Arbeit und Verzehr entsprechen kann. Als Homo faber entdeckt der Mensch die Fähigkeit des Herstellens, die es ihm ermöglicht, sich neben der bloßen Erhaltung des Lebens eine dauerhafte dingliche Welt aufzubauen, die weitestgehend unabhängig von seiner unausweichlichen Mortalität bestehen bleibt. Die Bedingung für diese zweite Grundtätigkeit ist die Weltlichkeit des Menschen, ״die Angewiesenheit menschlicher Existenz auf Gegenständlichkeit und Objektivität“ (VA 16). Die dritte und höchste Tätigkeit der Vita activa10, das Handeln, setzt Pluralität voraus. Sie ist bedingt durch die Tatsache, dass der Mensch auf der Welt nicht allein ist. Das Handeln, respektive die Fähigkeit des Sprechens und Handelns, erzeugt Geschichten und Erinnerungen, die über den Zeitraum eines einzelnen Lebens hinaus gehen und ihm einen Sinn verleihen (vgl. VA 300-301 und VA 16-17).

Die Grundtätigkeiten werden verschiedenen Räumen zugeordnet. Arendt hält sich dabei konsequent an die aristotelische Raumaufteilung in oikos und polis (vgl. VA 40-42). Der Haushalt (oikos) umfasst die Sphäre des Privaten und ist der Ort des Arbeitens und Herstellens. Er ist charakterisiert durch Ungleichheit, Herrschaft und Gewalt und stellt in erster Linie einen Zustand der Beraubung dar.11 Im Privaten kann der Mensch nicht in Erscheinung treten, da er der Anwesenheit anderer entbehren muss, von denen er gesehen und gehört und durch die sein Handeln erst bedeutungsvoll wird (vgl. VA 73). Einen Zugang zur Realität findet das Individuum erst mit dem Eintritt in den öffentlichen Raum, der allein Freiheit verspricht und das Handeln ermöglicht.12 ״Ob eine Tätigkeit privat oder öffentlich ausgeübt wird, ist keineswegs gleichgültig“ (VA 59). Welche Probleme sich ergeben, hält man diese strenge Trennung nicht ein, wird sich insbesondere bei der Auseinandersetzung mit der sozialen Frage zeigen.

Eine Eigenheit Arendts, ist die Ambivalenz, die ihr Argumentation durchzieht. Das zeigt sich beispielsweise in der strikten Trennung der Räume, die sich dann doch wieder gegenseitig bedingen (vgl. VA 74). Ebenso verhält es sich mit den menschlichen Tätigkeiten, die zum einen jeweils für sich stehen, aber sich auch aufeinander beziehen und voneinander abhängen, woraus letztendlich ein ״komplexe[s] Beziehungsnetz“13 entsteht.

2.2. Wesen und Verortung der Arbeit

Besonders eindrucksvoll lässt sich das Wesen der Arbeit anhand der Legitimation der Sklaverei in der Antike erfassen. ״Arbeiten hieß Sklave der Notwendigkeit zu sein, und dieses Versklavtsein lag im Wesen des menschlichen Lebens“ (VA 101). Zugunsten der Freiheit zumindest mancher Menschen, mussten daher andere mit Gewalt unterworfen werden. Der Zwang, dem die Sklaven unterlagen war also ein doppelter, denn sie wurden nicht nur von den Notwendigkeiten ihres eigenen Lebens, sondem zusätzlich von ihren Unterwerfem beherrscht (vgl. VA 22).

Sowohl das Arbeiten als auch das Herstellen sind im privaten Bereich lokalisiert. Der Unterschied zwischen beiden Tätigkeiten lässt sich anhand der Dauerhaftigkeit ihrer Resultate verdeutlichen. Während aus dem Herstellen durch die Fabrikation von Dingen eine konsistente und gegenständliche Welt hervorgeht (vgl. VA 165), werden die aus der Arbeit entstehenden Güter sobald sie erzeugt sind, sofort wieder verzehrt. Diese Konsumgüter sind die natürlichsten und folglich unweltlichsten14 Dinge, die der Mensch hervorbringt. Natürlich, weil sie gemäß dem anfangs- und endlosen Kreislauf der Natur entstehen und wieder verschwinden (vgl. VA 117), unweltlich durch die geringe Zeit, die sie in der von Homo faber errichteten Welt erscheinen. Im Hinblick auf die Natur fügt sich der Mensch als arbeitendes Wesen in sie ein, befindet sich mit ihr im Stoffwechsel. Als herstellendes Wesen greift er mit Gewalt in den Haushalt der Natur ein und zerstört sie ein Stück weit (vgl. VA 165).

Eine weitere Unterscheidung lässt sich angesichts des Zweckcharakters der Tätigkeiten treffen. Im Herstellungsprozess entspricht das Endprodukt dem Zweck, während der Vorgang des Herstellens das Mittel darstellt. Ist der Zweck erreicht und ein bestimmtes Ding fertiggestellt, kommt der Prozess zum Ende. Das Produkt und der Zweck des Arbeitsprozesses fallen dagegen lediglich temporär zusammen. Was durch Arbeit entsteht wird vom Zweck wieder zum Mittel, sobald ״die erzeugten Güter ihrer Bestimmung zugeführt werden, um als Lebens-mittel für die Regeneration der Arbeitskraft verwendet zu werden“ (VA 169). Der Arbeitsprozess verläuft nicht linear, sondem ist ein Kreislauf ohne Anfang und Ende, dessen Zweck es ist, sich selbst am Laufen zu halten - oder einfacher ausgedrückt: ״man muß essen, um zu arbeiten, und muß arbeiten, um zu essen“ (VA 169).

[...]


1 Sigwart, Hans-Jörg: Hannah Arendt und die Grenzen des Politischen, in: Herb/Gebhardt/Morgenstern (Hrsg.): Raum rmd Zeit. Denkformen des Politischen bei Hannah Arendt, Frankfurt am Main u.a. 2014, s. 72.

2 Diese Ansicht vertritt sie sowohl in der Vita adiva als auch in über die Revolution imd Die Freiheit, frei zu sein; Vgl. dazu: VA 142, ÜR 26, 82 & 145, FF 35.

3 Der Begriff Vita activa umfasst die menschlichen Grimdtätigkeiten: Arbeiten, Herstellen, Handeln (vgl. VA 16); Dabei erschöpft sich das Tätigsein, das begrifflich nicht genau definiert wird, nicht in dieser Unterteilung. Sie bietet vielmehr verschiedene Perspektiven der Betrachtung. Vgl. dazu Diemer, Alwin: Der Mensch, sein Tun und die menschliche Grimdsituation, in: Zeitschrift für Philosophische Forschimg, 16/1 (1962), s. 128-129.

4 Jonas, Hans: Handeln, Erkennen, Denken. Zu Hannah Arendts philosophischem Werk, in: MERKUR. Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, 30/10 (1976), s. 923.

5 Benhabib, Seyla: Hannah Arendt. Die melancholische Denkerin der Moderne, Frankfurt am Main 2006, s. II.

6 Geisen, Thomas: Arbeit in der Moderne: ein dialogue imaginaire zwischen Karl Marx und Hannah Arendt, Wiesbaden 2011.

7 Vgl. Geisen 2011: s. 255.

8 Vgl. Ebd.: s. 255

9 Benhabib 2006: s. 199.

10 Das Denken, als das ״höchste und vielleicht reinste Tätigsein, von dem Menschen wissen“ (VA 14) wird in der Vita adiva absichtlich nicht berücksichtigt.

11 Vgl. Herb, Karlfriedrich: Die republikanische Klaustrophobie - Politischer Raum bei Hannah Arendt, in: Herb/Gebhardt/Morgenstem (Hrsg.): Raum imd Zeit. Denkformen des Politischen bei Hannah Arendt, Frankfurt am Mainu.a. 2014, s. 31.

12 Vgl. Herb 2014: s 31.

13 Vgl. Geisen 2011: s. 345.

14 Der Begriff ״Welt“, die sich der Mensch erst künstlich erbaut, steht hier dem der ״Natur“ bzw. der ״Erde“ entgegen (vgl. VA 9); vgl. dazu auch Geisen 2011 : s. 229.

Ende der Leseprobe aus 21 Seiten

Details

Titel
Das Verhältnis Hannah Arendts zur technischen Entwicklung im Hinblick auf eine Emanzipation aus dem Privaten
Hochschule
Universität Regensburg  (Institut für Politikwissenschaft)
Veranstaltung
Hauptseminar „Close and Critical Reading: Hannah Arendt, Vita activa“
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
21
Katalognummer
V451702
ISBN (eBook)
9783668848993
ISBN (Buch)
9783668849006
Sprache
Deutsch
Schlagworte
Hannah Arend, Vita activa, Technik, technischer Fortschritt, Privatheit, Öffentlichkeit, Arbeit
Arbeit zitieren
Martina Mühlbauer (Autor:in), 2018, Das Verhältnis Hannah Arendts zur technischen Entwicklung im Hinblick auf eine Emanzipation aus dem Privaten, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/451702

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