Der vorliegende Essay fasst den sich auf Foucaults Arbeiten beziehenden, erziehungswissenschaftlichen Aufsatz „Schule als Dispositiv der Macht – Pädagogische Reflexionen im Anschluss an Michel Foucault“ (1990) von Ludwig A. Pongratz zusammen und nimmt anschließend kritisch Stellung zu seinen Ergebnissen. Der Aufsatz strukturiert sich in zwei Teile. Während der Autor im ersten Teil die drei Forschungsphasen von Foucault sowie die drei historisch aufeinanderfolgenden Machttypen darstellt, überträgt er im zweiten Teil die Machttypen auf den pädagogischen Kontext und schildert die historische Entwicklung der Schule vom Mittelalter bis heute.
Der vorliegende Essay fasst den sich auf Foucaults Arbeiten beziehenden, erziehungswissenschaftlichen Aufsatz „Schule als Dispositiv der Macht – Pädagogische Reflexionen im Anschluss an Michel Foucault“ (1990) von Ludwig A. Pongratz zusammen und nimmt anschließend kritisch Stellung zu seinen Ergebnissen. Der Aufsatz strukturiert sich in zwei Teile. Während der Autor im ersten Teil die drei Forschungsphasen von Foucault sowie die drei historisch aufeinanderfolgenden Machttypen darstellt, überträgt er im zweiten Teil die Machttypen auf den pädagogischen Kontext und schildert die historische Entwicklung der Schule vom Mittelalter bis heute.
In der Einleitung seines Aufsatzes verweist Pongratz zunächst auf den Beitrag und die Besonderheit von Foucaults Forschung, die einen neuen Blick auf historische, bisher als unumstößlich angenommene Zusammenhänge, ermöglicht. Trotz der Abneigung der Geschichtsforschung sowie der Pädagogik gegenüber Foucaults Ideen, fordert Pongratz eine Auseinandersetzung damit, welche Erkenntnisse die Pädagogik aus seinen Theorien ziehen kann. Dafür skizziert er zunächst die drei Forschungsphasen von Foucault.
Foucaults Arbeit gründet sich auf der Kritik und den Zweifeln am sogenannten historischen Subjekt. In seiner ersten Forschungsphase beabsichtigte Foucault das Verhältnis von Subjekt und der jeweiligen Epoche aufzuzeigen. In der zweiten Phase widmete er sich dem Finden von diversen Konstellationen von Macht und nahm die Unterscheidung zwischen Repressions-, Integrations- und Disziplinarmacht vor, wobei es sich bei der Repressionsmacht um den ältesten und bei der Disziplinarmacht um den gegenwärtigen Machttyp handelt. Die Machtypen unterscheiden sich hinsichtlich der Mechanismen, derer sie sich bedienen, um die Individuen zu unterwerfen. So gebraucht die Repressionsmacht überwiegend Ausgrenzungs-, während die Integrationsmacht auf Einschließungsmechanismen zurückgreift, um auf abweichendes Verhalten zu reagieren. Dahingegen wirkt die Disziplinarmacht präventiv durch Normalisierung des Lebens und Förderung des gewünschten Verhaltens und ist darauf ausgelegt, die Kräfte ihrer Unterworfenen zu mehren.
Im nächsten Schritt ordnet Pongratz die unterschiedlichen Machttypen den jeweiligen Epochen zu. So lässt sich die Repressionsmacht dem Feudalismus mit seinen willkürlichen, körperlichen Strafen und die Integrationsmacht dem 18. Jahrhundert zuordnen, in dem Vergehen und Strafe im Bewusstsein der Menschen verknüpft waren und Strafen öffentlich als inszeniertes Schauspiel vollzogen wurden. Während bei den beiden bisherigen Machttypen Bestrafung und Tod im Fokus stehen, betont die Disziplinarmacht das Leben, welches sie anstrebt zu kontrollieren. Ihren Anfang nimmt die Disziplinarmacht im 18. Jahrhundert (mit zeitweiser Überschneidung mit der Integrationsmacht) und löst die öffentliche Bestrafung durch die Institution Gefängnis ab, in der das gewünschte Verhalten der Insassen durch Disziplinierung verstärkt wird. Da Foucault in der dritten und letzten Phase seiner Forschung untersuchte, welchen Einfluss die Disziplinarmacht auf Individuen ausübt, führen diese Überlegungen Pongratz zu einer genauen Betrachtung der Schule als Ort der Disziplinierung und Macht, welche in Foucaults Werken zwar präsent, aber nicht ausführlich genug sei.
Pongratz beginnt den zweiten Teil seines Aufsatzes mit der Definition des Begriffs ‚Dispositiv‘, worunter Gesagtes sowie Ungesagtes über einen Gegenstand zu verstehen sei. Ziel des Dispositivs ist die historische Antwort auf ein bestimmtes Problem. Bezogen auf Schule ist das Dispositiv folglich die Antwort auf das Disziplinierungsproblem. Als nächstes zeigt Pongratz die historische Entwicklung der Schule im Zusammenhang mit den jeweils vorherrschenden Machttypen, die bereits von ihm dargestellt und den jeweiligen Epochen zugeordnet wurden. So war schulische Bildung im Mittelalter im Funktionskreis der Repressionsmacht nur nebensächlich, denn körperliche Gewalt hatte die Vorrangstellung. Auch war Bildung nur dem Klerus und später den Handeltreibenden vorbehalten, während das Rittertum Bildung als körperliche Ausbildung von Wehrhaftigkeit und Tapferkeit verstand. Die aufkommende Bildungsidee des Humanismus erreichte nur eine Minderheit der Gesellschaft, während der Großteil der Bevölkerung weiterhin durch Repression lernte.
Im 18. Jahrhundert vollzog sich eine Ablösung der Repressionsmacht durch die Integrationsmacht, die sich bereits seit dem 16. Jahrhundert durch einen Fokus von außen nach innen und die Forderung nach Integration von größeren Bevölkerungsgruppen in die Gesellschaft entwickelte. Als Folge entstand eine ‚Integrationspädagogik‘, die auf Moralität, Selbstregulierung und Kontrolle, mit dem Ziel sittliches Verhalten herauszubilden, setzte. Man strebte soziale Integration durch Formung des Bewusstseins an. Um solch eine Sozialität zu gewährleisten, musste sich zunächst eine Gemeinschaft in Form von gemeinsamem Unterricht, Zusammenleben, Strafen und Kontrolle etablieren.
Ab dem 19. Jahrhundert kann Schule als Dispositiv der Disziplinarmacht betrachtet werden. Die Elementarmethode nach Pestalozzi erwies sich als wichtiger Grundstein einer neuen Machttechnik mit dem Ziel Individuen je nach Leistungsfähigkeit und Gehorsam unterschiedlich zu behandeln. In diesem Zusammenhang entstand ein neues Schülerbild des ‚Normschülers‘, den der sich durch Übung und Prüfung einordnen ließ. Eine weitere Folge war die Aufteilung von Klassen nach Alter und Leistungsfähigkeit der Schüler. Diese architektonischen und schulorganisatorischen Arrangements dienten der Regulation des Verhaltens durch Körperkontrolle der Schüler. Allerdings ist diese körperliche Gewalt in der Schule nur den frühen Formen der Disziplinarmacht zuzuordnen, denn die neue Form der Disziplinarmacht basiert auf der Synthetisierung von Verhaltensregeln und Repräsentationen. Der Unterschied der Disziplinarmacht zu ihren Vorgängern besteht darin, dass sie von den Individuen verinnerlich wird und von innen weiterwirkt. Folglich handeln die Unterworfenen wie es von ihnen gewünscht wird, ohne dass die Disziplinarmacht explizit auf sie einwirken muss. Es entstanden Schuleinrichtungen wie Elementarschulen und Musteranstalten mit dem Zweck der Normalisierung durch permanente Kontrolle und Prüfung, Disziplin im Klassenraum und feste Zeitabläufe. Die Schule entwickelte sich von einer Einrichtung für die privilegierten Schichten zu einer Schule für alle. Als Steuerungsmittel wirken hierarchische Überwachung, wertendende Sanktionen und die Prüfung. Feste Jahrgangsklassen erweisen sich als perfektes Mittel der Disziplinierung, indem sie durch Homogenisierung der Gruppe eine Aufteilung der Schüler nach Rangplätzen ermöglichen. Erst durch das Betrachten von Schülern als gleichwertig kann sich eine Macht im Klassenraum festigen. Diese Normalisierungsmacht hat eine Doppelfunktion und wirkt einerseits homogenisierend aber auch individualisierend, indem sie Unterschiede zwischen den Schülern misst und aufzeigt. Von Seiten des Lehrers muss jede Handlung unter Kontrolle genommen und jede Abweichung als Störung behandelt werden, die sanktioniert werden muss. Die Strafen der Disziplinarmacht sind korrigierend und bedienen sich des Übens und des wiederholten Lernens. Vielmehr werden Schüler durch Wiederholung und Einschärfen dressiert. Körperliche Züchtigung wird abgelehnt und stattdessen bedient sich der Lehrer non-verbaler Signale und dem Androhen der Strafgewalt des ganzen Systems (z.B. dem Gang zum Direktor).
Nachdem das Schuldispositiv sich Ende des 19. Jahrhunderts in der Gesellschaft verankert hat, lassen sich laut Pongratz nun neue Entwicklungen erkennen, die der reformpädagogischen Bewegung entspringen. So lässt sich im 20. Jahrhundert ein Wandel von der Drillschule zu dynamischen Arbeitsformen, die Fremd- und Selbstregulierung fördern sollen, ausmachen. Der Fokus veränderte sich von äußeren Lernarrangements auf die inneren wie z.B. Motivation und zeichnet sich durch flexible Organisationsstrukturen aus. Die neue Pädagogik ist geprägt durch ein Interesse am Schüler und möchte dieses Wissen über ihn pädagogisch nutzen. Das panoptische Prinzip des Schulsystems ermöglicht durch seine Sichtbarkeit eine sanfte Disziplinierung der Schüler.
Zusammenfassend stellt Pongratz fest, dass die Annahme unsere heutigen Schulen hätten nichts mit den Drillanstalten des 19. Jahrhunderts gemein, gänzlich falsch sei. Stattdessen haben wir die Grundstrukturen beibehalten und diese sogar perfektioniert, so dass die Disziplinargesellschaft in der Schule wirken kann. Da Foucaults Werk diese Einflüsse aufdeckt, plädiert Pongratz nochmals für Foucaults Berücksichtigung in der Pädagogik.
Der Aufsatz von Pongratz liefert eine klar strukturierte und ausführliche Übersicht über die historisch aufeinander folgenden Machttypen und die historische Entwicklung der Schule unter ebenjenen. Der Aufsatz eignet sich sehr gut zur Wiederholung und Vertiefung der von uns bereits im Seminar erarbeiteten Ideen Foucaults und ihrer Übertragung auf Schule. Außerdem bietet Pongratz schlüssige Erklärungsansätze, warum die Institution Schule seit jeher funktioniert und viele Kontrollmechanismen aus dem 19. Jahrhundert beibehalten hat. Allerdings geht Pongratz dabei vom Regel- bzw. Idealfall aus und berücksichtigt keine Abweichungen, die heute allerdings zur Normalität geworden sind wie z.B. Schüler, die sich im Unterricht laut, frech, egozentrisch und rücksichtslos verhalten und damit Lehrern und Mitschülern den Unterricht und das Zusammenleben erschweren. Störenfriede und Schulverweigerer, bei denen Kontrollmechanismen und Sanktionen der Institution Schule keine Wirkung zeigen oder versagt haben, entsprechen aber der heutigen pädagogischen Realität und solch abweichendes Verhalten wird nicht von Pongratz einbezogen oder thematisiert. In diesem Zusammenhang gilt zu bedenken, dass der Aufsatz von Pongratz vor inzwischen 27 Jahre geschrieben wurde und es eines neuen, aktuelleren Blickes auf die heutige Schullandschaft sowie der Entwicklungen in den letzten beinahe drei Jahrzehnten bedarf.
Quelle:
Pongratz, Ludwig A.: „Schule als Dispositiv der Macht – Pädagogische Reflexionen im Anschluss an Michel Foucault“, in: Sammlung. Fundstücke aus 30 Hochschuljahren. Online-Prublikation: tuprints, Darmstadt 2010, S. 140-158.
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- Daria Cappel (Author), 2017, Zusammenfassung und Kommentierung des Aufsatzes "Schule als Dispositiv der Macht – Pädagogische Reflexionen im Anschluss an Michel Foucault" (1990) von Ludwig A. Pongratz, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/451740
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