Der Bauernkrieg im Jahre 1525 markiert einen der wichtigsten Punkte in der deutschen Geschichte. Seine Auswirkungen prägten die Gesellschaft viele Jahrhunderte lang. In der heutigen Geschichtsforschung setzt sich immer mehr die allgemeine Meinung durch, dass der Bauernkrieg nicht der eine Aufstand des gemeinen Mannes war, sondern dass die Erhebung von 1525 die letzte und größte einer langen Reihe von Verschwörungen und Aufständen gewesen ist. Einige der Vorläufer dieses Krieges waren die sogenannten Bundschuhverschwörungen im Oberrheingebiet. Zu den Besonderheiten dieser Geheimbünde gehörten unter anderem, dass sie gebiets- und standesübergreifend auftreten konnten.
Der zeitliche Rahmen der Verschwörungen erstreckt sich von 1493 bis 1517. Die heutige Geschichtsforschung zählt vier Bünde unter dem Banner des Bundschuhs: 1493 in Schlettstadt, 1502 in Untergrombach, 1513 in Lehen und die größte Verschwörung 1517 am Oberrhein. Der gesamte Zeitraum erstreckt sich also über 24 Jahre. Eine Frage, die man sich in Hinblick auf diese Zeitspanne stellen kann ist, ob sich die Verschwörungen im Laufe der Zeit verändert haben.
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
Fragestellung
Forschungsstand, verwendete Literatur und Quellen
2. Einführung
Das alte Recht
Das Recht der Landesherren
Der wachsende Einfluss der Landesherrschaft
3. Die Bundschuh-Verschwörungen
Die Vorgeschichte
Die Bundschuhverschwörungen
Der Bundschuh zu Schlettstadt 1493
Der Bundschuh zu Untergrombach 1502
Der Bundschuh zu Lehen 1513
Der Bundschuh von 1517
Zusammenfassung
4. Vergleich der Verschwörungen
5. Fazit
6. Literaturverzeichnis
1. Einleitung
Fragestellung
Der Bauernkrieg im Jahre 1525 markiert einen der wichtigsten Punkte in der deutschen Geschichte. Seine Auswirkungen prägten die Gesellschaft viele Jahrhunderte lang. In der heutigen Geschichtsforschung setzt sich immer mehr die allgemeine Meinung durch, dass der Bauernkrieg nicht der eine Aufstand des gemeinen Mannes war, sondern dass die Erhebung von 1525 die letzte und größte einer langen Reihe von Verschwörungen und Aufständen gewesen ist. Einige der Vorläufer dieses Krieges waren die sogenannten Bundschuhverschwörungen im Oberrheingebiet. Zu den Besonderheiten dieser Geheimbünde gehörten unter anderem, dass sie gebiets- und standesübergreifend auftreten konnten. Der zeitliche Rahmen der Verschwörungen erstreckt sich von 1493 bis 1517. Die heutige Geschichtsforschung zählt vier Bünde unter dem Banner des Bundschuhs: 1493 in Schlettstadt, 1502 in Untergrombach, 1513 in Lehen und die größte Verschwörung 1517 am Oberrhein. Der gesamte Zeitraum erstreckt sich also über 24 Jahre. Eine Frage, die man sich in Hinblick auf diese Zeitspanne stellen kann ist, ob sich die Verschwörungen im Laufe der Zeit verändert haben. Die vorliegende Arbeit soll sich mit genau dieser Frage auseinandersetzen. Die Leitfrage lautet demnach also: „Wie und in welchen Bereichen haben sich die Bundschuhverschwörungen im Laufe der Zeit entwickelt, beziehungsweise verändert und gab es Kontinuitäten?“ Um diese Frage überhaupt beantworten zu können, muss man sich zunächst die Frage stellen, welche Aspekte sich bei einer solchen Verschwörung verändern können. Einer der wichtigsten Bereiche bei einer Verschwörung sind natürlich die Initiatoren. Aus diesem Grunde lohnt es sich auf jeden Fall einen Blick auf die Drahtzieher der jeweiligen Verschwörungen zu werfen. Auch eine sehr wichtige Komponente bei einem Geheimbund stellen die Rekrutierungen dar. Daher kann man die Fragen stellen, in welchen Kreisen die Verschwörer rekrutierten, wo sie rekrutierten und wie sie rekrutierten. Eine weitere, sehr wichtige Frage, die man an einen solchen Geheimbund stellen kann, ist die nach den Zielen und Forderungen. Direkt damit verbunden stellt sich weiterhin die Frage, wie man gedachte die Ziele und Forderungen durchzusetzen. Denkt man ein wenig über die Ziele und Forderungen hinaus, so kann ebenso die Frage gestellt werden, ob die Bundschuher längerfristige Planungen hatten. Gab es also Intensionen das System in einem längerfristigen Prozess umzustrukturieren, oder wollten die Verschwörer zunächst nur ihre Forderungen bekannt geben und dann weiterplanen? Als letzer Aspekt ist auch die Haltung der Obrigkeit sehr wichtig. Wie verhielten sich Adel und Klerus gegenüber den Verschwörungen? Nahm man sie ernst, oder eher weniger?
Zusammengefasst soll also an jede Bundschuhverschwörung der folgende Fragenkatalog angelegt werden:
- Wer waren die Drahtzieher der Verschwörungen?
- Wo, wie und in welchen Kreisen wurden Mitstreiter rekrutiert?
- Welche Ziele, beziehungsweise Forderungen wurden formuliert?
- Wie wollte man diese durchsetzen?
- Gab es längerfristige Planungen?
- Wie reagierte die Oberschicht auf die Verschwörungen?
Mithilfe dieser Fragen soll am Ende der Arbeit die Frage beantwortet werden, ob sich innerhalb der Bundschuhverschwörungen Veränderungen feststellen lassen. Dabei hängt die Gewichtung der verschiedenen Fragen immer von der jeweiligen Quellenlage ab. Um sämtliche der gestellten Fragen dieser Arbeit zu beantworten soll wie folgt vorgegangen werden. Zunächst wird ein Kapitel die Verhältnisse der damaligen Menschen überblicksartig beschreiben. Der Fokus liegt dabei vor allem auf der damaligen Rechtsauffassung von Landbevölkerung und Landesherrschaft. Ebenso werden mögliche Gründe diskutiert, warum es gerade am Oberrhein zu den ersten Verschwörungen gegen die Landesherrschaft kam. Nachdem der Leser mit den wichtigsten Informationen versorgt wurde, folgt die Analyse der Bundschuhverschwörungen. Dabei wird jede Verschwörung einzeln für sich auf die soeben formulierten Fragen hin analysiert. Es wird dabei chronologisch vorgegangen. Nachdem die Analyse abgeschlossen wurde, wird ein Kapitel die verschiedenen Ergebnisse miteinander vergleichen. Am Ende dieser Arbeit soll ein Fazit die wichtigsten Erkenntnisse noch einmal zusammenfassen und die Leitfrage beantwortet werden.
Forschungsstand, verwendete Literatur und Quellen
Was der gesamten Forschungsliteratur gemein ist, ist die Einordnung der Bundschuhverschwörungen in den Kontext des Bauernkrieges. Allgemeinhin gelten sie als Vorläufer des großen Krieges in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Schon Günter Franz[1], ein deutscher Historiker des 20. Jahrhunderts, und Albert Rosenkranz[2] beschreiben in ihren Werken die Bundschuhverschwörungen als Phänomene des nahenden Bauernkrieges. Die neueste Literatur über den Bundschuh entstand in der ersten Dekade des 21. Jahrhunderts. Zu nennen wären hier das Werk von Peter Blickle[3], ebenfalls ein deutscher Historiker des 20. Jahrhunderts, sowie das von Georges Bischoff[4], einem französischen Mediävisten. Auch sie vertreten den Standpunkt, dass die Bundschuhverschwörungen Vorläufer des Bauernkrieges waren. Vor allem heben sie die gebiets- und standesübergreifenden Eigenschaften der Geheimbünde hervor. Ein weiterer Forscher, der sich intensiv mit der Geschichte des spätmittelalterlichen Oberrheingebiets beschäftigt hat, ist der Historiker Tom Scott von der University of St. Andrews. Einige seiner Werke wurden in dieser Arbeit verwendet. Die Werke der fünf eben genannten Autoren bilden die wissenschaftliche Grundlage dieser Arbeit. Neben diesen wurden noch viele weitere Monographien und Aufsätze zu speziellen Einzelthemen verwendet, auf die jetzt aber nicht näher eingegangen werden soll. Eine ausführliche Liste über die verwendete Literatur befindet sich im Anhang dieser Arbeit.
Die Quellengrundlage dieser Arbeit wird die Quellenedition von Albert Rosenkranz[5] darstellen. Auch wenn die Monographie (Band 1) schon an vielen Stellen veraltet und überholt ist, ist der Quellenband in seiner Art und Weise einzigartig. Kein vergleichbares Werk lässt sich finden und die gesamte Sekundärliteratur verweist stets auf Rosenkranz. Er trug sämtliche Quellen aus verschiedenen Archiven zum Thema Bundschuh zusammen und edierte sie. Der wichtigste Punkt, der bei den Quellen beachtet werden muss, ist die Sichtweise, aus welcher geschrieben worden ist. Von den Bundschuhverschwörern selbst gibt es keinerlei Aufzeichnungen. Sämtliche Informationen die niedergeschrieben wurden, wurden von den jeweiligen Obrigkeiten verfasst. Daher ist gerade bei Wertungen äußerste Vorsicht geboten. Bevor dieses Kapitel geschlossen wird, soll noch kurz auf eine andere Quelle aus jener Zeit eingegangen werden: der oberrheinische Revolutionär. Dieses Dokument stammte aus der gleichen Zeit und aus der gleichen Region, darf aber nicht im Zusammenhang mit dem Bundschuh gesehen werden. Es gibt keinerlei Hinweise darauf, dass sich der oberrheinische Revolutionär und die Bundschuhverschwörungen gegenseitig beeinflusst haben. Die Streitschrift befasst sich vor allem mit Reichsangelegenheiten, welche sich in den Verschwörungen am Oberrhein nicht finden lassen. Auch die neueste Forschung warnt davor, den Revolutionär mit den Bundschuhverschwörungen in Verbindung zu bringen.[6] Da diese Schrift also keine eindeutigen Bezüge zu den Verschwörungen liefert, wird sie in dieser Arbeit als Quelle keine Verwendung finden.
2. Einführung
Um dem Leser einen Eindruck zu vermitteln, warum es gerade gegen Ende des 15. Jahrhunderts zu solcherlei Phänomenen wie den Bundschuhverschwörungen kam, ist es zunächst ratsam, einen Blick auf die Rechts- und Herrschaftsverhältnisse in der damaligen Zeit zu werfen. Die Rechtsverhältnisse in der beginnenden frühen Neuzeit sind auf den ersten Blick sehr unübersichtlich. Viele Rechtsformen sind über das gesamte Mittelalter hinweg durch langen Gebrauch gewachsen. Mit dem anbrechenden 16. Jahrhundert versuchen nun immer mehr Fürsten und auch der Kaiser diese bestehenden Rechtsverhältnisse zu ihren Gunsten zu verändern. Daher findet sich bei allen Bundschuhverschwörungen die Forderung, die höheren Gerichtsinstanzen abzuschaffen. Um bei den vielen verschiedenen Rechtsauffassungen den Überblick zu behalten, empfiehlt es sich an dieser Stelle die verschiedenen Auffassungen nach ihren zugeordneten Ständen zu betrachten. So sollen zunächst die Bauern mit ihrem bisherigen alten Recht und danach die Landesherrschaft mit ihrem neuen Recht in Augenschein genommen werden. Dies soll vor allem dazu dienen dem Leser klarzumachen, warum diese Forderung so enorm wichtig war. Nachdem die Vorstellung der verschiedenen Rechtsformen abgeschlossen ist, soll am Ende dieses Kapitels noch eine kurze Zusammenfassung über die wichtigsten Entwicklungen in Hinblick auf die Herrschaftsausübung der Landesherren gegeben werden. Hauptfokus soll dabei auf der Erhebung neuer Steuern und der Beschneidung der Allmend- und Jagdrechte liegen.
Das alte Recht
Karl Siegfried Bader[7] beschreibt in seinem Werk über das Dorf im Mittelalter das Folgende: „Das mittelalterliche Dorf ist ein soziales, rechtliches und wirtschaftliches Gebilde, das als ‚Lebenszusammenhang‘ unter seinen eigenen Gesetzen steht […]“.[8] Die wichtigste Eigenschaft dieses Rechts war vor allem sein Alter. Es war „ein Stück der Weltordnung, von Gott oder den Göttern geschaffen, und darum letztlich unerschütterlich.“[9] Es wurde dabei meist über Generationen durch die ältesten und weisesten Menschen einer Gemeinde vermittelt. Dadurch erhielt es den Charakter dessen, was heutige Menschen unter dem Begriff des Gewohnheitsrechts kennen.[10] So entstand ein sehr altes Recht, das in der Vorstellung über Jahrtausende hinweg gewachsen war. Es war so alt, dass man davon ausging, dass Gott, oder die Götter selbst es geschaffen hätten.[11] Mit diesem Aspekt des alten Rechts gelangt man zu einem Grundproblem, welches besonders in Bezug auf die Schaffung neuen Rechts auftaucht. Ein Staat oder eine Regierung, die viel jünger war als das alte Recht, konnte dies nicht einfach ersetzen oder ändern. Im Gegenteil war es sogar so, dass der Staat für die Rechtsgebung so unerheblich war, dass es einer Anmaßung gleichkam, wenn der Landesherr in das bestehende Recht eingriff.[12] Über dem Recht stand letztlich nur Gott. Und nur etwas Göttliches vermochte Recht zu schaffen oder zu ändern. Der Mensch konnte es nur interpretieren und nutzen.[13] Wer nun also versuchte das alte Recht zu ändern, oder gar neues Recht zu schaffen, der lehnte sich in den Augen der Bevölkerung zwangsläufig gegen die Weltordnung auf.[14] Gerade das mag ein Grund sein, warum sich viele Menschen im späten Mittelalter gegen ihre Herren stellten. Aus dem großen Alter des Rechts entstand die Meinung, dass es „gut“, oder „billig“ sei. Dieser Schluss resultiert einfach aus der Annahme, dass sich das Recht durch lange Zeit hin entwickelte und somit optimal an die Bedürfnisse der Menschen angepasst wurde.[15] Aus diesem Grunde war es sogar so, dass Menschen, die das alte Recht ändern wollten, sich nicht nur gegen die Weltordnung stellten, sondern auch etwas „Böses“ im Schilde führten, denn alles, was entgegen dem guten alten Recht stand, konnte nur schlecht sein. Neben der Billigkeit und dem großen Alter hatte das alte Recht noch weitere Eigenschaften inne. Eine dieser Eigenschaften stellte ein großes Problem für die Landesherrschaft dar und stellt sogar heute noch ein Problem für den Historiker dar. Das Problem bezieht sich auf die Ungesetztheit und Ungeschriebenheit[16]. Kern erläutert hierzu, dass das mittelalterliche Recht der Gemeinden nicht in einem Gesetzeskorpus fest niedergeschrieben war. Vielmehr sollte man sich das Gesetz als eine Mischung zwischen Überlieferung und einem moralischen Rechtsgefühl vorstellen.[17] Dies ist der Grund, warum man nicht tiefer in das Thema des alten Rechts eintauchen kann. Es gab zwar niedergeschriebene Rechtssätze, die auch durchaus verwahrt wurden, dennoch ist dies mit einem heutigen Staatsrecht nicht vergleichbar. Diese niedergeschriebenen Texte dienten ausschließlich den Menschen, die es direkt betraf. Kern nennt es „niedergeschriebenes Gewohnheitsrecht“.[18] Damit war es kein Satzungsrecht und verlor seine Kraft, sofern die beteiligten Parteien nicht mehr existierten.
Ein letzter Aspekt des alten Rechts, der hier genannt sein soll ist, dass altes Recht immer jüngeres Recht brechen kann. In der heutigen Rechtspraxis ist es selbstverständlich, dass man neues Recht als besser als altes Recht ansieht. Im späten Mittelalter war dies vor allem in den Gemeinden keineswegs so selbstverständlich. Das alte Recht war gutes Recht und hatte deswegen einen gewissen Rang und Status. Aus diesem Grunde konnte man altes Recht nicht einfach durch jüngeres Recht ersetzen. Dies geschah nur dann, wenn sich alle führenden Menschen darüber einig waren etwas am alten Recht zu ändern.[19] Nach all den bisher angeführten Eigenschaften des alten Rechts kann man durchaus die folgende Frage stellen: Wenn das alte Recht nicht durch den Menschen geändert werden konnte, wie konnte es dann an neue Lebensumstände angepasst werden? Dass auch das Mittelalter und die Frühe Neuzeit von ständigen Neuerungen durchzogen waren, ist heute eine allgemein anerkannte Tatsache. Also musste es doch möglich sein, das Gesetz an neu geschaffene Bedürfnisse anzupassen. Und tatsächlich war es möglich, Rechtsansichten zu ändern. Waren die Weisen gezwungen ein Recht zu ändern, sollte es sich einmal als der Zeit nicht mehr gemäß gezeigt haben, gab es immer die Möglichkeit der „Wiederherstellung des guten alten Rechts“.[20] Dabei kam es vor allem darauf an, wie das Recht verpackt war. „Kein Umsturz, keine Entwicklung, aber fortwährende Enthüllung, Klärung, Reinigung des wahren guten Rechts […]“[21] war die Technik, Gesetze zu ändern. Auf den Punkt gebracht bedeutete dies nichts anderes, als das man ganz alte Gesetze neu interpretierte, oder bisher unbekannte Gesetze hervorholte und diese in Kraft treten lies. Dies geschah aber immer alles unter der Prämisse, dass nicht neues Recht geschaffen, sondern nur altes Recht wiederentdeckt wurde.
Das alte Recht darf man sich aber nicht so einfach vorstellen, wie es hier dargestellt wurde. Tatsächlich ist es viel komplexer und verworrener. Dieser Umstand entsteht schon allein durch das Faktum, dass es nicht niedergeschrieben und nur durch mündliche Tradition weitergegeben wurde. Die hier vorgestellten Grundzüge des alten Rechts genügen jedoch für die weitergehende Analyse, warum gerade die verschiedenen Rechtsauffassungen zu Beginn des 16. Jahrhunderts so viel Missmut in der Bevölkerung auslösten.
Das Recht der Landesherren
Auf der anderen Seite stand das Recht der Landesherren. Bevor jedoch ein Blick darauf geworfen werden soll, woraus dieses Recht bestand und woher es kam, soll kurz erläutert werden, warum ausgerechnet in diesem Zeitraum die Landesherren des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation ein neues Recht in ihren Ländern einführen wollten. Um dies genauer zu verstehen, ist es notwendig, den Blick auf Reichsebene zu legen. Das Reich war vor allem im 15. Jahrhundert sehr instabil. Kaiser Friedrich III war ein sehr schwacher Kaiser und die Reichsstände erlangten immer mehr Macht.[22] Er schaffte es nicht, „[…] die Reichsintegrität nach außen zu schützen sowie das Reich im Inneren zu befrieden […]“[23] Die Entmachtung des Kaisers war so stark, dass selbst der Nachfolger Friedrichs, Maximilian, extreme Probleme hatte die Position des Reichsoberhauptes zu stärken.[24] Die vielen Auseinandersetzungen, die das 15. Jahrhundert durchzogen, führten letztlich zu einer Reichsreform, die zugunsten der Reichsstände ausfiel.[25] Schon seit dem 13. Jahrhundert bauten gerade die Fürsten in ihren Ländern ihren Einfluss immer weiter aus. Sie begannen Dynastien zu gründen und ihre Herrschaft auf lange Sicht zu planen.[26] Eine Schwächung des Kaisertums kam den Reichsfürsten daher in diesem Moment zugute. Im ganzen Reich begannen die Fürsten, die einen früher, die anderen später, ihre Zentralverwaltungen auszubauen. Ab circa 1300 wurden in manchen Ländern beispielsweise schon Ämter und damit verbunden Gerichtsbezirke gebildet.[27] Im 15. Jahrhundert begann dann ein Prozess, der sich als „Institutionalisierung von Herrschaftsaufgaben“[28] beschreiben lässt. Joachim Bahlcke charakterisiert diese Institutionalisierung wie folgt. Es ist die „[…] Rationalisierung, Verrechtlichung und Bürokratisierung der Herrschaft.“[29] Einfach ausgedrückt bedeutet dies, dass die Landesherrschaften im 15. Jahrhundert damit begonnen hatten, ihre Herrschaftsrechte in jedem Winkel ihres Territoriums geltend zu machen. Wo im Mittelalter die Verwaltung von einzelnen Personen getragen wurde, entsteht in der frühen Neuzeit der Trend zum Ausbau eines „einheitlichen Staates“[30].
Ein Aspekt der Herrschaftsausübung in einem Territorium war die Rechtsprechung. Schon im Mittelalter galt dies als „erste Herrschaftsaufgabe“[31]. In diesem Zuge nahmen die Landesherren immer größeren Einfluss vor allem auf die Niedergerichtsbarkeit um somit auf die Herrschaft über ihre Untertanen.[32] Wie war diese Einflussnahme möglich? Dies geschah durch den eben schon angesprochenen Ausbau der Verwaltung. Das wichtigste Instrument bildete hierfür der Hofrat. Er war das „oberste Verwaltungs- und Rechtssprechungsorgan“[33]. Neben der Vergrößerung des Verwaltungsapparates, wurden auch die Gerichte umstrukturiert. Es kam zu einer „Neuordnung der Gerichtsbarkeit“[34]. Bis zu dieser Neuordnung standen die fürstlichen Gerichte und Dorfgerichte auf der gleichen Stufe.[35] Mit der Einführung von Hofgerichten fand eine Kompetenzverlagerung statt. Die oberste Gerichtsbarkeit lag nun in den Händen dieser Hofgerichte und folglich bei dem jeweiligen Fürsten oder beim Kaiser. Diese Zusammenfassung der Gerichtsbarkeiten unter dem fürstlichen Banner war ein wichtiger Punkt der Zentralisierung von Herrschaft.
Neben dem Ausbau der Verwaltung und der Gerichte gab es eine weitere Veränderung, die in der gleichen Zeit stattfand. In ganz Europa lässt sich zwischen 1450 und 1550 die Beobachtung machen, dass in vielen Landesteilen die Gesetzgebung extrem erweitert wurde. Dazu gehörte die schriftliche Fixierung des Rechts.[36] An dieser Stelle treten nun Probleme mit dem alten Recht auf. Wie vorhergehend beschrieben wurde, war es nicht niedergeschrieben und von Dorf zu Dorf verschieden. Die vielen verschiedenen Rechtsnormen und Gewohnheitsrechte machten den Ausbau einer einheitlichen Landesherrschaft schwierig. Aus eben diesem Grunde versuchten die Landesherren in vielen deutschen Gebieten schon recht früh einheitliche Bedingungen zu schaffen.[37] Hierfür erfand man aber kein neues Recht, sondern man bediente sich zweier Rechtskorpora, die schon vorhanden waren: dem kanonischen Recht und dem römischen Recht. Es würde an dieser Stelle viel zu weit weg führen, die Ursprünge und die Rezeption des kanonischen, beziehungsweise römischen Rechts zu behandeln. Dies wird in dem hier zugrunde gelegten Aufsatz von Sellert bereits ausführlich getan.[38] Letztlich vertritt Sellert die These, dass das kanonische und das römische Recht vorerst nebeneinander existierten. Durch eine lange Rezeptions- und Weiterentwicklungsphase vermischten sich jedoch allmählich diese beiden Rechtskorpora.[39] Das Recht selbst kam durch ausgebildete Juristen auf deutschen Boden. Vor allem der Kaiser schickte schon im Hochmittelalter seine Rechtsstudenten an die großen Juristenfakultäten, um diese dort im kanonischen oder römischen Recht ausbilden zu lassen. Diesen Gebrauch schauten sich die Landesherren vom Kaiser ab. Sie begannen damit, ausgebildete Juristen in ihre jeweiligen Länder zu holen und sich von ihnen beraten zu lassen. Später wurden dann ebenso Gerichte und hohe Ämter mit ihnen besetzt.[40] Manche Landesherren gingen sogar so weit, eigene Landrechtskodifikationen in Auftrag zu geben. Diese enthielten dann neben dem römischen und kanonischen Recht auch typische Landesgewohnheiten.[41]
In der Literatur kann man im Zusammenhang mit den verschiedenen Rechtsauffassungen auch den Begriff des göttlichen Rechts, oder ius divinum finden. Jedes Recht benötigt eine Legitimationsgrundlage. Das alte Recht legitimierte sich vor allem über sein Alter, aber wie sollte sich das kanonische, beziehungsweise das römische Recht legitimieren? Da das kanonische Recht in seinen Grundzügen der Bibel entlehnt ist, liegt es nahe, gerade dies als einen Ausdruck der (christlichen) göttlichen Ordnung anzusehen. Diese göttliche Ordnung ist letztlich das göttliche Recht.[42] Das Recht, welches von der Herrschaft (die sich ebenfalls durch die göttliche Ordnung legitimiert) eingeführt wird, ist in letzter Konsequenz durch Gott legitimiert.
Ein letzter Punkt, der im weiteren Kontext noch wichtig sein wird, ist die Tatsache, dass es die Landesherren als ihr Herrschaftsrecht angesehen haben, Gesetze zu erlassen oder zu ändern.[43]
Zum Ende dieses Kapitels soll noch einmal der gesamte Stoff zusammengefasst werden und das konkrete Problem skizziert werden, welches sich aus den verschiedenen Rechtsauffassungen gebildet hat. Im Übergang vom Mittelalter zur Frühen Neuzeit war eines der vorherrschenden Rechtsformen das alte Recht. Jede Dorf- oder Stadtgemeinde hatte ihr eigenes altes Recht. Es hatte verschiedene intrinsische Eigenschaften, wie zum Beispiel das Alter, welches so groß war, dass wohl Gott selbst das Recht gegeben hatte. Es war ungeschrieben und nicht fixiert. Daneben wurde es mündlich tradiert und nur die Ältesten einer Gemeinde wussten genau über dieses Recht Bescheid. Recht konnte darüber hinaus in der Vorstellung der Gemeindebewohner nicht neu geschaffen, verändert oder außer Kraft gesetzt werden. Somit hatte das alte Recht die Macht, jüngeres Recht immer zu brechen.
Dem gegenüber steht nun eine Rechtsform, die von den Landesherren neu eingeführt wurde. Neue Gerichte und ein neues Recht, welches die Menschen nicht kannten und auch nicht anerkennen wollten, sollten nun die Grundlagen jeder Gerichtsbarkeit sein. Diese beiden grundlegend verschiedenen Rechtsformen prallten nun im 16. Jahrhundert aufeinander und waren wahrscheinlich einer der Hauptauslöser für die vielen Aufstände in der Zeit.
Der wachsende Einfluss der Landesherrschaft
Neben dem Ausbau der Landesverwaltungen in Bezug auf die Gerichtsbarkeit lässt sich im Übergang zur Frühen Neuzeit noch ein weiterer Aspekt in der Innenpolitik der Landesherrschaften beobachten. Dieser versteckt sich hinter dem, was Schubert als die „Kommerzialisierung der Landesherrschaft“[44] beschreibt. Dies bedeutet nichts anderes, als dass die Landesherren versuchten, so viele Einnahmen wie möglich aus ihrem Herrschaftsgebiet herauszuholen. Neben der Ausübung von Herrschaftsrechten waren die Gerichte auch gut als Einnahmequelle geeignet.[45] Neben der Erschließung dieser neuen Einnahmequellen entstand vor allem im 14. Jahrhundert der Trend, immer neue Landessteuern, wie zum Beispiel die Bede, zu erheben. Diese Steuern konnten zu jeder erdenklichen Zeit und auf jede Art von Ware oder Dienstleistung erhoben werden. Wichtig ist dabei zu beachten, dass diese neue Art von Steuer die Grundabgaben und Frondienste nicht ersetzte, sondern zusätzlich erhoben wurde.[46]
Neben der Erhebung von neuen Steuern, versuchten die Landesherren auch ihre wirtschaftlichen Erträge zu verbessern. Dies wollten sie vor allem durch die stärkere Nutzung der sogenannten Allmenden erreichen. Die Allmenden waren „die von der Dorfgemeinde genossenschaftlich genutzten Wälder, Wiesen und Gewässer […]“[47]. Sie dienten den Dorfbewohnern als Quelle für Brennholz im Winter und als Schafweiden im Sommer. Vor allem in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts begannen die Landesherrschaften ihren Einfluss auf die Allmendnutzung auszubauen.[48] Dabei wurden die eigenen Erträge dadurch gesichert und erhöht, indem man die dörfliche Nutzung der Allmende beschränkte. Konkret bedeutete dies eine Festlegung der Holzbezüge und die Einschränkung der Weideflächen.[49] Neben dieser Beschränkung der Allmende gab es einen weiteren Aspekt der fürstlichen Herrschaftsausübung, die von vielen Dorfgemeinden als überaus empörend empfunden wurde: die Jagd. Zum einen war es den Gemeindebewohnern strikt untersagt, Rotwild zu jagen. Das Recht diese Tiere zu jagen war nur dem Adel vorbehalten. Zu diesem Jagdrecht kamen noch weitere Aspekte hinzu, welche die einfachen Menschen störten. So mussten Dorfbewohner sogenannte Jagdfrondienste leisten. Dazu gehörten unter anderem die Hilfe bei der Wegschaffung erlegter Tiere, oder die Aufzucht von Jagdhunden. Ein weiteres großes Übel der Jagd bedeuteten die Feldschäden, die durch sie verursacht wurden, denn in der damaligen Zeit bedeutete ein verwüstetes Feld meist den existenziellen Ruin.[50]
All die hier angesprochenen Aspekte (neue Rechtsprechung, Steuererhebungen, Beschneidung der Allmendnutzung und Jagdrechte) waren Prozesse, die gleichzeitig nebeneinander verliefen. Im Laufe der Zeit wurden die Rechte der Bevölkerung immer weiter beschnitten und die Pflichten immer größer. Es musste sich also zwangsläufig mit fortschreitender Einflussnahme der Landesherren ein Widerstand in der Bevölkerung regen. In genau dieser Zeit, als der Einfluss der Landesherrschaft immer stärker wird, fanden auch die Bundschuhverschwörungen statt, die der Gegenstand der weiteren Arbeit sein werden.
3. Die Bundschuh-Verschwörungen
Die Vorgeschichte
Bevor mit der Quellenanalyse begonnen werden wird, soll die Vorgeschichte des Bundschuhs anhand der Sekundärliteratur rekonstruiert werden. Eingangs ist es wichtig zu bemerken, dass sich die Bundschuhverschwörungen weder zeitlich noch räumlich fest abgrenzen lassen. Die Verschwörungen waren ein gebietsübergreifendes Phänomen und es gestaltet sich schwierig, exakte Angaben zu liefern. Weiterhin sei auch zu bemerken, dass die Bundschuhverschwörungen standesübergreifend waren. So schreibt schon Albert Rosenkranz in seinem Werk.[51] Ob es jedoch, wie er meint, eine Erhebung des „armen Mannes“[52] war, oder ob ebenfalls Mitglieder wohlhabender Stände involviert waren, bleibt noch für die Quellenanalyse offen. Das Gebiet des Oberrheins war im späten 15. Jahrhundert zwischen die zwei Großmächte Frankreich und das Heilige Römische Reich geraten. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts verpfändete Sigmund von Österreich das Gebiet des heutigen Elsass an den Habsburger Karl den Kühnen.[53] Dieser war bestrebt, seine burgundische Herrschaft weiter auszubauen. Dabei verstrickte er sich jedoch in viele kriegerische Auseinandersetzungen, was letztlich zu seiner Niederlage und Tode im Jahre 1477 führte.[54] Direkt nach seinem Tod entstand ein Streit zwischen Kaiser Maximilian und Frankreich, da beide Anspruch auf das Erbe Karls erhoben.[55] Dieser Erbfolgekrieg wütete viele Jahre im Gebiet des Oberrheins bis zum Waffenstillstand 1480. Das Unterbrechen der Kampfhandlungen schuf zwar kurzfristig eine Verschnaufpause, dennoch dauerten die Auseinandersetzungen zwischen Frankreich und Maximilian noch lange Zeit an.[56] Letztlich konnte der nachmalige Kaiser den Konflikt für sich entscheiden.[57] Wichtig ist es sich an diesem Punkt klarzumachen, dass dieser Konflikt zum Großteil zu Lasten der Bevölkerung ausgetragen wurde. Die Menschen lebten in ständiger Angst vor dem Krieg, hinzu kamen die Belastungen durch neue und höhere Steuern[58].
Bevor das heutige Elsass in diesen Krieg hineingeraten war, hatte es einen eigenen Konflikt auszutragen. Die Armagnaken, benannt nach dem Herzog Bernhard von Armagnac, waren Söldner, die im Französischen Bürgerkrieg zwischen den Häusern der Armagnacs und der Bourguignons für die Armagnacs kämpften. Nachdem jener Krieg vorüber war, streiften die Armagnaken als Söldnerbanden durch die Gebiete westlich des Rheins. Sie fielen schließlich 1439 im Elsass ein und bedrohten die dort lebenden Menschen. Durch viele Kampfhandlungen wurde ihre Kampfkraft zusehends geschwächt bis sie sich letztlich im Jahre 1444 zerstreuten.[59] An diesen beiden Beispielen zeigt sich deutlich, dass das Gebiet um den Oberrhein in dieser Phase vor allem durch politische Wirren geprägt war. Zu diesen ständigen Bedrohungen kamen noch weitere Faktoren, die eine mögliche Erhebung der Menschen bewirken konnten. Durch die vielen Kriegswirren war es nötig geworden, dass der sogenannte Landsturm selbst zu seinem Schutze kämpfen musste, was das Selbstbewusstsein der Bevölkerung stärkte.[60] Neben diesem gesteigerten Selbstbewusstsein konnten sich die Menschen des Oberrheins die Eidgenossen zum Vorbild nehmen.[61] Jene lehnten sich gegen ihre Herrschaften auf und entledigten sich so von ihren Unannehmlichkeiten. Wie in der Quellenanalyse noch deutlich werden wird, schien das Vorbild der Eidgenossen großen Einfluss auf die Bevölkerung zu haben und man war sich sicher, dass diese auf Nachfrage zu Hilfe eilen würden. Neben diesen Gründen nennt Franz in seinem Werk auch das abendländische Schisma als einen Grund der Instabilität. Der Machtanspruch der Kirche in den umliegenden Gebieten soll dadurch extrem geschwächt worden sein.[62] Inwieweit dies zutrifft, lässt sich in dieser Arbeit nicht besprechen. Die Quellen geben jedoch keinen Hinweis darauf, dass es eine direkte Verbindung zwischen dem Schisma und der Auflehnung gegen kirchliche Institutionen gab. Was Franz ebenfalls noch als eine mögliche Unruhequelle angibt, sind die vielen Prediger, die damals gegen die Missstände in der Kirche predigten.[63] Als ein bekanntes Beispiel lässt sich hier der Pfeifer von Niklashausen anführen.
Neben diesen weitreichenden politischen Unruhen gab es auch lokale Auslöser, die im Gebiet des Oberrheins für Unruhe unter der Bevölkerung sorgten. Übereinstimmend zeigt sich die Forschung in Bezug auf jene lokalen Probleme. Vor allem der wachsende Einfluss übergeordneter Gerichtsbarkeiten, wie sie im ersten Kapitel ausführlich erarbeitet wurden, wirkte in zweifacher Weise als Unruheherd. Zu nennen wären in diesem Fall das geistliche Gericht in Straßburg und das kaiserliche Hofgericht in Rottweil[64]. Auf der einen Seite bewirkte das Verschleppen von lokalen Streitfällen vor diese Gerichte, dass in der Bevölkerung eine immer größere Unzufriedenheit aufkam. Zunächst mussten die meist armen Bauern zu diesen Gerichten reisen, was schon eine große Herausforderung darstellte. Des Weiteren mischte sich das geistliche Hofgericht immer mehr in Angelegenheiten der weltlichen Gerichtsbarkeit ein.[65] So konnte ein Schuldner beispielsweise mit einem Kirchenbann belegt werden, was den Druck auf die bäuerliche Bevölkerung weiter steigen ließ. Eine Tatsache, die sich auch sehr zu Ungunsten der Angeklagten auswirkte, war das Problem der Bestechlichkeit der Richter am Hofgericht und bei den geistlichen Gerichten.[66] Es lässt sich gut nachvollziehen, dass gerade diese ungerechte Behandlung der ländlichen Bevölkerung zu einem großen Unruhepotential führen musste. Die Behandlung durch die Obrigkeit verursachte jedoch nicht nur Unruhe in den tieferen Schichten der ständischen Gesellschaft. Auf der anderen Seite fühlte sich vor allem die dörfliche Oberschicht durch den wachsenden Einfluss der höheren Gerichte bedroht. So wurde bei vielen Strafsachen der Dorfschultheiß, der früher für die Rechtsprechung zuständig war, meistens übergangen und wurde somit quasi überflüssig.[67] Vor allem dieser Punkt brachte die Dorfobrigkeit auf, da sie sich um ihr Selbstbestimmungsrecht gebracht sahen. Wie in dieser Arbeit unter anderem herausgestellt werden soll, spielte gerade die eben genannte Dorfobrigkeit eine entschiedene Rolle bei den Bundschuhverschwörungen. Weiterhin spielten ebenfalls meteorologische Faktoren eine entscheidende Rolle. So gab es in diesem Gebiet zu jener Zeit viele Missernten und meist damit verbunden große Teuerungen. Überblickt man noch einmal das bisher Gesagte, so erkennt man einen ganzen Katalog an Unruhefaktoren, die sich im 15. und 16. Jahrhundert im Gebiet des Oberrheins finden lassen. Die dort lebenden Menschen mussten sich gegen marodierende Söldnerbanden wehren und gerieten später zwischen die Fronten eines Erbfolgekrieges. Viele politische Wirren destabilisierten weiterhin das Ansehen der Obrigkeit und stärkten das Selbstbewusstsein vor allem der dörflichen Gemeinden. Auf der anderen Seite steht der Versuch der Obrigkeiten, einen größeren Einfluss auf die Gemeindestrukturen zu nehmen. Höhere Steuern und andere Bürden wurden den Bewohnern auferlegt und die Rechtssprechungskompetenz wurde verlagert. Diese Entwicklungen mussten letztlich zwangsläufig in der Auseinandersetzung zwischen den verschiedenen Ständen führen.
Die Bundschuhverschwörungen
Im Gegensatz zu allen anderen Aufständen in der betrachteten Zeit unterscheiden sich die Bundschuhverschwörungen in einem Punkt ganz klar. Wie es der Name schon sagt, waren es Verschwörungen, die nie in einem offenen Konflikt endeten. Blickle charakterisiert die Bundschuhverschwörungen wie folgt „Sie haben ausgesprochen konspirativen Charakter, sind eindeutig überregional organisiert […] und sind eindeutig überständisch angelegt […]“[68]. Weiterhin beschreibt er, dass sich die Verschwörungen im Laufe der Zeit radikalisierten.[69] Inwieweit diese Charakterisierungen zutreffen, wird sich in der noch ausstehenden Quellenanalyse zeigen. Wie schon im Forschungsstand beschrieben wurde, zählt die heutige Forschung vier Ereignisse zu den Bundschuhverschwörungen. Die erste Verschwörung ereignete sich 1493 in Schlettstadt, einer freien Reichsstadt, die sich westlich des Rheins befindet. Die zweite Verschwörung ereignete sich im Jahr 1502 in der Stadt Bruchsal und der Gemeinde Untergrombach, die heute ein Stadtteil Bruchsals ist. Die dritte Verschwörung fand 1513 in der Gemeinde Lehen, die heute zu Freiburg im Breisgau gehört, statt. Die letzte Verschwörung lässt sich auf das Jahr 1517 datieren. Sie fand im gesamten Gebiet des Oberrheins statt, weshalb sich kein Verschwörungszentrum ausmachen lässt. In diesem Kapitel sollen nun die einzelnen Bundschuhverschwörungen analysiert werden. Für diese Analyse sollen die sechs in der Einführung aufgestellten Leitfragen benutzt werden. Was im Laufe dieser Analyse deutlich wird, ist die doch zum Teil sehr unterschiedliche Quellenlage. Die Verschwörungen von 1493 und 1513 sind sehr gut dokumentiert und bieten einen gute Grundlage, um die Leitfragen zu beantworten. Etwas schlechter ist es dagegen beim Bundschuh von 1502 bestellt. Hier ist die Quellenlage etwas dünner, was sich schon rein an der zur Verfügung stehenden Anzahl an Quellen bemerkbar macht. Am schlechtesten dokumentiert ist die letzte Verschwörung von 1517. Hier gibt es nur sehr wenige Quellen, aus denen sich die Begebenheiten der Verschwörung herausarbeiten lassen. Die wichtigsten Punkte können aber in allen Verschwörungen rekonstruiert werden.
Der Bundschuh zu Schlettstadt 1493
Der Auftakt des Verschwörungs-Kanons bildet die Bundschuhverschwörung zu Schlettstadt im Jahre 1493 und dessen Umgebung. Wie bereits erwähnt, war Schlettstadt im betrachteten Zeitraum eine freie Reichsstadt und konnte sich dadurch vieler Privilegien erfreuen. Wer waren nun die Menschen die hinter dieser ersten Verschwörung steckten? In der ersten Quelle, die Albert Rosenkranz in sein Werk aufgenommen hat, gibt es schon konkrete Hinweise. So stammten die Verschwörer aus Schlettstadt und dem näheren Umland: „[…] etliche von Schlettstatt, Sultz, Dambach, Epffich, Andlaw, Stotzheim, Kestenholtz, Dieffenthal, Schwerweiler, Blienßweiler, Nothalden […]“[70]. Auch konkrete Namen der Anführer werden in dieser Quelle genannt. „[…] Hans Ulman zu Schlettstatt, Jacob Hanser zu Blienschweiler, Hans Ziegler zu Stotzheim[71] und Schultheiß Ulrich den Jungen zu Andlaw.“[72] In einer weiteren Quelle werden nochmals Hans Ziegler aus Stotzheim und der Schultheiß von Blienschweiler als Hauptmänner der Verschwörung genannt.[73] Ein Bekenntnis von Klaus Ziegler untermauert die Annahme, dass diese Personen die wichtigsten Akteure der Verschwörung waren.[74] Die Quellen 9[75], 18[76], 31[77], sowie 37[78] bestätigen das noch einmal. Auch die neueste Forschungsliteratur bestätigt diese Liste.[79] Wer aber waren diese Männer und aus welchen gesellschaftlichen Schichten stammten sie? Der als Hauptverantwortliche der Verschwörung bestätigte Jacob Hanser war der Schultheiß des Reichsdorfs Blienschweiler. Franz charakterisierte ihn wie folgt: „Er war ein vielgereister Mann, der die Frankfurter Messe besuchte, angesehen und einflußreich allein schon durch sein Amt.“[80] Ob und inwieweit sich diese Charakterisierung als richtig erweist, sei dahingestellt. In einem Punkt hat Franz jedoch recht: schon alleine das Amt des Schultheißen inne zu haben, bedeutete einen gewissen Einfluss bei den Einwohnern und deutet auf ein weitverzweigtes soziales Netz mit den umliegenden Dorfobrigkeiten hin. Zu diesem Schluss kommt auch Scott[81]. Der zweite Mann, der hier als Hauptverdächtigter angegeben wird, war Hans Ulmann. Er war der Vetter Hansers und entstammte dem Bürgertum. Er war Metzger von Beruf und der ehemalige Bürgermeister Schlettstadts.[82] Wahrscheinlich trieben ihn persönliche Gründe dazu, an der Verschwörung teilzunehmen, da er es nicht schaffte als Bürgermeister wiedergewählt zu werden.[83] Über die anderen beiden Mitverschwörer, Claus Ziegler von Stotzheim und Ulrich von Andlau ist weniger bekannt. Dennoch wird vermutet, dass sie eine gute Verbindung zur Bevölkerung hatten.[84] Nahe liegt die Vermutung, dass diese beiden ebenfalls aus einer höheren gesellschaftlichen Schicht stammten.
Ein Blick auf die Führungspersönlichkeiten der Verschwörung von Schlettstadt lässt eines schon deutlich werden: Die Initiatoren der Verschwörung stammten definitiv aus höheren gesellschaftlichen Schichten und nicht aus dem Bauernstand. Macht man sich einmal deutlich, wie die sozialen Netzwerke im späten 16. Jahrhundert aussahen, ist diese Tatsache auch nicht verwunderlich. Letztlich war es nur der Ehrbarkeit möglich, regional übergreifende soziale Netzwerke aufzubauen. Gerade für die Werbung weiterer Verschwörer waren solche Bekanntschaften von enormer Wichtigkeit.[85]
[...]
[1] Franz, Günther: Der deutsche Bauernkrieg. Darmstadt 197510.
[2] Rosenkranz, Albert: Der Bundschuh. Die Erhebung des südwestdeuschen Bauernstandes in den Jahren 1493 – 1517. Bd. 1. Heidelberg 1927.
[3] Blickle, Peter; Adam, Thomas(Hrsg): Bundschuh. Untergrombach 1502, das unruhige Reich und die Revolutionierbarkeit Europas. Stuttgart 2004.
[4] Bischoff, Georges: La guerre des Paysans. L`Alsace et la révolution du Bundschuh. 1493 – 1525. Straßburg 2010.
[5] Rosenkranz, Albert: Der Bundschuh. Die Erhebung des südwestdeuschen Bauernstandes in den Jahren 1493 – 1517. Bd. 2. Heidelberg 1927.
[6] Lauterbach, Klaus: Der „Oberrheinische Revolutionär“ – der Theoretiker aufständischer Bauern?, in: Blickle, Peter; Adam, Thomas(Hrsg): Bundschuh. Untergrombach 1502, das unruhige Reich und die Revolutionierbarkeit Europas. Stuttgart 2004. S. 140 – 142.
[7] Bader war ein deutscher Rechtshistoriker des 20. Jahrhunderts
[8] Bader, Karl Sigfried: Das Mittelalterliche Dorf als Friedens- und Rechtsbereich. Köln; Wien 19813. S. 1.
[9] Franz S. 1.
[10] Kern, Fritz: Recht und Verfassung im Mittelalter. Basel 1953. S. 12.
[11] Vgl. Kern S. 13.
[12] Vgl. Franz S. 2.
[13] Vgl. Franz S. 1.
[14] Vgl. Kern S. 13/14.
[15] Vgl. Kern S. 16 – 23.
[16] Vgl. hierzu Kern S. 23 – 29.
[17] Vgl. Kern S. 28.
[18] Kern S. 28.
[19] Vgl. zu diesem Absatz Kern S. 30 – 37.
[20] Kern S. 38.
[21] Kern S. 39.
[22] Vgl. zur Instabilität des Reichs Gotthard, Axel: Das alte Reich. 1495 – 1806. Darmstadt 20135. S. 31.
[23] Gotthard S. 31.
[24] Vgl. zu den Problemen Maximilians I.: Hollegger, Manfred: Maximilian I. (1459 – 1519). Herrscher und Mensch einer Zeitenwende. Stuttgart 2005. S. 141 – 144.
[25] Vgl. Gotthard S. 32/33.
[26] Vgl. Bahlcke, Joachim: Landesherrschaft, Territorien und Staat in der frühen Neuzeit, in: Enzyklopädie deutscher Geschichte. Bd. 91. München 2012. S. 8/9.
[27] Vgl. Schubert, Ernst: Fürstliche Herrschaft und Territorium im späten Mittelalter, in: Enzyklopädie deutscher Geschichte. Bd. 35. München 1996. S. 16/17.
[28] Schubert S. 69.
[29] Bahlcke S. 20.
[30] Bahlcke S. 7.
[31] Schubert S. 67.
[32] Vgl. Schubert S. 68.
[33] Bahlcke S. 22.
[34] Schubert S. 69.
[35] Vgl. Schubert S. 69.
[36] Vgl. Bahlcke S. 26.
[37] Vgl. Franz S. 10.
[38] Sellert, Wolfgang: Zur Rezeption des römischen und kanonischen Rechts in Deutschland von den Anfängen bis zum Beginn der frühen Neuzeit: Überblick, Diskussionsstand und Ergebnisse, in: Boockmann, Hartmut u. a. [Hrsg.]: Recht und Verfassung im Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit. 1. Teil. Bericht über Kolloquien der Kommission zur Erforschung der Kultur des Spätmittelalters 1994 bis 1995. Göttingen 1998. S. 115 – 166.
[39] Vgl. Sellert S. 116 – 130.
[40] Vgl. ebd. S. 131 – 137.
[41] Vgl. Bahlcke S. 26.
[42] Vgl. Freitag, Josef: Ius Divinum, in: LThK Bd. 5. Sp. 698.
[43] Vgl. Bahlcke S. 28.
[44] Schubert S. 19.
[45] Schubert S. 15.
[46] Vgl. zu den Landessteuern Schubert S. 45 – 49.
[47] Epperlin, Sigfried: Bäuerliches Leben im Mittelalter: Schriftquellen und Bildzeugnisse. Köln, Weimar, Wien 2003. S. 137.
[48] Vgl. Hierzu Zückert, Hartmut: Allmende und Allmendaufhebung. Vergleichende Studien zum Spätmittelalter bis zu den Agrarreformen des 18./19. Jahrhunderts. Stuttgart 2003 S. 209 – 211.
[49] Vgl. hierzu Blickle, Peter: Die Revolution von 1525. München 20044. S. 58 – 60.
[50] Vgl. Zur Jagd im Mittelalter den Aufsatz von Spiess, Karl Heinz: Herrschaftliche Jagd und bäuerliche Bevölkerung im Mittelalter, in: Rösener, Werner (Hrsg.): Jagd und höfische Kultur im Mittelalter. Göttingen 1997. S. 231 – 254.
[51] Vgl. Rosenkranz, Albert: Der Bundschuh. Die Erhebung des südwestdeuschen Bauernstandes in den Jahren 1493 – 1517. Bd. 1. Heidelberg 1927. S. 4.
[52] Rosenkranz S. 4.
[53] Vgl. Kinder, Herrmann u.a.: dtv-Atlas Weltgeschichte. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. München 2008. S. 193.
[54] Vgl. Kinder S. 193.
[55] Vgl Hierzu Hollegger S. 42 – 45.
[56] Vgl. zum Erbfolgekrieg und seine Folgen Hollegger S. 45 – 54.
[57] Vgl. Franz S. 55 – 57.
[58] Vgl. Hollegger S. 44/45.
[59] Vgl. zur Geschichte der Armagnaken Witte, Heinrich: Die Armagnaken im Elsaß 1439 – 1445, in: Beiträge zur Landes- und Volkeskunde von Elsaß-Lothringen und den angrenzenden Gebieten. Bd. 11. Strassbourg 1889.
[60] Vgl. Franz. 56.
[61] Vgl. Willy, Andreas: Der Bundschuh. Die Bauernverschwörungen am Oberrhein. Karlsruhe 1953. S. 11.
[62] Vgl. Franz S. 57.
[63] Vgl. Franz S. 57.
[64] Vgl. Hierzu Franz S. 58/59, sowie Willy S. 12.
[65] Vgl. Franz S. 58/59.
[66] Vgl. Willy S. 12.
[67] Vgl. Franz S. 59.
[68] Blickle, Peter: Unruhen in der ständischen Gesellschaft. 1300 – 1800, in: Gall, Lothar (Hrsg.): Enzyklopädie deutscher Geschichte. Bd. 1 München 20123. S. 23.
[69] Vgl. Blickle Unruhen S. 23.
[70] Rosenkranz, Albert: Der Bundschuh. Die Erhebung des südwestdeuschen Bauernstandes in den Jahren 1493 – 1517. Bd. 2. Heidelberg 1927. S. 1 Nr. 1.
[71] Claus Ziegler zu Stotzheim ist hier gemeint. Vgl. hierzu die Anmerkung „c“ von Rosenkranz S. 1.
[72] Rosenkranz Bd. 2 S. 1 Nr. 1.
[73] Vgl. Rosenkranz Bd. 2 S. 5/6 Nr. 3.
[74] Vgl. Rosenkranz Bd. 2 S. 15 Nr. 10.
[75] Rosenkranz Bd. 2 S. 10 Nr. 9.
[76] Rosenkranz Bd. 2 S. 22 Nr. 18.
[77] Rosenkranz Bd. 2 S. 32 – 45 Nr. 31.
[78] Rosenkranz Bd. 2 S. 52 – 67 Nr. 37.
[79] Vgl. Bischoff S. 83.
[80] Franz S. 58.
[81] Vgl. Scott, Tom: Freiburg and the Breisgau. Town-Country Relations in the Age of Reformation and Peasants’ War. Oxford 1986. S. 169.
[82] Vgl. Franz S. 58.
[83] Vgl. Scott S. 169.
[84] Vgl. Bischoff, Georges: Le Bundschuh de L`Ungersberg (1493), ses acteurs et son environnement, in: Blickle, Peter; Adam, Thomas (Hrsg.): Bundschuh. Untergrombach 1502. Das unruhige Reich und die Revolutionierbarkeit Europas. Stuttgart 2004. S. 55.
[85] Den selben Schluss zieht ebenfalls Scott Vgl. S 171.
- Quote paper
- Michael Weber (Author), 2016, Die Entwicklung der "Bundschuhverschwörungen" im Oberrheingebiet, Munich, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/452063
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