Auslandspraktikum - Ein Crashkurs in interkultureller Kompetenz


Hausarbeit, 2003

36 Seiten, Note: 1,3


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1 Glück oder Horror: Leben und Arbeiten im Ausland

2 Kultur und Interkulturelle Kompetenz
2.1 Was ist Kultur?
2.2 Nationale Unterschiede
2.3 Interkulturelle Kompetenz

3 Der Crashkurs: Auslandspraktikum
3.1 Verhaltensstrategien
3.2 Kulturschock und Anpassung

4 Maßnahmen gegen den Schock
4.1 Interkulturelles Training
4.2 Betreuung von Austauschpraktikanten

5 Fazit: Warum soll ich mir das antun?

Literaturverzeichnis

1 Glück oder Horror: Leben und Arbeiten im Ausland

„People’s home is not where they live.

Nor is it where they put down their suitcase.

It is where they love. – Feel at home!”

Diese Worte schrieb ich auf ein kleines, eingerahmtes Bildchen, das ich meinem Londoner Praktikumsleiter David zum Abschied kurz vor Weihnachten 2001 bastelte. David war selbst kein gebürtiger Engländer. Er wurde in Indien geboren und lebte dort, bis er nach der Schule in die Vereinigten Staaten zog, um dort zu studieren. Sein Vater war Amerikaner, seine Mutter Inderin. Nach seinem Studium in Amerika ging er nach England und fing dort an, als Fern-sehregisseur zu arbeiten. Momentan lebt er teils in Brüssel, teils in London oder auch in Amerika – so, wie der Job es gerade verlangt. Als ich ihn einmal fragte, wo er sich eignetlich zu Hause fühlt, antwortete er, dass sein Zuhause der Ort ist, wo er seinen Koffer abstellt. Gut. Er war und ist oft unterwegs und kennt die ganze Welt. Der Koffer ist das Einzige, das ihm bleibt. Oder doch nicht? Ich habe während meines Praktikums in der Londoner Produktionsfirma Dovewell Communications, wo ich von August bis Dezember 2001 als Operation Assistant arbeitete, oft über seine Antwort nachgedacht und darüber, was ich mir selbst antworten würde. Letzt-endlich, nachdem ich knapp fünf Monate in London gelebt hatte, war mir klar: Zuhause ist das, wo ich Liebe finde und geben kann. Ich bin dort zu Hause, wo es Menschen gibt, die ich kenne und die mich kennen, die mir wichtig sind und denen ich wichtig bin. Diese Menschen habe ich in London gefunden.

Sich dem Ausland zu stellen ist eine enorme Herausforderung an die eigene Persönlichkeit, der größtes Glück und ungeahnter Horror folgen kann. Es ist die wohl beste Möglichkeit, seine Grenzen zu erkennen, sie zu überspringen oder auch an ihnen zu scheitern. Dank meiner neu gefundenen Freunde und meinem Willen, auch beruflich voranzukommen, überstand ich kleine und große Krisen, die sich aufrgund der Entfernung vom vertrauten Zuhause und der absolut unbekannten Situation im Ausland nicht vermeiden ließen, und empfinde ich jetzt meinen Aufenthalt in London als großes Glück, auch wenn ich vor Ort nicht nur einmal an einen frühzeitigen Abbruch dachte …

Diese Erfahrung ist ein Schatz für mein weiteres privates, akademisches sowie berufliches Leben. Die Bereitschaft, anderen zu helfen, Misstrauen beiseite zu schieben und sich zu öffnen, war im Ausland die absolute Bedingung für ein Leben, das nicht in Einsamkeit und Zurückgezogenheit erstickt. In der Fremde, umgeben von fremden Menschen, Sprachen, Religionen, Gewohnheiten und Witzen, entdeckte ich eine neue Identität. Denn hier wurde ich zum ersten Mal gefordert, das bisher Erlernte in einen völlig anderen Kontext zu integrieren, ohne dabei alles gleich über Bord zu werfen. Nach und nach wandelte sich das „Auf-mich-allein-gestellt-sein” in einer unbe-kannten Kultur von der Krise zum Glück mit leichten Schwankungen. Zurück in Deutschland begriff ich die Bedeutung meiner Zeit in London. Auf keine andere Weise hätte ich die Lektion des Miteinanderlebens und -arbeitens besser lernen können.

Diese Arbeit untersucht, wie wichtig interkulturelle Kompetenz heute bei zunehmender Globali-sierung und Internationalisierung von Wirtschaft, Politik und Gesellschaft ist, was das Leben im Ausland positiv und negativ bestimmt und wie man dem fast obligatorischen Kulturschock entrinnen kann. Das heutzutage nahezu obligatorische Auslandspraktikum im Lebenslauf gilt als beste Vorbereitung für spätere berufliche Herausforderungen in einer international aus-gerichteten Gesellschaft. Daher soll diese Form der Auslandserfahrung genauer betrachtet und die Möglichkeiten, sie am effektivsten und erfolgversprechendsten zu gestalten, heraus-kristallisiert werden. Grundlagen hierfür sind einerseits die theoretischen Überlegungen zu kulturellen Unterschieden und den Prozessen, denen man sich während eines längeren Aus-landsaufenthalts stellen muss. Andererseits gehe ich ebenfalls auf meine eigenen Erfahrungen in der Praxis zurück, um die Theorie gegebenfalls in Frage zu stellen. Die Begriffe der Kultur und der interkulturellen Kompetenz können hier nur am Rande geklärt werden, da sie in ihrer Komplexität und Reichweite ein eigenes Thema darstellen. Eine tiegründigere Untersuchung würde daher die Grenze dieser Arbeit überschreiten und den eigentlichen Fokus auf das Leben im Ausland verwässern.

2 Kultur und Interkulturelle Kompetenz

2.1 Was ist Kultur?

Abgeleitet aus der lateinischen Bedeutung des Begriffs, dem Bestellen des Bodens, versteht man heute unter Kultur über die bloßen künstlerischen und geistigen Leistungen einer Zivilisation hinausgehend die „kollektive Programmierung des Geistes, die die Mitglieder einer Gruppe oder Kategorie von Menschen von einer anderen unterscheidet” (Hofstede 1993, S. 19). Diese Programmierung beginnt in der Familie und setzt sich durch alle weiteren sozialen Umfelder, in die man während des Lebens gerät, fort. Das Ergebnis sind so genannte „mentale Programme”, d.h. Denk-, Fühl- und Handlungsmuster, die dem Leben eines Individuums einen Rahmen geben (vgl. Hofstede, S. 18). Diese gruppenspezifischen Grundmuster lassen sich jedoch von jedem Einzelnen auf unterschiedliche Weise interpretieren, abwandeln oder verwerfen. Kultur, die das allen Menschen gemeinsame genetische Fundament unterschiedlich formt, wird letztlich in der eigenen Persönlichkeit individuell gelebt (siehe Abbildung 1).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Herbrand bezeichnet Kultur genauer als „ein System kollektiver Werte und Normen […], das im Rahmen der Sozialisation von den Mitgliedern einer sozialen Gruppe, bewusst oder unbewusst, von jeder Generation erneut erlernt und verinnerlicht wird” (Herbrand, S. 15). Kultur beinhaltet demnach die gemeinsamen Idealvorstellungen und die daraus resultierenden Verhaltensmuster einer Gruppe, die ihren Mitgliedern zur Orientierung, Sinn- und Identitätsfindung sowie Abgren-zung von anderen kulturellen Gruppen dient, was wiederum Voraussetzung für das Erkennen der eigenen Identität ist. Diese Werte und Normen werden immer wieder neu auf die folgende Generation übertragen. Kultur ist daher erlernbar und nie statisch und unveränderlich, sondern stets das Ergebnis des Wechselspiels zwischen Tradition und Fortschritt.

2.2 Nationale Unterschiede

Jedem ist bewusst, dass es zwischen den Kulturen dieser Welt Unterschiede in ihren Idealen, Einstellungen, Wünschen, Ängsten, Hoffnungen und folglich auch in ihrem Verhalten gibt, die sich im privaten wie beruflichen Feld äußern. Welche konkreten Formen diese Differenzen im Denken, Fühlen und Handeln innerhalb von Organisationen bzw. Unternehmen annehmen, untersuchte Geert Hofstede auf Grundlage mehrerer weltweiter Forschungsprojekte, darunter auch eine Befragung von 116 000 Mitarbeitern des IBM-Konzerns in 64 Ländern von 1968 bis 1972. Während seiner Untersuchung kristallisierten sich gravierende Kulturspezifika u.a. in Führungsstil, Kommunikations- bzw. Konfliktverhalten, Personalmanagement, Organisations-struktur, Entscheidungsfindung und anderen Bewertungs- bzw. Handlungsmustern heraus, die Hofstede in einem Kulturmodell mit den folgenden fünf Dimensionen zusammenfasste (vgl. Hofstede 1993, S. 37 ff.):

- Hohe versus geringe Machtdistanz
- Individualismus versus Kollektivismus
- Maskulinität versus Femininität
- Starke versus schwache Unsicherheitsvermeidung
- Kurzfristige versus langfristige Orientierung

Die fünfte Dimension, die besonders in östlichen Kulturen von Bedeutung ist, wurde nach-träglich aufgrund weiterer Untersuchungen zu Hofstedes Dimensionen hinzugefügt, wobei noch keine repräsentativen, weltweiten Ergebnisse verfügbar sind.

Von hoher Machtdistanz gekennzeichnete Gesellschaften sind beispielsweise einige latein-amerikanischen Länder, Singapur, Hongkong und Frankreich. In Großbritannien, den USA, den skandinavischen Ländern und auch Deutschland ist die Ausprägung von Machtpositionen gering. Vorreiter in Richtung Individualismus sind die USA und Großbritannien. Am anderen Pol sammeln sich vor allem lateinamerikanische und ost-asiatische Länder. Deutschland liegt relativ weit im individualistischen Feld. Auffallend ist der korrelative Zusammenhang zwischen hoher Machtdistanz und Kollektivismus bzw. zwischen geringer Machtdistanz und Individualismus (siehe Abbildung 2).

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Besonders Japan zeichnet sich durch hohe Maskulinität aus. Als gemäßigt maskulin gelten Großbritannien und Deutschland, gefolgt von den USA im mittleren Feld. Auffallend abseits befinden sich hierbei die skandinavischen Länder, die sich mit ihrer ausgeprägten Femininität von den anderen Ländern abheben. Die skandinavischen Länder, Singapur, Großbritannien und die USA stehen für eine eher schwache Unsicherheitsvermeidung und können Unvorhersehbares tolerieren, während viele lateinamerikanische Länder, Japan, Frankreich und am Rande auch Deutschland eher zum Kontrollzwang neigen und Unsicherheiten weitestgehend vermeiden wollen (siehe Abbildung 3).

Innerhalb der genannten Dimensionen soll keine Wertung der Richtigkeit eines der beiden Pole vollzogen werden. Ein überdurchschnittlich lockeres und humorvolles Gemüt sichert dem Be-stattungsgast nicht automatisch die uneingeschränkte Sympathie der Trauergemeinde. In seiner Stammkneipe kann er hingegen als zuverlässige Stimmungskanone heiß geliebt sein. Selbiges gilt für Hofstedes Kulturdimensionen: Keines der Extreme allein stellt ein universelles Mittel dar, das jeden erwünschten Erfolg erzielt. Auf jeweils beiden Seiten gibt es Vor- und Nachteile, so dass nur in der Kombination der für das konkrete Ziel einer Unternehmung angemessenen Ausprägungen (z.B. durch Internationalisierung von Unternehmen, Tochtergesellschaften etc.) eine optimale Lösung gefunden werden kann.

In Hofstedes Untersuchung wird deutlich, dass Deutschland und Großbritannien, das Land meines Auslandsaufenthalts, gravierende Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede aufweisen. Beide Länder erreichen exakt die gleichen Werte in den Kategorien Machtdistanz (relativ gering) und Maskulinität (relativ hoch). In der Kategorie Individualismus erzielt Großbritannien einen etwas höheren Wert. Jedoch besonders auffallend ist die Differenz der Unsicherheitsver-meidung: Deutschland ist enorm unsicherheitsfeindlich, Großbritannien hingegen kann mit Risiko gut umgehen (vgl. Hofstede 1993, S. 130).

Während meines Praktikums in London wurde mir dieser Zusammenhang ebenfalls bewusst. Zeit messen die Briten nicht in Sekunden oder Minuten, sondern eher in Stunden oder größeren Einheiten. Pünktlichkeit wird nicht wie in Deutschland als elftes Gebot akzeptiert. Und obwohl wir gut und zielgerichtet gearbeitet haben, gab es nur selten bestimmte Deadlines, die dann auch meistens nicht eingehalten wurden. Im Gegensatz zu Deutschland löste das aber auch keine Panik aus. Man war es ja gewohnt. Gleichermaßen irritiert war ich von der Lockerheit, mit der meine Kollegen größeren Projekten gegenübertraten. Ich war stets bemüht, so früh wie möglich alle Vorbereitungen, z.B. für ein Event oder Konzert, abgeschlossen zu haben, um noch Zeit für eventuelle Änderungen oder andere Vorkommnisse zu lassen. Doch dieses Bemühen wurde von den anderen wohl eher als übertrieben empfunden. Die Vermeidung von Un-sicherheit äußerte sich auch in meinem Perfektionismus, mit dem ich meine Aufgaben erledigte, was dazu führte, dass ich von Beginn an als „Mercedes Benz” (mein Chef nannte mich einmal so) und als Botschafter guter deutscher Qualität galt, obwohl ich beim besten Willen nicht vor Anstrengung kollabierte. Diese Differenzen im Arbeitsstil wurden keineswegs als negative Störungen gesehen – weder von mir noch von meinen Kollegen. Durch unsere Unterschiede haben wir auch viel voneinander gelernt. Mir wurde jedenfalls klar, dass nicht alles durchgeplant und perfekt terminiert sein muss, um gute Qualität zu liefern. Es herrschte eine sehr offene Atmosphäre und wir sind einander mit viel Humor begegnet, wobei ich festgestellen muss, dass Humor in meinem Fall nicht so extrem kulturspezifisch war, wie es oft behauptet wurde bzw. wird (vgl. Hofstede 1993, S. 241). Die Produktionsfirma, in der ich arbeitete, war äußerst multikulturell. Die Mitarbeiter stammten u.a. aus Schweden, Ghana, Indien, USA und Humor war das wahrscheinlich verbindendste Element im Team: Übereinander und miteinander zu lachen gehörte zu jedem Tag dazu.

[...]

Ende der Leseprobe aus 36 Seiten

Details

Titel
Auslandspraktikum - Ein Crashkurs in interkultureller Kompetenz
Hochschule
Universität der Künste Berlin  (Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation)
Veranstaltung
Interkulturelles Kommunikationsmanagement
Note
1,3
Autor
Jahr
2003
Seiten
36
Katalognummer
V45226
ISBN (eBook)
9783638426619
Dateigröße
440 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Sich dem Ausland zu stellen ist eine enorme Herausforderung, der größtes Glück und ungeahnter Horror folgen kann - wohl die beste Möglichkeit, seine Grenzen zu erkennen, sie zu überspringen oder auch an ihnen zu scheitern. Das heutzutage nahezu obligatorische Auslandspraktikum steht hier im Fokus. Grundlage ist einerseits die Theorie: kulturelle Unterschiede und die Prozesse während eines Auslandsaufenthalts. Andererseits nutze ich meine eigenen Erfahrungen, um die Theorie in Frage zu stellen.
Schlagworte
Auslandspraktikum, Crashkurs, Kompetenz, Interkulturelles, Kommunikationsmanagement
Arbeit zitieren
Katja Fleck (Autor:in), 2003, Auslandspraktikum - Ein Crashkurs in interkultureller Kompetenz, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45226

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