Leseprobe
Inhalt
1 Einleitung
2 Der Krisenbegriff
3 Die Entwicklung der Eurokrise
4 Hypothesen
5 Operationalisierung und Methodologie
6 Ergebnisse
7 Schlussbemerkung
Quellen-/Literaturverzeichnis
Abstract
In dieser Arbeit soll empirisch untersucht werden, inwieweit sich die Zustimmung für den Euro im Kontext der Eurokrise verändert hat. Ziel ist eine vergleichende Analyse zwischen den Hauptkrisenstaaten, die in dieser Untersuchung durch die zwei Staaten Griechenland und Portugal repräsentiert werden und den weniger von der Krise betroffenen Staaten Deutschland und Frankreich. Dabei sollen drei Zeitpunkte in einem Intervall von insgesamt zehn Jahren untersucht werden, nämlich das Jahr 2007, also noch vor Beginn der Eurokrise, das Jahr 2012, als die Krise ihren Höhepunkt erreicht hat sowie das Jahr 2017. Als Datenbasis fungiert der Eurobarometer aus eben diesen Jahren, mithilfe dessen logistische Regressionen durchgeführt werden sollen, die die zeitlichen Entwicklungen der Chancenverhältnisse für eine Zustimmung des Euros in den einzelnen Staaten aufzeigen. Im Ergebnis hat sich gezeigt, dass sich die Entwicklungen der Zustimmungsraten je nach Staat teilweise stark unterscheiden. So konnte ein u-förmiger Zusammenhang in Frankreich und Portugal beobachtet werden, während sich in Griechenland eher ein entgegengesetzter Verlauf abzeichnet. In Deutschland zeigen sich keine signifikanten Unterschiede der Zustimmung für den Euro zwischen 2007 und 2012, während sie 2017 deutlich zugenommen hat.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Bruttostaatsverschuldung der einzelnen Eurostaaten von 2005 bis 2016 (in Prozent des BIP)
Abbildung 2: Die Entwicklung der Einstellungsrate insgesamt
Abbildung 3: Die Entwicklung der Zustimmung für den Euro nach Staat
Tabellenverzeichnis
Tabelle 1: Fallzahlen
Tabelle 2: Variablenübersicht
Tabelle 3: Logistische Regression: Die Chancenverhältnisse einer Zustimmung für den Euro insgesamt nach Jahr
Tabelle 4: Die Einstellung zum Euro nach Staat und Jahr
Tabelle 5: Chancenverhältnisse einer Zustimmung für den Euro nach Staatenkategorie und Jahr (Ref.: 2007)
Tabelle 6: Die Chancenverhältnisse einer Zustimmung für den Euro nach Staat und Jahr (Ref.: 2007)
Tabelle 7: Chancenverhältnisse einer Zustimmung für den Euro nach Staatenkategorie und Jahr (Ref.: 2012)
Tabelle 8: Die Chancenverhältnisse einer Zustimmung für den Euro nach Staat und Jahr (Ref.: 2012)
1 Einleitung
Als im Jahr 1999 der Euro in den ersten elf EU-Staaten, darunter auch Deutschland, Frankreich und Portugal sowie Monaco, San Marino und Vatikanstaat1 als Buchungswährung und wenig später als offizielle Zahlungswährung eingeführt wurde, sprachen einige von einer beginnenden Erfolgsgeschichte und einem Meilenstein für die europäische Integration (Duisenberg 2001), andere sahen eine gemeinsame europäische Währung eher skeptisch. Als sich ab 2009 eine massive Schuldenkrise, vor allem in Griechenland, anbahnte, wurden die Europäische Union und die einzelnen Euro-Länder mit einer Krise ungeahnten Ausmaßes konfrontiert, die nicht nur die Stabilität des Euros als Währung, sondern auch die Existenz der Währungsunion infrage stellte. Zum Höhepunkt der Eurokrise wurde sogar öffentlich darüber debattiert, ob überschuldete Staaten aus der Euro-Zone ausgeschlossen werden sollten, so zum Beispiel Griechenland. Die Eurokrise hat jedoch auch zu einem starken Vertrauensverlust in die gemeinsame europäische Währung in vielen Ländern Europas geführt, der u.a. auch politische Parteien an den Rändern zum Erstarken verholfen hat.
In dieser Arbeit soll der Frage nachgegangen werden, wie sich die Zustimmung für den Euro als gemeinsame europäische Währung im Kontext der Eurokrise verändert hat und welche Differenzen es dabei zwischen den einzelnen Staaten gibt, insbesondere zwischen den Hauptkrisenstaaten und den weniger von der Krise betroffenen Euro-Ländern. Im Fokus stehen dabei vor allem Griechenland als ein zentraler Krisenstaat, mit dem die Eurokrise letztendlich auch begonnen hat und in dem die wirtschaftlichen und sozialen Folgen der Eurokrise noch immer virulent sind, sowie Deutschland als ein Gegenpol dieser Entwicklung. Darüber hinaus sollen noch die Staaten Portugal und Frankreich als jeweilige Vergleichsstaaten im Blickfeld stehen. Portugal entwickelte sich insbesondere ab 2011 zu einem Krisenstaat. Frankreich, das zwar auch unter der Eurokrise wirtschaftlich zu leiden hatte, gilt hingegen nicht als ein Krisenstaat und dient damit als Vergleichsland zu Deutschland. In der Analyse stehen drei Zeitpunkte im Fokus: Erstens soll der Zustand vor der Eurokrise betrachtet werden, genauer gesagt das Jahr 2007. Der zweite Zeitpunkt im Jahr 2012 repräsentiert den Höhepunkt der Eurokrise. Schließlich soll noch die nachhaltige Veränderung der Zustimmung für den Euro analysiert werden. Dazu dient das Jahr 2017. Somit umfasst das Zielintervall insgesamt zehn Jahre, mit jeweils zwei fünf-jährigen Teilintervallen. Als Datengrundlage fungiert der Eurobarometer aus ebendiesen drei Jahren.
Das Ziel dieser Arbeit besteht weniger darin, einen Erklärungsversuch zur Entwicklung der Zustimmung in den einzelnen Ländern herzustellen, sondern in erster Linie die Veränderungen deskriptiv zu analysieren und mögliche Differenzen zwischen den untersuchten Staaten aufzuzeigen. Dazu wird insbesondere mit logistischen Regressionen gearbeitet, die die einzelnen Chancenverhältnisse für eine Zustimmung oder Ablehnung des Euros wiedergeben sollen.
2 Der Krisenbegriff
Zunächst soll kurz auf den Krisenbegriff eingegangen werden. Dessen Verständnis ist von großer Bedeutung, wenn es darum geht, einen Zusammenhang zwischen der Wahrnehmung und Interpretation der Eurokrise und den daraus resultierenden Konsequenzen für soziales Handeln herzustellen. Soziales Handeln bezieht sich in diesem Kontext insbesondere auf die individuelle Einstellung zur europäischen Währung. Was ist also eine Krise und was nicht? Im Folgenden sollen einige Vorschläge zur soziologischen Definition von Krise vorgestellt werden.
Jürgen Habermas (1973: 12) spricht beispielsweise von einer Krise, „wenn die Gesellschaftsmitglieder Strukturwandlungen als bestandskritisch erfahren und ihre soziale Identität bedroht fühlen“ (Hervorhebung im Original). Nach Knut Borchardt (1986) ist eine Krise „generally what the public perceives as such“. Eine erste wichtige Bedingung für die Klassifizierung einer Situation bzw. einer Problematik als „Krise“ ist somit die kollektive Wahrnehmung, die eng mit dem Bewusstsein negativer Konsequenzen verknüpft ist. Bleibt diese aus, so kann nicht von einer Krise gesprochen werden, selbst wenn die Strukturwandlungen präsent sind und auch kollektiv unerwünschte Konsequenzen zu erwarten sind. Preunkert und Vobruba (2011: 2) gehen noch einen Schritt weiter und sprechen von einer Krise als eine „von Akteuren wahrgenommenen Entscheidungssituation für Institutionen unter Problemdruck“. Damit ergänzen sie die zuvor erwähnten Definitionen um einen weiteren wichtigen Aspekt, nämlich einen Handlungsbzw. Entscheidungsdruck. Das heißt, die kollektive Wahrnehmung als Krise reicht für eine soziologische Definition allein nicht aus, da sie noch keine Konsequenzen für soziale Handlungen suggeriert (vgl. Bohmann/Vobruba 1992: 146), sondern es muss auch ein kollektives Bewusstsein darüber bestehen, dass die Situation durch aktive Handlungen und Entscheidungen gelöst werden muss. Preunkert und Vobruba (2011) sprechen in ihrer Definition jedoch noch einen weiteren Aspekt an. Es ist von einem Entscheidungsdruck für Institutionen die Rede. Für die Definition der Eurokrise muss daher zwischen dem Geld als Medium und der Währung als Institution differenziert werden. Das Problem bei der Eurokrise bestehe daher nicht in einer Strukturkrise des Geldes, sondern der Währung als Institution, die im Zuge der Eurokrise mit einer Überforderung ihrer Funktionsweise konfrontiert wird und damit in ihrer Existenz gefährdet ist (vgl. ebd.: 2-3).
Warum ist die Definition des Krisenbegriffs also für die Analyse der Einstellung zur europäischen Währung wichtig? Möchte man untersuchen, wie sich die individuellen Einstellungen zum Euro im Zuge der Eurokrise verändert haben, so muss eine wichtige Bedingung erfüllt sein: Es muss ein kollektives Bewusstsein einer Krise vorliegen, einschließlich der Erkenntnis, dass ein akuter Handlungsbedarf besteht, durch das eine Einstellungsänderung überhaupt postuliert werden kann. Ohne dieses müsste man grundsätzlich davon ausgehen, dass die Eurokrise keinerlei Einfluss auf die individuelle, aber auch kollektive Zustimmung für die europäische Währung ausgeübt hat.
3 Die Entwicklung der Eurokrise
Wann begann die Eurokrise und was war der Ausgangspunkt für die weitere Entwicklung? Diese Frage wird bis heute kontrovers diskutiert. Während einige die weltweite Finanzund Bankenkrise ab 2007 als Beginn der Eurokrise betrachten, die ihren Höhepunkt insbesondere durch den Kollaps der „Lehman Brothers“ im Jahr 2008 erreichte (Mussler 2011), gehen andere davon aus, dass sie zumindest eine wesentliche Ursache der Eurokrise darstellt, da sie in hohem Maße für die einsetzende Schuldenkrise in Europa verantwortlich war (Neubäumer 2011; Preunkert/Vobruba 2011, 2013). Der eigentliche Beginn der Eurokrise wird jedoch auf Dezember 2009 datiert. Griechenland, das die Zugangsbedingungen zur europäischen Wirtschaftsund Währungsunion zum Zeitpunkt des Beitritts zum Euro im Jahr 2001 nicht erfüllte und nur „durch geschönte Zahlen“ (Illing 2017: 53) den Zugang erlangte, drohte aufgrund einer massiven Verschuldung, insbesondere durch die Aufnahme zahlreicher ausländischer Kredite, die Zahlungsunfähigkeit. Diese Kredite wurden jedoch insbesondere für konsumptive Zwecke eingesetzt und nicht für Investitionen, um die Wettbewerbsfähigkeit des Landes sicherzustellen. Somit konnte weder die Inflationsrate reduziert, noch die Produktivität der griechischen Wirtschaft gesteigert werden (vgl. ebd.: 55). Auch nötige Reformen blieben aus. So stieg die Staatsverschuldung Griechenlands im Jahr 2009 auf etwa 127 Prozent des Bruttoinlandsprodukts an (vgl. Abb. 1).
Ende 2009 wurde die Kreditwürdigkeit Griechenlands herabgestuft. Das hatte zur Folge, dass die Refinanzierungskosten massiv gestiegen sind, was den damaligen griechischen Premierminister Papandreou dazu veranlasste die drohende Insolvenz des Landes öffentlich zu machen (vgl. Illing 2017: 56). Die übrigen EU-Staaten forderten zunächst eine strikte Sparpolitik und Reformen von Griechenland. Im März 2010 wurde auf dem EU-Gipfel schließlich ein erstes finanzielles Hilfspaket gebilligt, welches vor allem bilaterale Kredite und zweitrangig auch Kredite des Internationalen Währungsfonds (IWF) beinhalten sollte. Die Europäische Zentralbank (EZB) genehmigte eine Ausnahmeregelung, die es Griechenland ermöglichte, trotz mangelhafter Bonität Staatsanleihen anzunehmen. Die Annahme des Hilfspakets durch Griechenland führte jedoch zu einem massiven Vertrauensverlust bei den Finanzinstituten. Die Folge war eine extreme Anhebung der Zinssätze, die Griechenland „an den Rande der Insolvenz gedrängt“ hat (ebd.: 64). Da das Haushaltsdefizit innerhalb kürzester auf null Prozent hätte gesenkt werden müssen, wurde jedoch deutlich, dass Griechenland entweder auf weitere Finanzhilfen angewiesen ist oder Schulden erlassen werden müssen.
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Quelle: Eigene Darstellung, Datenbasis: Europäische Kommission, Eurostat 2016
Die Schuldenkrise weitete sich schließlich auch auf andere Eurostaaten aus, vor allem auf Irland und Portugal. Im Rahmen des Euro-Rettungsschirms wurden diverse Maßnahmen ergriffen, um einen Stabilisierungsmechanismus zu gewährleisten. Dazu zählt u.a. die Gründung der Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF). Auch Portugal nutzte Hilfsgelder der EU. Doch der Vertrauensverlust der Investoren in Staatsanleihen von Euro-Staaten führte auch in Portugal zu einer Erhöhung der Zinssätze. Während sie 2009 bis 2010 noch bei etwa 5 Prozent lagen, stiegen sie 2011 auf über 9 Prozent an (vgl. Illing 2017: 77f.). Im Mai 2011 wurde Portugal eine Finanzhilfe zugebilligt. Zwei Monate später wurde schließlich auch die Kreditwürdigkeit Portugals herabgestuft, was zu einem Anstieg der Zinsen führte. Obwohl Portugal eine erfolgreiche Sparpolitik betrieb, schrumpfte die wirtschaftliche Produktivität.
Die Eurokrise erreichte 2011 eine neue Stufe, als für Griechenland ein zweites Hilfspaket gebilligt wurde, das, anders als das erste, nicht mehr bilateral, sondern ausschließlich durch die EFSF ausgezahlt wurde. Da der bis dahin angebahnte Schuldenstand (bis über 170% des BIP im Jahr 2011) durch Griechenland jedoch nicht mehr zu bewältigen war, (Mussler 2011/Illing 2017) wurde auch ein Schuldenschnitt auf freiwilliger Basis eingeplant. So sollte der Schuldenstand bis 2020 auf ein Niveau von maximal 120 Prozent des Bruttoinlandsprodukts gesenkt werden (vgl. Illing 2017: 83). Damit verbunden waren jedoch auch strikte Sparmaßnahmen, die Griechenland jedoch nur unzureichend umsetzte. Es wurde schließlich immer deutlicher, dass Griechenland die Zielsetzung des Schuldenniveaus bis 2020 nicht erfüllen konnte. 2012 wurde dieser Schuldenschnitt vollzogen. Dadurch senkte sich der griechische Schuldenstand von anfänglich 350 Mrd. Euro auf 243 Mrd. Euro. Doch gleichzeitig sank auch die Wirtschaftsleistung Griechenlands weiter ab.
Im August 2012 erreichte die Eurokrise schließlich ihren Höhepunkt, als Griechenland erneut die Insolvenz und der Kollaps der gesamten Euro-Zone drohte (vgl. Illing 2017: 99). Zu dieser Zeit hatte sich die Krise bereits auf weitere Staaten ausgedehnt, vor allem auf Italien, Spanien und Zypern. Der Wechselkurs des Euros fiel stark ab, die Zinssätze für Staatsanleihen erhöhten sich auf einen neuen Rekordwert, insbesondere in Griechenland (25%). Erstmals stand im Sommer 2012 auch der Ausschluss liquider Länder auf der Agenda, so z.B. Griechenlands, auch „Grexit“ genannt2. Der IWF lehnte weitere Kredite für Griechenland ab. Mit dem Höhepunkt der Eurokrise entwickelte sich politisch vor allem in den weniger von der Krise betroffenen Staaten auch zunehmend der weit verbreitete Euro-Skeptizismus hin zu einer gänzlichen Ablehnung. Vor allem Parteien der politischen Ränder forderten zunehmend einen Stopp der europäischen Integration, so z.B. in den Niederlanden und Finnland (vgl. ebd.: 103).
Ende 2012 stabilisierte sich die Lage schließlich. Grund dafür war vor allem die Etablierung eines Fiskalpaktes. Der „Vertrag über Stabilität, Koordinierung und Steuerung in der Wirtschaftsund Währungsunion“ (SKS-Vertrag) forderte von den einzelnen Mitgliedstaaten der Währungsunion eine strikte Haushaltsdisziplin, die u.a. zulässige Neuverschuldungen regeln sollte. Auch der Europäische Stabilitätsmechanismus (ESM), der im Oktober 2012 umgesetzt wurde, trug wesentlich zu einer Entspannung bei, da er eine dauerhafte Stabilisierung der Eurozone zum Ziel hat. Der ESM gewährleistet dabei überschuldeten Staaten, sofern sie dem ESM beigetreten sind, Kredite, die jedoch u.a. auch mit makroökonomischen Anpassungsprogrammen verknüpft sind. Auch die Europäische Zentralbank (EZB) ermöglichte den unbegrenzten Ankauf von Staatsanleihen überschuldeter Staaten, sofern sie bestimmten Reformen zustimmen und Unterstützung durch die EMS in Anspruch nehmen. Dies führte schlagartig zu einer Entspannung der Lage (vgl. Illing: 114f.). Im Dezember 2012 wurde schließlich das dritte Hilfspaket für Griechenland gebilligt. Damit wurde auch das Ende der Krise benannt, wenn auch die wirtschaftliche Rezession fortbestand. Es folgten weitere Maßnahmen zur Stabilisierung der Euro-Zone, wie der einheitliche Bankenaufsichtsmechanismus (SSM), die Abwicklungsrichtline (BRRD) sowie der einheitliche Abwicklungsmechanismus (SRM).
4 Hypothesen
Unter Berücksichtigung der eben vorgestellten Entwicklung der Eurokrise sowie den Aspekten des Krisenbegriffs sollen in dieser Arbeit die nachfolgend aufgestellten Hypothesen diskutiert und empirisch überprüft werden. Im Fokus stehen dabei drei Zeitintervalle: Der erste Hypothesen-Komplex bezieht sich auf die Jahre 2007 und 2012. Hierbei soll untersucht werden, wie sich die Zustimmung für den Euro zum Höhepunkt der Eurokrise im Vergleich zu vor Beginn der Krise in den einzelnen Ländern verändert hat. Der zweite Hypothesen-Komplex bezieht sich auf die Jahre zwischen 2012 und 2017, wobei die Entwicklung nach der Krise im Vordergrund steht. Ein dritter Hypothesen-Komplex umfasst die gesamte Zeitspanne von 2007 bis 2017, durch die die nachhaltige Veränderung der Zustimmung für den Euro untersucht werden soll. Jeder Hypothesen-Komplex besteht aus zwei Einzelhypothesen, von denen sich die jeweils erste auf alle vier Staaten insgesamt bezieht, die zweite auf die postulierten Differenzen zwischen den Hauptkrisenstaaten und den weniger von der Eurokrise betroffenen Staaten.
H1a Die Zustimmung für den Euro ist am Höhepunkt der Eurokrise (2012) in den untersuchten Eurostaaten im Vergleich zu vor der Krise gesunken.
H1b Die Zustimmung für den Euro ist dabei in den am stärksten von der Eurokrise betroffenen Staaten (Griechenland, Portugal) stärker gesunken als in den weniger betroffenen Eurostaaten (Deutschland, Frankreich).
In der ersten Phase von 2007 bis 2012 wird postuliert, dass die Zustimmung für den Euro zum Höhepunkt der Krise im Vergleich zu vor der Krise insgesamt gesunken ist (H1a). Hintergrund dieser Hypothese ist die Annahme, dass im Zuge der Eurokrise das Vertrauen in den Euro und die Stabilität der gemeinsamen europäischen Währung massiv beeinträchtigt wurden, das sich individuell dadurch äußert, dass Akteure eine Währungsunion häufiger ablehnen als zuvor. Außerdem wird angenommen, dass die Zustimmung in den Hauptkrisenstaaten in dieser Zeitspanne stärker gesunken ist als den zwei anderen untersuchten Ländern (H1b), da zum einen die Betroffenheit des eigenen Landes stärker im Bewusstsein der Bürger verankert ist und zum anderen die Konsequenzen der Krise sowohl für das Individuum als auch gesamtgesellschaftlich in höherem Ausmaß wahrgenommen werden. Dabei muss jedoch auch berücksichtigt werden, dass Griechenland eine Ausnahme darstellen könnte. Denn wie bereits im vorherigen Kapitel erwähnt, wurde insbesondere im Hochsommer 2012, also kurz vor der Erhebung des Eurobarometers desselben Jahres, erstmals auch öffentlich über den Ausschluss Griechenlands aus dem Euro diskutiert. Das könnte u.a. dazu führen, dass die Zustimmung für den Euro gerade in Griechenland nicht gesunken, sondern eher gestiegen sein könnte.
H2a Die Zustimmung für den Euro ist im Vergleich zum Höhepunkt der Eurokrise im Jahr 2017 wieder gestiegen.
H2b Die Zustimmung für den Euro ist dabei in den weniger betroffenen Staaten (Deutschland, Frankreich) mehr gestiegen als in den stärker betroffenen Eurostaaten (Griechenland, Portugal).
In der Hypothese H2a wird angenommen, dass die Zustimmung für den Euro im Jahr 2017 insgesamt wieder gestiegen ist (im Vergleich zu 2012). Dabei wird postuliert, dass die Akteure eine verstärke Stabilisierung des Euros wahrnehmen, die zu einem allmählichen Abbau der Skepsis am Euro und der zuvor besonders perzipierten Unsicherheiten geführt hat. Eine weitere Annahme ist, dass die Zustimmung hierbei in den Hauptkrisenstaaten weniger gestiegen ist als den zwei übrigen Staaten (H2b). Dabei wird argumentiert, dass sich der „Erholungsprozess“ von der Eurokrise in den stärker betroffenen Staaten langsamer vollzieht, da zum einen mögliche Ängste vor einer erneuten Krise weiterhin bestehen können, aber auch die direkten Konsequenzen für das Individuum und die Wirtschaft als Ganzes in höherem Maße „nachhallen“. Das kann sich zum Beispiel darin äußern, dass in diesen Ländern nach wie vor viele Menschen in einer prekären Situation leben, ihren Arbeitsplatz im Zuge der Eurokrise verloren haben oder kaum Aussichten auf eine gut bezahlte Arbeitsstelle bestehen. Das wiederum könnte dazu führen, dass das Vertrauen in den Euro nach wie vor stark geschädigt ist.
H3a Die Zustimmung für den Euro ist nach der Eurokrise stärker ausgeprägt als vor der Krise.
H3b Die Zustimmung für den Euro ist dabei in den weniger betroffenen Staaten (Deutschland, Frankreich) stärker gestiegen als in den stärker betroffenen Eurostaaten (Griechenland, Portugal).
Schließlich soll noch untersucht werden, wie sich die Zustimmung für den Euro nachhaltig verändert hat. Zunächst wird postuliert, dass die Zustimmung insgesamt nach der Eurokrise stärker ausgeprägt als vor der Krise. Der Grund für diese Annahme ist, dass die Eurokrise zu einer verstärkten Reflexion über die Widerstandsfähigkeit des Euros beigetragen hat und sich gezeigt hat, dass die Staaten der Eurozone durch eine gemeinsame Problemlösung die Krise letztendlich mindern konnten. Das könnte individuell dazu geführt haben, dass das Vertrauen in den Euro und damit auch die Zustimmung für eine gemeinsame europäische Währung deutlich an Zuwachs gewonnen hat. So könnte sich eine gewisse „Krisenfestigkeit“ der Wirtschaftsund Währungsunion im Bewusstsein der Bürger manifestiert haben. Darüber hinaus wird angenommen, dass die Zustimmung in den Hauptkrisenstaaten weniger gestiegen ist als den übrigen Ländern. Das Argument für diese Annahme ist ähnlich wie bei der Hypothese H2b, dass sich der „Erholungsprozess“ von der Krise in eben diesen Staaten langsamer vollzieht als in den weniger betroffenen Staaten und auch die unmittelbaren Folgen der Eurokrise in den Hauptkrisenstaaten nach wie vor in höherem Ausmaß von der Bevölkerung perzipiert werden. Insgesamt wird ein u-förmiger Zusammenhang postuliert, d.h. dass die Zustimmung von 2007 bis 2012 zunächst sinkt, danach jedoch wieder steigt.
5 Operationalisierung und Methodologie
Um die eben vorgestellten Hypothesen empirisch zu überprüfen, werden Daten des Eurobarometers aus den Jahren 2007, 2012 und 20173 verwendet. Alle drei Datensätze werden in dieser Analyse zusammengefasst und beschränken sich ausschließlich auf Personen aus Deutschland, Frankreich, Griechenland und Portugal. In allen drei Jahren zusammen wurden in den vier untersuchten Staaten insgesamt 13.868 Personen befragt (vgl. Tab. 1). Während die Fallzahl in Frankreich, Griechenland und Portugal jedes Jahr bei etwa 1.000 liegt, ist sie in Deutschland stets mit über 1.500 höher.
Tabelle 1: Fallzahlen
Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten
Als abhängige Variable fungiert die Zustimmung für eine europäische Wirtschaftsund Währungsunion mit dem Euro als gemeinsame Währung (vgl. Tab. 2). Die konkrete Fragestellung in allen drei Erhebungsjahren, die aus mehreren Teilkategorien besteht, lautet: „Wie ist Ihre Meinung zu den folgenden Vorschlägen? Bitte sagen Sie mir für jeden Vorschlag, ob Sie dafür oder dagegen sind [...] 1) Eine Europäische Wirtschafts‐ und Währungsunion mit einer gemeinsamen Währung, nämlich dem Euro“ (deutsche Version). Zur Disposition stehen drei Antwortkategorien, nämlich „Dafür“, „Dagegen“ und „Weiß nicht/Keine Angabe“. Für die weitere Analyse wird die Variable dichotomisiert, sodass die Zustimmung „Dafür“ den Wert 1 und die Ablehnung „Dagegen“ den Wert 0 erhält. Sämtliche Fälle der Kategorie 3 werden ausgeschlossen. Diese Vorgehensweise ist nötig, damit eine spätere logistische Regression berechnet werden kann.
Als unabhängige Variablen gehen insbesondere das Erhebungsland sowie das Erhebungsjahr ein. Beide Variablen werden jedoch in der weiteren Analyse ebenfalls dichotomisiert. Das heißt, für jedes Erhebungsland und jedes Erhebungsjahr wird eine eigenständige Variable gebildet, die mit 0 und 1 (wenn das jeweilige Merkmal zutrifft) codiert. Der Grund für diese Methode ist, dass es sich bei beiden um kategoriale Variablen handelt. Um die jeweiligen Hypothesen .b zu überprüfen, wird zudem noch eine weitere Variable gebildet, die die Hauptkrisenstaaten (Griechenland und Portugal) repräsentieren sollen. Auch sie ist binär mit 0 (Deutschland und Frankreich) und 1 codiert. In den Analysen wird diese Variable ebenfalls noch einmal dichotomisiert, sodass zwei eigenständige Variablen entstehen, die jeweils Deutschland und Frankreich als die weniger von der Krise betroffenen Staaten repräsentieren sowie Griechenland und Portugal als die zwei in dieser Analyse untersuchten Hauptkrisenstaaten.
[...]
1 2001: Griechenland
2 angelehnt an die Bezeichnung „Brexit“ (ein Kofferwort aus „Britain“ und „exit“, Austritt des Vereinigten Königreichs aus der EU)
3 2007: Eurobarometer 68.1, Erhebungszeitraum: 22.09.2007 – 03.11.2007 2012: Eurobarometer 78.1, Erhebungszeitraum: 03.11.2012 – 18.11.2012 2017: Eurobarometer 87.3, Erhebungszeitraum: 20.05.2017 30.05.2017