Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
1. Einleitung
2. Grundlagen: Suizid im Jugendalter
2.1 Begriffsbestimmungen „Suizid“ und „Suizidversuch“
2.2 Risikofaktoren und Auslöser für Suizidalität
2.3 Ausmaß des Phänomens
3. Rolle der Schulsozialarbeit
3.1 Definition Schulsozialarbeit
3.2 Rechtliche Grundlagen
3.3 Praxisbezug und Zusammenhang mit dem inneren Kritiker
3.4 Handlungsmöglichkeiten der Schulsozialarbeit
4. Fazit
5. Literaturverzeichnis
1.Einleitung
Liebe Mama, lieber Papa!
Wenn ihr diesen Brief findet, lebe ich nicht mehr. Bitte seid nicht traurig und verzeiht mir, denn ich habe Euch sehr lieb und will nicht, daß ihr Euch meinetwegen Vorwürfe macht. Ihr könnt wirklich nichts dafür. Ich habe einfach nicht mehr den Mut, noch allein weiterzuleben. Ich wollte ja mit Euch darüber sprechen, aber ich konnte es dann doch nicht.[…].
Wenn ich nachher von der Brücke springe, wünsche ich mir, daß ich schnell tot bin.
Eure Tochter Gilla.
(Quelle: Heuer 1979, S.91f.)
Immer wieder hören wir von Suizidhandlungen junger Menschen. „Warum?“ ist die erste Frage, die wir uns stellen. Der Suizid ist kein Phänomen unserer modernen Gesellschaft, sondern vermutlich so alt wie die Menschheit selbst. Suizide im Jugendalter treten häufiger auf als eine Reihe von anderen Todesursachen. Immer wieder kommt es vor, dass junge Menschen am Leben verzweifeln, der Suizid als Lösung betrachtet wird, das Leben selbst schlimmer als der Tod empfunden wird. Durch die suizidale Handlung beendet der Jugendliche eine für ihn unerträgliche Situation. Die Gründe für Suizidgedanken sind bei jedem Menschen anders. Sehr häufig gehen Suizidgedanken ein längerer Leidensweg voraus. Suizid hat immer eine Vorgeschichte. Angeleitet durch das Seminar „Handlungsfelder der sozialen Arbeit“, im Rahmen meines dualen Studiums entschied ich mich, meine schriftliche Hausarbeit über den Suizid von jungen Menschen zu schreiben. Es ist statistisch bewiesen, dass Suizid und Suizidversuche in keinem anderen Lebensabschnitt häufiger auftreten als im Jugendalter. Das Jugendalter gilt als die „Zeit der Krisen“, da die Jugend von der Entwicklung des Selbstwertes und der Identität geprägt ist. Aufgrund dieser schwierigen Lebensphase, steht die Soziale Arbeit vor großen Herausforderungen. Oftmals mangelt es den Sozialarbeitern an Fachwissen. Als ich während der Anfertigung meiner Hausarbeit anderen Personen in meinem Umfeld von meinem Thema erzählte, stieß ich auf recht viel Unwissenheit über das Thema „Suizid“, was vermutlich an der anhaltenden Vertuschung und Tabuisierung in unserer Gesellschaft liegt. Das Thema Suizid wird häufig totgeschwiegen, als öffentlich diskutiert und wissenschaftlich erforscht.
Mit Hilfe dieser Arbeit möchte ich deshalb mit Vorurteilen hinsichtlich des Suizides aufräumen und darstellen, was für ein komplexes Geschehen Suizid eigentlich ist. Aus welchen Gründen möchte ein junger Mensch, der sein ganzes Leben noch vor sich hat, dieses plötzlich selbst beenden? Viele Schulsozialarbeiter können in ihrem Alltag mit Suizidalität konfrontiert werden. Es ist äußerst wichtig, dass sie Suizidenten mit Basiswissen begegnen, dabei steht das professionelle Handeln und die Präventionsarbeit stehen an erste Stelle. Daher ist es wichtig zu wissen, inwiefern es uns, in unserer Arbeit gelingt die Gefährdung solcher Problematiken zu erkennen um möglichst früh genug handeln zu können. Die vorliegende Hausarbeit widmet sich daher dem Thema „Suizid im Jugendalter“ in Hinblick auf die Handlungsmöglichkeiten der Schulsozialarbeit. Die Verbindung zum Inneren Kritiker und die Frage, inwiefern die Schulsozialarbeit Präventionsarbeit leisten kann sind Beweggründe dieser Arbeit.
Der erste Teil meiner Hausarbeit dient dem theoretischen Teil. Nach einer vorausgehenden Begriffsklärung sowie einer sprachlichen Definition der Begriffe „Suizid“ und „Suizidversuch“ werden zum anderen kurz und prägnant die Risikofaktoren für Suizidalität im Jugendalter und der Außmaß des Phänomens näher beleuchtet. Im Hauptteil soll einerseits die Präsenz und Wichtigkeit der Thematik verdeutlicht werden, indem ein Praxisbezug hergestellt und die Verbindung zum inneren Kritiker verdeutlicht wird. Mein Ziel ist es zudem folgende Hintergründe zu beleuchten :
- Wie kommt es dazu, dass junge Menschen nicht mehr weiter leben wollen?
- Inwiefern gelingt es uns in unserer Arbeit die Gefährdung solcher Problematiken zu erkennen und möglichst früh genug zu handeln ?
- Wie können Suizidhandlungen verhindert werden?
- Inwiefern kann Präventionsarbeit geleistet werden?
Ziel der Arbeit ist es, die bisherigen Ergebnisse darzustellen. Am Ende folgt mein Schlusswort.
Aufgrund der Lesbarkeit und Übersichtlichkeit der Hausarbeit wird auf die Nennung von weiblichen und männlichen Formen z.B. Schulsozialarbeiter/Schulsozialarbeiterin verzichtet. Mit der Personenbezeichnung sind stets beide Geschlechter gemeint.
2 Grundlagen : Suizid im Jugendalter
2.1 Definitionen Suizid und Suizidversuch
In diesem Punkt geht es darum, den Begriff Suizid zu definieren. Es ist wichtig, zu verinnerlichen, dass im Fall des Suizides keine direkte psychische Erkrankung im Sinne einer psychischen Krankheitsdefinition vorliegt. Denn Suizidalität ist keine Krankheit. (vgl. Gast, 2008, S. 5). Der Suizid wird derzeit als eine Art Nebenprodukt vielfältiger psychischer Erkrankungen oder belastender Lebensereignisse bzw. besonderer Lebensumstände gesehen. Dadurch ist es schwierig, eine einheitliche Definition des Suizides zu finden. Der Begriff Suizid stammt von den lateinischen Bezeichnungen „sui cidium“ (Selbsttötung) bzw. „sui caedere“ (sich töten) und wird seit 1177 als Begriff verwendet. Suizident oder Suizidant nennt man denjenigen, der eine Suizidhandlung unternimmt (vgl. Bronisch, 2007, S. 9). Es gibt unzählige Möglichkeiten dem Leben ein Ende zu setzen: „Der französische Soziologe Emile Durkheim hat den Suizid bereits 1897 als jeden Todesfall beschrieben, der direkt oder indirekt eine Handlung oder Unterlassung zurückzuführen ist, die vom Opfer selbst begangen wurde, wobei es das Ergebnis seines Verhaltens im voraus kannte.“ (Mischler, 2000, S.16) Der Suizid ist also eine bewusste, häufig geplante Vernichtung des eigenen Lebens durch aktive Anwendung oft gewaltsamer Mittel oder Unterlassung lebensnotwendiger Handlungen. Er wird als geheimnisvoll und unnahbar beschrieben. Durch einen Suizid entzieht sich ein Mensch der Gesellschaft. Es kommt zu vielen Suizidversuchen, bevor es zu einem Suizid kommt. „Es ist ein initiiertes, gewolltes Verhalten eines Menschen, der sich selbst verletzt bzw. einen Suizidversuch unternimmt, ohne infolge dessen wirklich das Leben zu verlieren“. (Bronisch 2007, S.12f.). „Alle Handlungen, die darauf abzielen, das menschliche Leben zu beenden, werden als suizidale Handlungen bezeichnet. Selbst wenn das Ziel, der Tod, nicht erreicht wird, spricht man auch bei Suizidversuchen von suizidalen Handlungen - Endet die Handlung tödlich, wird sie Suizid genannt und wird die Handlung überlebt, handelt es sich um einen Suizidversuch (Bründel, 1993)“. (Gast, 2008, S.6) Suizidversuche und Suizide fallen unter dem Begriff Suizidalität. „Unter Suizidalität werden Gedanken, Impulse und Handlungen zusammengefasst, die auf Selbsttötung abzielen“. (Hergl, Fischter, 2005 S.12)
Um zu veranschaulichen, welchen Anforderungen und Belastungen Jugendliche ausgesetzt sind, möchte ich im nächsten Abschnitt auf die Risiken und Auslöser zum Thema „Suizid im Jugendalter eingehen“. Auf eine konkrete Betrachtung der Adoleszensphasen und Entwicklungsaufgaben im Jugendalter wird aufgrund der Seitenreduktion verzichtet.
2.2 Risikofaktoren und Auslöser
Für die Bearbeitung des Suizids im Jugendalter ist es notwending das Jugendalter zu definieren : Die Pubertät und Adolesenz wird allgemein als das Jugendalter beschrieben. In dieser Entwicklungsphase werden Jugendliche mit verschiedensten Schwierigkeiten konfrontiert. Es treten Veränderungen in den Bereichen Körper, Familie, Ausbildung und Beruf, Beziehungen zu Gleichaltrigen, die Entwicklung der Weltanschauung und die Suche nach Identität ein. (vgl. Gast, 2008. S.10) Das Jugendalter wird als Integrations- und Individuationsphase gesehen. „Jugendliche befinden sich in einem Konflikt zwischen der Gewinnung einer eigenen Identität, durch die Abgrenzung von Erwachsenen und Gleichaltrigen und der Integration von Bewährtem in die eigene Persönlichkeit“ (vgl. ebd. S. 11) Es die Zeit der Ablösung, die Suche nach Identität, die Auseinandersetzung mit soziokulturellen Normen, das Bestreben nach Autonomie und die Integration sexueller Triebimpulse. In dieser Zeit werden sie von kognitiven, emotionalen, sozialen und generationsbezogene Veränderungen bestimmt. (vgl. ebd. S. 9). All diese Aspekte können zu schweren Selbstwertkrisen führen und sich zu suizidalen Gedanken und Handlungen entwickeln. Die Gründe, weshalb Jugendliche sich das Leben nehmen, sind sehr vielfältig. Es spielen verschiedene Faktoren eine Rolle wie psychologische und neurochemisch-biologische Ursachen, das soziale Umfeld und die wirtschaftlichen und die politischen Verhältnisse. (vgl. Mischler, 2000, S.15) „Soziologen, die sich mit dem Selbstmord beschäftigt haben, stellten fest, daß sich Menschen unter bestimmten gesellschaftlichen Rahmenbedinungen besonders häufig das Leben nehmen. Politische und wirtschaftliche Krisen, Verstädterung und Beschäftigungslosigkeit wirken sich ebenso auf die Suizidraten aus wie Klima, Religion und sozialer Stand.“(ebd., S.20f.) Psychische Tiefschläge können sich bei Jugendlichen in Hass auf die soziale Schicht in einer Gesellschaft umwandeln. Ist es den Jugendlichen nicht möglich die Verbitterung nach außen zu entladen, werden die Aggressionen gegen sich selbst gerichtet. (vgl. ebd., S. 21f.) „Doch trotz dessen kann für sich genommen keiner dieser Faktoren ausreichend erklären, weshalb Jugendliche ihrem Leben ein Ende setzen.“ (ebd., S. 15) Suizide sind oft der letzte Schritt eines bereits lange unerkannt leidenden Jugendlichen. Suizidgedanken sind umso wahrscheinlicher, wenn Jugendliche unter depressiven Verstimmungen leiden, sich immer wieder isoliert, unverstanden und nicht akzeptiert und abgewiesen fühlen, wenn sie ihre eigenen Probleme als hoffnungslos, unlösbar, als existenziell und bedrohlich erleben. Suizidhandlungen werden also als misslungene Bewältigung von Belastungen angesehen. Aufgrund der Herausforderungen und Hürden im Jugendalter wird alles intensiver und problemematischer gesehen und umso schneller verfallen Jugendliche in suizidale Gedanken. An dieser Stelle ist es wichtig, zu wissen, dass die Vielzahl der gefährdeten Jugendlichen sich nicht grundsätzlich den Tod wünschen, sondern es in der Regel darum geht, nicht mehr so weiterzuleben wie bisher.
2.3 Ausmaß des Phänomens
An dieser Stelle ist es wichtig zu nennen, dass bezüglich der statistischen Daten ein Erfassungsproblem existiert. Bei der Erfassung von Suiziden stellen sich folgende Fragen: Was wird alles in die Kategorie Suizid eingeteilt? Welche Differenzierungen gibt es? Ebenso gibt es auch jährlich tausende Fälle mit so genannten „unklaren Todesursachen“. Die Zahl der Menschen, die sich selbst töten, wird nach Meinung von Wissenschaftlern weltweit deutlich unterschätzt.
In der Tageszeitung „Hamburger Abendblatt“ wurde 2017 versucht die Suizidzahlen festzuhalten. In Deutschland seien es jedes Jahr ungefähr 10.000 Menschen die durch Suizid sterben. Jeden zweiten Tag stirbt ein Jugendlicher in Deutschland durch seine eigene Hand. Es ist ebenso statistisch bewiesen, dass mehr Menschen durch Suizid sterben als durch Verkehrsunfälle, Gewalttaten, illegale Drogen und Aids zusammen. Anlässlich der nicht zuverlässlichen Studien, wie schon zuvor erwähnt, kann nicht genau festgehalten werden, wie viele Suizidversuche unternommen werden. Nach der Tageszeitung „Hamburger Abendblatt“ werden in Deutschland etwa 15.000 Suizidversuche in Deutschland verübt. Auch zwischen weiblichen und männlichen Personen gibt es erhebliche Unterschiede. „Die Statistiken sagen, dass sich dreimal so viele Männer wie Frauen das Leben nehmen“. „Die Statistiken sagen auch, dass ausgerechnet Bayern und Sachsen über Jahre die höchsten Selbstmordraten in Deutschland verzeichneten“. Diese Untersuchung ist selbst für Experten nicht erklärbar. Zudem muss jeder Suizidfall für jeden Menschen individuell mit seiner eigenen Lebensgeschichte und Ereignissen betrachtet werden, um ein umfassendes Bild der Ursache zu schließen. (vgl. Susanne Fröhlich, 2017)
In den nächsten Abschnitten wird es darum gehen, inwiefern die Schulsozialarbeit solche Problematiken erkennen kann und welchen Verpflichtungen sie nachgehen müssen.
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