Gemeinsam speisen, gemeinsam handeln. Essen als bündnisstiftendes Element im Mittelalter


Essay, 2014

5 Seiten, Note: unbenotet

A. Ga. (Autor:in)


Leseprobe


ESSAY: GEMEINSAM SPEISEN, GEMEINSAM HANDELN. ESSEN ALS BÜNDNISSTIFTENDES ELEMENT

Das oftmals zwischen 12 und 14 Uhr kollektive Suppenlöffeln in der Bürokantine mit der netten Kollegin vom Schreibtisch nebenan kann in der Mittagspause eines Büroangestellten durchaus der Höhepunkt eines aufregenden Bürotages sein. Zum Karrieresprungbrett wird der robuste, abwaschbare Buchenholztisch aber erst durch ein Mittagsessen mit der Chefin. Wer glaubt, dass es bei solchen Anlässen allein ums Essen geht, der irrt gewaltig. Gleiches gilt auch für das sogenannte Geschäftsessen: Viele geschäftliche Beziehungen werden bei diesen Gelegenheiten geschlossen und gepflegt, nicht selten winkt am Ende sogar eine Beförderung. Es ist ebenfalls beliebt, Freunde zu einem gemeinsamen Essen einzuladen. Auch hier geht es ebenfalls kaum darum, das eigene Grundbedürfnis nach Nahrung im Beisein von Anderen zu stillen. Und wer jemals umzog und von seinen neuen Nachbarn Brot und Salz zur Begrüßung erhielt, der weiß, dass es beim gemeinsamen Speisen nie allein ums Essen geht, sondern eben auch um die Bestätigung der Freundschaft und Zugehörigkeit und die damit verbundene „gemeinschaftsbildende und -fördernde Kraft“[1]. Das gemeinsame Speisen ist jedoch keine Erfindung moderner Gesellschaften. Schon die Spartaner wussten um die Bedeutung des gemeinsamen Mahles. Die Speisegemeinschaften, Syssitien genannt, waren hauptsächlich dazu gedacht, den Zusammenhalt über den Kampf hinaus zu stärken. Obwohl die Syssitien im Mittelalter schon längst keine Rolle mehr spielten, blieb deren Funktion - zumindest in ihren Grundzügen - erhalten. Doch lud man im frühen Mittelalter nicht nur Freunde zum Essen ein, sondern gewährte auch Gegnern das Privileg der Gastfreundschaft. Welche Bedeutung hatte das gemeinsame Mahl in diesem Fällen und wurde die Einladung zum gemeinsamen Speisen vielleicht sogar als Vorwand missbraucht, um sich des ungeliebten Kontrahenten zu entledigen?

Das gemeinsame Speisen im frühen Mittelalter besaß nicht nur eine gemeinschaftsstiftende Komponente, sondern auch einen Vertragscharakter. Ein gemeinsames Mahl stellte eine rechtsrituelle Handlung dar, die nicht beliebig und vor allem nicht folgenlos war. Sie verpflichtete für die Zukunft zu einem bestimmten Verhalten gegenüber dem Tischgenossen.[2]

Allgemein kann dem Mahl eine friedensstiftende Funktion zugeschrieben werden, da viele Konflikte während des gemeinsamen Speisens beigelegt und auch Bündnisse auf diese Weise besiegelt und beschlossen wurden. Für das gemeinsame Speisen galten spezifische Normen, Regeln und Gewohnheiten; ein ungeschriebenes Regelwerk, dessen Ziel es war die Eskalation von Konflikten zu vermeiden. Diese Regeln unterstreichen, dass die Beziehung der Beteiligten intakt ist und sind Teil der nonverbalen Kommunikation, die auf die Anerkennung von Rang und Ehre des Tischgastes basieren. Die Einladung und Annahme einer Essenseinladung ist eine stete Selbstvergewisserung aller Beteiligten über ihre Beziehung; sie begründete aber auch die Verpflichtung sich dem Gezeigten gemäß zu verhalten und trug so nicht unwesentlich zur Stabilisierung der Ordnung bei. Zur Signalfunktion, die solch demonstratives Verhalten hatte, trat also eine Kontrollfunktion der Öffentlichkeit, die die Einhaltung des Gezeigten erwartete.[3] Das gemeinsame Mahl ist somit eine Form der Kommunikation und zugleich Schutzzone, in der die Beziehung zwischen Tischgast und Gastgeber gestärkt wird und die Unverletzlichkeit der Sphäre des Gastmahls gewahrt bleibt.

Das frühmittelalterliche Mahl ist dem heutigen Geschäftsessen vielleicht nicht ganz so unähnlich wie wir denken, denn das gemeinsame Essen und Trinken nach einem erfolgreichen Verkaufs- und Vertragsabschluss ist auch gegenwärtig weit verbreitet. Man würde wohl kaum damit rechnen, dass eine Essenseinladung ein Vorwand zum Mord sei und um diese friedens- und gemeinschaftsstiftende Funktion wussten auch schon die Menschen des 11. Jahrhunderts, weshalb Heimtücke, Hinterlist und Gewalt im Zusammenhang von Mählern als besonders verwerflich angesehen wurden. Nichtsdestotrotz kamen sie natürlich vor.

So schildert der Bischof Thietmar von Merseburg in seiner Chronik wie der Frieden des Gastmahls durch die Gräfin Adela von Elten missbraucht wurde. Wichmann III., ein sächsischer Graf und Schwager des Grafen Balderich von Drenthe, bekannt als „Unruhestifter am Niederrhein“ und Ehemann Adelas, lag mit diesem oft in Streit. Grund hierfür waren Erbstreitigkeiten. Balderich, der ein Neffe Graf Gottfrieds[4] war verfügte über wenig Eigenbesitz im Gelderland und war bestrebt seinen Besitz zu vergrößern, was ihn durch die Heirat mit Adela von Hamaland anfänglich auch gelang. Ebenfalls erhob er Anspruch auf die Burgen Gennep und Geldern. Doch Kaiser Otto setzte Graf Wichmann, der mit Gottfrieds Tochter verheiratete war, als Vormund für Gottfrieds schwachsinnigen Sohn ein. Balderich, der ja ebenfalls mit Gottfried verwandtschaftlich verbunden war, fühlte sich übergangen. Weshalb er mit Waffengewalt gegen Wichmann vorging und die Besitzungen für sich forderte. Doch Wichmann III verteidigte sein Anrecht und konnte Balderich besiegen und zum Friedensschluss drängen, der von Balderich jedoch mehrmalig gebrochen worden war. Um eine endgültige Beilegung der Fehde am Niederrhein herbeizuführen, lud Wichmann seinen Gegner freundlich in sein Haus und suchte ihn durch Bewirtung und Gastgeschenke zu versöhnen.[5]

Das gemeinsame Mahl sollte hier Friedenstifter sein und das Ende der Erbstreitigkeit herbeiführen. Um sich gegenseitig der neu geschlossenen Freundschaft zu versichern, lud auch Balderich Wichmann zu sich ein. Doch Thietmar schildert, wie durch Zusprache seiner Gattin Adela der Plan entstand, Wichmann zu töten, um sich letztlich doch seines Besitzes zu bemächtigen. Den Regeln der Gastfreundschaft entsprechend wurde Wichmann gut bewirtet und aufgenommen, „aber bald wurde ihm von einem vergifteten Trank übel.“[6] Als er am nächsten Tag wohlbeschenkt und freundlich entlassen aufbrach, hielt man seine Ritter durch eine List zurück, er aber wurde hinterrücks durch einen Knecht erschlagen.

Daraufhin wurde Balderich als Mörder verurteilt und verlor seine Titel und Ländereien. Adela floh nach Köln und starb einige Jahre darauf.

Das gemeinsame Mahl, dass als Symbol für die neu geschlossene Freundschaft und Zusammengehörigkeit zwischen den ehemaligen Kontrahenten dienen sollte, bekommt durch die Vergiftung und anschließende Ermordung des Tischgenossen im Oktober 1016 eine nicht vorhersehbare und ungeheuerliche Dimension. Die Verurteilung Balderichs macht deutlich, dass auch die frühmittelalterliche Rechtsprechung die Verletzung der Schutzsphäre des gemeinsamen Mahles nicht hinnimmt und verdeutlicht auf diese Weise erneut die friedensstiftende Funktion des Mahles. Eine gute Möglichkeit zur Beseitigung ungeliebter Gegner bot eine Essenseinladung somit nicht, auch wenn die Vergiftung Wichmanns durch Balderich sicher geschickt geplant war, da das Gift seine Wirkung langsam entfaltete und ihn nicht sofort zu Boden gehen ließ. Als eigentliche Todesursache kann hier sicher nur der Totschlag durch Balderichs Knecht dienen, was aber ebenso ein Verstoß gegen die ihm gewährte Gastfreundschaft darstellte. Das gemeinsame Mahl stellt heute wie damals eine wichtige soziale Handlung dar: Beziehungen werden durch das gemeinsame Erlebnis gefestigt und das Mahl bietet Raum und Zeit für Gespräche, ohne die Speisenden vertraglich an das dort Besprochene zu binden. Die Annahme und Einladung zum gemeinsamen Speisen war ein erster Schritt, um Zusammengehörigkeit und Gesprächsbereitschaft zu signalisieren. Das Mahl als Gelegenheit zum Mord, mag selbst im frühen Mittelalter wohl eher eine Ausnahme gewesen sein.

Literatur:

ALTHOFF, Gerd: Der frieden-, bündnis- und gemeinschaftsstiftende Charakter des Mahles im frühen Mittelalter, in: Essen und Trinken in Mittelalter und Neuzeit, hg. von Irmgard Bitsch, Trude Ehlert, Xenja von Ertzdorff, Sigmaringen 1987, 13 – 25.

ALTHOFF, Gerd: Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997. ALTHOFF, Gerd. Thietmar, in: LMA 8, München 1997, Sp. 694 -695.

KRAMER, Karl-Siegmund: Mahl und Trunk, in: HRG 3, Berlin 1984, Sp. 154. Hlawitschka, Eduard, „Gottfried der Gefangenevon Verdun“, in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964), 666-667, [Onlinefassung]; URL: http://www.deutschebiographie.de/pnd136200141.html (02.06.2014).

THIETMARI MERSEBURGENSIS episcopi chronicon: Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg, übertragen und erläutert von Werner Trillmich, Darmstadt 2002, Chron. VII 47 -48.

QUELLENPAPIER: GEMEINSAM SPEISEN, GEMEINSAM HANDELN: ESSEN ALS BÜNDNISSTIFTENDES ELEMENT

Thietmari Merseburgensis episcopi chronicon: Die Chronik des Bischofs Thietmar von Merseburg, übertragen und erläutert von Werner Trillmich, Darmstadt 2002, Chron. VII 47 – 48.

Quelle in Originalsprache:

Omnem suimet prosperitatem wigmannus equo ferens animo et divine ascribens clementie pacis federe discordiam diu insanientem sedare mediatur et hostem amicabili peticone ad domum suam vocans convivio et munere accepto placat. Et ad eodem ad confirmandum inceptae dilectionis vinculum invitatur, insibilante hoc per uxorem suam antiquo serpente, ut, qui per vim numquam capi potuit, dolosi saltim retibus ingenii vinceretur. Tunc conivebat laudanda simplicitas herilis animi, quod poposcerat simulata equitas fallentis amici. Inprimis optime suscipitur et ilico infecta veneno potione turbatur. Post hoc nimio dolore protinus ingravescente sequentem ibi vix exspectabat diem; et ut bene remuneratus et caritative salutabus abiit, militibus suis ibidem dolose tradatis a quodam servo furtive prosternitur, presente eiusdem seniore Baldrico et hoc nullatenus ulciscente. Tunc unus ex suis comitibus, ut nefandi sceleris auctorem occidit, mox interfectus oppetiit.

Deutsche Übersetzung:

Wichmann dagegen trug sein Glück mit Gleichmut, schrieb es Gottes Gnade zu und gedachte, den langen wütenden Streit durch einen Vergleich aus der Welt zu schaffen; er lud seinen Gegner freundlich in sein Haus und suchte ihn durch Bewirtung und Gastgeschenke zu versöhnen. Zur Bestätigung des angeknüpften Freundschaftsbandes erhielt auch er eine Einladung von ihm, doch über sein Weib flüsterte diesem die alte Schlange ein, er möge ihn wenigstens im Netz seiner Verschlagenheit fangen, da er mit Gewalt niemals seiner habe Herr werden können. So willigte die lobenswerte Einfalt edlen Sinnes in das freundlich erlogene Verlangen des falschen Freundes. Man nahm ihn Zunächst sehr gut auf, aber bald wurde ihm von einem vergifteten Trank übel. Nun wurden seine heftigen Schmerzen immer schlimmer, so daß er kaum den folgenden Tag dort abwartete. Als er dann wohlbeschenkt und freundlich entlassen aufbrach, hielt man seine Ritter durch eine List zurück, er aber wurde hinterrücks durch einen Knecht erschlagen; Balderich, dessen Herr, war dabei, ohne es zu sühnen.

[1] Kramer, Karl-Siegmund: Mahl und Trunk, in: HRG 3, Berlin 1984, Sp. 154.

[2] Althoff, Gerd: Der frieden-, bündnis- und gemeinschaftsstiftende Charakter des Mahles im frühen Mittelalter, in: Essen und Trinken in Mittelalter und Neuzeit, hg. von Irmgard Bitsch, Trude Ehlert, Xenja von Ertzdorff, Sigmaringen 1987, 14.

[3] Althoff, Gerd: Spielregeln der Politik im Mittelalter. Kommunikation in Frieden und Fehde, Darmstadt 1997, 12.

[4] Für weitere Informationen zu Gottfried siehe: Hlawitschka, Eduard, „Gottfried der Gefangene von Verdun“, in: Neue Deutsche Biographie 6 (1964), S. 666-667 [Onlinefassung]; URL: http://www.deutsche-biographie.de/pnd136200141.html (02.06.2014).

[5] Thietmar von Merseburg: Chronicon, Chron. VII, 46, 405.

Thietmar, ein sächsischer Grafensohn, war Bischof von Merseburg und Geschichtsschreiber. Geboren wurde er 975 und er starb 1018. Seine Chronik liefert eine detaillierte Geschichte über das Bischofstum Merseburg sowie über die Zeit Heinrich II. Seine Religiosität war geprägt von Angst vor Strafe und Verdammnis. So war er bestrebt durch fromme Werke Sünden auszugleichen.

[6] s. ebd, S.407.

Ende der Leseprobe aus 5 Seiten

Details

Titel
Gemeinsam speisen, gemeinsam handeln. Essen als bündnisstiftendes Element im Mittelalter
Hochschule
Universität Münster
Veranstaltung
Essen und Trinken im Mittelalter
Note
unbenotet
Autor
Jahr
2014
Seiten
5
Katalognummer
V453319
ISBN (eBook)
9783668853669
Sprache
Deutsch
Schlagworte
gemeinsam, essen, element, mittelalter
Arbeit zitieren
A. Ga. (Autor:in), 2014, Gemeinsam speisen, gemeinsam handeln. Essen als bündnisstiftendes Element im Mittelalter, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/453319

Kommentare

  • Noch keine Kommentare.
Blick ins Buch
Titel: Gemeinsam speisen, gemeinsam handeln. Essen als bündnisstiftendes Element im Mittelalter



Ihre Arbeit hochladen

Ihre Hausarbeit / Abschlussarbeit:

- Publikation als eBook und Buch
- Hohes Honorar auf die Verkäufe
- Für Sie komplett kostenlos – mit ISBN
- Es dauert nur 5 Minuten
- Jede Arbeit findet Leser

Kostenlos Autor werden