Chancen, Erfolge und Hindernisse Indonesiens auf dem Weg zur Regionalmacht in Südostasien


Masterarbeit, 2018

65 Seiten, Note: 2,5


Leseprobe


Inhalt

1 Einleitung
1.1 Der Einfluss javanischer Kultur

2 Ein Blick in die Geschichte: Großreiche, koloniale Vergangenheit und die Unabhängigkeitserklärung

3 Die wirtschaftliche Entwicklung
3.1 Die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Indonesien
3.2 Deutsch-indonesische Wirtschaftsbeziehungen
3.3 Umweltprobleme und Palmöl-Anbau

4 Die Außen- und Innenpolitik
4.1 Die ASEAN und andere Bündnisse der Region
4.2 Der neue Führungsstil von Jokowi und die politische Zukunft des Landes
4.3 Der Islam als innenpolitische und gesellschaftliche Kraft

5 Indonesien und die Moderne: Die neue Mittelschicht

6 Fazit: Ein weiter Weg voller (ungenutzter?) Chancen

7 Literaturverzeichnis

1 Einleitung

Indonesien ist ein Land, welches von den Medien häufig übersehen wird. Außer von Naturkatastrophen wie Vulkanausbrüchen hört man nicht so oft von dem viertgrößten Land, dem Land mit den meisten Muslimen und der drittgrößten Demokratie der Welt. Ich lenke mit dieser Arbeit einen Blick auf ein Land mit einem großen wirtschaftlichen Potential, einer wichtigen geostrategischen Position und einer einzigartigen Kultur. Doch auch Potential einer negativen Entwicklung ist gegeben. Eine gesellschaftlich-politische Krise, die Gefahr der Entstehung eines Mainstreams von radikalem Islamismus, davon wäre eine äußerst große Region über Indonesien hinaus betroffen. Hunderte Schiffe aus China, Japan, Philippinen, Korea und anderen Ländern passieren täglich die Malakkastraße, den Seeweg zwischen Sumatra und der malaiischen Halbinsel Richtung Indien, Afrika und Europa. Ein stabiles Indonesien ist für die Region daher von immens großer Bedeutung. Indonesien ist trotz vieler Krisen seit einiger Zeit relativ stabil, was sich positiv auf den Handel und die Politik weltweit auswirkt (Magnis-Suseno 2015: 7-8). Für die Zukunft Indonesiens ist auch entscheidend, welche Formen der indonesische Islam annehmen wird (Magnis-Suseno 2015: 9).

Wenn man sich zunächst einige Zahlen zu Indonesien anschaut, so hat das Land 254 Millionen Einwohner, dabei sind 2,5 Prozent aller Indonesier chinesischer Abstammung (Magnis-Suseno 2014: 62-63). 50,7 Prozent der Bevölkerung lebt in Städten. Der größte Inselstaat der Welt besteht aus mehr als 17.500 Inseln, von denen rund 6000 bewohnt sind (Schott 2015: 216). 145 Millionen leben auf den Inseln Java und Madura, die mit 132.000 m² weniger als die Hälfte der Fläche Deutschlands ausmachen. Die offizielle Nationalsprache ist Bahasa Indonesia, Indonesisch, eine modernisierte Form der malaiischen Sprache, welche nur von etwa 4 Prozent als Muttersprache gesprochen wird (Magnis-Suseno 2014: 62-63). Fast alle Indonesier beherrschen die Staatssprache, doch landesweit werden zwischen 250-800 Sprachen gesprochen, 500 davon allein auf Papua. Der Archipel erstreckt sich über 5000 km zwischen dem Indischen Ozean im Westen, dem Südchinesischen Meer im Norden bis zum Pazifik im Osten (Gamino 2012: 4). Die Landfläche Indonesiens beträgt 2,02 Mio. km², sodass es etwa fünf Mal so ist groß wie Deutschland (David 2012: 25). Mehr als 300 verschiedene Ethnien bevölkern das Land, jede mit ihrer eigenen Kultur und Geschichte. Indonesien ist ein Land voller Gegensätze, welches vom touristischen Bali bis zur streng islamischen Provinz Aceh reicht (Gamino 2012: 4). Was die Religionszugehörigkeit der Indonesier betrifft, sind 87,2 Prozent Muslime, 9,8 Prozent Christen, 1,69 Prozent Hindus und 0,72 Prozent Buddhisten (Zensus 2010). Bei der ethnischen Zusammensetzung bilden Javaner mit 40 Prozent den Großteil der Bevölkerung, es folgen Sundanesen mit 16 Prozent, Bataker mit 3,8 Prozent, Sulawesi mit 3,2 Prozent, Maduresen mit 3,03 Prozent, Betawi mit 2,09 Prozent und andere kleinere Ethnien (Zensus 2010). In der Haupstadt Jakarta leben etwa 10,5 Mio. Einwohner (UN 2016) (Ziegenhain, Patrick 2018: https://www.oav.de/laenderinformationen/indonesien/wirtschaftshandbuch.html, letzter Abruf 25.02.2018).

Indonesien hatte am 17. August 2017 allen Grund, 72 Jahre seiner Unabhängigkeit zu feiern. Aufgrund vieler Konflikte und Unruhen, welche sich im Land bis ins neue Jahrtausend zogen, hätten aus dem Staat Indonesien ein gescheitertes Konzept, ein failing State, werden können. Doch das Land hielt bis jetzt den radikalen Kräften, wie etwa islamistischen Gruppen stand, konnte auch seine koloniale Rückständigkeit der Anfangsphase überwinden und zu einem bedeutenden Schwellenland aufsteigen. Die Voraussetzungen sind also gar nicht so schlecht, um sich in den nächsten Jahrzehnten zur regionalen Großmacht zu entwickeln. Der Wappenspruch Indonesiens, „ Bhinneka Tunggal Ika “, übersetzt „Einheit in der Vielfalt“ entspricht voll und ganz der Realität des Landes. Er beinhaltet aber auch das Spannungspotenzial der verschiedenen Kulturen, welche geographisch das riesige Territorium zwischen dem asiatischen Festland bis Australien bevölkern, von den Batak in Nord-Sumatra über die Javaner, bis zu den Ambonesen und Papua-Völkern im Osten des Landes. Mit 254 Millionen Einwohnern ist Indonesien auf dem vierten Platz der bevölkerungsreichsten Länder der Welt, nach China, Indien und den USA. 90 Prozent der Einwohner gehören dem Islam an, doch die anderen, älteren Religionen und Wertvorstellungen des Archipels durchziehen diesen „Teppich“ wie Fäden. Indonesien ist zudem seit über 40 Jahren als das größte und stärkste Land Teil der Gemeinschaft ASEAN, welche eine instabile und wirtschaftlich rückständige Region stabilisiert und gestärkt und aus ehemaligen Konkurrenten Partner gemacht hat und heute 600 Millionen Menschen umfasst. Die Dynamik dieser Region machte es möglich, dass aus Dörfern in einigen Jahrzehnten bereits Millionenstädte entstehen konnten (Wulffen 2015: 11-12). Seit 1998 entwickelt sich Indonesien langsam fort von einem militärisch dominierten Zentralstaat und gewinnt in der Region und global immer mehr an Bedeutung, neben seiner Rolle in der politischen Sicherheitsgemeinschaft der ASEAN auch durch bilaterale Partnerschaften mit Großmächten wie den USA, China und Indien. Außerdem ist das Land ein engagiertes Mitglied internationaler Institutionen wie der G20, der Gruppe der zwanzig wichtigsten Industrie- und Schwellenländer.

In dieser Arbeit möchte ich gerne auf Indonesien als aufsteigende Regionalmacht in Südostasien eingehen, weil dieser Inselstaat zu den dominierenden Ländern der Region gehört. Doch was genau charakterisiert eine regionale Macht? Im Gegensatz zu Großmächten, deren Bündnisse weitreichende Auswirkungen haben, fehlt es den Regional- beziehungsweise den Mittelmächten an Ressourcen, um in allen Gebieten internationaler Politik beteiligt zu sein. Doch Regionalmächte sorgen durch ihre Außenpolitik, meist Impulse für multilaterale Initiativen, für Stabilität und Legitimation der bestehenden Weltordnung. Solche aufstrebenden Staaten wie Indonesien haben eine rasch wachsende Bevölkerung und konstantes Wirtschaftswachstum und einen erhöhten Import-Bedarf aus anderen Entwicklungsländern. Sie setzen sich für eine stärkere politische Integration auf regionaler Ebene ein und formen durch ihren Einfluss in der Umgebung die Machtverhältnisse der Region. Eine Regionalmacht hat wie der Name schon sagt eine Vorrangstellung in ihrer Region, kann aber ihre Interessen nicht wie eine Großmacht global durchsetzen. Stabile und gut funktionierende Staaten haben dabei mehr Einfluss auf die Weltwirtschaft und sind eher in der Lage, regionale Führungsrollen zu übernehmen, Partnerschaften zu schaffen und in globalen Institutionen als Vermittler zu agieren. Mittelmächte sollten im Idealfall als regionale Friedensstifter handeln und gute Normen für einen politischen Umgang in der Region fördern. Durch die zunehmende politische und sozioökonomische Macht der aufstrebenden Regionalmächte verändert sich auch das globale Kräftegleichgewicht. Diese Länder stellen zwei Drittel der Weltbevölkerung und ihr Wirtschaftswachstum und Kaufkraft sind Faktoren, welche sie zu attraktiven Märkten für Exporte aus anderen Ländern machen. Sie treten immer mehr als regionale Machtzentren und unabhängige Akteure in den Vordergrund, obwohl diese Staaten im Vergleich auch die stärksten sozialen Ungleichheiten aufweisen (Muhibat 2012: 9-10).

Der Aufbau meiner Arbeit gliedert sich zunächst in die Einleitung, gefolgt von einem geschichtlichen Rückblick, um die Entstehung des heutigen Nationalstaates Indonesien vor diesem Hintergrund besser verstehen zu können. Dabei spielen die mächtigen Großreiche und die koloniale Vergangenheit eine wichtige Rolle für die indonesische Identität. Die Unabhängigkeit von der Kolonialmacht schuf Mitte des letzten Jahrhunderts eine neue indonesische Nation. Danach kehre ich nach einem Einblick in die Geschichte der indonesischen Wirtschaft in die Gegenwart zurück und stelle die heutige indonesische Wirtschaft, die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit Indonesien, insbesondere die deutsch-indonesischen Wirtschaftsbeziehungen vor und komme schließlich auf die aus der Wirtschaft resultierenden Umweltprobleme zu sprechen. Ein weiteres großes Thema bildet dann die Außen- und Innenpolitik des Landes. Von Bedeutung ist die Mitgliedschaft Indonesiens in der ASEAN und anderen regionalen Bündnissen. Danach folgt ein Abschnitt über den neuen Hoffnungsträger Präsident Joko Widodo und über die mögliche politische Zukunft Indonesiens. Zum Schluss gehe ich näher auf den Islam als eine wichtige innenpolitische und gesellschaftliche Kraft ein und auf die Islamisierungstendenzen der letzten Jahre. Der nächste Abschnitt befasst sich mit der indonesischen Mittelschicht und dem modernen städtischen Leben. Im Fazit stelle ich die Meinung des indonesischen Vizepräsidenten Jusuf Kalla zur weiteren Entwicklung Indonesiens vor und gebe einen Ausblick über mögliche Zukunftsaussichten. Mit meiner Arbeit habe ich versucht viele verschiedene Themen, die eine Rolle für die Entwicklung Indonesiens zu einer Regionalmacht in Südostasien spielen könnten, anzusprechen. Ich hoffe, dass ein Gesamteindruck von Indonesien, seinen Perspektiven und Problemen entstehen konnte.

1.1 Der Einfluss javanischer Kultur

Die Kultur eines Landes spiegelt das Selbstverständnis seiner Bevölkerung wieder, sie bestimmt was Menschen unter Stärke und Schwäche, Fortschritt und Rückschritt und Gut und Böse verstehen. Für Indonesien spielt insbesondere die Kultur Javas eine herausragende Rolle (Magnis-Suseno 2015: 76) und um ein Verständnis für Indonesien zu bekommen, muss man die bevölkerungsreichste Insel Java genauer betrachten, denn das, was von vielen Indonesiern für „urindonesisch“ gehalten wird, ist meist javanisch. Java kann als die Wiege Indonesiens bezeichnet werden, denn ihre Kultur ist seit Jahrhunderten prägend für das gesamte Land. Java und Bali sind die landwirtschaftlich fruchtbarsten Inseln, aber Java ist das politische, kulturelle und wirtschaftliche Herz, denn dort werden die Entscheidungen gefällt und wichtigste Positionen in Politik, Militär und Verwaltung besetzt. Damit ergibt sich auch das Problem der Bevorzugung der Javaner und die staatlich geförderte Javanisierung lässt die Menschen befürchten, die anderen Ethnien sollen vollständig assimiliert werden. Java nimmt nur sieben Prozent der Landesfläche ein, ist aber mit 130 Mio. Menschen, also mehr als der Hälfte der Bevölkerung Indonesiens, sehr stark bevölkert. Allein ein Zehntel lebt im Großraum der Hauptstadt Jakarta (Gamino 2012: 4). 42 Prozent aller Indonesier sprechen Javanisch als Muttersprache, das sind heute etwa 105 Millionen Menschen. Neben Javanern bewohnen ursprünglich die Sundanesen Westjava und die Maduresen die Nordküste Ostjavas (Magnis-Suseno 2014: 76-77). Schon vor 5000 Jahren war die Insel durch malaiische Einwanderer besiedelt worden, welche auf der fruchtbaren Insel Nassreis anbauten und einen hohen Grad an Gesellschaftsorganisation gotong royong aufwiesen, ein System zur gegenseitigen Unterstützung, welches bis heute als einer der Grundpfeiler javanischer Ethik gesehen wird. Trotz des Transmigrasi Programms, eines Umsiedelungsprogramms der bevölkerungsreichsten Regionen Java und Madura in bevölkerungsarme Regionen seit Ende der 60er Jahre wächst die Bevölkerung Javas ständig durch Zuwanderung. Dieses Programm erwies sich als gescheitert und schuf nur noch mehr Probleme, wie massive Umweltschäden und Regenwaldzerstörung in Kalimantan und eine verstärkte Javanisierung, etwa der Verwaltung, weshalb die einheimische Bevölkerung ihre eigenen Strukturen aufgeben musste, so kulturell und wirtschaftlich an der Rand der Gesellschaft gedrängt wurde und es folglich zu großen Gewaltausbrüchen kam. Für die indonesische Regierung ist das Programm trotz Scheitern von einem bevölkerungs- und wirtschaftspolitischen Instrument eher zu einem innen- und sicherheitspolitischen Kontrollinstrument geworden, welches dazu dient Unabhängigkeitsbestrebungen zu verhindern und eine Javanisierung der Außeninseln voranzutreiben, womit die Bevölkerung zugunsten des Javanischen homogenisiert werden soll. Da sich Politik und Wirtschaft auf Java zentrieren und die übrigen Regionen oft nur ausgebeutet oder vernachlässigt werden, kommen viele in der Hoffnung auf ein besseres Leben nach Java. Ein Teil davon ist die verarmte Landbevölkerung, welche oft in kleinen Hütten in illegalen Siedlungen am Stadtrand leben muss (Gamino 2012: 4-5). Die kulturelle und politische Hegemonie der javanischen Kultur ist also im Grunde unübersehbar und ein wichtiges Merkmal, um Indonesien verstehen zu können. Alle Präsidenten Indonesiens waren Javaner (mit Ausnahme von Habibie, der aber auch halb Javaner war). Unter Präsident Soeharto war der javanische Einfluss auf die Machtstrukturen in Indonesien besonders stark. Heutzutage vermeiden Javaner dieses Thema, während Nicht-Javaner betonen, Indonesien hätte mit javanischer Kultur nichts zu tun. Doch trotz großer Unterschiede sind grundlegende Elemente der javanischen Kultur in den meisten anderen indonesischen Kulturen zu finden. Die javanische Kultur sollte trotzdem nicht mit der indonesischen Kultur gleichgesetzt werden, da sie zwar äußerst einflussreich, aber gleichzeitig auch nicht der einzige Einfluss ist (Magnis-Suseno 2015: 77-78).

2 Ein Blick in die Geschichte: Großreiche, koloniale Vergangenheit und die Unabhängigkeitserklärung

Um die Entwicklung des heutigen Indonesiens besser verstehen zu können, wirft man am besten einen Blick in die Geschichte des Landes. Von den frühesten Zeiten an befanden sich die Völker des malaiischen Archipels im Mittelpunkt zentraler Handelsrouten, welche eine Verbindung zwischen Ost und West, China, Indien, Arabien und Europa schufen. Den Herrschern des vorkolonialen Indonesien war dabei nicht so sehr die territoriale Ausdehnung, als vielmehr die Kontrolle der wichtigsten Handelswege und Stützpunkte wichtig. Das kaum bewohnte, schwer zugängliche Hinterland war machtpolitisch eher uninteressant und die Grenzen verliefen oft fließend. Ab dem 4. Jahrhundert gelangte indischer Einfluss nach Indonesien und später ab dem 13. Jahrhundert entlang der Handelsrouten der Einfluss des Islam (David 2012: 12-13). Die Europäer hatten zunächst noch wenig Einfluss im malaiischen Archipel und konkurrierten mit arabischen, indischen, chinesischen und einheimischen Händlern (David 2012: 15). Mit dem Aufkommen des Gewürzhandels entschlossen sich die Portugiesen kurz vor Ende des 15. Jahrhunderts zu langen Seereisen in den Indischen Ozean, um an die kostbaren Gewürze zu gelangen. Der Papst Alexander VI. sprach mit dem 1494 geschlossenen Vertrag von Tordesillas Afrika und die östlich davon gelegenen Länder der portugiesischen Krone zu, wodurch der Gewürzhandel quasi legitimiert wurde. 1511 segelten die Portugiesen bis nach Malakka und später auch zu den Gewürzinseln, den Molukken. In Europa zahlte man nämlich oft mehr als das vierzigfache für Gewürze als in Indien und die angehäuften Reichtümer erlaubten es, immer neue Expeditionen auszustatten, bis nach China und Japan. Bei ihrer Entdeckung waren die alten Reiche Indonesiens bereits untergegangen. Das erste Großreich, Srivijaya, erstreckte sich über Sumatra und zeitweise auch über Java und hatte seine Blütezeit im 10. Jahrhundert. Das Reich entstand durch die Auswanderung eines hinduistischen Fürsten aus Indien und hatte sein Zentrum in der Nähe von Palembang, im Süden Sumatras. Um das Jahr 1000 wurde die Hindu-Religion vom Buddhismus abgelöst, der sowohl von Indien als auch China in die Region gelangte. Die Aufnahme zahlreicher Worte aus dem Sanskrit ins Javanische und andere Sprachen des Archipels belegen den großen Einfluss Indiens, welches mit den Inseln regen Handel trieb. Es gab auch chinesische Einflüsse, neben dem Handel auch in der Kunst und bis heute hat die chinesische Minderheit in Indonesien einen großen Anteil an der Wirtschaft. Mit Hilfe der Flotte gelang es Srivijaya den gesamten Seeverkehr um Sumatra, also auch in der Straße von Malakka zu kontrollieren, doch am Ende des 13. Jahrhunderts ging die Seeherrschaft allmählich in Seeräuberei über, bis sich das Reich langsam auflöste (Wulffen 2015: 20-21).

Auf Java gab es seit dem 8. Jahrhundert das Reich Mataram, welches im 10. Jahrhundert wieder verschwand. Die ersten Baudenkmäler Javas, die siwaistischen Tempel in Ost-Java stammen aus dieser Zeit. Wenig später kontrollierte die buddhistische Sailendra-Dynastie Java und in ihrer 60-jährigen Herrschaft entstand Borobodur, welches neben seiner mystischen Funktion mit den zahlreichen Stupas möglicherweise auch als Grabdenkmal der Sailendra-Fürsten diente. Mitte des 9. Jahrhunderts verdrängte die hinduistische-siwaistische Mataram-Dynastie die Sailendra-Dynastie nach Sumatra. Als Zeichen ihrer Macht errichteten die Mataram-Fürsten nicht so weit von Borobodur die riesige Tempelanlage Prambanan, welche Borobodur wahrscheinlich in nichts nachstehen sollte. Ab dem 9. Jahrhundert lebten die Angehörigen beider Religionen offenbar friedlich zusammen, was das javanische Streben, einen Einheitsgrund zu finden, schon damals zum Vorschein brachte. Die gleichzeitige Pflege von Hinduismus und Buddhismus war sogar ratsam und der Fürst konnte so sowohl von Siwa, als auch von Buddha legitimiert werden und magische Kraft erlangen. Nach dem Jahr 1000 wurde Ost-Java mit dem Sitz Kediri zu einem Reich vereinigt. Java geriet wieder unter indischen Einfluss und das Mahabharata-Epos wurde ins Javanische übersetzt. Das Königreich Majapahit entstand aus kleineren Fürstentümern und Machtzentren und erlebte im 14. Jahrhundert seinen Höhepunkt. Seine Oberherrschaft erstreckte sich fast über das gesamte Gebiet Indonesiens, da die übrigen Inseln unter anderem vom javanischen Reis abhängig waren. Heute sehen Historiker diese Epoche als die goldene Zeit Indonesiens. Der König war mehr ein religiöses, statt politisches Oberhaupt und die Minister übten die Macht aus. Majapahit war weniger ein Staat im heutigen Sinne, als eine weit gefächerte Feudalgesellschaft mit der Basis in den Dorfgemeinschaften. Es entwickelte sich dennoch zu einer der größten Seemächte der asiatischen Geschichte. Unter dem Einfluss von Hinduismus und Buddhismus hatte sich Majapahit zu einem großen kulturellen Strahlungszentrum entwickelt. Seine Nachwirkungen sind daher sogar noch heute im religiösen und geistigen Leben der Bevölkerung sichtbar. Bemerkenswert war das praktische Verschwinden des Unterschieds zwischen Buddhismus und Hinduismus (Siwaismus) und der offizielle Kult bestand aus einer Form tantrischen Synkretismus, dem Siwa-Buddha -Kult. Der Zerfall Majapahits konnte hauptsächlich auf den Islam zurückgeführt werden, welcher von den Küsten ins Innere des Landes vorgedrungen war. Bereits seit dem 12. Jahrhundert hatten die Araber mit Städten in Sumatra, vor allem mit Aceh, Handel geführt. Viele siedelten dann in den Küstenstädten und begannen, ihre Religion zu verbreiten. Es war jedoch ein synkretistischer Islam, der die Sitten und Bräuche in sich aufnahm, was beim Volk großen Zuspruch fand (Wulffen 2015: 21-22, 24). Auf Java war es also nichts neues, dass Religionen nebeneinander existierten und den früheren animistischen Glauben in sich aufnahmen. Es gab daher kein Weltbild mit Absolutheitsanspruch. Obwohl sich seit dem 12. Jahrhundert zunächst die Herrscher und dann auch die Bevölkerung zum Islam bekannten, spielte dieser bis ins 18. Jahrhundert im täglichen Leben kaum eine Rolle, sondern war als Lehre einfach in das bestehende Weltbild integriert worden (Gamino 2012: 4). Der Islam in Malaysia etwa entwickelte sich anders als in Indonesien, wo in einem „interaktiven Prozess“ hinduistische, buddhistische und animistische Elemente integriert wurden und so ein heterogener und moderater Islam entstand. Heutzutage gibt es aber sehr wohl einen Gegensatz zwischen den orthodoxen Muslimen und den Synkretisten, der sich immer wieder auch gewaltsam entlädt. Die Mehrheit der Bevölkerung, die Synkretisten Abangan ist zwar muslimisch geprägt, hält sich jedoch meistens nicht an die islamische Pflichtenlehre und bemüht sich auch nicht, ihr Leben streng nach dem Islam zu führen. Wahrscheinlich ist das der Grund, wieso der Islam bis heute nicht die Staatsreligion Indonesiens werden konnte und es auch keiner islamischen Partei je gelang, eine Mehrheit im Parlament zu gewinnen. Die Santri, welche die islamischen Regeln streng befolgen, befinden sich folglich in der Minderheit. Allerdings ist in den letzten Jahren auch in Indonesien eine Tendenz zu mehr Glaubensstrenge zu erkennen, doch dazu später mehr.

Die Portugiesen fanden also eine bereits weitgehend muslimische Bevölkerung vor, welche von Sultanen regiert wurde. Sie kamen zwar auch als Missionare auf die Gewürzinseln, stellten aber den Handel vor eine Christianisierung, um so Konflikte mit den Fürsten zu vermeiden, was auch später bei den Holländern der Fall war. Bis Ende des 16. Jahrhunderts kontrollierten die Portugiesen von den Molukken aus den Gewürzhandel, bis innere Kämpfe, die zeitweise Herrschaft Spaniens und Probleme, den Besitz Portugals in Lateinamerika, Afrika, Indien und auf den Molukken zu verwalten und zu verteidigen, zum Verlust der Macht führten (Wulffen 2015: 24-25). Abgelöst wurden sie von den Holländern, welche 1596 in Banten im Nordwesten Javas ihren Stützpunkt errichteten, wo für Jahrhunderte der Hauptausfuhrhafen für Gewürze werden sollte. Mit dem Rivalen Holland als Verbündeten gegen Spanien schloss Portugal 1641 einen Waffenstillstand und eine Verhandlung über die abgenommenen Besitzungen war nicht mehr möglich. Osttimor verblieb allerdings noch bis 1974 portugiesische Kolonie. 1602 wurde die Vereenigte Oost-Indische Compagnie gegründet, die durch Verträge mit örtlichen Herrschern zeitweise eine Monopolstellung im Gewürzhandel inne hatte. Die Holländer beuteten die Ressourcen des Landes jedoch noch viel grausamer und rücksichtsloser aus als die Portugiesen. Nach 150 Jahren wurde die Ostindiengesellschaft 1799 aufgelöst, da sie durch Misswirtschaft, Bestechungen und Betrügereien zu Grunde gegangen war. Der holländische Staat brachte darauf wieder Ordnung, indem er die wirtschaftliche Grundlage der Kolonien wieder verbesserte (Wulffen 2015: 25-26), nachdem er das Gebiet der VOC als offizielle Kolonie Nederlands Oost-Indië übernahm (Gamino 2012: 6).

In den Augen der Indonesier ist die weitverbreitete Korruption eine der wenigen Hinterlassenschaften der Holländer, welche das Land 350 Jahre kontrollierten und ausbeuteten. Seitdem ist das System der Vetternwirtschaft und Bestechung fast in allen Lebensbereichen zu finden, so dass viele Schmiergeld sogar für ein Merkmal des sozialen Miteinanders halten. Denn als die Niederländische Ostindien-Kompanie Anfang des 17. Jahrhunderts begann Handelsstützpunkte aufzubauen, nutze sie die Machtkämpfe des neulich zerfallenen Majapahit und ab Mitte des 17. Jahrhunderts auch die Macht-und Erbstreitigkeiten des islamischen Mataram, um Handelsrechte zu erhalten und Land gegen Verteidigungsbündnisse zu sichern. Auch ein Günstlingssystem wurde von den Holländern auf Java etabliert, welcher die Kompanie schließlich selbst zum Opfer fiel. Trotz riesiger Gewinne durch Exporte von Gewürzen, Kaffe, Tee, Tabak und Zucker war die VOC Ende des 18. Jahrhunderts bankrott, da zu viele der Entsandten und Mitarbeiter sich an den Gewinnen bedient hatten. Und so vergeht noch heute kein Tag ohne neu enttarnter Korruptionsfälle. Zunehmend, aber dennoch selten kommt es zu einer Strafverfolgung oder Verurteilung, seitdem im Jahr 1999 eine Antikorruptionsbehörde KPK eingeführt wurde (Gamino 2012: 5-6).

Im Jahr 1812 übernahm dann England die Verwaltung der holländischen Besitzungen. Die Infrastruktur wurde ausgebaut und der noch heute gültige Linksverkehr eingeführt. Nach dem politischen Ende Napoleons wurde Ostindien auf dem Wiener Kongress dem nun „Vereinigten Königreich der Niederlande“ (einschließlich Belgien) zugesprochen. Nach ihrer Rückkehr in die Hauptstadt der Kolonie Batavia (Jakarta), erstreckte sich die Herrschaft der Holländer allmählich weit über das Gebiet des heutigen Indonesiens. Die lokalen Herrscher wurden zu Vasallen, welche einen großen Teil ihres Gewinns abgeben mussten und die einheimische Bevölkerung zog wenig Nutzen aus ihrer harten Arbeit, da sie wiederrum bis zu 40 Prozent der Ernte an ihre Herrscher abliefern musste (Wulffen 2015: 26-27). Die Kontrolle Javas war für die Niederländer zuvor ein Verlustunternehmen gewesen. Mit der Einführung der cultuurstelsel, einem Kultivierungssystem wollte man erreichen, dass die Kolonie endlich den erhofften Gewinn einbrachte. Man zwang javanische Bauern bestimmte Exportpflanzen für den niederländischen Markt anzupflanzen, sodass Holland zu einem der größten Anbieter von Indigo, Zucker und Kaffee aufstieg. Hollands Reichtum, schnelle Entwicklung und Industrialisierung im 19. Jahrhundert basierte größtenteils auf den Agrarprodukten Javas, welches skrupellos ausgebeutet wurde. In den 1860er Jahren gab man das System aufgrund unzähliger Berichte über Skandale und Missstände auf. Sumatra wurde für Plantagenwirtschaft erschlossen, neben Zwangsarbeitern gab es immer mehr Lohnarbeit in Fabriken und auch der private Kapitalismus verbreitete sich im späten 19. Jahrhundert (David 2012: 17).

Erst um 1900 bemühten sich die Gouverneure in Batavia für ein der allgemeinen Wohlfahrt dienendes System, das auch den Einheimischen zu Gute kam, obwohl diese politisch immer noch schwer benachteiligt waren. Auch bei der Religion gab es Einschränkungen, die Wallfahrt nach Mekka war verboten und gläubige Muslime wurden mit Misstrauen betrachtet (Wulffen 2015: 26-27). Dieses ab 1900 geltende System nannte sich „Ethische Politik“. Das gesellschaftspolitische und intellektuelle Klima in Europa änderte sich und die Kolonialregierung übernahm die Rolle eines Erziehers, welcher den „kindlichen“ Eingeborenen Zivilisation, Bildung und Aufklärung bringen sollte. Hinter der vermehrten Eröffnung von Schulen stand auch der Plan, das Kolonialreich mithilfe einer speziell dafür ausgebildeten einheimischen Beamtenschicht zu verwalten. In den 1930er Jahren waren 90 Prozent der Kolonialbeamten Einheimische. Doch auch westliche Ideen von Nationalismus, Demokratie, Freiheit, Sozialismus und Kommunismus schlichen sich in die Köpfe der Schüler ein (David 2012: 17) und so entstand eine kleine Gruppe indonesischer Intellektueller, aus denen schließlich die Unabhängigkeitsbewegung hervorging (Wulffen 2015: 28). 1920 war erstmals die Rede von Indonesien, einem Zukunftsprojekt, was die schwierige Vergangenheit, die traditionelle aristokratische Hierarchie sowie die niederländische Fremdherrschaft hinter sich lassen wollte (David 2012: 17-18). Der Zweite Weltkrieg war für das weitere Schicksal Indonesiens entscheidend. Die Niederlande wurden 1940 durch Deutschland und die Kolonien 1942 durch Japan besetzt, was der seit den zwanziger Jahren bestehenden Unabhängigkeitsbewegung Perserikatan Nasional Indonesia PNI, seit 1928 umbenannt in Partai Nasional Indonesia, neuen Auftrieb gab. Die Führer der Unabhängigkeitsbewegung waren Achmad Sukarno und Mohammad Hatta. Beide festigten während der japanischen Besatzungszeit ab 1942 ihre Position und konnten die Japaner überzeugen, Indonesien 1945 in die Unabhängigkeit zu entlassen (Wulffen 2015: 28). Die Japaner selbst hatten während ihrer Besatzungszeit versucht, den Islam für ihre Zwecke zu benutzen und die Muslime so in ihren Krieg gegen die westliche Allianz hineinzuziehen und förderten daher auch die Unabhängigkeitsbestrebungen. Einige islamischen Gruppen erklärten folglich den jihad, den heiligen Krieg gegen die Westmächte (Wulffen 2015: 30). Am 17. August 1945 wurde von Sukarno, Hatta und Sjahrir die Unabhängigkeit Indonesiens erklärt. Doch die Holländer kehrten im Herbst 1945 unter britischem Schutz zurück. Aus einem vier Jahre dauernden Dschungelkrieg gingen die Aufständischen schließlich siegreich hervor. Die Holländer versuchten vergeblich, die verschiedenen Richtungen gegeneinander auszuspielen, da sich die Indonesier selbst noch uneinig waren, was für ein Staat Indonesien werden sollte. Fundamentalistische Muslime wollten einen islamischen Staat, Kommunisten einen sozialistischen Staat, doch keine der religiös-ideologischen Bewegungen konnte sich durchsetzen. Am 27.12.1949 bekam Indonesien von den Holländern auf der Konferenz von Den Haag endgültig seine Souveränität und somit die Unabhängigkeit zugesprochen und die 350 Jahre Kolonialgeschichte gingen damit endgültig zu Ende. Wenige Monate später wurde Indonesien, welches damals lediglich 80 Millionen Einwohner zählte, von den Vereinten Nationen als Mitglied aufgenommen und war somit auch völkerrechtlich verbindlich ein unabhängiger Staat (Wulffen 2015: 19-20, 31). West-Papua war zunächst noch holländisches Gebiet bis es 1969 formell indonesische Provinz wurde (Wulffen 2015: 19-20, 34), nachdem es jedoch illegitim annektiert worden war. Die großen natürlichen Ressourcen der Region waren wohl der Grund für die gewaltsame Annexion (Gamino 2012: 7).

Die Holländer hatten trotz ihrer langen Herrschaft nur wenige Spuren auf den Inseln hinterlassen. Nur wenige Indonesier hatten weiterführende Schulen, geschweige denn Universitäten besucht. Es lag also eine große Aufgabe auf der neuen indonesischen Nation, das zurückgebliebene Land aufzubauen und Indonesien eine einigende Identität zu geben, was vor allem durch die Sprache geschah. Alte Urkunden vor 1949 wurden häufig in arabischer Schrift verfasst und auch in der Kolonialzeit gab es keine einheitliche Sprache. Die Bevölkerung war gezwungen, sich auf Holländisch zu verständigen. Daher führte man eine neue Staatssprache, Bahasa Indonesia, ein, eine Sprache, die auf den Riau-Inseln zwischen dem heutigen Malaysia und Sumatra gesprochen wurde und sehr einfach in ihrer Struktur und Grammatik ist. Aber auch Englisch wurde nun als Handelssprache und im internationalen Verkehr benutzt (Wulffen 2015: 31). Weitere einigende Elemente waren die Pancasila als Staatsdoktrin und ideologische Grundlage, die in die Präambel der Verfassung aufgenommen wurde (David 2012: 18) und fünf Säulen enthielt: Glaube an einen allmächtigen Gott, Humanität, nationale Einheit, auf Konsens basierende Demokratie und soziale Gerechtigkeit. Bei diesem integralistischen Staatskonzept ist der Einzelne dem Kollektiv untergeordnet. Des Weiteren entstand auch der Leitspruch der „Einheit in der Vielfalt“, Bhinneka Tunggal Ika, der im Zusammenhang mit dem Staatswappen verwendet wird und auf die 300 Ethnien und mehr als 250 verschiedenen Sprachen der 17.500 Inseln Bezug nimmt. Diese Formulierungen sollten den unterschiedlichen ideologischen und religiösen Vorstellungen einen einigenden, von allen Indonesiern akzeptierten Überbau schaffen. Die noch vor der Staatsgründung miteinander in Konkurrenz stehenden Konzepte spiegeln sich darin wieder (Wulffen 2015: 33). Die Verpflichtung der muslimischen Bürger, das islamische Recht der Scharia einzuhalten, wurde von muslimischen Gruppierungen in der Jakarta-Charter durchgesetzt, tauchte aus ungeklärten Gründen in der endgültigen Version der Verfassung aber nicht mehr auf. Heute fordern islamische Parteien eine Wiederaufnahme der Jakarta Charter in die Verfassung. Nach der Unabhängigkeit gab es auch islamistische Bewegungen, wie die Darul-Islam Bewegung, welche die quasi säkulare Verfassung nicht anerkannte und Gebiete in Westjava und Südsulawesi zu islamischen Staaten erklärte, welche auf der Scharia basieren sollten. Diese separatistischen Bewegungen wurden erst in der 1960er Jahren ganz niedergeschlagen. Doch noch heute zählen diese beiden Regionen zu Gebieten, in denen in den letzten Jahren lokale Scharia -Verordnungen eingeführt wurden (David 2012: 18). Da die Bevölkerung Indonesiens zu 90 Prozent muslimisch ist, spielt auch der Islam für die nationale Identität eine entscheidende Rolle. Erstens symbolisiert die Zugehörigkeit zum Islam den Widerstand gegen die christlichen Kolonialmächte, er steht somit für den erfolgreichen Kampf gegen den Kolonialismus und die darauf folgende Unabhängigkeit. Zweitens stellt der Islam ein transethnisches Verbindungsglied dar. Dagegen wird den Menschen, die nicht dem Islam angehören ein Mangel an Nationalbewusstsein und Loyalität gegenüber dem Staat unterstellt. Insbesondere gilt das für Chinesen, aber auch allgemein für christliche Indonesier, da mit der Zugehörigkeit zum Christentum auch die Anlehnung an westliche Werte, sowie eine kritische Haltung zum Islam verbunden wird. Vor allem Anhänger islamistischer Ideologien kritisieren die Pancasila und das Prinzip der Einheit in der Vielfalt für die relative Religionsfreiheit und die Verbindung mit präislamischen, javanischen Mythologien. Doch in der Realität behindern sich ethnische Vielfalt und nationale Einheit gegenseitig selten in ihrer Existenz und Entfaltung. Es sind vor allem extreme soziale und ökonomische Ungleichheiten oder islamistische Fundamentalisten, welche eine gesellschaftliche Integration erschweren können. Indonesien zeigt, dass das Konzept der Diversität durchaus funktioniert. Es ist eher die soziale und politische Bewertung von Vielfalt und Unterschieden, welche bestimmt ob Diversität innerhalb der Gesellschaft als Bedrohung oder Bereicherung wahrgenommen wird (Knörr 2012: 22-23). Doch erst die gewaltsame Einverleibung der unterschiedlichen Völker Indonesiens in das gemeinsame koloniale Herrschaftsgebiet hatte die Voraussetzung dafür geschaffen, dass sich zunächst unter den Intellektuellen des Landes das Bewusstsein einer gemeinsamen Identität entwickeln konnte. Vor dem 20. Jahrhundert gab es noch keine Vorstellung von einem Indonesien oder einer indonesischen Identität, denn die Einheimischen pribumi unterteilten sich alle in ihre ethnische Herkunft (David 2012: 12).

Der erste Präsident Indonesiens Sukarno begeisterte das Volk mit seinen charismatischen, antiimperialistischen Reden und schuf damit die Basis für ein indonesisches Nationalgefühl. Im Laufe seiner Herrschaft zeigte seine „Gelenkte Demokratie“ aber immer autokratischere Züge. Seine Politik der Nasakom, des Zusammenschlusses von Nationalisten, Religiösen und Kommunisten sollte eine harmonische Gesellschaft entstehen lassen. Doch die wirtschaftliche Entwicklung wurde immer schwächer und es folgten Nahrungsmittelknappheit und Hungersnöte. Auch die provokante Außenpolitik brachte Indonesien von einer Konfrontation mit Malaysia bis ins internationale Abseits und zu einem Austritt aus der UNO 1965. Die seit dem Unabhängigkeitskampf zentralen politischen und gesellschaftlichen Kräfte, Kommunisten und das Militär, gerieten in Auseinandersetzungen welche am 30. September 1965 in einem angeblichen Putschversuch und dem Mord an sechs ranghöchsten Generälen gipfelten. Aus dem darauf folgenden Machtkampf ging der General Soeharto als Sieger hervor (David 2012: 19). Unter seiner Führung wurde eine beispiellose Jagd auf die PKI, die Partai Komunis Indonesia, eine zwei Millionen große kommunistische Partei, und ihre vermeintlichen Sympathisanten in Gang gesetzt. Es folgte ein Massaker am eigenen Volk, oft auch am eigenen Nachbarn, welchem von Oktober 1965 bis Anfang 1966 etwa eine halbe Million zum Opfer fiel, nur auf Bali waren es 80.000, fünf Prozent der Bevölkerung. Die Täter kamen nie vor Gericht und auch in den Schulbüchern werden die Massaker nicht erwähnt, sodass viele Indonesier bis heute nichts darüber wissen. Die Massenmorde markierten einen Wendepunkt der modernen indonesischen Geschichte. Nach dem Rücktritt und anschließendem Hausarrest Sukarnos 1967 wurde seine sogenannte Alte Ordnung mit ihrer populistischen Massenmobilisierung und den wirtschaftlich und politisch chaotischen Zuständen der letzten Jahre von der vom Militär getragenen Neuen Ordnung Soehartos abgelöst. Er sorgte zwar mit eiserner Hand für Ordnung und politische Stabilität, doch Oppositionelle und Minderheiten wurden dabei brutal aus dem Weg geräumt. Der Westen unterstützte ihn tatkräftig und finanziell, da er als ein Verbündeter im Kampf gegen den Kommunismus gesehen wurde (David 2012: 19-20). Die Auslöschung der Kommunisten wurde zum Gründungsmythos der Neuen Ordnung und man wurde nicht müde, die kommunistische Bedrohung zu betonen und damit auch den militärischen Einfluss auf die Gesellschaft und das harte Vorgehen gegen Andersdenkende zu legitimieren. Eine zentralistisch gelenkte Bürokratisierung durchzog alle gesellschaftlichen und politischen Gruppen und bildete die Grundlage für eine weitreichende Kontrolle (David 2012: 20-21). Neben zwei anderen Parteien war die allein herrschende Partei Golkar(Golongan Karya, übersetzt „funktionelle Gruppen“), die ein Zusammenschluss gesellschaftlicher, administrativer und militärischer Gruppierungen war und für Soeharto ein Mittel war, um einen militärisch gestützten, repressiven Führungsstil auszuüben. Die wirtschaftliche Entwicklung stand für ihn im Vordergrund. Die „grüne Revolution“ des Reisanbaus ermöglichte Ende der 1980er Jahre eine Selbstversorgung mit Reis. Es erfolgte ein Ausbau des Schul- und Gesundheitssystems, der Infrastruktur, der Industrie und auch die Lebensbedingungen weiter Bevölkerungsteile konnten so erheblich verbessert werden, sodass eine kleine, zunehmend einflussreiche Mittelschicht entstand. Doch der Reichtum, den Soehartos Familie, Günstlinge aus der Armee und manche von Soeharto protegierte chinesische Unternehmensbesitzer anhäuften, stand dazu in keinem Verhältnis. Die Kinder und Familienangehörige Soehartos besaßen das Monopol auf zentrale Handelsgüter und Infrastrukturbereiche und herrschten über riesige Wirtschaftsimperien. Die politischen, ökonomischen und sozialen Strukturen basierten vor allem auf Vetternwirtschaft und befanden sich in einem Sumpf von Korruption, sodass Investoren über 30 Prozent der Investitionssumme zum Erhalt der Genehmigungen zahlen mussten. Es gab kein wichtiges Projekt oder Geschäft, ohne dass der Soeharto-Klan seinen Anteil bekam. Daher vertiefte sich die Kluft zwischen Arm und Reich und zwischen den Regionen immer weiter. 70 Prozent des Geldes, welches in Indonesien im Umlauf war, befand sich Mitte der 1990er Jahre in Jakarta. Im Juli 1997 brach dann die Asienkrise aus und traf auch Indonesien sehr hart. Zu der Zeit kam es nach einer drastischen Erhöhung der Brennstoffpreise zu anhaltenden Studentenprotesten, was in der Erschießung einiger Studenten 1998 endete. Die Lage geriet außer Kontrolle und in mehreren Städten brach Gewalt aus, welche insbesondere die chinesische Minderheit traf. In Jakarta kamen über tausend Menschen ums Leben. Das Regime brach wie ein Kartenhaus zusammen: am 21. Mai 1998 verkündete Soeharto seinen Rücktritt. Sukarno, Bung Karno ( „Kamerad Karno “), umgibt noch heute das Charisma des Patriotismus und Freiheitskampfes, während Soeharto, Pak Harto („Vater Harno “) sich als milder, wohlwollender, allmächtiger Patriarch inszeniert hatte. Noch immer verehrt man ihn als Bapak Pembangunan, den „Vater des Aufbaus“. (David 2012: 22-23).

Mit dem Sturz Soehartos begann die Ära der reformasi, in welcher grundlegende Reformen des politischen Systems des Landes umgesetzt wurden. Die Asienkrise 1997/98 schuf dafür anfangs noch relativ ungünstige Umstände. Was durchaus umgesetzt wurde, ist die Entwicklung in Richtung Demokratie und Liberalisierung. Die Präsident der Übergangsregierung B. J. Habibie, der liberale Muslimführer Abdurrahman Wahid, genannt Gus Dur (wegen Korruptionsvorwürfen aus dem Amt enthoben) und Megawati Sukarnoputri, die Tochter Sukarnos, waren die nachfolgenden Präsidenten und reagierten auf regionale Autonomieforderungen mit der Einführung einer umfassenden Dezentralisierung und 2001 in Kraft getretenen Gesetzen zur regionalen Autonomie, welche den Provinzen und Distrikten wesentlich mehr Selbstverwaltung ermöglichte. So reagierte man auf Autonomiebewegungen, welche neben Papua, Ost-Timor und Aceh auch in anderen Landesteilen auftraten. Nach der Abdankung Soehartos zeigten die Menschen nun offen ihren Unmut über die Ausbeutung ihrer Heimatregionen durch das javanisch dominierte Regime. Zwischen den verschiedenen Volksgruppen lange Zeit gewaltsam unterdrückte Konflikte brachen aus. Ost-Timor wurde nach seiner gewaltsamen Annexion 1975 im Jahr 2002 nach einem jahrzehntelangen blutigen Bürgerkrieg unabhängig. 2004 wurde dann der ehemalige General Susilo BambangYudhoyono als erster Präsident direkt vom Volk gewählt. Schnell wurde die Antikorruptionsbehörde ins Leben gerufen, um gegen KKN – korupsi, kolusi, nepotisme („Korruption, unfaire Absprachen und Vetternwirtschaft“) vorzugehen. 2009 wurde Yudhoyono wieder gewählt (David 2012: 24, 26). Seit 2014 ist der siebte Präsident Indonesiens, Joko Widodo, in seinem Amt (Wulffen 2015: 261).

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Ende der Leseprobe aus 65 Seiten

Details

Titel
Chancen, Erfolge und Hindernisse Indonesiens auf dem Weg zur Regionalmacht in Südostasien
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn  (Orient- und Asienwissenschaften)
Note
2,5
Autor
Jahr
2018
Seiten
65
Katalognummer
V453872
ISBN (eBook)
9783668863095
ISBN (Buch)
9783668863101
Sprache
Deutsch
Schlagworte
chancen, erfolge, hindernisse, indonesiens, regionalmacht, südostasien
Arbeit zitieren
Lidia Tyurina (Autor:in), 2018, Chancen, Erfolge und Hindernisse Indonesiens auf dem Weg zur Regionalmacht in Südostasien, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/453872

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