Der "Burgfrieden", den die deutsche Sozialdemokratie am 4. August 1914 mit den bürgerlichen und nationalen Kräften im Reich schloß, bildet eine Zäsur in der Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung. Zum ersten Mal in ihrer Geschichte überhaupt kooperiert die SPD als parteipolitische Trägerin der Arbeiterbewegung im Deutschen Reich mit genau den Kräften, welche sie noch vor wenigen Jahrzehnten auf das Schärfste bekämpft hatten.
Um so spannender ist natürlich die Frage, welche Ziele und Motive hinter dieser Kooperation standen. Diese Thematik wird, unter Beachtung des mündlichen Vortrags des Autors am 7.11.2001, im Folgenden erörtert werden.
Zur Strukturierung des Themas dient die Leitfrage: Warum stimmten die "vaterlandslosen Gesellen" (Wilhelm II.) der Bewilligung der Kriegskredite zu, obwohl das bürgerlich-liberal-konservative Lager im Reichstag auch ohne die Sozialdemokraten die Stimmenmehrheit hätte liefern können? Die Hypothese hierfür lautet:
Die SPD-Reichstagsfraktion stimmte am 4. August 1914 für die Bewilligung der Kriegskredite ("Burgfrieden"), da sie im Falle einer Ablehnung die Rücknahme der seit 1881 erreichten sozialen Errungenschaften befürchtete.
Dies ist eine These, die auch in der Literatur häufiger angetroffen wird . Diese Arbeit stellt jedoch die Behauptung auf, daß der o.a. Grund nebensächlich ist und andere, viel gewichtigere Faktoren die zentrale Rolle spielten. Es wird durch Quellenbelege und Erkenntnisse der Forschung bewiesen werden, daß die Hauptbeweggründe einem komplexen innenpolitischen Kalküldenken folgten, welches vor allem die demokratische Reform des preußischen Wahlrechts und die vollständige Parlamentarisierung des Deutschen Reiches zum Ziel hatte.
Nach einer kurzen Übersicht über relevante Quellen wird der aktuelle Forschungsstand in der Literatur erläutert. Danach folgen Argumente, die die Hypothese unterstützen. Die Gegenargumente werden jedoch zeigen, daß die wirklich ausschlaggebenden Gründe anderer Natur waren. Das Fazit schließlich wird erweisen, daß die Hypothese in dieser Form nicht bestätigt werden kann.
Besondere Berücksichtigung im Rahmen dieser Arbeit finden die historischen Folgen des Burgfriedens, die bis weit in die Geschichte der Weimarer Republik reichen. Der abschließende Ausblick wird zudem die Frage aufwerfen, ob es Alternativen zur Burgfriedenspolitik hätte geben können.
Inhaltsverzeichnis
- Erkenntnisinteresse und These
- Stand der Forschung
- Quellen
- Literatur und Forschung
- Argumente für die Arbeitshypothese
- Angst der Parteiführung vor Verhaftungen und Repressalien
- Anti-Sozialdemokratische Stimmung im Reichstag
- Erfahrungen aus der Frühzeit der politischen Arbeiterbewegung im Reich
- Überraschender Kriegsausbruch
- Argumente gegen die Arbeitshypothese
- Reale Bedeutung der Arbeiterbewegung im Reich
- Nationalismus in der Arbeiterbewegung
- Der innerparteiliche Schwelbrand: Revisionisten und Radikale
- Das Kalkül für die Zeit nach dem Kriege: Do, ut des
- Fazit: Zur Würdigung der Burgfriedenspolitik
- Ablehnung der Hypothese
- Ausblick: Die historischen Folgen der Burgfriedenspolitik
- Gab es Alternativen zur Burgfriedenspolitik?
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Diese Seminararbeit analysiert die Motive hinter der Zustimmung der SPD-Reichstagsfraktion zur Bewilligung der Kriegskredite im August 1914, einem Ereignis, das als „Burgfrieden“ in die Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung einging. Die Arbeit untersucht, ob die SPD diese Entscheidung aus Angst vor dem Verlust ihrer sozialen Errungenschaften traf oder ob andere, komplexere innenpolitische Kalküle im Spiel waren.
- Die Rolle der SPD in der deutschen Arbeiterbewegung und ihre Position gegenüber den bürgerlichen Kräften im Reich
- Die historische Bedeutung des „Burgfriedens“ und seine Folgen für die Entwicklung der deutschen Politik
- Die Analyse der Motive der SPD-Reichstagsfraktion, die zu ihrer Zustimmung der Kriegskredite führten
- Die Rolle des Nationalismus in der deutschen Arbeiterbewegung und seine Auswirkungen auf die Burgfriedenspolitik
- Die Auseinandersetzung mit dem Einfluss des revisionistischen Flügels der SPD auf die Burgfriedenspolitik
Zusammenfassung der Kapitel
Das erste Kapitel erläutert das Erkenntnisinteresse und stellt die zentrale These der Arbeit vor, die besagt, dass die SPD nicht aus Angst vor dem Verlust sozialer Errungenschaften, sondern aufgrund eines komplexen innenpolitischen Kalküls, für die Kriegskredite stimmte. Die Arbeit beleuchtet auch die historischen Folgen des Burgfriedens und wirft die Frage nach möglichen Alternativen zur Burgfriedenspolitik auf.
Das zweite Kapitel befasst sich mit dem Forschungsstand zum Thema Burgfrieden. Es werden relevante Quellen, wie die Protokolle der SPD-Reichstagsfraktion und das Kriegstagebuch Eduard Davids, vorgestellt und analysiert. Die Arbeit beleuchtet außerdem die Positionen von Eduard David und Philipp Scheidemann zur Burgfriedenspolitik.
Das dritte Kapitel präsentiert Argumente, die die These der Arbeit unterstützen. Es wird beleuchtet, wie die Angst der SPD-Parteiführung vor Repressalien, die anti-sozialdemokratische Stimmung im Reichstag sowie die Erfahrungen der frühen Arbeiterbewegung im Reich die Entscheidung der SPD beeinflusst haben könnten.
Das vierte Kapitel befasst sich mit Argumenten gegen die These der Arbeit. Es wird dargestellt, wie die reale Bedeutung der Arbeiterbewegung im Reich, der Einfluss des Nationalismus in der Arbeiterbewegung sowie die innerparteilichen Konflikte zwischen Revisionisten und Radikalen die Entscheidung der SPD beeinflusst haben könnten.
Schlüsselwörter
Diese Arbeit untersucht die Burgfriedenspolitik der deutschen Sozialdemokratie im Ersten Weltkrieg und analysiert die Motive hinter der Zustimmung der SPD zur Bewilligung der Kriegskredite. Die Arbeit beschäftigt sich mit Themen wie der Rolle der SPD in der deutschen Arbeiterbewegung, dem Einfluss von Nationalismus und revisionistischen Strömungen innerhalb der Partei, sowie den historischen Folgen des Burgfriedens für die deutsche Politik.
- Arbeit zitieren
- Marcus Matthias Keupp (Autor:in), 2002, Sozialdemokratie und Burgfrieden - Illusion oder politisches Kalkül?, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/4540