Leseprobe
Inhaltsverzeichnis
Abbildungsverzeichnis.
Einleitung.
1.Prozess/Entwicklung.
1.1 Historische Entwicklungen der Sozialen Arbeit als Profession.
1.1.1 Frauenbewegungen.
1.1.2 Konfessioneller Einfluss auf die Profession.
1.2 Gesellschaftliche Strukturen.
1.2.1 Geschlecht als Strukturkategorie.
1.2.2 Hegemoniale Männlichkeit als überlegenes Prinzip.
1.3 Strukturierung von Erwerbsarbeit in Deutschland: Einordnung Sozialer Arbeit in den Arbeitsmarkt Zwischenfazit.
2. Gegenwärtige Situation: Die Besonderheiten der helfenden Profession.
2.1 Soziale Arbeit als Frauenberuf.
2.2 Status und Löhne.
2.2.1 Einfluss der Kirche.
2.2.2 Einfluss der Care-Debatte.
2.2.3 Einfluss von Ehrenamt.
2.3 Gewerkschaftliches Engagement.
Fazit.
Literaturverzeichnis.
Abbildungsverzeichnis
Abbildung 1: Verschiedene Abgrenzungen des Begriffs "Sozialwirtschaft"
Abbildung 2: Steigende Stundenlöhne bei wachsenden Herausforderungen_
Abbildung 3: Gleichwertige Arbeit, ungleiche Bezahlung_
Einleitung
In Deutschland gibt es Berufe, die ein hohes Ansehen und Einkommen erzielen und Berufe wie die Soziale Arbeit, bei denen beides verhältnismäßig gering ausfällt. Die vorliegende Arbeit mit dem Titel „Zur gesellschaftlichen Anerkennung Sozialer Arbeit. Eine Untersuchung unter besonderer Berücksichtigung von Genderaspekten“ setzt sich mit der Frage auseinander, durch welche Kategorisierungen und Zuschreibungen Berufe Anerkennung innerhalb der Gesellschaft erfahren. Die Soziale Arbeit als fachlich qualifizierte, personenbezogene beruflich ausgeführte Intervention mit fürsorglicher Intension bearbeitet soziale Probleme und zielt auf soziale Integration oder wirkt sozialer Desintegration entgegen (vgl. Hammerschmidt 2010, S. 25). Doch was sind Faktoren nach denen Berufe bewertet und anerkannt werden? Warum sind Gehälter von Manager*innen oder Ärzt*innen höher als die von Sozialarbeitenden (vgl. statistisches Bundesamt 2017, S. 31)? Wie wirkt sich der Status eines „Frauenberufes“ auf die Anerkennung aus, denn die gegensätzlichen Vorstellungen von Weiblichkeit und Männlichkeit beeinflussen seit der Entstehungszeit Praxis und Theorie der Sozialen Arbeit (vgl. Rerrich 2010, S. 96). Daher liegt ein besonderer Fokus der Arbeit auf Genderaspekten: Welchen Einfluss hat die weibliche Prägung der Profession auf berufspolitische, ökonomische und gesellschaftliche Strukturen? Die Arbeit gliedert sich in zwei große Teile: Im ersten Teil der Arbeit werden relevante historische sowie aktuelle Prozesse und Entwicklungen analysiert, welche wesentlich sind, um die heutige Situation verstehen zu können. Es wird damit begonnen, die Entstehungszeit der Sozialen Arbeit als Profession innerhalb der bürgerlichen Frauenbewegung nachzuzeichnen sowie die Einflüsse weiterer sozialer Bewegungen aufzuführen. In Kapitel 1.2.1 Geschlecht als Strukturkategorie wird erläutert, wie sich die Gesellschaft in Deutschland anhand dieser Zuordnung strukturiert und dass es eine Asymmetrie zu Gunsten der Männer gibt. Im weiteren Kapitel wird diese Asymmetrie anhand des Konzeptes der hegemonialen Männlichkeit näher beleuchtet. Welch weitreichende Auswirkungen diese geschlechtliche Zuteilung bis heute hat, wird deutlich in Kapitel 1.3 Strukturierung der Erwerbsarbeit in Deutschland. So ergibt sich aus den zugeschriebenen Eigenschaften bis heute eine Teilung des Arbeitsmarktes entlang der Geschlechter. Nachdem diese Faktoren erklärt wurden, kann daraus resultierend der heutige Ist-Zustand erklärt werden. Dies ist der zweite große Teil der Arbeit. Nachdem in Kapitel 2. Gegenwärtige Situation: Besonderheiten der helfenden Profession eine Theorie der Anerkennung sowie ihre Erweiterung erläutert wird und auf die berufliche Ebene übertragen wird, liefert Kapitel 2.2 Soziale Arbeit als Frauenberuf Antworten darauf, warum die Profession nach wie vor so bezeichnet werden kann und welche Faktoren darauf schließen lassen, dass sich dies in naher Zukunft nicht ändern wird. Doch wie können die Leitungspositionen weiterhin zu 2/3 von Männern besetzt (vgl. Cloos & Züchner 2005, S. 724 ff.) werden in einem Frauenberuf? In Kapitel 2.2 Status und Löhne wird aufgezeigt, dass selbst bei gleichen beruflichen Anforderungen der Status und die Löhne auseinandergehen, je nachdem wie hoch der Anteil der Frauen in der Branche ist. Wie wichtig die Erläuterungen des ersten Teils der Arbeit sind, wird anhand der folgenden Unterkapitel nochmal deutlich: Dass diese Strukturen weiterhin wirken, wird verdeutlicht anhand der Kapitel 2.2.1 Einfluss der Kirche, 2.2.2 Einfluss der Care-Debatte und 2.2.3 Einfluss von Ehrenamt. Innerhalb dieser Erläuterungen wird ein diffuses Wirken geschlechtlicher Zuschreibungen weiter ausgeführt. So haftet der Sozialen Arbeit weiterhin ein semi-professioneller Status an, der in den drei Unterkapiteln offengelegt wird und den verschiedenen Erklärungsgrundlagen zugeordnet werden kann. Das abschließende Kapitel 2.3 befasst sich mit dem gewerkschaftlichem Engagement der Professionellen und erläutert, warum dieses relativ gering ausfällt. Ebenfalls wird die Organisation in Berufsverbänden als ein Lösungsansatz beschrieben, um die gesellschaftliche Anerkennung positiv zu verändern.
1.Prozess/Entwicklung
Da der Schwerpunkt der vorliegenden Arbeit auf der gesellschaftlichen Anerkennung Sozialer Arbeit als Beruf liegt, ist es notwendig sowohl Geschichte als auch die Gegenwart der Profession zu kennen und einordnen zu können, da die Soziale Arbeit von einem Wirkungszusammenhang gesellschaftlich festgelegter Geschlechterordnung und sozialer Praxen von Frauen und Männern begleitet wurde und wird (vgl. Brückner 2008, S. 218).
1.1 Historische Entwicklungen der Sozialen Arbeit als Profession
In diesem Kapitel richtet sich das Hauptaugenmerk auf zentrale Aspekte der Sozialen Arbeit, aus welchen sich das Bild eines gering entlohnten Frauenberufes in der Berufsgeschichte ausmachen lässt. Soziale Arbeit als Profession hat sich aus zwei Richtungen heraus entwickelt: Zum einen aus der Sozialpädagogik, die heute als Reformpädagogik bekannt ist; zum anderen aus der Sozialarbeit als Entwicklungsstrang, die ihre Wurzeln in der neuzeitlichen Armenfürsorge hat. Theorie und Praxis haben sich aus diesen beiden Strängen entwickelt und wurden wiederum geprägt durch mehrere soziale Bewegungen des frühen 19. Jahrhunderts: Die bürgerliche Sozialreform1, die konfessionellen Bewegungen2 und die bürgerliche Frauenbewegung (vgl. Hammerschmidt 2010, S. 25).
1.1.1 Frauenbewegungen
Historisch betrachtet gab es in Deutschland mehrere Frauenbewegungen, die voneinander abzugrenzen sind: Zum einen die bürgerliche und die proletarische Bewegung im Kaiserreich (1871-1918), zum anderen die neue Frauenbewegung nach 1968 oder auch zweite Frauenbewegung genannt. Fokussiert wird in diesem Kapitel die bürgerliche Frauenbewegung, deren Ziel es war, ein Arbeitsfeld für bürgerliche Frauen zu schaffen, um gesellschaftsgestaltend tätig sein zu können. Damit hat sie maßgeblich die Verberuflichung und Qualifizierung des Berufes vorangetrieben. Hier finden sich auch die Ursprünge für die Bezeichnung der Sozialen Arbeit als Frauenberuf oder das oft semi-professionelle Ansehen. Eine andere Bewegung zu der Zeit war die der proletarischen Frauen: Deren Ziel war die Gleichberechtigung der Frauen als Teil der Emanzipation des Proletariats, welche nur durch Überwindung der kapitalistisch-bürgerlichen Gesellschaftsform möglich sein sollte. Denn im Gegensatz zu den Frauen der bürgerlichen Schicht arbeiteten die Frauen des Proletariats bereits, da die Familien nicht von einem Arbeiterlohn leben konnten (vgl. bpb 2008).
Liegt der Fokus auf der Entwicklung der Profession Soziale Arbeit, ist es elementar, den Blick auf die bürgerliche Frauenbewegung zu richten (vgl. Hammerschmidt 2010; vgl. Rerrich 2010), welche Mitte/ Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts verortet wird (vgl. Ehlert 2012, S.33). So auch C. Kuhlmann, die aufführt, dass ohne eine feministische Kritik der bürgerlichen Frauenbewegung an einer männlich dominierten Gesellschaft „der soziale Beruf nicht ohne das Engagement der Frauenbewegung zwischen 1890 und 1918 möglich gewesen“ (Kuhlmann 2014, S.67) wäre. Vor der Industrialisierung wurden Männer und Frauen in Deutschland auch über ihre hierarchische Stellung im „ganzen Haus“ definiert und Aussagen über „Die Frau“ oder „Den Mann“ wurden unter Berücksichtigung der sozialen Stellung z.B. „Magd, Knecht, Bäuerin, Gutsherr“ getroffen. Karin Hausen (1976), bezeichnet diese Veränderung treffend als „Polarisierung der Geschlechtercharaktere“. Dies hatte fatale Folgen für die Frauen damals und wirkt bis heute. Die Zeit der Industrialisierung trennte den Ort des Lebens und der Reproduktion von dem Ort der Arbeitsstätte (Produktionsstätte), im Gegensatz zu dem vorherigen „ganzen Haus“, in dem Arbeits- und Lebensstätte an einem Ort vereint waren. Die räumliche Dissoziation der Lebenswelt und Arbeitsstätte verbannte Frauen, (durch die Polarisierung der Geschlechtercharaktere) in die häuslichen Tätigkeiten und im Umkehrschluss galt ab dieser Zeit, dass Männerarbeit Erwerbsarbeit sei (vgl. Becker-Schmidt & Knapp 2000, S. 41 ff.). Eine Auswertung verschiedener Lexika des 18. Jahrhunderts bestätigen diese generelle Differenz der Geschlechter. Ab dieser Zeit bis ins 20. Jahrhundert werden weibliche Charaktere mit Passivität, häuslichem Leben und privater Reproduktion verbunden, während männliche Charaktere mit Aktivität, öffentlichem Leben und Produktion verbunden werden (vgl. Soziologie und Politik 2014). Hier setzte die Initiative der bürgerlichen Frauenbewegung an; sie wurde durch zwei Bedürfnisse geleitet: Zum einen die gesellschaftlich gesteigerte Not, resultierend aus der Industrialisierung. Große Bevölkerungsgruppen zogen in die Städte, die zu Ballungszentren wurden. Hier fehlte den Menschen im Falle von Krankheit, Unfällen oder Alter das soziale Netz der Sicherung, was früher die Familie dargestellt hat. Zum anderen aber auch durch das Bedürfnis, insbesondere von bürgerlichen Frauen aus höheren Familien, der erzwungenen Langeweile und Untätigkeit zu entkommen, da diesen, passend zu dem bürgerlichen Weiblichkeitsideal der Zeit, weder Erwerbsarbeit noch Zugang zu Bildung ermöglicht wurde (vgl. Ehlert 2012, S. 33). Zum Verständnis zur Rolle der Frau in der Gesellschaft und ihrer Gestaltungsmöglichkeiten in dieser Zeit: Zugang zum Studium wurde Frauen rechtlich erst 1908 zugesprochen und das Wahlrecht in Deutschland gilt für Frauen seit 1918 (vgl. Hering, 2006, S.18).
Die bis dahin laienhafte und ehrenamtliche Wohlfahrtspflege bot der Frauenbewegung die Möglichkeit, sich in nicht schon von Männern dominierte Bereiche einzubringen, sondern einen gesamten Sektor nachhaltig auszuweiten, umzustrukturieren bzw. ihn selbst zu initiieren (vgl. ebd., S.21). Diese Form der Arbeit passte auch zu dem damals vorherrschenden Frauenbild und deren zugeschriebenen Fähigkeiten, wie zum Beispiel das Prinzip der „Mütterlichkeit3 “, welches im Zusammenhang der Kindergartenerziehung entstanden war. Eine wichtige Pionierin dieser Zeit war Alice Salomon, Tochter einer höheren jüdischen Kaufmannsfamilie: Sie folgte einem Aufruf zur Mitarbeit in „Mädchen- und Frauengruppen für soziale Hilfsarbeit“ und damit begann ihr Engagement, was sie bis heute zu einer der zentralen Wegbereiterinnen der Profession Sozialer Arbeit in Deutschland macht (vgl. Ehlert 2012, S. 34). Aufgewachsen und geprägt durch das vorherrschende Bild einer generellen Geschlechterdifferenz werden diese von A. Salomon positiv betont und daraus resultierend bewertet sie die Frauen für dieses Arbeitsfeld, aus ihrer Natur heraus, befähigter als die Männer:
Neben all den Eigenschaften, die Mann und Frau im gleichen Maße besitzen können … bringt die Frau für diese Arbeitsbereiche noch ihr ausgeprägtes Gefühlsleben mit; ihre allesverstehende Milde und Nachsicht (…) schließlich ihre Mütterlichkeit, die Fähigkeit, die Mutterliebe vom Hause auf die Gemeinde zu übertragen (Salomon 1901, S. 5, zit. n. Riege 1996, S.29).
Diese „geistige Mütterlichkeit“ konnte nach diesem Denken allen Frauen zugesprochen werden nur aufgrund ihrer Weiblichkeit und unabhängig davon, ob sie selbst Mütter waren. Geprägt durch dieses Denken der Zeit ging es Alice Salomon, wie zu erwarten, vorrangig nicht um eigenes Einkommen von Frauen durch einen Erwerbsberuf, sondern um eine professionalisierte, ehrenamtliche Tätigkeit in den Diensten der Gesellschaft (vgl. Hammerschmidt & Tennstedt 2005, S. 69). Nichtsdestotrotz ist der Aufbau von Kursen und Ausbildungsstätten durch Initiativen der Frauenbewegung gelungen und daher maßgeblich verantwortlich für die Professionalisierung des Berufszweiges. So stellte Alice Salomon den Sozialen Beruf auf eine Ebene mit Ärzten, Pfarrern oder Richtern4, da diese Berufe sich durch die Entwicklung eigener Methoden der Diagnose und Interventionen auszeichnen (vgl. Müller 2005, S. 735). Nach Salomon sollte es eine systematische Ausbildung für Frauen in verschiedenen Gebieten sozialer Hilfstätigkeit zur Wissensvermittlung und Persönlichkeitsentwicklung geben, damit Frauen des Bürgertums gesellschaftsgestaltend tätig werden können (vgl. Ehlert 2012, S.35). Alice Salomon gründete 1908 die erste soziale Frauenschule mit zweijähriger Ausbildung in Berlin und richtete sich mit dieser Ausbildungsstätte an begabte Frauen, die als Leiterinnen höhere und leitende Positionen einnehmen wollten (vgl. Rerrich 2010, S.96). Damit waren Alice Salomon und weitere Pionierinnen der Sozialen Arbeit politisch motivierte und theoretisch interessierte Frauen des Bürgertums, welche ihre Theorien in engem Zusammenhang mit der Reformpädagogik und der Frauenbewegung bildeten (vgl. Brückner 2008, S. 213). Leider ist diese Leistung, im Laufe der historischen Entwicklungen in den Hintergrund gerückt. Nach Ende des ersten Weltkrieges 1918 ist die Ausbildung und der Beruf Soziale Arbeit in der Weimarer Republik institutionalisiert worden und wurde überwiegend mit Frauen besetzt; es ist ein- gering bezahlter- Frauenberuf entstanden, doch hier nun unter männlicher Leitung. Denn nun greifen Geschlechterkonstruktion und Hierarchien der Geschlechterverhältnisse ineinander: Der persönliche Kontakt mit Menschen wurde den Frauen im Außendienst vorwiegend überlassen, während die Männer in dieser Zeit als Beamte oder Angestellte die distanzwahrende Verwaltung übernehmen. Für Christoph Sachße (1994) stehen die 20er Jahre für die Etablierung eines Frauenberufs unter männlicher Leitung, wie er es in seinem Buch „Mütterlichkeit als Beruf“ verfasst. Auch die Zeit des Nationalsozialistischen (NS) Regimes ist maßgeblich dafür verantwortlich, dass die Visionen der Pionierinnen der Sozialen Arbeit von qualifizierten Frauen, die Führungspositionen einnehmen, in Vergessenheit gerieten und sich bis heute nicht wieder in Gänze davon erholt haben (vgl. Rerrich 2010, S. 97 f.). Das NS Regime betonte die grundlegende Geschlechterdifferenz wieder aufs äußerste, sprach den Frauen die Mutterrolle zu und verbannte sie damit einhergehend aus verantwortlichen Positionen in Beruf und Gesellschaft. Und auch wenn 1949 mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland die Gleichberechtigung von Frau und Mann im Grundgesetz und im Wahlrecht verankert wird, dauert es noch circa 20 Jahre (Ende der 1960er/Anfang 1970er Jahre) bis sich eine weitreichende Beteiligung von Frauen in Beruf, Gesellschaft und Öffentlichkeit etabliert (vgl. ebd.). Das Erbe der ersten Frauenbewegung für die Soziale Arbeit besteht darin, dass diese zu einem fachlich qualifizierten und organisierten Beruf entwickelt wurde, welcher über eine staatliche Anerkennung verfügt (vgl. Hammerschmidt 2010, S.39). Leider ist nicht der postulierte Führungsanspruch von Frauen in der Sozialen Arbeit als Erbe geblieben, sondern die begrenzende Seite des Konzeptes der geistigen Mütterlichkeit. Die Abwertung spezifisch weiblicher Eigenschaften im Gegensatz zu spezifisch männlichen Eigenschaften führt in der Folge zu den Hierarchien und mithin auch zu den Differenzierungen der Bewertung. Die enge Verzahnung von Fürsorge-mütterlichem Handeln- soziale Berufe und Weiblichkeit sind bis heute deutlich. Margit Brückner schreibt dazu (2008, S. 213):
Im Zuge der Institutionalisierung und Verwissenschaftlichung haben diese Frauen der ersten Stunde jedoch zunehmend an Anerkennung … eingebüßt. Je mehr Soziale Arbeit zur staatlich geplanten und rechtlich kodifizierten Aufgabe sozialer Sicherung wurde … desto häufiger sind Männer in Planung, Entwicklung und Theorie öffentlich präsent, während Frauen weiterhin die große Mehrheit Praktikerinnen stellen.
Auch die zweite Frauenbewegung nach 1968 hat die Profession Sozialer Arbeit beeinflusst. Im Kern der Kritik stand die untergeordnete Stellung der Frauen unter die der Männer in verschiedenen öffentlichen Bereichen wie Politik oder dem Arbeitsmarkt (vgl. Ehlert 2012, S. 39 f.). Die seit der bürgerlichen Frauenbewegung weiter anhaltende ungleiche geschlechtliche Arbeitsteilung und fehlende gesellschaftliche Anerkennung von zum Beispiel Versorgungsarbeit führte dazu, dass 1986 das Bundeserziehungsgeldgesetz eingeführt wurde (vgl. Lenz 2010, S.869 f.), welches Eltern (oft Müttern) eine Vergütung für die Betreuung ihrer Kinder sichert. Des Weiteren führte die geschaffene feministische Infrastruktur zu neuen Projekten und Arbeitsfeldern von Frauen für Frauen, was auch zu dem veränderten gesamtgesellschaftlichen Bewusstsein lenkte, dass sich gesellschaftliche Verhältnisse der Geschlechter auf das Leben von einzelnen Frauen auswirkt (vgl. Ehlert 2012, S.41). So haben sich durch die zweite Frauenbewegung feministische Wissenschaft, Gender Studies bzw. Geschlechterforschung in professionsbezogene und politische Diskurse etabliert (vgl. Mogge-Grotjahn 2013, S. 232). Faktoren und Strukturen, die den Beruf der Sozialen Arbeit bis heute gestalten und auch im Zentrum der Kritik der zweiten Frauenbewegung stehen, haben ihren Ursprung in den Anfängen der bürgerlichen Frauenbewegung. Die Darstellung der letzten hundert Jahre zeigt weitgreifende Veränderungen im Verhältnis der Geschlechter, doch erweist sich Gender5 weiterhin als zentrale Analyse gesellschaftlicher Prozesse und individueller Muster, sowohl auf der Subjekt- als auch auf struktureller Ebene. Diese gesellschaftliche Struktur ist eingebettet in eine hegemoniale männliche Geschlechterordnung, welche sich zwar beachtlich gewandelt hat, doch ist die männliche Vorherrschaft sozial, politisch und ökonomisch verblieben (vgl. Becker-Schmidt & Knapp 2000). An diese Stelle sei auf Kapitel 1.2.2 verwiesen, in dem die hegemoniale Männlichkeit erläutert und ausführlich in den Kontext eingebettet wird.
1.1.2 Konfessioneller Einfluss auf die Profession
Wie bereits erläutert wurde die Profession Sozialer Arbeit durch verschiedene Einflüsse geprägt. Der Fokus der vorliegenden Arbeit liegt auf der bürgerlichen Frauenbewegung, da diese die Profession Soziale Arbeit maßgeblich beeinflusst hat. Des Weiteren soll die Kirche und ihr Einfluss auf die Soziale Arbeit kurz angerissen werden, da auch in Kreisen der Kirche die Weiblichkeitskonstruktion des Bürgertums vorherrschend war (vgl. Rerrich 2010, S. 101) und diese die Profession und Gesellschaft geprägt hat. Wie in Fußnote zwei kurz dargestellt, erhofften sich die evangelische und katholische Kirche ihren gesellschaftlichen Einfluss im 19. Jahrhundert zurückzugewinnen, welcher als Folge von Verweltlichung und Entchristlichung durch Verstädterung und Industriekapitalismus aufgefasst wurde (vgl. Hammerschmidt & Tennstedt 2005, S. 65 f.). Um diese Folgen abzumildern sollte die Kirche wieder mit praktischer „Liebestätigkeit“ (Soziale Arbeit) verbunden werden und damit die Menschen wieder zum Christentum bekehren (vgl. ebd.). Auf diese Weise hat auch die Kirche in Deutschland die Soziale Arbeit geprägt. Um verstehen zu können, wie sich die Rolle der Frau in der heutigen Gesellschaft entwickeln konnte, was dazu beigetragen hat, und wie dieser Beitrag heute noch die Soziale Arbeit beeinflusst, ist es wichtig die Rolle der Frau in der Kirche zu verstehen (Kuhn 1984, S 7 f.). Die gesellschaftliche Ungleichheit zwischen den Geschlechtern hat die frühchristliche Kirche nicht nur übernommen, sondern diese Ungleichheit zusätzlich untermauert. Innerhalb des Christentums wird die Frau immer wieder dem Mann untergeordnet. Argumentiert wird zum Beispiel damit, dass die erste Frau (Eva) „aus der Rippe des Adam“ geschaffen wurde, was ihr implizit die Rolle der „untergeordneten Gehilfin“ zuschreibt (Heimbach-Steins, 2007, S. 32). Damit hat die Kirche in späteren, von ihr bestimmten Gesellschaften, maßgeblich zur Erhaltung und Rechtfertigung der Unterdrückung der Frauen beigetragen (vgl. Kuhn 1984, S. 30 f.) Diese Unterordnung innerhalb christlichen Denkens wurde auf fast alle Gesellschaftsbereiche ausgestreckt, so dass Frauen ihrem christlichen Auftrag am besten durch Unterwerfung des Patriarchats erfüllen konnten (ebd. S. 31).
Auch bei der Verteilung von Arbeit im Christentum spielt die Weiblichkeitskonstruktion bzw. das differenzierende Geschlechterbild eine große Rolle. Nach geschlechtsentsprechender Verteilung von Aufgaben und Verantwortlichkeiten kam der Frau die dienende Rolle ohne Gelderwerb zu, parallel zur Arbeit der Frauen im eigenen Haushalt, welche dort für einen „Gotteslohn“ erfolgte (vgl. Rerrich 2010, S.101). Dass ökonomische Selbstständigkeit weder in der bürgerlichen Frauenbewegung noch in den Einflüssen der Kirche postuliert wurde, sieht man den Gehältern in der Sozialen Arbeit bis heute an. Maria Rerrich (ebd.) belegt, dass Verdienstchancen der Sozialen Arbeit verglichen mit anderen Berufen geringere Einkommensmöglichkeiten vorweisen und Gehälter von Frauen verglichen mit Gehältern von Männern besonders niedrig ausfallen. Da die Kirche großen Einfluss auf die Gesellschaft in Deutschland hat(te) und sie in Deutschland mit ihren beiden Wohlfahrtsverbänden die größte Arbeitgeberin darstellt, kann somit unterstellt werden, dass das christliche Rollenbild der Frau sich bis heute auf den Status und die Gehälter auswirken.
1.2 Gesellschaftliche Strukturen
Um die Anerkennung sozialer Arbeit zu erfassen, ist es notwendig zu verstehen, wie und wonach sich Gesellschaften strukturieren. Zusätzlich zu historischen Entwicklungen ist es wichtig nachvollziehen zu können, wie die Gesellschaft als soziales Gefüge, welches nach bestimmten Ordnungsprinzipien und Regeln funktioniert (vgl. Ehlert 2012, S. 14), in Deutschland heute strukturiert ist.
1.2.1 Geschlecht als Strukturkategorie
Der Einfluss der bürgerlichen Frauenbewegung und damit einhergehend die Auffassung, Praxis und Theorie der Sozialen Arbeit seien maßgeblich von Vorstellungen und Geschlechterperspektiven dieser Bewegung geprägt, wird bis heute in gängigen Arbeiten zur Entstehungsgeschichte (vgl. Rerrich 2010; vgl. Hering 2006; vgl. Voigt-Kehlenbeck 2010) betont. Eine fortlaufende Thematisierung von Geschlechterperspektiven durch die Frauenbewegungen haben die Profession Sozialer Arbeit verändert. Jedoch zeigt die Autor*innen Bereswill und Stecklina eine erstaunliche Lücke hinsichtlich der Geschlechterperspektiven innerhalb der Sozialen Arbeit auf: Auch wenn der Einfluss bestimmter Akteurinnen als Mitbegründerinnen der Frauenbewegung auf die Soziale Arbeit heute fest verankert zu seien scheint, bleibt die Bedeutung der Analysekategorie Geschlecht für die Untersuchung, Konzeptualisierung und Praxis der gesellschaftlichen Bearbeitung sozialer Fragen jedoch häufig ausgeblendet (Bereswill & Stecklina 2010, S. 7).
Aufgrund dessen wird in diesem Kapitel zuerst erläutert, welche Dimension die Kategorie Geschlecht (die binäre Einteilung in weiblich und männlich) einnehmen kann und in einem weiteren Schritt folgt eine Erläuterung zum Geschlecht als eine zentrale strukturierende Kategorie. Die Autor*innen Lenz und Adler führen auf, dass Geschlecht als eine Grundkategorie „sozialen Arrangements“ (2010, S.21) begriffen wird, welches alltägliche Handlungen bestimmt und die soziale Strukturen durchzieht.Die Einordnung in die Gruppe der Frauen oder der Männer hat demnach erheblichen Einfluss über die Zugänge zu gesellschaftlichen Ressourcen. Geschlecht wird demnach als ein Prinzip „gesellschaftlicher Gliederung und Hierarchiebildung“ verstanden (Ehlert 2012, S.15). Um die Geschlechterverhältnisse in der Sozialen Arbeit verstehen zu können, sind drei Unterscheidungen der Kategorie Geschlecht relevant, mit verschieden weitreichenden Möglichkeiten und Grenzen in ihrer Erklärung: (I) Geschlecht als Strukturkategorie, (II) Geschlecht als soziale Konstruktion und (III) Geschlecht als Konfliktkategorie (vgl. ebd., S. 13-32). Diese Unterscheidung ist wichtig, um Aussagen hinterfragen zu können, die unter dem Schlagwort „Gender“ zusammengefasst werden. Fokussiert wird in dieser Arbeit das Geschlecht als Strukturkategorie, da diese Kategorie die weitreichendste Erklärungsgrundlage für die Arbeit bietet. Bezieht man sich auf die Gesellschaft als soziales Gefüge, welches sich nach bestimmten Organisationsprinzipien und Regeln gliedert und dabei soziale Gruppen und ihre Beziehungen innerhalb dieser Gesellschaft betrachtet, so kann dies unter dem Begriff (I) Strukturkategorie zusammengefasst werden (vgl. ebd., S.14). Als ein zentrales Ordnungsprinzip wird das Geschlecht gesehen. Was noch in den 1970er und 80er Jahren hinsichtlich Geschlechterhierarchien unter Patriarchat zusammengefasst wurde, wird heute oft unter dem Begriff der Geschlechterverhältnisse zusammengefasst, womit Geschlecht als eine Strukturkategorie begriffen wird: Auch wenn die heutige gesellschaftstheoretische Analyse von Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern seltener unter Patriarchat, sondern unter dem Geschlechterverhältnis zusammengefasst wird, ist implizit mit beiden Begriffen die „(Vor-)Herrschaft von Männern über Frauen und Familien und die gesellschaftliche Ungleichheit zwischen Männern und Frauen“ (ebd.) gemeint. Da auch der Arbeitsmarkt als Teil des gesellschaftlichen Strukturzusammenhangs verstanden wird, zeigt sich die unterschiedliche Bewertung von geschlechterbezogenen Aufgabenfeldern und Tätigkeiten hier deutlich, z.B. anhand ungleicher Bezahlung zwischen Männern und Frauen in Deutschland. Wie in den historischen Entwicklungen bereits erläutert, bildete sich im Zeitalter der Industrialisierung ein Differenzdenken zwischen den Geschlechtern aus, welches Karin Hausen mit der „Polarisierung der Geschlechtercharaktere“ betitelt. Im Wesentlichen werden die Unterschiede biologisch begründet, sodass von einer „Naturalisierung“ der Differenzen gesprochen werden kann: Demnach gibt es zwei Geschlechterklassen (Frau und Mann), welchen bestimmte Verhaltensweisen, Fähigkeiten, Eigenschaften u.v.m. zugeschrieben werden. Diese Erwartungen und Zuschreibungen an Frauen und Männer sind allerdings sozial konstruiert (II Geschlecht als soziale Konstruktion) und nicht biologisch bestimmt und damit auch veränderbar. Differenzen sind nicht Ausdruck einer natürlichen Gegebenheit, sondern „das Ergebnis von Konstruktions- und Zuschreibungsprozessen“ (ebd., S.25). Es ist wichtig, diese Kategorie von Geschlecht zu kennen, um die Zuschreibung biologisch bestimmter Eigenschaften und Fähigkeiten kritisch hinterfragen zu können, die die Profession Sozialer Arbeit prägen. In Kapitel 1.2.2 wird diese soziale Konstruktion mit einem Ansatz der Männlichkeitsforschung- der hegemonialen Männlichkeit- verknüpft. Auch die letzte Unterscheidung der Kategorie Geschlecht als (III) Konfliktkategorie ist relevant, um die Geschlechterverhältnisse in der Sozialen Arbeit verstehen zu können. Geschlechtsidentität keine abgeschlossene Leistung innerhalb der Entwicklung von Menschen, sondern ein lebenslanger Verlauf. Innerhalb eines Lebens kommt es bei Individuen daher immer wieder zu Spannungen und Konflikten zwischen gesellschaftlichen Erwartungen und Eigensinn von Subjekten (vgl. ebd. S. 30). Diese bilden einen Teil der Erklärung warum Frauen andere Rollen, Verhaltensweisen und Fähigkeiten als Männern zugeordnet werden und warum diese auch angenommen und damit reproduziert und verfestigt werden.
1.2.2 Hegemoniale Männlichkeit als überlegenes Prinzip
Wie im vorhergehenden Kapitel deutlich gemacht wurde, ist die gesellschaftliche Struktur nach wie vor asymmetrisch: Die männliche Vorherrschaft, politisch, ökonomisch und sozial hat sich weiterhin durchgesetzt, so dass viele Autor*innen (vgl. Becker-Schmidt & Knapp 2000; vgl. Brückner 2008) weiterhin von einer hegemonialen Geschlechterordnung sprechen. Die männliche Vorherrschaft wird nicht nur in der Theorie der hegemonialen Männlichkeit untersucht, auch andere gesellschaftstheoretische Perspektiven zeigen auf, dass sich Macht und Männlichkeit bedingen, wie z.B. Die männliche Herrschaft von Bourdieu (1997, 2005).
[...]
1 Bürgerliche Sozialreform: Nach der Gründung des Deutschen Reiches 1871 führte Otto von Bismarck als Reichskanzler die ersten Sozialversicherungen ein, welche durch Druck aus der Gesellschaft entstanden. Erstmals wurden auch Arbeitgebende verpflichtet, einen Anteil zur Lösung der sozialen Frage zu leisten (vgl. Kuhlmann 2014, S. 65 f). Aus den Sozialversicherungen leiten sich bis heute eine Vielzahl sozialarbeiterischer Tätigkeiten ab.
2 Konfessionelle Bewegungen: P. Hammerschmidt betont hier den Plural, da er die katholische und evangelische Bewegung trennt: doch beide Institutionen hatten es sich zum Ziel gemacht, den gesellschaftlichen Einfluss des organisierten Christentums zurückzugewinnen, welcher durch Säkularisierung und Aufklärung in den Hintergrund rückte (vgl. Hammerschmidt 2010, S. 25 f).
3 Im Kontext der Kindergartenbewegung entstandener Begriff, genutzt von Fröbel und Pestalozzi (vgl. Ehlert 2012, S.34). 1868 nutze Henriette Schrader-Breymann diesen Begriff, um Frauen von ihrer physischen Mütterlichkeit allein zu entkoppeln und gleichzeitig ausdrücken, dass diese „geistige Mütterlichkeit“ in allen Sphären wirken kann, in denen es um Hilfebedürftige geht (vgl. Kuhlmann 2014, S. 48).
4 Hier wird die männliche Form ausgeschrieben, denn diese Berufe wurden zu der Zeit lediglich von Männern ausgeführt.
5 Gender: da die deutsche Sprache lediglich den Begriff „Geschlecht“ kennt und damit aber eigentlich zwei verschiedene Sachverhalte ausdrückt, werden die englischen Begriffe genutzt. In der englischen Sprache werden zwei Sachverhalte sprachlich auseinandergehalten: Es gibt das biologische Geschlecht (sex) und das sozial konstruierte Geschlecht (gender). Mit diesem sozialen Geschlecht kann ausgedrückt werden, was es in der zugehörigen Gesellschaft bedeutet, eine Frau oder ein Mann zu sein und was damit zugeschrieben wird (vgl. Rerrich 2010, S. 92).