Die deutsche Sozialpolitik ist ein klassisches Beispiel für die als neokorporatistisch bezeichnete Einbindung verbandlich organisierter Interessen in die Formulierung und Umsetzung staatlicher Maßnahmen und Programme. Besonders einflussreiche korporative Akteure sind in dieser Hinsicht die sechs Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege, die in einem spezifischen, von gegenseitigen Abhängigkeiten geprägten Tauschverhältnis zum Staat stehen, und aufgrund ihrer Doppelfunktion als Interessenverbände und Dienstleistungsorganisationen in besonderem Maße in den Sozialstaat inkorporiert sind.
Die enge Zusammenarbeit zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden hat in Deutsch-land eine lange Tradition, die bis ins 19. Jahrhundert zurückreicht und seit der Weimarer Republik zunehmend gefestigt und gesetzlich untermauert wurde. Von großer Bedeutung für das kooperative Verhältnis war insbesondre die jahrzehntelang praktizierte - und in einigen Bereichen noch heute betriebene - Subsidiaritätspolitik, die der Freien Wohlfahrtspflege einen bedingten Vorrang gegenüber staatlichen und privaten Träger bei der Erbringung sozialer Dienstleistungen einräumte, und damit entscheidenden Anteil am Größenwachstums und an der zunehmenden Inkorporation der Wohlfahrtsverbände hatte.
Mit den sozialgesetzlichen Reformen der frühen 90er Jahre wandelte sich das traditionelle Verhältnis zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden nachhaltig. Die wettbewerbspolitisch motivierte Abschaffung der Privilegierung der sechs Spitzenverbände der Freien Wohlfahrtspflege bedeutete einen Rückzug des Staates aus weiten Teilen der Finanzierung der Verbände und den Beginn eines Konkurrenzkampfs zwischen freien und privaten Trägern.
Welchen Einfluss die Reformen Anfang der 90er Jahre auf die korporatistische Ein-bindung der Wohlfahrtsverbände in den Sozialstaat hatten, und wie sich die Situation seither für die beteiligten Akteure verändert hat, soll in dieser Hausarbeit untersucht werden.
Inhaltsverzeichnis
- Einleitung
- Matthias König
- 1 Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen des Neokorporatismus
- 2 Die Inkorporation der Wohlfahrtsverbände in die Sozialpolitik
- 2.1 Rahmenbedingungen für die Etablierung der verbandlichen Einbindung
- 2.2 Strukturen des mesokorporatistischen Arrangements
- 2.3 Strukturelle Defizite und Probleme
- Bettina Schulze
- 3 Strukturbruch im korporatistischen Verhältnis durch die Sozialreformen der 90er Jahre ?
- 3.1 Hintergründe des sozialstaatlichen Wandels
- 3.2 Ansatzpunkte und Inhalte der Reformen
- 3.3 Auswirkungen der Reformen auf das korporatistische Verhältnis
- 4 Die Bedeutung der Sozialreformen der 90er Jahre für die beteiligten Akteure
- 4.1 Der Staat: Leistungsverträge statt Pauschalfinanzierung
- 4.2 Die Wohlfahrtsverbände: Anbieterpluralismus statt „Wohlfahrtskartell“
- 4.3 Die Leistungsempfänger: Kundensouveränität statt Alimente
- 4.4 Fazit
- 5 Schlussbemerkung
- Literaturverzeichnis
Zielsetzung und Themenschwerpunkte
Die vorliegende Hausarbeit befasst sich mit der Einbindung von Wohlfahrtsverbänden in die deutsche Sozialpolitik und analysiert den Wandel des korporatistischen Arrangements zwischen Staat und diesen Verbänden im Kontext der Sozialreformen der 1990er Jahre.
- Begriffliche und konzeptionelle Grundlagen des Neokorporatismus
- Die Inkorporation der Wohlfahrtsverbände in die Sozialpolitik
- Strukturbruch im korporatistischen Verhältnis durch die Sozialreformen der 1990er Jahre
- Auswirkungen der Reformen auf die beteiligten Akteure (Staat, Wohlfahrtsverbände, Bürger)
- Bewertung der Reformen hinsichtlich ihrer Folgen für das deutsche Wohlfahrtspflegesystem
Zusammenfassung der Kapitel
Die Einleitung führt in die Thematik der Hausarbeit ein und stellt den Forschungsgegenstand sowie die Zielsetzung dar. Das erste Kapitel widmet sich den theoretischen Grundlagen des Neokorporatismus, insbesondere der Variante des Mesokorporatismus, die für die Analyse der Einbindung von Wohlfahrtsverbänden relevant ist.
Im zweiten Kapitel wird die konkrete Einbindung der Wohlfahrtsverbände in den deutschen Sozialstaat untersucht. Hierbei werden die Rahmenbedingungen, Strukturen und Interessenslagen der beteiligten Akteure analysiert.
Das dritte Kapitel beschäftigt sich mit den Sozialreformen der frühen 1990er Jahre. Es werden die Hintergründe, Ansatzpunkte und Inhalte der Reformen beleuchtet und die Frage nach einem möglichen Strukturbruch im korporatistischen Verhältnis zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden diskutiert.
Kapitel vier widmet sich den Auswirkungen der Reformen auf die beteiligten Akteure – Staat, Wohlfahrtsverbände und Bürger. Es wird untersucht, welche Folgen die veränderten Rahmenbedingungen für die einzelnen Akteure haben und ob die Reformen zu einer Verbesserung des deutschen Wohlfahrtspflegesystems geführt haben.
Schlüsselwörter
Neokorporatismus, Mesokorporatismus, Wohlfahrtsverbände, Sozialpolitik, Sozialreformen, Staat, Bürger, Leistungsempfänger, Finanzierung, Anbieterpluralismus, Subsidiarität.
- Arbeit zitieren
- Matthias König (Autor:in), Bettina Schulze (Autor:in), 2005, Wettbewerb statt Alimente - Das korporatistische Arrangement zwischen Staat und Wohlfahrtsverbänden im Umbruch, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45439