Aufgaben und Lösungen für die Vorbereitung auf die Deutschprüfung an Realschulen 2019 (Teil 2)


Prüfungsvorbereitung, 2019

34 Seiten


Leseprobe


Inhalt

1. Fahrenheit 451 von Ray Bradbury.

2. Rezension ‚Fahrenheit 451‘ - ein Film von Ramin Bahrani aus dem Jahr 2018.

3. Rezension zu Françoise Truffauts Fahrenheit 451 - Eterprise Vineyard-Film, Pinewood Studios London, 1966.

4. Interpretatorisches zu Brechts Gedicht ‚Vom ertrunkenen Mädchen‘

5. Interpretatorisches zu Gottfried Benns Gedicht ‚Schöne Jugend‘

6. Interpretatorisches zu Erich Kästners ‚Spuk in Genf‘

7. Interpretatorisches zu Rilkes Erzählung ‚Die Flucht‘

8. Quellen.

1. Fahrenheit 451 von Ray Bradbury

Das Gesellschaftssystem 1

Mehrfach äußerte sich Bradbury dahingehend, sein Roman sei nicht geschrieben worden, um ein autoritäres System zu kritisieren.

Aber die Gesellschaft in Fahrenheit 451 ist autoritär organisiert. In seinem Vortrag, den Beatty, Feuerwehrhauptmann, oberster als Person im Roman erscheinender Vertreter des Systems, dem kranken Feuerwehrmann Montag hält, heißt es: „ Wir müssen alle gleich sein. Nicht frei und gleich geboren, wie es in der Verfassung heißt, sondern gleich gemacht. (S.70)2 An anderer Stelle äußert Beatty „… Judikative und Exekutive. Das bist du. Montag. Und das bin ich.“ (S.71)

Wir fragen uns, wer macht die Gesetze? Ein wichtiges, das nämlich, welches vorschreibt, dass Bücher verbrannt werden müssen, enthält das Dienstreglement, welches Stoneman und Black, Montag einsehen lassen. Es soll vom ersten Feuerwehrmann, Benjamin Franklin stammen und der habe folgende Regeln fürs amerikanische Feuerwehrwesen formuliert:

„Regeln

1. Leiste dem Alarm sofort Folge
2. Lege rasch Feuer
3. Verbrenne alles
4. Melde dich sofort zurück
5. Stehe für den nächsten Alarm bereit“ (S.43)

Das sind natürlich Fake News. Tatsächlich gab es einen Benjamin Franklin, der, da es zu seinen Lebzeiten noch kein organisiertes Feuerwehrwesen gab, versuchte, organisatorisch gegen Großbrände vorzugehen. Er „…regte die Einrichtung von Feuerwehrvereinen auf freiwilliger Basis an.3 Nach dem Vorbild Bostons sollten die Bürger sich zur Bekämpfung von Feuern in kleinen Gruppen zusammenschließen.

Die Gründung von Freiwilligen Feuerwehren, angeregt durch Franklins Leserbriefe in der Philadelphia Gazette, diente also der Bekämpfung von Großbränden, nicht dazu, Feuer zu legen.

Faber äußert, bevor er sich entschließt, Montag zur Flucht vor dem mechanischen Hund zu verhelfen: „ Bedenken Sie, dass es der Feuerwehr kaum bedarf. Die Leute haben von selbst aufgehört zu lesen. Ihr von der Feuerwehr sorgt ab und zu für eine Volksbelustigung, indem ihr Häuser in Brand steckt, aber das ist nur eine kleine Show am Rande. Es ginge auch ohne euch. Die rebellischen Gemüter sind so gut wie ausgestorben Und von den wenigen, die es noch gibt, sind die meisten Feiglinge wie ich.“ (S. 102, Hervorhebung von mir.)

Ob nun die durch die Bücherverbrennungen erzeugte Angst Ursache dafür ist, dass die Leute aufgehört haben zu lesen oder ob sie das von selbst getan haben, fest steht, es gibt für sie keine Pressefreiheit mehr. Zusammen mit der fehlenden Trennung von Judikative, Legislative und Exekutive, genauer mit der Vereinigung von Judikative und Exekutive in der Hand der Feuerwehrleute und der Jagd auf in Büchern Gedrucktes ergibt sich sehr wohl das Bild: Die Protagonisten des Romans leben in einer Art von Diktatur. Nicht nur in einem System, in dem die Medien die Menschen zu willenlosen Mitläufern gemacht haben. Ein Beispiel für die Macht, die die Medien in Fahrenheit 451 ausüben können: Als Montag noch in der Stadt flüchtig ist, werden die Bewohner der Stadt übers Fernsehen dazu aufgerufen, vor die Tür zu treten, um nach dem Flüchtigen Ausschau zu halten und tausende tun dies. Und, Montags Frau, Mildred, ist nicht die einzige Bewohnerin in dieser Stadt, deren Seelenleben mit Hilfe der ständigen Berieselung über die Fernsehwände und dem, was aus den Ohrmuscheln ertönt, zerstört wird, die medial fremdgesteuert wird. Einer der beiden Gehilfen, der mehr als dreißig Beruhigungstabletten aus Mildreds Magen heraussaugt, sagt: „Neun oder zehn solche Fälle kriegen wir jede Nacht.“ (S. 21)Was die vielen Drogenabhängigen wohl verdrängen müssen? Zum Beispiel die Angst vor Denunziation. Die Freundinnen Mildreds haben Montag heimlich angezeigt, sie meldeten, der Feuerwehr, dass dieser ein Gedicht vorlas. Und Mildred selbst zeigte ihren Mann an, da er sie dazu brachte, einige Stunden lang aus Büchern Vorgelesenes mit anzuhören. Besonders hinterhältig an ihrer Anzeigeaktion war, dass sie die Bücher, die ihr Mann im Garten versteckt hatte, ins Haus zurückholte, damit Beweismittel gegen ihn vorlagen. Die ältere Frau, die sich, ihre Bücher und ihr Haus selbst entzündete, wusste genau, wer sie denunzierte. Die anonym gehaltene Anzeige: „Habe das Dachgeschoß in Verdacht. Elm Street Nr. 11. E.B.“(S. 45) kann sie genau zuordnen. Sie erklärt Stoneman: „Das dürfte Mrs. Blake sein, von nebenan.“ ( S. 45) Die Art der geheimen Überwachung von Menschen, die die Normen des Systems nicht ganz genau befolgen und die Konsequenzen, die sich für die Überwachten ergeben, erinnern sehr an die Methoden der Gestapo im Dritten Reich. Clarisse, die und deren Familie, unter … „scharfer Beobachtung“ (S. 72) stand, wird getötet. Ihr ganzes Vergehen: Sie spazierte gerne nachts umher, um den Sonnenaufgang zu erleben, freute sich über den morgendlichen Tau auf dem Gras, sammelte getrocknete Blätter, ein paar Kastanien, verschenkte Rosen, unterhielt sich gern mit Montag. Und besonders gefährlich, sie verliebte sich und machte Montag verliebt. Sie lebte Gefühle und löste welche aus. Positive Gefühle sind eine Gefahr fürs System. Die Liquidierung von Clarisse war ein Auftragsmord. Auftraggeber: Beatty und seine Mannen. Die Tötung der jungen Frau erfolgte, obwohl man bei ihr zu Hause keine Bücher fand.

Es ist im Land der Brandstifter aber auch verboten, sich langsam fortzubewegen. Der Onkel von Clarisse z. B. wurde ins Gefängnis gesteckt, weil er zu langsam, nämlich nur 60 km pro Stunde, mit dem Auto fuhr. Schnelllebigkeit, Leben in Höchstgeschwindigkeit, ein Aspekt davon klingt in die Beattys Forderung an, Begräbnisse wegen der vielen Worte, die in Nachrufen auf Einzelne verschwendet würden, abzuschaffen. 10 Minuten darf die Einäscherung ohne Grabesrede nur noch dauern. Ein anderer Aspekt der Hochgeschwindigkeitsexistenz: Die mit Mindestgeschwindigkeit 150 km pro Stunde durch die Straßen der Stadt düsenden Turbinenautos. Wegen dieser Verkehrsmittel müssen die Reklametafeln mindestens 70 m lang sein, da bei geringerer Länge aus dem Auto nichts lesbar sein würde.

Allgemein, nicht nur Clarisse betreffend, ist es im dargestellten Gesellschaftssystem nicht erwünscht, dass man miteinander redet. Erwünscht ist, dass man Filme wie ‚Der weiße Clown‘ ansieht, in dem einzelne Clowns sich gegenseitig Gliedmaßen abhacken. Die Aggressionen von Schüler/inne/n, die sich gegenseitig umbringen sind der beschriebenen Gesellschaft nicht negativ, sie werden nicht unterbunden oder bestraft, was Clarisse zur Außenseiterin macht, da sie niemanden umbringen will und auch nicht umgebracht werden möchte. Viele Freizeitaktivitäten haben Aggressions- oder Zerstörungscharakter. Z. B. in einem Vergnügungspark Leute belästigen, Fenster in der Scheibeneinschmeißerbude einwerfen, Autos in der Autozertrümmerungshalle zertrümmern, Radkappenrennen, Schlägereien, Turbinenautorennen. Sechs von Clarisses Schulkameraden sind in einem Jahr erschossen worden 10 kamen bei Autorennen um. (vergl. S. 38) Echte Lehrer gibt es nicht. Man wird von Fernsehlehrern unterrichtet, die keine Fragen zulassen. Die Kinder werden schon im frühkindlichen Alter von ihren Eltern getrennt und kommen, wenn sie im Schulalter sind, nur einmal alle drei Monate für kurze Zeit nach Hause. Zur Unterhaltung der Erwachsenen gibt es Gewinnspiele, in denen es um Schlagertexte geht, oder in denen man möglich viele Hauptstädte nennen muss, in denen aber Fragen tabuisiert sind, deren Beantwortung die Kenntnis von Zusammenhängen, von politischem Wissen erfordert.

Beattys Theorie, und er ist prominenter Vertreter des dargestellten Gesellschaftssystems, lautet: Alles, was zum Nachdenken anregt, alles, was Problembewusstsein erzeugen könnte, muss verboten oder vernichtet werden. Bücher natürlich an erster Stelle. Denn sie enthalten immer eine Gegenwelt, sie fördern individuelles Denken und Handeln. Genau das könnte dem System gefährlich werden. Was ja Montag exemplarisch vorlebt, in dem er nach seiner Wandlung von angepassten Feuerwehrmann zum systemkritischen Rebellen seinen Vorgesetzten tötet. Denkende Menschen, so Beattys Überzeugung, sind unglückliche Menschen, also muss alles getan werden, dass die Menschen schon gar nicht anfangen, zu denken. Darum z. B. wurden Universitätslehrstühle für Ethik, Religion, Literatur geschlossen, ihre Lehrkräfte entlassen. Und darum sollen Schüler/innen keine Sprachen mehr lernen müssen, und darum wird es keinen Unterricht mehr in Philosophie und keinen in Geschichte geben. Beatty begründet die gesellschaftliche Entwicklung zur fun- und konsumorientierten asozialen Sozietät damit: Die zunehmende Anzahl der Menschen, die auf der Erde leben, bedinge ein schnelleres Leben, weniger ausführliche Information. Außerdem stünde in den literarischen ‚Werken eh nichts „:… nichts, was man glauben oder lehren könnte. Sie handel[te]n von Leuten, die es nie gab, von Hirngespinsten.“ (S.75) Und Fachbücher würden einen verdummen. Im Gegenzug fordert Beatty: „…Her mit den Clubs und den Festen, den Seiltänzern und Zauberkünstlern, den Draufgängern, den Rennwagen und Hubschraubern, her mit Sex und Drogen, mit allem, was automatische Reflexe auslöst.“(S. 74). Je lauter und nichtssagender das ist, was aus den Hörmuscheln erschallt und von den Fernsehwänden ausgestrahlt wird, umso besser. Systemziel ist es, zu desensibilisieren, ernstes Denken, wozu z. B. Dichtung anregt, Austausch im Gespräch, zu verhindern. Darum findet man, was früher üblich war, vor den Häusern kaum noch eine Veranda. Die Veranda als architektonische Komponente, die geradezu dazu einlädt, dass man abends vors Haus sitzt und miteinander redet oder faulenzt, jedenfalls nicht mehr dem sich aussetzt, was von den Fernsehwänden abstrahlt, ist ein unerwünschtes Refugium. Auch Schaukelstühle gibt es nicht mehr, sie dienen demselben Zweck und sind deshalb nicht geduldet. Da es immer weniger Gärten gibt, in denen man herumsitzen und sich mit Nachbarn unterhalten könnte, entfällt auch der direkte Kontakt zu ihnen und zur Natur direkt am Haus.

Lebendiges, eigentlich totes, Beispiel für Kommunikationsunfähigkeit ist Mildred, Montags Frau. Seit zwei Jahren hat sie nicht mehr richtig mit ihrem Mann gesprochen, ihre Worte, so Montag, sind leere Hülsen, „…akustische Seifenblasen…“ (S. 51), die auch ein Kleinkind produzieren kann. Ihr Medien- und Drogenkonsum hat sie gefühllos und gedankenlos werden lassen. Auch körperlich ist sie ein Wrack, zumindest sexuell impotent.

Das gesamte System in Fahrenheit 451 zielt darauf ab, die Menschen, die in ihm leben müssen, gleichzuschalten, sie ihrer Individualität zu berauben.

Das gefährlichste Instrument, das im Land der Brandstifter gegen die Bevölkerung eingesetzt wird, ist der mechanische Hund. Dieser Roboter kann auf die DNA eines jeden hin programmiert werden und verfehlt dann kaum jemals sein Ziel. Das Opfer wird mit Hilfe einer Nadel aus dem Maul des Hundes getötet. Die Nadel bohrt sich ins Fleisch des erjagten Systemgegners. Prokain in tödlicher Dosis wird so injiziert. Auf diese Weise tötete man einen Spaziergänger ersatzweise an Stelle von Montag, den man nicht festnehmen konnte. Es hat totalitären Charakter, dass man nicht zugeben konnte, die Jagd auf Montag sei erfolglos abgebrochen worden. Das Unterdrückungssystem wird als allmächtiges präsentiert, in dem man vorgibt, Montag getötet zu haben.

Beatty versuchte mit einer teilweisen Programmierung dieses Roboterhundes schon früh Montag in der Feuerwehrunterkunft zu verunsichern, einzuschüchtern, was auch gelang. Wenn Montag in die Nähe des Hundes kam, züngelte der ihm gefährlich entgegen. Später dann stellte der Feuerwehrhauptmann das künstliche Tier vorm Haus Montags ab, um Montag und Mildred Angst einzuflößen und gefügig zu machen.

Zur allgemeinen Einschüchterungsstrategie gehört auch, dass man die Bewohner der Stadt, um die es hier geht, wissen lässt, Krieg könne jeden Augenblick ausbrechen.

Zum beschriebenen System gehört ein einziges neutrales utopisches Element: Das sind die Lufttriebzüge. Positiv utopisch ist die Erfindung Fabers: Ein Gerät fürs Ohr, das gleichzeitig empfängt und sendet. Die ‚Schlange mit dem Elektronenauge‘(S.21) dient dazu das Innerste eines Menschen auszuspionieren. Dieses Gerät hat dystopischen Charakter.

2. Rezension ‚Fahrenheit 451‘ - ein Film von Ramin Bahrani aus dem Jahr 2018

Im Gegensatz zum Roman, in dem eine allmähliche Entwicklung der Hauptfigur Montag vom Bücherverbrenner zum Bücherbeschützer beschrieben wird, zeigt der Film keine langsam verlaufende Umkehr des Protagonisten hin zum Systemgegner.

In Bradburys epischen Zukunftsentwurf sind die ca. 9 Tage, an denen Clarisse, eine 16 jährige junge Frau, sich in den 30 Jahre alten Feuerwehrmann Montag verliebt und der sich in sie, ganz entscheidend für dessen zunehmende Kritik am systematischen Bücherverbrennen.

Das Thema ‚Bücherverbrennen‘, dominiert den Film und ist auch zentral im Originaltext aus dem Jahr 1953.

Dementsprechend hat Bahrani jene Szene, in der eine alte Frau sich und ihre Bücher und ihr Haus selbst anzündet originalgetreu übernommen. Genau bis aufs Zitat „Seid ein Mann, Master Ridley.“ (S. 49)[4] Abweichend vom Originaltext trägt die Filmfrau eine Art Büchersprenggürtel um den Bauch, womit der Regisseur auf heutige terroristische Anschläge weltweit anspielt. Überhaupt ist die Filmversion aus dem Jahr 2018 sehr gegenwartsbezogen. Erkennbar, lokalisierbar, sind die Wolkenkratzer des Times Square in New York, auf deren Fassaden ständig das Geschehen um die Bücher und Menschen verbrennenden Feuerwehrleute im sky-scraper-Riesenformat abgebildet wird. Auf den allgegenwärtigen ‚Social Media Screens‘[5] lodern die bücherverbrennenden Flammen Tag und Nacht. Neben New York werden auch Cleveland in Ohio und Washington als Städte filmisch verortet. Die Buchversion von ‚Fahrenheit 451’kennt keine genauen Ortsangaben, weil das dargestellte dystopische Geschehen eben nicht nur in Amerika sich ereignen kann. Der Dichter schrieb von einer Stadt, ohne Namen, die in einem Krieg vernichtet wird. Irgendwo im Nirgendwo. Weil die Zerstörung der Identität von Menschen allerorten sich ereignet, insbesondere da, wo Bücher verboten sind, wo es keine Pressefreiheit mehr gibt. Das Hauptmotiv des Romans, Bücher müssen verbrannt werden, weil Bücherlesen unglücklich macht, weil Lesen zum Nachdenken anregt, weil ein Bewusstsein nicht erwünscht ist, das Probleme erkennt, wird im Film zur Jagd auf die Eels (dt. Aale), die die ‚Omnis‘, das heißt das gesamte Wissen der Menschheit, das in Büchern gespeichert ist, außer Landes schmuggeln wollen, was ihnen letzten Endes auch gelingt. Die Büchermenschen haben ‚omnis‘ in die DNA eines Stars implantiert, den Montag noch rechtzeitig in Freiheit entlassen kann, ehe er selbst von Captain Bailey getötet wird. Der Vogel fliegt mit Hilfe eines Transponders, der ihm den Weg weist, nach Canada. Dort wird er von einer Genetikerin empfangen, welche die ‚omnis‘ dann mit Hilfe eines Vogelschwarms weltweit verbreitet. Wenn hier im Movie, Captain Bailey den abtrünnig gewordenen Feuerwehrmann tötet, so verbrennt Montag im Roman seinen Vorgesetzten, der ihn sowohl im Buch als auch in der filmischen Adaption dazu zwingt, sein Haus zu verbrennen. Da es in der Filmversion keine Ehefrau Mildred gibt, die Montags Bücherdiebstähle und sein Lesevergnügen verrät, müssen im Leinwandstreifen die Feuerwehrkollegen heimliches Bücherhorten anzeigen. Vor Montags Flucht hier verbrennt unser Held einen Feuerwehrkollegen und könnte auch seinen Chef abfackeln. Tut er aber nicht. Denn seine Beziehung zu diesem ist in der Kinoversion wesentlich intimer, freundschaftlicher als im gedruckten Text. Bailey sieht in Montag eine Art Ziehsohn, von dem er erwartet, dass er sein Nachfolger wird. Der Captain trainiert hier seinen Adepten auch persönlich im Boxring. Im Buch wird nicht geboxt.

Im geschriebenen Text tötet Montag zwei seiner Kollegen samt dem mechanischen Hund. Der ist eine Art Tötungsroboter, der auf ihn angesetzt war. Im Kino wird Montag von Helikopern gejagt. Und er hat hier keinen emeritierten Professor Faber zur Seite, der ihm zur Flucht verhilft. Was die Konstellation Bailey-Montag angeht, so überzeugt die Verfilmung weniger als das Buch. Im geschriebenen Text versucht der Vorgesetzte durch einen ausführlichen Vortrag seinen Untergebenen von seiner Position zu überzeugen. Um zu erklären, wie schädlich Bücherlesen sei, zitiert er aus vielen Werken der Weltliteratur. Die Kinoversion kennt diese Passage des Originals nicht. Dafür aber einen Boxkampf zwischen Bailey und Montag und eine Unterrichtsstunde, in der eine Klasse Jugendlicher indoktriniert wird und johlend zusieht, wie Montag zwei Bücher in Brand schießt, die ein Kollege in Händen hält.

Ist Clarisse im Buch eine verliebte junge sechzehnjährige Frau, die schon bald auf Anordnung von Beatty zu Tode gefahren wird, so stirbt sie als Informantin mit Montag und den anderen Büchermenschen während eine Razzia erst gegen Ende des Films. Um ihre Freizügigkeit wieder zu erlangen, informiert sie hier Bailey und seine Männer über Systemgegner und deren Vorhaben. Gleichzeitig gehört sie aber der Gruppe der Büchermenschen an, zu denen auch Montag nach einer Art Mutprobe - er soll einen seiner Kollegen töten, die Szene ist nur ein Test, kurz bevor Montags Messer gefährlich werden kann, hält man ihn zurück - gestoßen ist. Im Kino genießen wir, dass Montag eine etwa gleichaltrige Clarisse küsst, beim Lesen von Fahrenheit 451 begnügen wir uns mit roten Rosen an der Haustür des Geliebten und mit einer Schlafzimmerszene, in der Montag und seine Frau Mildred die Hauptrollen übernommen haben. Lange versucht Montag im Roman die Ehefrau für die Freuden des Bücherlesens zu gewinnen, versucht sie zurückzuerobern, weg von den Fernsehwänden und der ständigen Berieselung aus den Ohrmuscheln. Er scheitert. Gerade deshalb überzeugt uns ihr Verrat und gerade deshalb wirkt Montag in der Rolle des späten Systemgegners glaubhaft.

Insgesamt ist Ramin Bahranis Verfilmung ziemlich weit weg vom Original, jedenfalls wesentlich weiter weg als die Truffauts. Vor allem fehlt manchmal eine stichhaltige Begründung dafür, warum wer gerade wie handelt. Legte Truffaut einen Schwerpunkt auf genaue Darstellung von Denunziation, so fokussiert Ramin Bahrani schnelle Entscheidungen, action pur, oft ohne ausreichend erklärte Motive fürs Handeln. In der deutschsprachigen Filmversion verstehen wir z. B. nicht genau, was demjenigen geschieht, der eine Art elektrischen Handschuh angezogen bekommt, was ja offensichtlich als Bestrafung gedacht ist für nichtangepasstes Verhalten. Ist das Ganze eine Art digitaler Handfessel, wie wir im Strafvollzug die digitale Fußfessel verwenden, wenn wir immer genau wissen wollen, wo sich ein Sträfling gerade aufhält?

3. Rezension zu Françoise Truffauts Fahrenheit 451 - Eterprise Vineyard-Film, Pinewood Studios London, 1966

Was macht Truffaut aus Bradburys Roman ‚Fahrenheit 451‘6

Einen guten Film, das sei vorab schon gesagt. Warum ist die Verfilmung gut? Die spannungsgeladen. Dafür sorgen nicht nur der Plot sondern auch die Musik, die besonders deutlich dann, wenn der Salamander, also das Feuerwehrauto, zu neuem Einsatz ausfährt, die Funktion hat, zu dramatisieren. Was denn auch in hohem Maße gelingt. Nur zum Ende des Films hin, also in jener Schlussszene, in der die Büchermenschen ziemlich durcheinander quer durch den Wald laufen, aus Werken der Weltliteratur Texte auswendig lernend, diese rezitierend, lässt die Spannung nach. Truffaut wäre nicht Truffaut, hätte er nicht auch diese Schlusssequenz sehr genau filmisch ausgearbeitet. So ist dieser langsame Schluss bewusst als Gegensatz zum aktionsgeladenen Vorangegangenen konzipiert. Was bewirkt, dass die Dramatik der vorherigen Passagen durchs ruhige Ausklingen der filmischen Handlung verstärkt wird. Auch jene Szene, in der ein sterbender alter Büchermensch sein im Kopf gespeichertes literarisches Wissen an einen Jungen weitergibt, ist große Filmkunst. Denn, was der Junge dem alten Büchermenschen nachspricht, um es auswendig zu lernen, ist ein Text, welcher das Sterben eines alten Mann erzählt, wobei der Tod im Rezitierten kommt, wenn der erste Schnee fällt. Insofern im Wald bei den Büchermenschen auch der erste Schnee gerade fällt, als der alte Büchermensch stirbt, wird deutlich: Literatur und Realität haben sehr wohl etwas miteinander zu tun. Captain Beattys Behauptung, was in Romanen stünde, habe absolut nichts mit der Wirklichkeit zu tun, sei somit überflüssig, müsse verbrannt werden, konnte mit der beschriebenen Filmsequenz überzeugend widerlegt werden. Dieser Teil der Handlung kommt in Bradburys Roman nicht vor. Wie auch manche andere Szenen, auf die noch näher eingegangen werden soll.

Eine solche ist zum Beispiel die, in der Clarisse Montag bei den Büchermenschen wieder begegnet. Im Roman wird die junge Frau überwacht und dann eliminiert. Das Happyend Truffauts weicht maßgeblich vom Ende des Romans ab. In Bradburys Dystopie, die am Ende zur Utopie wird, gibt es kein Wiedersehen der beiden Liebenden. In der Romanversion bekommt Montag keinen Damenbesuch im Wald. Im Film ist die Beziehung zwischen Clarisse und Montag auf Zusammenarbeit hin angelegt, eine rein platonische Angelegenheit, obwohl das Bücher lesende Paar ziemlich gleichaltrig ist und eigentlich besser zusammenpasst als Clarisse und Montag im Buch. Der Liebesbeziehung im Buch steht eine subversive Arbeitsgemeinschaft im Film gegenüber. Kinowirksam ist natürlich auch fast immer eine Bettszene. Und so bekommt Linda7 nach ihrem totalen Zusammenbruch, verursacht durch Drogenmissbrauch, nicht nur normalen Appetit sondern auch Lust aufs Schlafen mit Montag. Im prosaischen Alltag, in der Bradburystory dagegen haben sie die Ausstrahlungen der Fernsehwände und der Geräusche aus den Ohrmuscheln und ihr Drogenkonsum frigide werden lassen.

[...]


1 Ray Bradbury, Fahrenheit 451, Wilhelm Heyne Verlag, München, 2018. Alle Angaben zu Seitenzahlen beziehen sich auf diese Ausgabe von Bradburys Werk. Hervorhebung von mir.

3 https://de.wikipedia.org/wiki/Benjamin_Franklin

4 Ray Bradbury Fahrenheit 451,Heyne Verlag München, 2010

5 http://www.spiegel.de/kultur/kino/fahrenheit-451-mit-michael-b-jordan-wenn-wieder-buecher-brennen-a-1208085.html

6 RAY BRADBURY, FAHRENHEIT 451, Roman, Wilhelm Heyne Verlag, München, 2013. Übersetzung, Fritz Güttinger.

7 Im Buch heißt Montags Frau Mildred, im Film ist ihr Name Linda. Im Film spielt die Schauspielerin Julie Christie beide Rollen, die von Clarisse und die von Linda.

Ende der Leseprobe aus 34 Seiten

Details

Titel
Aufgaben und Lösungen für die Vorbereitung auf die Deutschprüfung an Realschulen 2019 (Teil 2)
Autor
Jahr
2019
Seiten
34
Katalognummer
V454837
ISBN (eBook)
9783668887770
ISBN (Buch)
9783668887787
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Ich gebe meine Arbeit nur frei, wenn davon eine Broschüre in Ihrem Verlag veröffentlicht wird. verkaufspreis 15. €.
Schlagworte
Truffaut, Ramin Bahrani
Arbeit zitieren
OStR Gert Singer (Autor:in), 2019, Aufgaben und Lösungen für die Vorbereitung auf die Deutschprüfung an Realschulen 2019 (Teil 2), München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/454837

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