Eine Untersuchung der Dativphrase in apD-Konstruktionen unter besonderer Berücksichtigung des Aspekts der Belebtheit


Hausarbeit, 2018

25 Seiten, Note: 1,0

Nina Löwenzahn (Autor:in)


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Der adnominale possessive Dativ

3. Reanalyse

4. Eigenschaften der Dativphrase

5. Korpus-Analyse
5.1 Gestaltung der Suchanfragen
5.2. Ergebnisse
5.3. Auswertung und Diskussion

6. Fazit und Ausblick

Literaturverzeichnis

Selbstständigkeitserklärung

Anhang

1. Einleitung

Es gehen noch gewisse Redensarten hier zu Lande im Schwange, welche ebenfalls einen offenbaren Mißbrauch der Fürwörter in sich enthalten; indem man dieselben hinsetzet, wo sie keineswegs hingehören. Es heist z.B. das ist meinem Herrn sein Sohn, das ist meiner Schwester ihr Erbteil, u.d.gl.

(Hemmer (1769), zitiert nach Davies & Langer 2006: 163)

Mit diesen Worten kritisiert der Sprachforscher des 18. Jahrhunderts Jakob Johann Hemmer die Struktur des adnominalen possessiven Dativs (im Folgedenden apD)1, der insbesondere seit Bastian Sicks Der Dativ ist dem Genitv sein Tod ein beliebtes Forschungsgebiet in der Linguistik geworden ist. Konstruktionen wie dem Dozenten sein Lieblingsthema, die von Grammatiken und Sprachpflegern als redundant und unästhetisch bezeichnet werden (vgl. Davies & Langer 2006: 163-165), halten sich trotzdem aufgrund ihrer Funktionalität in der gesprochenen Sprache (vgl. Zifonun 2005: 47f.). Der Aufbau des apDs ist in der bisherigen Forschung detailliert ausgearbeitet worden. Er besteht aus einer Dativphrase, die den Besitzer, den Possessor, beschreibt, und einer Nominalphrase, die durch ein Possessivpronomen eingeleitet wird und das Besitze ausdrückt, das Possessum (vgl. Zifonun 2003: 96f.). Auch die Reanalyse als Entstehungsmöglichkeit des apDs ist zu weiten Teilen einheitlich dargestellt (vgl. Zifnonun 2003: 114-117, Ágel 1993: 6f., Fleischer & Schallert 2011: 96-99). Darüber, ob die Konstruktion des apDs nur – wie ursprünglich – auf belebte Besitzer Anwendung findet, oder ob der Anwendungsbereich im heutigen Deutsch auch auf unbelebte Entitäten in der Dativphrase erweitert werden kann, herrscht allerdings Uneinigkeit.

In dieser Arbeit soll untersucht werden, inwiefern von einer Extension der Anwendungsbereiche des apDs gesprochen werden kann. Exemplarisch wird sich die Arbeit mit der Erweiterung von lediglich belebten Possessoren auf unbelebte beschäftigen. Um zu untersuchen, ob der Grammatikalisierungsprozess des apDs fortgeschritten ist, wird im Folgenden zunächst eine kurze Vorstellung der Struktur gegeben, aus der auch die Funktionalität des apDs hervorgeht. Daraufhin wird die diachrone Entstehung durch Reanalyse zeigen, wie sich der apD bis zum gegenwärtigen Gebrauch entwickelt hat. Anschließend wird der bisherige Forschungsstand zum Possessor und seinen Eigenschaften dargestellt. Es folgt eine Korpusanalyse, aus der hervorgehen soll, ob sich unbelebte Possessoren in apD-Strukturen finden lassen. Die Ergebnisse werden dann ausgewertet und ein abschließendes Fazit resümiert die Erkenntnisse.

2. Der adnominale possessive Dativ

Der adnominale possessive Dativ wie beispielsweise in dem Dozenten sein Lieblingsthema setzt sich aus einer Dativphrase und einer weiteren substantivischen Konstituente zusammen, die mit einem Possessivpronomen eingeleitet wird. Die Dativphrase drückt den Possessor aus. Dasjenige, was besessen wird, das Possessum, ist das Kopfsubstantiv (vgl. Zifonun 2003: 97). Das Possessivpronomen stimmt in Genus und Numerus mit dem Possessor überein (vgl. ebd.: 102f.). Es kann aber auch zu dialektalen Abweichungen kommen, wenn für einen femininen Possessor der Stamm sein als Possessivpronomen verwendet wird: der Mutter seine Haube (vgl. Henn-Memmesheimer 1986: 132). Im Beispiel ist der Possessor feminin, das einleitende Possessivpronomen allerdings maskulin oder neutrum. Sie sind also nicht genuskongruent. Die Konstruktion ist auf die 3. Person im Singular und Plural beschränkt, sodass Ausdrücke wie * mir mein oder * dir dein auszuschließen sind (vgl. Zifonun 2005: 30). Der Possessor darf also nicht mit dem Sprecher oder seinem direkten Gegenüber identisch sein.

Die gesamte Konstruktion ist syntaktisch frei und kann somit die Funktion von Subjekt, Dativobjekt und Akkusativobjekt im Satz übernehmen. Auch als Teil eines präpositionalen Ausdrucks kann der apD fungieren: Für dem Hans seinen Hut habe ich fünf Mark bezahlt. Lediglich in einem (oder als) Genitivobjekt oder -attribut können apDs nicht verwendet werden, was logisch ist, da der apD eine Ersatzform des Genitivs ist (vgl. ebd.: 31). Die apD-Konstruktion ? Wir gedenken [dem Bruder seines Kindes] ist demnach fragwürdig. Da das Verb gedenken im gegenwärtigen Deutsch dennoch häufig mit dem Dativ gebildet wird, mag der Satz akzeptabel erscheinen. Es kommt allerdings zu einer inhaltlichen Veränderung, da im Beispielsatz dem Bruder gedacht wird, seines Kindes ist attributiv zu analysieren. Mit der apD-Konstruktion wäre die Sachlage umgekehrt: In Wir gedenken dem Bruder seinem Kind ist zwar der falsche Kasus gewählt, trotzdem ist klar, dass das Kind gestorben ist und nicht der Bruder. In diesem Beispiel wird außerdem deutlich, dass sich der Possessum-Ausdruck der syntaktischen Funktion des apDs anpasst. Der Dativ des Possessor-Ausdrucks hat keinen Einfluss auf das eingenommene Satzglied. Semantisch gibt es keine Restriktionen bezüglich des Possessums: Sämtliche Entitäten können eingesetzt werden (vgl. Wegener 1985: 49).

Der apD konkurriert mit den standardsprachlichen Konstruktionen besonders aufgrund der dem Possessum vorangehenden Dativphrase, dem adnominalen Possessor. Die adnominale Position des Possessors stellt vor allem für den Hörer einen referentiellen Anker dar, der gleichzeitig ausdrückt, dass es sich um ein Zugehörigkeitsverhaltnis zwischen Possessor und Possessum handelt (vgl. Zifonun 2005: 27). Zum einen kann der Hörer direkt einordnen, dass es sich um einen possessiven Ausdruck handelt, zum anderen ist es ihm auch möglich, den Gedanken des Sprechers kognitiv einfach zu folgen: Die Dativphrase ist insofern referentiell, als sie einen Possessor, der schon genannt wurde oder dem Hörer generell bekannt ist, wieder aufgreift. Hier kann der Hörer anknüpfen und Informationen wie das Possessum oder konkretisierende Angaben kategorisiert verarbeiten. Diese Phrase ist ausbaubar, das heißt, dass durch monotone Linksverzweigung komplexe Possessor-Ausdrücke entstehen: „[[[dem Nachbarn seiner Mutter] ihrer Schwester] ihr Mann]“ (ebd.: 48). Auch bei dieser internen Strukturierung der Dativphrase des apDs kann der Hörer leicht folgen, da das bekannteste Element zuerst genannt wird. „Dat+Poss-Ketten sind grundsätzlich monoton und bieten somit keinerlei Anlass zur Mehrdeutigkeit“ (ebd.: 48). Während es eine Vielzahl an möglichen Interpretationen eines Genitivattributs gibt, ist das Verhältnis beim apD eindeutig.

In der Forschung gibt es zur Struktur und den Vorteilen des apDs konkrete Ergebnisse. Die Entstehung der Konstruktion durch Reanalyse ist ebenfalls eine größtenteils angenommene Konzeption. Da es sich um die Reinterpretation zweier Konstituenten handelt, die ihre Bedeutung teilweise beibehalten haben, kann ein Blick auf die Entstehung Aufschluss über die Entwicklung der Anwendungskontexte geben.

3. Reanalyse

Unter Reanalyse ist der diachrone Prozess zu verstehen, bei dem die hierarchische Struktur innerhalb von Sätzen verändert wird, gleichzeitig aber die Semantik der einzelnen Elemente erhalten bleibt (vgl. Zifonun 2003: 118). Ein gradueller Prozess ist allerdings ausgeschlossen, da die Relation zwischen den Konstituenten durch Reinterpretation nur abrupt verändert werden kann. Reanalyse kann als Verschiebung der syntaktischen Gliederung innerhalb eines Ausdrucks verstanden werden (vgl. Paul 1919: 326). Wie Behaghel schreibt „hat sich [der adnominale possessive Dativ] in den Fällen herausgebildet, wo der sympathetische Dat. unmittelbar neben der im Besitz befindlichen Größe stand“ (1923: 638). Demnach wurde ein ursprünglich adverbaler Dativ, meistens ein dativus commodi oder incommodi 2, der sich in direkter Nachbarschaft zu einer weiteren Konstituente im Akkusativ befand, reinterpretiert und als adnominal zu ebendieser folgenden Konstituente aufgefasst.3 Es kommt also zur „semantischen Umdeutung in Sätzen“ (Elspaß 2005: 327), bei denen der Dativ vom Verb abhängt und allein das Possessivpronomen die Funktion des Besitzausdrucks innehat (vgl. Ágel 1993: 6, Zifonun 2003: 121). Zifonun erklärt, dass es in der althochdeutschen Zeit eine längere Periode mit Zweifelsfällen bezüglich der Lesart gegeben habe (vgl. 2003: 121). Als Beispiel führt sie den oft gewählten Fall aus den Merseburger Zaubersprüchen des 9. Jahrhunderts an:

du uuart demo Balderes folen sin vuoz birenkit.

Da wurde dem Balders Fohlen sein Fuß verrenkt.

Das Verb verrenken kann mit einem Dativ- und gleichzeitig einem Akkusativobjekt verwendet werden. Werden die Konstituenten separiert analysiert, handelt es sich um eine adverbale Lesart des Dativs (dem Balders Fohlen). Nahe liegt in diesem Beispiel allerdings auch die adnominale Interpretation der Gesamtkonstruktion, bei der Dativ und Akkusativ zusammengefasst sind und eine Konstituente bilden (dem Balders Fohlen sein Fuß). Ähnliche Zweifelsfälle sind bei vielen Sätzen mit Verben zu finden, die eine Bildung mit Akkusativ und dem dativus commodi oder incommodi erlauben. Es kann hier die Klasse der Transaktionsverben angeführt werden (vgl. Schmid 2006: 868). Die Reinterpretation ist allerdings nur deshalb möglich, da sich der eigentliche Sinn der Aussage in beiden Lesarten nicht verändert (vgl. Zifonun 2003: 118).

[...]


1 In der Forschung lassen sich neben der Bezeichnung adnominaler possessiver Dativ noch weitere Begriffe für diese Konstruktion finden: z.B. Dat+Poss, possessiver Dativ, adnominaler Dativ oder possessives Dativattribut.

2 Durch den „dativus commodi/incommodi wirkt sich die Verbhandlung für den Referenten des Dativs positiv/negativ aus, ohne daß dieser direkt in die Verbhandlung hineingezogen wird“ (Ebert 1993: 361). Nach Schmid ist Behaghels sympathetischem Dativ ebendiesen dativus commodi / incommodi gleichzusetzen (vgl. 2006: 951).

3 Burridge sieht in ihrer Arbeit insbesondere die Kontexte als Ausgangspunkt der Entwicklung des apDs, in denen es sich um „body part expressions“ handelt wie z.B. dem sein Bauch ist kalt (1990: 30ff.).

Ende der Leseprobe aus 25 Seiten

Details

Titel
Eine Untersuchung der Dativphrase in apD-Konstruktionen unter besonderer Berücksichtigung des Aspekts der Belebtheit
Hochschule
Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
25
Katalognummer
V454975
ISBN (eBook)
9783668864580
ISBN (Buch)
9783668864597
Sprache
Deutsch
Schlagworte
dativphrase, belebtheit, possessiv, substandard, apD, linguistik
Arbeit zitieren
Nina Löwenzahn (Autor:in), 2018, Eine Untersuchung der Dativphrase in apD-Konstruktionen unter besonderer Berücksichtigung des Aspekts der Belebtheit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/454975

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