Leseprobe
Inhalt
1. Einleitung
2. Faschismus
2.1. Etymologie
2.2. Definitionsversuch
3. Austrofaschismus
3.1. Der Weg in die Diktatur
3.2. Stützen des Systems
3.2.1. Katholische Kirche
3.2.2. Heimwehren
3.2.3. Vaterländische Front
3.3. Bewertung des ‚austrofaschistischen’ Systems
4. Politischer Katholizismus und Ständestaat
5. Situation für die Evangelischen Kirchen
6. Geschichtsbild und Resümee
7. Literatur
1. Einleitung
Diese Arbeit stellt eine deskriptive Zusammenstellung des österreichischen Herrschaftssystems der Jahre 1933 bis 1938 dar. Es ist dies ein wissenschaftlich kontroverses Thema und selbst heute noch ein Politikum. Nicht nur die Bewertung der Protagonisten, sondern auch der Charakter des Systems insgesamt sind strittig.
Im Titel dieser Arbeit sind zudem drei Begriffe enthalten, die jedenfalls zur Beschreibung des Systems näher beleuchtet werden müssen. Zwar sind sie in der Diskussion über die Zeit von 1933–1938 in ‚aller Munde’, jedoch sind sie wissenschaftlich sehr umstritten. Das Zusammenfassen der österreichischen Geschichte dieser Zeit mit einem einzigen Begriff misslingt meist, denn eine allgemein anerkannte Definition ist nicht einfach. Das Ergebnis ist, dass die theoretische Einordnung des politischen Systems in Österreich für die Zeit von 1933–1938 mehr oder weniger stark diskutiert wird.
Im Rahmen dieser Arbeit werde ich zuerst dem Begriff des Faschismus nachgehen, um anschließend die österreichische Ausprägung – den ‚Austrofaschismus’ – zu besprechen. Über den politischen Katholizismus und den Ständestaat werde ich zu einer kurzen Darstellung der Situation für die Evangelischen Kirchen in Österreich kommen, bevor resümierend auch das Geschichtsbild – und es wird gezeigt werden, dass es „das“ Geschichtsbild nicht gibt – beschrieben wird.
Schwer fiel im Zusammenhang mit der Beschäftigung mit dem Stoff die begriffliche Verwirrung betreffend des Begriffs ‚Austrofaschismus’. Da ich letztlich zu dem Schluss gekommen bin, dass es sich nicht um einen faschistischen Staat handelt, habe ich den Terminus ‚Austrofaschismus’ immer unter Anführungszeichen geschrieben. Ich bin mir dessen bewusst, das ich damit wertend in die Beschreibung eingreife. Das scheint mir aber keine Verletzung der akademisch bedungenen Neutralität zu sein, da es in diesem Themenfeld – wie erwähnt – schlicht und ergreifend noch keinen Konsens über die Begrifflichkeit gibt. Es wird also immer noch um das Geschichtsbild der jüngsten österreichischen Vergangenheit gestritten. Das alleine ist schon interessant, da die Deutungen relativ exakt entlang der politischen Präferenzen zu gehen scheinen.
Schließlich ist noch anzumerken, dass allein aus Gründen der besseren Lesbarkeit in dieser Arbeit die Sprachform des generischen Maskulinums angewendet wird. Ich weise daher darauf hin, dass die ausschließliche Verwendung der männlichen Form geschlechtsunabhängig verstanden werden soll; außer in Fällen, wo sich ausdrücklich und aus dem Kontext die männliche Form erschließt.
2. Faschismus
2.1. Etymologie
Der Begriff Faschismus stammt aus dem Italienischen und bedeutet wörtlich übersetzt Bündlertum und leitet sich vom lateinischen fascis, dem Rutenbündel der römischen Liktoren ab. Begriffsgeschichtlich interessant, sagt dies aber nichts über das Wesen dessen aus, was faschistisch ist oder sein soll, denn der Begriff Faschismus ist – im Gegensatz zu den anderen Ismen gewissermaßen inhaltsleer1. Der Name wurde von Benito Mussolini geschöpft. Er gründete 1919 eine Terrorgruppe namens Fasci di combattimento (Kampfb ünde) und 1921 die Partei Partito Nazionale Fascista (Nationalbündlerische Partei). Die Bewegung als ganzes und auch der von Mussolini 1922 errichtete Staat wurden als Fascismo bezeichnet. Nach 1922 wurde der Begriff fascismo auch auf verschiedene andere nichtitalienische Parteien und Regime übertragen. Dies häufig ohne zu fragen oder gar zu prüfen, ob sie Ähnlichkeiten mit dem italienischen Original hatten. So bildet sich aus dem fascismo der Begriff Faschismus, den Nolte zum ersten Mal als Epochenbegriff verwendete. Er kennzeichnete damit eine Gruppe politischer Bewegungen im Europa zwischen den Weltkriegen2.
2.2. Definitionsversuch
Eine Definition des Begriffs Faschismus gestaltet sich als schwierig, da – wie erwähnt – einerseits der Begriff nichts über sein Wesen aussagt. Anderseits haben die meisten europäischen Bewegungen der Zwischenkriegszeit, die man im Allgemeinen als faschistisch bezeichnet, dieses Wort überhaupt nicht verwendet haben. Dies durchaus im Gegensatz zu den kommunistischen Parteien und Regime, wo fast alle es vorzogen, sich als kommunistisch zu bezeichnen.3 Hinzukommt, dass jede Definition abhängig von der Zeit ist, in der sie vorgenommen wurde und ebenso vom politischen Standpunkt.
Im Allgemeinen wird Faschismus als historisch-politischer Oberbegriff für verschiedene rechtsgerichtete, antidemokratische Bewegungen oder Diktaturen, vor allem nach dem Ersten Weltkrieg, benutzt. Was Faschismus aber genau ist oder sein soll, wurde vornehmlich von seinen Gegnern bestimmt. Allen voran von den Kommunisten. Sie haben Theorien des bzw. über den Faschismus entwickelt.4 Seit den 1920er Jahren wird eine intensive Debatte um den Faschismus als Gattungsbegriff geführt, der über die von Mussolini geführte Bewegung und Diktatur hinausgehen und auch ähnliche Organisationen und Regimes in anderen europäischen Staaten kennzeichnen soll. Dabei zielte die empirische Forschung vorrangig auf die Identifizierung struktureller Kernelementen des Faschismus.5
Ernst Nolte, hat, wie schon erwähnt, den Faschismus erstmals als Epochenbegriff für die Zeit von 1917–1945 verwendet. In dieser Zeit sah man es als notwendig an, der Bedrohung durch die Sowjetunion mit faschistischen Mitteln zu begegnen. Er definierte als erster ‚bürgerlicher’ den Faschismus als „ Antimarxismus, der den Gegner durch die Ausbildung einer radikal entgegengesetzten und doch benachbarten Ideologie und die Anwendung von nahezu identischen und doch charakteristisch umgeprägten Methoden zu vernichten trachtet, stets aber im undurchbrechbaren Rahmen nationaler Selbstbehauptung und Autonomie “.6 Diese Definition erlaubte es Nolte, neben dem Nationalsozialismus und Mussolinis Faschismus auch die Action française, eine rechtsextreme französische Bewegung, damit abzudecken. Diese Definition führte aber dazu, dass alle Regime, die eine antikommunistische Diktatur anstrebten, als faschistisch angesehen wurden. Gegen diese These wandte sich der israelische Politologe Zeev Sternhell, der Untersuchungen von bereits im Vorfeld der Oktoberrevolution geläufigem präfaschistischem Gedankengut (Radikalisierung des Konservativismus) durchführte.7
Bemerkenswert sind die Definitionsversuche, wonach man den Faschismus als Politische Religion zu begreifen versucht. Dieser im Jahr 1938 von Eric Voegelin geprägte Begriff sollte die zu der Zeit in Europa herrschenden Regime beschreibbar machen, was mit althergebrachten Begriffen wie ‚Diktatur’ oder ‚Tyrannis’ nicht hinreichend möglich war. Die Grundthese dieses Entwurfs sieht vor, dass die Funktions- oder Erscheinungsweise totalitärer Systeme eine strukturelle Ähnlichkeiten mit Religion aufweist. Die Gefolgschaft der Masse in solchen Systemen ist dabei zumindest teilweise mit Hilfe religiöser Kategorien und Begriffe zu erklären.8 Nach dem 2. Weltkrieg war das Konzept nicht mehr so gebräuchlich, wurde aber in den 1990er Jahren wieder aufgenommen. Federführend war dabei der italienische Faschismusforscher Emilio Gentile, der den Begriff Palingenese prägte. Dieser aus der Theologie entnommene Begriff bezeichnet die Schöpfung oder Neugeburt einer neuen Gesellschaft. Der deutsche Historiker Sven Reichardt führt das Verständnis von Gentile mit Blick auf den italienischen Faschismus weiter aus:
„[D] ie Faschisten [kreierten] einen Glauben an die Nation, den Duce und die Partei, wobei diese ‚Politische Religion’ zur Grundlage der faschistischen Kultur wurde. Es war ein aus seiner Sicht militärischer und revolutionärer Totalitarismus, der ‚die Mythen und Werte einer palingenetischen Ideologie’ vertrat und die ‚sakralisierten Formen einer politischen Religion annahm’, um einen Neuen Menschen zu kreieren. Der italienische Faschismus habe diesen Totalitarismus als Erster in die Welt gesetzt, wobei Staat und Partei miteinander verschmolzen.“9
Der deutsche Nationalökonom, Kultursoziologe und Urheber des Begriffs und Mitbegründer der Sozialen Marktwirtschaft, Alfred Müller-Armack, deutete den Nationalsozialismus in seiner 1948 veröffentlichten Studie als religionssoziologische Ersatzreligion in einer Zeit des Glaubensabfalls.10 Innerhalb der Forschung wird die Zuordnung des Nationalsozialismus und anderer Faschismen zur Politischen Religion kritisch gesehen, weil er die Wirklichkeit der entsprechenden Systeme nicht erfasst.11
Eine etwas lange Definition des Begriffs Faschismus lieferte 2004 der amerikanische Politologe Matthew Lyons [Hervorhebungen DB]:
„[1] Faschismus ist eine Form rechtsextremer Ideologie, die die Nation oder Rasse als organische Gemeinschaft, die alle anderen Loyalitäten übersteigt, verherrlicht.
[2] Er betont einen Mythos von nationaler oder rassischer Wiedergeburt nach einer Periode des Niedergangs und Zerfalls.
[3] Zu diesem Zweck ruft Faschismus nach einer ‚ spirituellen Revolution ‘ gegen Zeichen des moralischen Niedergangs wie Individualismus und Materialismus und zielt darauf, die organische Gemeinschaft von ‚andersartigen’ Kräften und Gruppen, die sie bedrohen, zu reinigen. Faschismus tendiert dazu, Männlichkeit, Jugend, mystische Einheit und die regenerative Kraft von Gewalt zu verherrlichen.
[4] Oft – aber nicht immer – unterstützt er Lehren rassischer Überlegenheit, ethnische Verfolgung, imperialistische Ausdehnung und Völkermord. Faschismus kann zeitgleich eine Form von Internationalismus annehmen, die entweder auf rassischer oder ideologischer Solidarität über nationale Grenzen hinweg beruht.
[5] Normalerweise verschreibt sich Faschismus offener männlicher Vorherrschaft, obwohl er manchmal auch weibliche Solidarität und neue Möglichkeiten für Frauen einer privilegierten Nation oder Rasse unterstützen kann.“12
Typische Elemente faschistischer Strömungen nach Gentile13 sind
- das Führerprinzip
- der Totalitätsanspruch
- die am Militär orientierte Parteiorganisation
- eine kulturstiftende, auf Mythen, Riten und Symbolen basierende, irrationale weltliche Ersatzreligion
- eine korporative, hierarchische Wirtschaftsorganisation
- sowie ein totalitäres, in Funktionshierarchien gegliedertes Gesamtmodell der Gesellschaft.
Den Faschismus kennzeichnet also idealtypisch
„[1] eine hierarchisch strukturierte, am Führerprinzip orientierte Parteiorganisation
[2] die doppelte Gegnerschaft gegen Liberalismus und Sozialismus [also antiliberal und antimarxistisch]
[3] das Ziel eines autoritären Regimes bzw. eines totalitären Staates [Auflösung der parlamentarischen Demokratie]
[4] die Befürwortung von Gewalt als Mittel der Politik
[5] die Orientierung an militärischen Handlungsweisen und Organisationsformen und
[6] eine eklektische Ideologie, die in der Idealisierung der eigenen Volksgemeinschaft und der aggressiven Ablehnung alles Fremden einem übersteigenden Nationalismus bzw. Rassismus folgt, auf einen charismatischen Führer zugeschnitten ist und eine Rückbesinnung auf romantische bzw. reaktionäre Traditionen mit einer Vergötzung des modernen technologischen Fortschritts verquickt.“14
Wie ersichtlich, ist die Definition des Begriffs Faschismus nicht so einfach. Und in der Tat konnte die Forschung bisher nur zwei Prototypen des Faschismus – nämlich Italien und Deutschland – definieren. Die anderen meist ebenso als faschistisch bezeichneten Systeme in der Zwischenkriegszeit werden üblicherweise mit dem Sammelbegriff autoritäre Regime subsumiert, wobei es auch hier keine allgemein anerkannte Definition gibt.15
Als Arbeitsdefinition könnte man daher Faschismus als eine extrem nationalistische, nach dem Führerprinzip organisierte, antiliberale und antimarxistische Bewegung, Ideologie oder Herrschaftssystem bezeichnen, das die parlamentarische Demokratie ablösen möchte.
[...]
1 Vgl. Schieder, Wolfgang: Faschismus. In: Sowjetsystem und Demokratische Gesellschaft : Eine vergleichende Enzyklopädie, hg. von Claus Dieter Kernig, Bd. 2 (Diplomatie bis Identität), Herder, Freiburg i.Br. 1968, 439–477.
2 Vgl. Nolte, Ernst: Der Faschismus in seiner Epoche: Action française – Italienischer Faschismus – Nationalsozialismus. Piper & Co, München 1963, 23–26.
3 Vgl. Payne, Stanley G.: Geschichte des Faschismus : Aufstieg und Fall einer europäischen Bewegung. Propyläen, Berlin 2001, 11f.
4 Vgl. Wippermann, Wolfgang: Faschismus : eine Weltgeschichte vom 19. Jahrhundert bis heute. Primus, Darmstadt 2009, 7.
5 Vgl. Bauerkämper, Arnd: Der Faschismus in Europa 1918–1945. Reclam, Stuttgart 2006, 27f.
6 Nolte, Ernst: Der Faschismus in seiner Epoche: Action française – Italienischer Faschismus – Nationalsozialismus. Piper & Co, München 1963, 51.
7 Vgl. Sternhell, Zeev: Von der Aufklärung zum Faschismus und Nazismus : Reflexionen über das Schicksal der Ideen im 20. Jahrhundert. In: Geschichte nach Auschwitz, hg. von jour fixe initiative berlin, Unrast, Münster 2002, 61–94.
8 Voegelin, Eric: Die politischen Religionen / Eric Voegelin. hg. von Peter J. Opitz, Wilhelm Fink, Paderborn 3. Aufl. 2007.
9 Reichardt, Sven: Neue Wege der vergleichenden Faschismusforschung. In: Faschismustheorien, Mittelweg 36 : Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Bd. 16. Jg., 1/2007, 9–25, 15.
10 Müller-Armack, Alfred: Das Jahrhundert ohne Gott : Zur Kultursoziologie unserer Zeit. Regensberg, Münster 1948.
11 Vgl. Schreiber, Jürgen: Politische Religion, Geschichtswissenschaftliche Perspektiven und Kritik eines interdisziplinären Konzepts zur Erforschung des Nationalsozialismus. Tectum, Marburg 2009, 95f.
12 Lyons, Matthew N.: What is Fascism? (Originalartikel aus 1997, überarbeitet 2016), Political Research Associates, http://www.politicalresearch.org/2016/12/12/what-is-fascism-2/#sthash.78QOp1zk.dpbs [aufgerufen am: 20. März 2017].
13 Vgl. Gentile, Emilio: Der Faschismus : Eine Definition zur Orientierung. In: Faschismustheorien, Mittelweg 36 : Zeitschrift des Hamburger Instituts für Sozialforschung, Bd. 16. Jg., 1/2007, 81–99.
14 Rieger, Günter: Faschismus/Faschismustheorie. In: Lexikon der Politikwissenschaft : Theorien, Methoden, Begriffe, hg. von Dieter Nohlen und Rainer-Olaf Schultze, C.H. Beck, München 2010, 245.
15 Vgl. Tálos, Emmerich: Das austrofaschistische Herrschaftssystem. In: Austrofaschismus : Politik–Ökonomie–Kultur : 1933–1938, hg. von Emmerich Tálos und Wolfgang Neugebauer, Lit Verlag, Wien 5. Aufl. 2005, 394–420, 415.