Am Ende der Moral? Zu A. MacIntyre´s pessimistischer Moraldiagnose und deren Überwindungsstrategie in 'After Virtue'


Diplomarbeit, 2004

101 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Reform oder Revolution?
Eine Einführung in die Problemstellung

2. Philosophie oder Propaganda?
Über Intentionen und Methoden
2.1 Der Erkenntnisweg zur Lebensaufgabe
2.2 Konzeption, Methode und Darstellungsweise

3. Die Demontage des „Projekts der Aufklärung“
Darstellung und Ursachenanalyse des jetzigen moralischen Verfallszustandes.
3.1 Die emotivistische Gegenwartskultur
3.1.1 Das moralische Dilemma als Ansatzpunkt
3.1.2 Der Emotivismus als Ursachenanalyse.
3.1.3 Die postmoderne Anthropologie als Fundierung
3.2 Die geschichtsphilosophische Darstellung der Aufklärung:
3.2.1 Der geschichtsphilosophische Ansatz als Untersuchungsmethode
3.2.1.1 Das Untersuchungsformat
3.2.1.2 Die rationale Aufklärung.
3.2.1.3 Die sensualistische Aufklärung
3.2.2.1 Die neue Rationalität als Ursache und Systemfehler
3.2.2.2 Die These in der Diskussion
3.3 Das moralische Defizit der modernen Gegenwartsgesellschaften
3.3.1 Die vorherrschenden Ethiken als Katalysatoren des Dilemmas
3.3.2 Die Gesellschaftsordnung als soziologische Grundbedingung der Ethik
3.4 „Nietzsche oder Aristoteles?“ Eine kritische Zwischenbilanz

4. Ein völlig anderer Ansatz?
Die Revitalisierung der aristotelischen Tugendethik
4.1 Die klassische Tradition der Tugendbegründung
4.2 Ein modernes Tugendkonzept
4.2.1 Die Kerndefinition der Tugenden durch den Begriff der Praxis
4.2.2 Die zweite Definitionsebene als das lebenslange Streben nach dem Guten
4.2.3 Die Rahmendefinition der Tradition
4.3 Kritische Anfragen
4.3.1 Die mangelnde Normativität der strukturellen Teleologie
4.3.2 Die Problematik der narrativen Struktur.
4.3.3 Praxen, Tugenden und ihre Realitätsnähe
4.4 Eine überzeugende Alternative?

5. Licht am Ende des Tunnels?
Das Ende von „After virtue“ zwischen Agonie und Konstruktivismus
5.1 Eine Degenerationsgeschichte als Traditionsvergleich.
5.2 Die Soziologie als Grundlagenproblem
5.3 Ein konstruktiver Überwindungsversuch?

6. Moral am Ende?
Standortbestimmung und Ausblick von „After Virtue“

7. Bibliographie

8. Erklärung

1. Reform oder Revolution?

Eine Einführung in die Problemstellung

Mit dem angeblichen Beweis dafür, daß die westlichen Gegenwartsgesellschaften ihre Moral unwiederbringlich verloren haben, hat „After Virtue“[1] seinem Autor Alasdair MacIntyre 1981 schlagartig einen exponierten Platz in der angelsächsischen Moralphilosophie beschert. Seine Untersuchung ist im Kontext der neoaristotelischen Versuche zur Revitalisierung einer Tu­gendethik (virtue ethics) zu sehen, deren Ziel es ist, die in der Neuzeit vergessene ethische Zentralkategorie der Tugend wieder zu einem moralischen Angelpunkt zu machen. Dement­sprechend steht bei diesen Entwürfen der Charakter der Handelnden im Schlaglicht des Inter­esses.[2] Vor dem Hintergrund eines gesteigerten Bewußtseins hinsichtlich der Probleme aus­schließlich handlungsorientierter Ethiken entwickelten sich in den letzten 25 Jahren im nord­amerikanischen Raum verschiedene Tugendethikentwürfe, die im letzten Jahrzehnt auch im deutschsprachigen Raum auf ein großes Interesse stießen.[3] „After Virtue“ kann zu den Initial­werken dieser Strömung gerechnet werden, wobei es aufgrund seiner Interdisziplinarität in ei­nem bedeutenden Maße auch zum Aufschwung des Kommunitarismus beigetragen hat.[4]

Allein daher ist es nicht verwunderlich, daß MacIntyre seine Analyse mit einer Kritik an der gegenwärtigen Moralität beginnt und dann die Ursachen dieses Zustandes zu analysieren ver­sucht. Seiner Meinung nach besteht das Problem darin, daß spätestens nach Kant „der Verlust der Tugend“ die ganze Ethik in eine Orientierungskrise gestürzt hat. Zu seinem Ziel, der Begründung der Vorrangstellung der Tugend(en) in einer Ethik, gehört dementsprechend sowohl der Beweis, daß eine Normbegründung mit tugendausschließenden Theorien zwangsläufig scheitern müsse, als auch, daß mit einer Tugendethik alle ge- und verbotenen Normen schlüssig abgeleitet werden können.

In der vorliegenden Arbeit soll untersucht werden, ob die Diagnose MacIntyres über den Zu­stand der Gegenwartsmoral zutreffend ist und ob sein Konzept zur Revitalisierung einer Tu­gendethik erfolgreich sein kann. Bei der Diskussion über die Möglichkeiten zur Verwirkli­chung und über die Konsequenzen von MacIntyres Konzeption stellt sich explizit die Frage nach dem Verhältnis zwischen tugendethischen und normenethischen Begründungsansätzen: Genügt eine tugendethische Reform der bisherigen normenethischen Ansätze oder bedarf es einer konsequenten Ablösung dieser Theorien durch eine tugendethische Revolution?

Die konzeptionelle Herausforderung besteht darin, gleichzeitig der literarischen und philoso­phischen Konzeption MacIntyres und der wissenschaftlich gebotenen, abstrakten Reflexionse­bene gerecht zu werden. Dazu wird zunächst in einem kurzen Abriß auf die Entfaltung der Fragestellung sowie die Argumentationsstruktur und die Methodik des Werks eingegangen. Dies ist deswegen notwendig, weil sich die Gliederung dieser Untersuchung aufgrund der ge-botenen Kürze und der Fülle der zu verarbeitenden Informationen an der Vorgehensweise von „After Virtue“ orientiert, während zum Verständnis der angefügten Kritik zumindestens eine ungefähre Kenntnis des gesamten Werks notwendig ist. Die folgende dreischrittige Analyse ist jeweils in Darstellung, Diskussion und abschließende Bewertung der Thesen gegliedert. In der Schlußbetrachtung wird neben einer kritischen Würdigung auch ein Ausblick auf die Möglichkeiten zu geben sein, die sich aus diesem Ansatz ergeben.

Für eine objektive Beurteilung der Aussagen ist das Heranziehen der früheren und späteren Veröffentlichungen des Autors unerläßlich, denn in ihnen werden die jeweiligen Gedanken­gänge detailliert entfaltet, die hier aufgrund der Informationsdichte schon vorausgesetzt oder nur angesprochen wurden. Da sich aber relativ schnell sowohl die Perspektive MacIntyres als auch der Blickwinkel seiner Kritiker veränderte, ist es zur Vermeidung einer anachronisti­schen Interpretation geboten, die neuere Literatur bezüglich ihres Blickwinkels kritisch zu hinterfragen und gegebenenfalls auch auszusondern.[5] Während es in der angelsächsischen Phi­losophie zahlreiche Detailstudien zu MacIntyre gibt, finden sich im deutschsprachigen Be­reich meist nur mehr oder weniger gelungene Darstellungen in Rezensionen[6], Überblickswer­ken[7] oder in Untersuchungen, die auf MacIntyres Ansatz aufbauen und ihn zur Untermauerung ihrer Forschungen anführen[8]. Eine der vorliegenden Arbeit vergleichbar ausführliche und auf „After Virtue“ bezogene Untersuchung findet sich allerdings weder in der deutsch- noch der englischsprachigen Moralphilosophie.[9]

2 Philosophie oder Propaganda?

Über Intentionen und Methoden

MacIntyre hat sich mit der Erneuerung der Tugendethik in „After Virtue“ einer schweren Prü­fung gestellt, deren Bewältigung er als seine zentrale Lebensaufgabe ansieht. Die Schwierig­keit bestand auf der einen Seite darin, genügend Aufmerksamkeit zu erregen, um ein breites Interesse auf dieses Feld zu lenken, während auf der anderen Seite eine der Aufgabe angemes­sene wissenschaftliche Präsentation bewerkstelligt werden mußte. Um dieser Spannung ge­recht zu werden, wird zunächst herausgearbeitet, wie sich im Laufe seines Lebens die philoso­phische Entwicklung zu dieser Fragestellung hin entfaltete, um schließlich in einer kurzen Analyse das Konzept und die Methode vorzustellen, mit der er diese Aufgabe lösen will.

2.1 Der Erkenntnisweg zur Lebensaufgabe

Schon die Situation, in die MacIntyre 1929 hineingeboren wurde,[10] erwies sich im nachhinein als sehr bedeutsam für seine Philosophie: Gerade sein jüngster, über „After Virtue“ hinausge­hender Entwurf eines Rationalitätenvergleichs (rational encounter) zwischen verschiedenen Traditionen, den er in Analogie zum (Fremd-)sprachenlernen konzipierte (vgl. Kap. 5.1), ent­spricht in unnachahmlicher Weise der multikulturellen Lebenswelt Nordirlands, in die er als Sprößling einer schottisch-irischen Familie zweisprachig hineinwuchs. Ebenso wie er dies als vorbildgebenden Glücksfall für seine spätere Konzeption empfand, verstand er auch seinen philosophischen Lebensweg zurückblickend analog zu seinem Tugendentwurf als Suche (quest) nach dem letzten Ziel bzw. höchsten Gut seines Lebens (Telos), das er in der Fragestellung von „After Virtue“ gefunden und deren Lösung er darin angegangen ist (vgl. Kap. 4.2.2). Aus dieser Perspektive heraus hat er seinen Lebensweg in drei Phasen untergliedert:[11]

Die erste war durch sein Leben in Manchester geprägt (1949-1970), wo er der Universität nach seinem Studium zunächst als Lektor für Philosophie und Religionsphilosophie, dann als Professor für Soziologie erhalten blieb. Auch seine Professuren in Leeds, Oxford und Essex sind diesem Lebensabschnitt zuzurechnen, in dem er sich mit den realistischen Entwürfen zu­nächst einer christlichen und dann einer marxistischen Ethik beschäftigte. Durch die Erkennt­nis, daß deren Geltungsansprüche nur bei den jeweiligen Anhängern rational gerechtfertigt werden können, folgerte er, daß sie auf einem unzulänglichen Vernunftbegriff aufbauen, und wandte sich deshalb Ende der 50-er Jahre vom Realismus ab. In der Folgezeit betonte er, daß die Menschen zwar nicht voraussetzungslos, aber dennoch frei vor der Entscheidung stehen, welchen der verschiedenen Lebensentwürfe sie favorisieren. Da er jedoch kein argumentatives Kriterium zur Begründung der erforderlichen individuellen Entscheidungen finden konnte, öffnete er sich einem relativistischen Pluralismus. Er ging davon aus, daß es bei der Wahl der Lebensform lediglich um die faktische Geltung, nicht aber um das Erfassen der Wahrheit geht. Auch wenn er diese Ansicht später wieder verwarf, so behielt er dennoch eine skeptische Grundhaltung bezüglich der rationalen Letztbegründung universalistischer Urteile bei. Er er­kannte, daß die Werteunsicherheit der modernen Gesellschaften von der Standpunktgebun­denheit und Perspektivität der Moralkonzeptionen herrührt, die allesamt nicht letztbegründbar sind. Ebenso behielt er stets seine Kritik am Zustand moderner liberaler Gesellschaften bei. Für die Bewertung seiner späteren Entwürfe ist wichtig zu sehen, daß für sein ganzes Schaffen von Anfang an die Beachtung sowohl des Zusammenhangs zwischen der Soziologie und der Moralphilosophie als auch der gegenseitigen Beeinflussung von Ethik und Gesellschaftsform charakteristisch ist. Aus der Erkenntnis, daß die enge Verbundenheit von Lebensform und Moral erst durch die dazu korrespondierende Vernunftauffassung gestiftet werden kann, schloß er, daß der Pluralismus der moralischen Lebensformen nicht unmittelbar durch die Vernunft gelöst werden kann, da diese selbst eine Komponente des Problems darstellt.[12]

Die zweite Schaffensperiode reichte von der Emigration in die USA - er folgte 1970 einem Ruf an den Lehrstuhl für Ideengeschichte der Bradeis University, wechselte aber nach zwei Jahren an den gleichen Lehrstuhl in Boston, den er bis 1980 innehatte - bis zum Beginn seiner Arbeit an „After Virtue“ im Jahr 1977. Im Vorwort zu „After Virtue“ gesteht MacIntyre, daß diese damals für ihn unbefriedigende Phase von Versuchen geprägt war, die Lösung für ein Problem der Moralphilosophie zu finden, das sich ihm bis 1966 bei der Arbeit an seinem da­maligen Hauptwerk „A Short history of ethics“[13] aufgedrängt hatte und längerfristig die Ent­wicklung von „After Virtue“ motivierte:

„Doch noch während ich die Vielfalt und Verschiedenartigkeit der moralischen Über­zeugungen, Bräuche und Begriffe betonte, wurde mir klar, daß ich mich selbst der Be­wertung aufgrund verschiedenartiger, spezieller Überzeugungen, Bräuche und Begriffe bediente. Ich stellte beispielsweise das Aufkommen und den Niedergang unterschiedli­cher Moralsysteme dar, oder versuchte es jedenfalls; und es war anderen so klar, wie es auch hätte mir sein sollen, daß meine geschichtlichen und soziologischen Darstel­lungen notwendigerweise von einem spezifischen, wertenden Standpunkt geprägt wa­ren. Insbesondere schien ich zu behaupten, das Wesen der moralischen Gemeinschaft und des moralischen Urteils in eindeutig modernen Gesellschaften sei, daß man nicht länger an moralische Kriterien appellieren könne, wie das zu anderen Zeiten und an anderen Orten möglich gewesen war - und daß dies ein moralisches Verhängnis sei! Aber woran konnte ich appellieren, wenn meine Analyse zutraf?“[14]

Er erkannte somit in seinem Denken einen performativen Selbstwiderspruch, der darin be­stand, daß er, etwa im Rahmen seiner Liberalismuskritik, die These vom ethischen Relativis­mus mit einem impliziten fundamentalen Wahrheitsanspruch vertrat.[15]

Dabei entwickelte er zu dieser Zeit unbewußt und ohne genaue Zielvorstellungen alle Elemen­te, die in ihrer späteren Kombination den besonderen Charakter von „After Virtue“ (und den Folgearbeiten) ausmachen:[16] Beispielsweise entwickelte er einen Vernunftbegriff, in dem sich die Feststellung der geschichtlichen Partikularität aller menschlichen Erkenntnisbemühungen mit der Beobachtung ihrer zugleich unvermeidlichen Ansprüche nach Wahrheit und universa­listischer Geltung verbinden läßt. Von diesem Vernunftbegriff ausgehend entwickelte er die, in „After Virtue“ selbst allerdings nicht dargestellte Theorie der epistemologischen Krise (epi­stomological crisis), anhand derer sich widersprechende, universalistische Wahrheitsansprü­che partikularer Traditionen rational miteinander verglichen werden können.[17] Ergänzend da­zu zeigte er die Partikularität jedes individuellen Lebensentwurfs anhand seiner Theorie der narrativ-epistemischen Rahmenerzählung auf. Ihre ethische Bedeutung ergibt sich aus der Notwendigkeit, daß jedes Telos in eine solche Erzählung eingebettet ist und jede einzelne Handlung nur dadurch bewertet werden kann, daß sie in den größeren Zusammenhang einge­bettet und aus ihr heraus erklärt werden kann (vgl. 4.2.2).[18]

Seine dritte Schaffensperiode begann kurz nach seinem Wechsel ans Wellesly College (1980-1982), überdauerte seine nachfolgende Professur an der Vanderbilt University und eröffnete ihm 1988 einen Lehrstuhl für Philosophie an der Universität von Notre-Dame in Indiana. Die Analyse des oben genannten Selbstwiderspruchs führte ihn zu seiner eigenen ethischen Posi­tionierung im Rahmen der aristotelisch-thomistischen Tradition, die einen universalistischen Anspruch hat und zugleich einer geschichtlichen Denkweise verpflichtet ist. Aus seiner zu­nächst eher aristotelisch geprägten Position heraus fand er mit „After Virtue“ die Antwort auf seine zuvor gestellte Frage, wie man die neuzeitlichen Erkenntnisse über die Geschichtlichkeit des Menschen und seiner Vernunft berücksichtigen und gleichzeitig den normativen Geltungs­anspruch eines an sich guten, menschlichen Telos rational begründet einlösen kann.

In den Folgearbeiten, „Whose Justice? Which rationality?“[19] und „Three Rival Versions of Moral Enquiry: Encyclopedia, Genealogy, Traditon“[20] entwickelte er Ende der 80-er Jahre kei­ne innovativen Ideen mehr. Diese Arbeiten sind lediglich systematische Ergänzungen, korri­gierende Weiterentwicklungen oder Anwendungen zu „After Virtue“ aus nunmehr thomani­scher Perspektive. Da ihr Hauptanliegen nicht mehr in der Verfeinerung des tugendethischen Ansatzes liegt, sondern in der Entfaltung einer der Voraussetzungen, nämlich dem Rationali­tätsverständnis und einer der Konsequenzen, nämlich dem Gerechtigkeitsverständnis, werden sie in dieser Arbeit jedoch kaum berücksichtigt.[21]

2.2 Konzeption und Methode

Nachdem im Vorwort von „After virtue“ durch das obengenannte Zitat die Spannung zwi­schen den individuellen Wahrheitsansprüchen und dem durch den gesellschaftlichen Partiku­larismus hervorgerufenen Relativismus als das zu lösende Problem herausgestellt wurde (vgl. Kap 2.1), erläutert MacIntyre die daraus abgeleitete Fragestellung und Untersuchungsmethode seines literarisch ansprechenden Werkes analog zu einer musikalischen Ouvertüre an einem einleitenden Beispiel. In ihm werden die unbemerkte Degeneration eines naturwissenschaftli­chen Systems, die daraus resultierenden Folgen und die Erkenntnismöglichkeiten dieses Pro­blems beschrieben. Daraufhin wird die Aussage des Prologs für das Thema von „After Vir­tue“, das moralische Dilemma der Gegenwartsgesellschaften, verdeutlicht:[22]

„Die Hypothese [...] lautet, daß in der Welt, in der wir leben, die Sprache der Moral ebenso verwahrlost ist wie die Sprache der Naturwissenschaft in dieser imaginären Welt. Wenn das zutrifft, besitzen wir heute nur noch Bruchstücke eines Begriffssche­mas, Teile ohne Bezug zu jenem Kontext, der ihnen ihre Bedeutung verliehen hat. Wir besitzen in Wahrheit nur Scheinbilder der Moral und wir gebrauchen weiterhin viele ihrer Schlüsselbegriffe. Aber wir haben zu einem großen Teil, wenn nicht sogar völ­lig, unser Verständnis, theoretisch wie praktisch unsere Moral verloren.“[23]

Daraufhin wendet er sich dem Weg zu, mit dem er diesen Zustand trotz der mangelnden Er­kenntnismöglichkeiten überwinden will. Er geht davon aus,

„daß eine philosophische Analyse uns nicht weiterhelfen wird. In der wirklichen Welt sind die herrschenden Gegenwartsphilosophien, seien sie analytisch oder phänomeno­logisch, [...] machtlos, die Verwahrlosung des moralischen Denkens und Handelns aufzuspüren [...]. Doch die Machtlosigkeit dieser Art von Philosophie läßt uns nicht völlig mittellos. Denn eine Vorbedingung für das Verstehen des gestörten Zustands der imaginären Welt war, ihre Geschichte zu begreifen [...]. Man beachte, daß dieser Geschichte, einer Geschichte des Niedergangs und des Verfalls, Wertmaßstäbe zugrunde liegen. Es ist keine wertneutrale Chronik. Die Erzählform und die Unterteilung in Zeitabschnitte setzen Normen für Leistung und Versagen, für Ordnung und gestörte Ordnung voraus. Es ist das, was Hegel philosophische Geschichte nannte“.[24]

Damit ist seine Methode durch zwei Koordinaten fixiert: Zum einen besticht seine Untersu­chung durch eine interdisziplinäre Herangehensweise, welche die Grenzen zwischen Philoso­phie, Linguistik, Soziologie, Geschichte und Anthropologie verwischt und dadurch den Ein­druck einer umfassenden Lebensnähe hinterläßt. Diese vielfältige Verankerung wird vor dem Hintergrund seines Verständnisses einer gelungenen Ethikkonzeption deutlich, die er ganz be­wußt gegen alle isoliert moralphilosophischen Konzeptionen in Stellung bringt, welche die Lebenswirklichkeit der Menschen nicht erfassen können.[25] Leider führte dies in Verbindung mit der stark populärwissenschaftlichen Präsentationsweise (s.u.) dazu, daß seine Ausführungen von den jeweiligen Fachwissenschaftlern stark kritisiert und deswegen kaum aufgenommen wurden. Auch wenn solche Reaktionen verständlich und aus der Perspektive des jeweiligen Faches ihre wissenschaftliche Berechtigung haben, so machen sie doch die Vorteile dieses Ansatzes auch und gerade für die Einzelwissenschaften völlig zunichte, denen sie eigentlich einen lohnenden Überblick über die umfassenden Erklärungsmuster bieten könnte.[26]

Zum anderen bedient er sich bei der Bewertung der verschiedenen Moralkonzeptionen eines philosophischen Historizismus (historicism), um aufzuzeigen, daß jede Moralkonzeption im­mer mit einer kontingenten, gesellschaftlichen Vorstellung und Soziologie verbunden sein muß.[27] Die Untersuchung des gegenwärtigen

„moralischen Niedergangs [...] erfordert [...] die Unterscheidung von drei verschie­denen Phasen -, eine erste, in der wertende und vor allem moralische Theorie und Praxis wirklich objektive und sachliche Normen verkörpern, die eine rationale Rechtfertigung bestimmter Methoden, Handlungen und Urteile liefern, und die ihrer­seits rational gerechtfertigt werden können; eine zweite Phase, in der es erfolglose Versuche gibt, die Objektivität und Sachlichkeit der moralischen Urteile zu erhalten, in der jedoch der Versuch rationaler Rechtfertigung durch und von Normen ständig scheitert; und eine dritte Phase, in der sich Theorien emotiver Art eine breite, impli­zite Annahme verschaffen, weil sich in der Praxis, wenn auch nicht in der expliziten Theorie, die allgemeine implizite Erkenntnis durchsetzt, daß Ansprüche auf Objektivität und Sachlichkeit nicht erfüllt werden können“[28] (vgl. Kap. 3.2.1).

Er beginnt seine Verfallsgeschichte[29] mit der Analyse der letzten Phase, die er mit unserer ge­genwärtigen, westlichen Kultur gleichsetzt. Dementsprechend steht am Anfang eine soziologi­sche und linguistische Untersuchung der gegenwärtigen Moral und ihrer Sprache. Sie beinhal­tet eine genaue Darstellung und Analyse der moralischen Krise der Gegenwart,[30] um dann von dieser Beschreibung ausgehend in historisch umgekehrter Reihenfolge die aufeinanderfolgen­den Degenerationsstufen zu beschreiben, um nachzuweisen, daß der Emotivismus, der stell­vertretend für alle nonkognitivistischen Strömungen analysiert wird und von dem sich nach MacIntyre auch die meisten Ansätze der analytischen Ethik nicht lösen konnten,[31] daraus re­sultiert, daß alle von der Aufklärung gelieferten Grundlegungen der Moral gescheitert sind.

In diese zweiten Phase, die mit der sensualistischen und rationalen Aufklärung gleichgesetzt wird, bleiben die moralischen Inhalte noch präsent, während die alten Begründungen nicht mehr akzeptiert werden und demzufolge nach neuen gesucht wird. Das Endstadium dieser Phase ist mit der Herausbildung des Deontologismus und des Konsequentialismus erreicht, die lediglich Bestandteile des ehemals komplexen Moralsystems darstellen und deswegen nur noch unvollständige Bruchstücke der Moral erfassen können. Dabei gibt MacIntyre bei seiner geschichtsphilosophischen Analyse schon früh seinen Wertmaßstab zu erkennen, indem er die Geschichte aus der Perspektive seines aristotelischen Standpunktes bewertet. Der Beweis für die Überlegenheit der klassischen, d.h. aristotelischen Tradition der Normenbegründung steht an dieser Stelle freilich noch aus (vgl. Kap. 5.1).[32]

Er beruft sich dabei zunächst auf die Moralkonzeption der ersten - antiken und mittelalterli­chen - Phase. In ihr war ein rollengebundenes Bild des Menschen prägend, das durch die Vor­stellung eines stabilen Kosmos gestützt wurde und in dem aus deskriptiven Aussagen auf Sol­lenssätze geschlossen werden konnte. Aus dieser Vorstellung zieht er die Konsequenz, die den konstruktiven Teil seines Werkes ausmacht: Nachdem er die Geschichte der klassischen, d.h. aristotelischen, Tugendtradition in der historisch richtigen Abfolge geschildert hat,[33] versucht er auf dieser Basis sein eigenes Tugendkonzept zu entwickeln, das sowohl in der klassischen Tradition steht als auch den Bedingungen der modernen Gesellschaft und den Erkenntnissen der neuzeitlichen Anthropologie angepasst ist.[34]

Im Schlußteil soll die These der Degenerationsgeschichte endgültig bewiesen werden. Dabei ist zu überprüfen, ob mit dieser Analyse nicht auch ein Ausweg aus dem moralischen Dilemma aufgezeigt wird.[35]

Daß „After Virtue“ bereits kurze Zeit nach seinem Erscheinen eine breite und inhaltlich pola­risierte Diskussion angestoßen hat, kann daran liegen, daß MacIntyre mit seinem konstrukti­ven Diskussionsbeitrag als einer der Ersten den Zustand unserer Moral erkannt und dem noch unformulierten Anliegen vieler Moralphilosophen nach einer stärkeren Berücksichtigung der Tugenden entsprochen hat. Dies zeigt sich nicht zuletzt darin, daß er der Tugendethik und dem Kommunitarismus einen gewaltigen Popularitätsschub bescherte.[36] Es ist jedoch weniger sein konstruktives Anliegen, als vielmehr die Art seiner Darstellungsweise, die dem Werk ei­nen großen Bekanntheitsgrad verschafft hat.

Die Darstellung der Vorzüge der aristotelischen Tradition allein reicht nicht aus, um ihre De­montage als historischen Fehlschritt zu erklären, der notwendigerweise zu nonkognitivisti­schen Moralbegründungen führen mußte. Der Beweis für diese These kann nur durch den Aufweis erbracht werden, daß alle neuzeitlichen Ansätze als mißglückte Versuche der Moral­begründung verifiziert werden können. Da dieses Unternehmen im Rahmen eines einzigen Buches schon allein aus quantitativen Gründen eine schiere Unmöglichkeit darstellt,[37] mußte es ihm darauf ankommen, vieles nur anzureißen und die weitere Arbeit der nachfolgenden Diskussion zu überlassen: Um seine Zeitgenossen dazu zu motivieren, hat er seine Untersuchung in eine fast schon populärwissenschaftliche Form gebracht. Als Beleg seien hier schon beispielhaft einige propagandistische Elemente aufgeführt:

Die Dramaturgie des rhetorisch sehr gelungenen Werkes ist, ähnlich einem Krimi, darauf aus­gelegt, die Leser von der oben genannten Ausgangshypothese an zu faszinieren und gerade durch die Entwicklung und Entfaltung einer moralischen Verfallsgeschichte bis zum Ende zu fesseln. Dabei bleibt offen, ob seine abschließende Diagnose wirklich den Schlußpunkt der Entwicklung trifft. Dieser Spannungsbogen wird durch die Überschriften des Prologs, der Zwischenbilanz und des Endkapitels explizit hervorgehoben; sie lauten: „Ein beunruhigendes Gedankenexperiment“, „Nietzsche oder Aristoteles?“ und „Nach der Tugend: Nietzsche oder Aristoteles, Trotzki und der heilige Benedikt“.[38]

Dies hat natürlich zahlreiche Konsequenzen für die philosophiegeschichtliche Methode. Zum einen kann MacIntyre seinen klassischen Ansatzpunkt nicht am Anfang darlegen und zum an­deren muß er alle philosophischen Konzeptionen seit der Aufklärung rückwärts erzählen, um eine Verfallsgeschichte generieren zu können, wobei er zudem die einzelnen Epochen streng voneinander trennen muß und die sozialen und philosophischen Wechselwirkungen daher gar nicht beachten kann.[39]

Aber auch für die inhaltlich unvollständigen und tendenziösen Darstellungen des Projekts der Aufklärung, des Konsequentialismus und der analytischen Moralphilosophie hat MacIntyre sehr viel berechtigte Kritik von allen Seiten geerntet. Diese Präsentationsweise ist nicht durch die in einem Buch gebotene Kürze und Auswahl entschuldbar und steht auch zu MacIntyres ansonsten sehr sorgfältigen Analysen in einem latenten Widerspruch.

Überdies sprengt der überdeutlich erkennbare, polemische Tonfall den Rahmen des wissen­schaftlich Gebotenen. Dies wird besonders an der Illustration seiner Thesen mit zahlreichen malerischen, aber auch vielen provokanten Beispielen deutlich. So vergleicht er beispielswei­se die Beweiskraft von Indizien für die Ansicht, daß Menschenrechte den Individuen von Na­tur aus zukommen, mit der Stichhaltigkeit von Beweisen für die Existenz von Hexen oder Einhörnern. Auch wenn er damit lediglich herausstellen will, daß diese Rechte seit dem Zer­brechen des aristotelischen Begründungsschemas nicht mehr stringent abgeleitet werden kön­nen, wird der erste Eindruck nicht zu vermeiden sein, daß er die Begründung der Rechte ins­gesamt abstreitet. Nicht nur hier hätten weniger provokante Beispiele der Vermittlung des In­halts wohl mehr genützt.[40] Aber auch der manipulative Sprachgebrauch rückt sein Werk in ein ungünstiges Licht. Seine schlecht begründete und tendenziöse Unterscheidung von Projekt und Tradition belegt dies (vgl. Kap. 3.2.1.1) ebenso wie seine Beispiele zur Widerlegung des kategorischen Imperativs (vgl. Kap. 3.2.1.2).

Sicherlich hat all dies die Popularität von „After Virtue“ gefördert und damit auch das Anlie­gen der Tugendethik vorangebracht. Es stellt sich jedoch die Frage, ob dies auch die wissen­schaftliche Diskussion darüber gefördert hat, denn die zahlreichen Fehleinschätzungen und Falschinterpretationen MacIntyres belegen, daß viele kritische Denker nach der Lektüre von „After Virtue“ gar nicht den Eindruck hatten, daß sich bei einem solchen Werk die Mühe ei­ner intensiveren Auseinandersetzung lohne. Sie haben sich dementsprechend auch nicht die Mühe gemacht, dieses Werk im Kontext von MacIntyres anderen Veröffentlichungen zu le­sen, was aber aufgrund der Informationsdichte und Darstellungsweise dieses Werks zum rechten Verständnis unabdingbar ist.[41]

3. Die Demontage des „Projekts der Aufklärung“:

Darstellung und Ursachenanalyse des jetzigen moralischen Verfallszustandes

Um zu beweisen, daß die vorherrschenden normativen Theorien zur Moralbegründung als isolierte Bruchstücke unzulänglich sind[42] und daher zwangsläufig der Einordnung in einen tu­gendethischen Rahmen bedürfen,[43] analysiert MacIntyre in einem ersten Schritt die Verfas­sung der vorherrschenden Gegenwartsmoral auf der Grundlage seines Ethikverständnisses mit einer philosophischen und soziologischen Analyse (vgl. Kap 3.1). Sein erstes Ziel ist die Of­fenlegung des bislang von der Moralphilosophie nicht erfassten desolaten Zustands der Moral. In einem zweiten Schritt expliziert er seine These in einem historischen Rückblick als letztes Stadium der Entwicklung einer normativ-universalistischen Tradition, die ihren Anfang in der Philosophie der Aufklärung hat (vgl. Kap. 3.2), wobei deren Scheitern nicht zufälligen und korrigierbaren Argumentationsmängeln zu verdanken ist, sondern der konstitutiven Inkohä­renz, die durch die Zurückweisung der aristotelischen Perspektive der Moralbegründung bei gleichzeitiger Beibehaltung von deren Inhalt erwachsen ist (vgl. Kap 3.2.3). Im Anschluß an seine anfängliche Untersuchung über die emotivistisch geprägte Gegenwart werden dann die herrschenden utilitaristischen und deontologischen Moraltheorien (vgl. Kap. 3.3.1) sowie die weberianische Gesellschaftssoziologie (vgl. Kap 3.3.2) als Konsequenzen des mißglückten Vorhabens der Aufklärung dargestellt, die zwar mit dem neuzeitlichen Selbstverständnis Hand in Hand gehen, dieses aber als Rahmenbedingungen unserer individuellen Moral zementieren und gar keine Veränderungen am System mehr zulassen können. Somit bleiben - laut MacIn­tyre - als Zwischenbilanz nur die sich ausschließenden Alternativen, mit Nietzsches egoisti­schem Übermenschen die Konsequenzen aus dem Ungenügen dieser Begründungen zu ziehen und die Moral aufzugeben, oder in der Geschichte nach einer Begründungsform zu suchen, die den Schlußfolgerungen des Emotivismus widersprechen kann und im aristotelischen Mo­ralbegründungskonzept gefunden werden kann (vgl. Kap 3.4).[44]

3.1 Die emotivistische Gegenwartskultur

3.1.1 Das moralische Dilemma als Ansatzpunkt

MacIntyre charakterisiert das Ende unserer Moral zunächst mit einem linguistischen Befund: Seine sprachwissenschaftliche These,

„daß die Sprache der Moral aus einem Zustand der Ordnung in einen Zustand der Un­ordnung übergegangen ist“[45],

wird zunächst durch die Behauptung gestützt, daß die Sprache der Moral einen Wandel der Begriffe und der Begriffsysteme durchlaufen hat und deshalb zur Bedeutungslosigkeit herab­gesunken ist. Dies äußere sich an der chronischen Unfähigkeit zur Erzielung moralischer Übereinstimmung in zentralen Fragen des Lebens (z.B. hinsichtlich Abtreibung, Friedenssi­cherung und sozialer Gerechtigkeit). MacIntyre begründet diesen Befund damit, daß die ge­genwärtigen moralischen Debatten rational unentscheidbar sind, weil die konkurrierenden Meinungen trotz ihrer in sich schlüssigen Deduktionen auf unterschiedlichen Prämissen auf­bauen, die mit ihren Normen und Methoden selbst wiederum Teile ehemals getrennter und in­takter Moralsysteme waren. Da diese Bruchstücke nun in aktuellen Diskussionen durcheinan­dergeworfen und isoliert von ihrem Ursprungskontext verwendet werden, sind sie miteinander unvergleichbar (rational incommensurable) und jede moralische Debatte ist zwangsläufig ir­rational.[46]

Die Diagnose wurde jedoch in Frage gestellt, indem als wichtigstes Kriterium einer vernunft­gemäßen Moral herausgearbeitet wurde, daß in der Argumentation gemeinsame Methoden be­nutzt werden, etwa die Dominanz von nicht widerlegbaren Argumenten, die aus zwingenden Gründen abgeleitet werden. Daß dabei verschiedene Ausgangspositionen zu verschiedenen Schlußfolgerungen führen und daß diese in unseren heutigen Gesellschaften nicht souverän abgewogen werden können, sei lediglich ein Ergebnis von Individualität und mangelhafter po­litischer Organisation, die aber nicht mit der Rationalität der jeweiligen Argumentationen zu­sammenhängen muß.[47] Dieses an sich richtige Gegenargument kann MacIntyre nur dadurch widerlegen, daß er der moralischen Sprache aufgrund ihres fortgeschrittenen Degenerations­zustandes ihre rationale Urteilsfähigkeit abspricht[48] und ihren Vertretern sein alternatives Ge­genmodell einer traditionsgebundenen Rationalität als bessere Alternative vor Augen hält (vgl. Kap. 5.1). Dem Einwand, daß der Zustand unserer Moral gar nicht so schlecht sein kön­ne, weil die Aussagen von „After Virtue“ grundsätzlich verständlich sind, begegnet er dabei mit der Aussage, daß dies nicht mehr von den Vertretern des Projekts der Aufklärung erkannt werden kann, sondern nur noch von Außenstehenden, etwa den Anhängern der aristotelischen Tradition mit deren Ressourcen.[49]

Dieser zunächst müßig erscheinende Disput greift, wie sich noch zeigen wird, das Zentrum von MacIntyres philosophischem Selbstverständnis an. Da seine Verteidigung nicht zwingend überzeugt, scheitert schon hier sein Versuch, sein Modell als völlig unabhängigen, aber inte­grierenden Gegenentwurf der neuzeitlichen Ethik zu verorten.

3.1.2 Der Emotivismus als Ursachenanalyse

Das Fatale an dem Zustand der gegenwärtigen Moralsprache ist, daß er von den Betroffenen gar nicht mehr erkannt werden kann. Verursacht wurde dies durch den Emotivismus, der als Reaktion auf den inhaltsleeren Intuitionismus Moores die rationale Begründbarkeit von Wert­urteilen abstreitet.[50] Jegliche Rationalität wird nur noch als Schein angesehen, der mühsam verdeckt, daß moralische Urteile rational gar nicht begründbar sind. Seine Vertreter gehen da­von aus, daß moralische Standpunkte und Behauptungen gar keine Frage der Vernunft sind, sondern lediglich den individuellen arationalen Präferenzen entsprechen, und daß ein Konsens über solche Urteile dementsprechend lediglich auf der Basis eines pragmatischen kleinsten ge­meinsamen Nenners erfolgen kann.[51]

Diese These kann zwar durch das Hinterfragen der Präferenzen falsifiziert werden, denn ob­wohl jeder zwischen moralisch wertvollen und rein ästhetischen Präferenzen unterscheiden kann, gibt der Emotivismus keine sinnvolle Begründung für deren Unterscheidung oder Besei­tigung an. Aber da der Emotivismus trotz dieser philosophischen Widerlegung weiterhin er­folgreich ist, muß er als ernstzunehmende Theorie angesehen werden. Dabei verdunkelt er den desolaten Zustand selbst, indem er die letzte logische und radikale Konsequenz aus seiner Existenz verhindert: Anstatt die Sprache der Moral abzuschaffen, weil keine rationalen Be­gründungen mehr möglich sind, wird einfach der ontische Status moralischer Äußerungen um­gedeutet.[52]

Dementsprechend interpretiert MacIntyre den Emotivismus nun nicht mehr als Theorie der Bedeutung, sondern als Theorie des Gebrauchs moralischer Urteile. Dabei dreht er die prinzi­pielle Verneinung rationaler Letztbegründungen durch den Nonkognitivismus einfach um: Statt zu behaupten, daß mit Werturteilen nur Gefühle ausgedrückt werden, geht er davon aus, daß moralische Urteile heute so gebraucht würden, als würden sie nur unsere Gefühle zum Ausdruck bringen und hätten keinen objektiven Anspruch mehr. Damit glaubt MacIntyre die Ursache des gegenwärtigen moralischen Dilemmas gefunden zu haben. Denn die weitverbrei­tete emotivistische Haltung wäre somit eine Reaktion darauf, daß heute kein Moralphilosoph mehr sagen kann, worauf objektiv richtige Ansprüche gegründet werden sollen. Dazu paßt letztendlich, daß die endlosen Debatten der analytischen Moralphilosophie, die durch die Un­übersichtlichkeit der verwendeten Begriffe und der Argumentationsstrategien verursacht wer­den, keine Lösungen mehr bereitstellen können. Sie sind vielmehr selbst ein großer Teil des Problems und können den Zustand unserer moralischen Praxis nicht einmal mehr sprachlich erfassen (vgl. Kap. 3.1.1).

Gegen diese Beweisführung wurde allerdings eingewendet, daß schon der Bedeutungs- und Zuordnungswechsel von moralischen Begriffen nach dem Zerbrechen eines Systems nicht zwingend bedeutet, daß es für sie keine begründete Basis mehr gebe. Es spricht nichts dage­gen, daß eine neue Bedeutung durch eine neue Begründung gestützt wird. Geht man davon aus, daß moralische Begründungen nicht unbedingt universal begründet sein müssen, dann ist es sogar wahrscheinlicher, daß Begriffe gar nicht mehr gebraucht würden, wenn sie zumin­destens individuell keine Bedeutung mehr hätten. So gesehen würde MacIntyres Beweisfüh­rung zu kurz greifen.[53]

Doch er geht noch viel weiter, indem er behauptet, daß sich der Emotivismus selbst als Theo­rie des Gebrauchs moralischer Urteile nicht mehr zu deren Untermauerung eigne. Zusätzlich zu der Tatsache, daß moralische Äußerungen nur noch von der sprachlichen Überzeugungs­kraft ihrer Vertreter abhängig wären, behauptet er, daß die Differenz zwischen der Bedeutung und dem Gebrauch moralischer Ausdrücke

„derart gegensätzlich [seien], daß die Bedeutung dazu neigen würde, den Gebrauch zu verschleiern. Wir könnten nicht mit Sicherheit voraussagen, was jemand, der ein mo­ralisches Urteil äußert, tun würde, wenn wir uns einfach nur anhören, was er sagt.“[54]

Diese Aussage ist allerdings problematisch. Sicherlich verschränken sich stets die Bedeutung und der Gebrauch moralischer Aussagen, aber seiner Folgerung kann nur dann zugestimmt werden, wenn beide Komponenten radikal auseinanderfallen, was in der Mehrzahl der Fälle wohl noch nicht gegeben ist und obendrein auch nicht für MacIntyres Beispiele gilt.[55] Letzt­endlich ist ihm jedoch allein deswegen zuzustimmen, weil in vielen Fällen vom Rezipienten gar nicht mehr bestimmt werden kann, ob die Bedeutung und der Gebrauch einer Äußerung noch aufeinander bezogen werden können. Ein brillanter Beleg dafür ist die mediale Äuße­rung eines Prominenten, der nach dem Bekanntwerden einer Affäre „[...] sagte, ein Seiten­sprung sei für ihn kein Kavaliersdelikt, da Moral und Ethik für ihn einen hohen Stellenwert hätten.“[56]

MacIntyres Urteil über die moralische Sprache der Gegenwart scheint trotz der geschilderten Bedenken zumindestens aus seiner Perspektive haltbar zu sein. Wichtig ist in diesem Zusam­menhang jedoch festzuhalten, daß er es dennoch nicht als zeitlose Problemanzeige aller Ethik-entwürfe ansieht, sondern lediglich als eine geschichtlich-philosophische Antwort auf ein spe­zifisch-neuzeitliches Begründungsproblem des letzten Jahrhunderts, nachdem die Schere zwi­schen dem Anspruch einer moralischen Forderung und ihrer Begründung zu stark auseinan­derzuklaffen begann.[57]

3.1.3 Die postmoderne Anthropologie als Fundierung

Im folgenden versucht MacIntyre seine These vom Emotivismus dadurch zu belegen, daß er dessen soziologische Verankerung in den westlichen Gesellschaften nachweist. Dies bewerk­stelligt er zunächst durch eine Analyse der Charaktere, in denen sich die Definitionsangebote von Gesellschaften widerspiegeln. Daraufhin wendet er sich der Anthropologie zu, da das je­weilige Menschenbild ebenfalls der Soziologie und der Moralphilosophie entsprechen muß.[58]

Das charakteristische Kennzeichen einer vom Emotivismus gekennzeichneten sozialen Praxis wäre, daß es keine Kriterien mehr gäbe, mit denen manipulative von nichtmanipulativen So­zialkontakten unterscheidbar wären. Als Beurteilungskriterium könnte nur noch der Erfolg herangezogen werden und nicht mehr die Frage, ob der Mensch als Mittel oder Zweck angese­hen wird. Ob dies der Fall ist, kann durch die Untersuchung der Charaktere bewiesen werden. Exemplarische Charaktere sind für jede gesellschaftliche Praxis notwendig, da sie einerseits die jeweilige Gesellschaft in prägnanter Kürze beschreiben und andererseits normative Leit­bilder für die Gesellschaftsmitglieder bereitstellen. Für das moderne Selbstbild und das Funk­tionieren unserer Sozialpraxis sind das die Bilder des reichen Ästheten (rich aesthete), des Therapeuten (therapist) und des Managers (manager). Alle drei sind emotivistische Charakte­re, da sie ihre Ziele nicht hinterfragen, durch die Behauptung ständigen Erfolgs ihren autorita­tiven Anspruch hervorkehren und in der Verfolgung ihrer Ziele die Trennung zwischen mani­pulativen und nichtmanipulativen Sozialkontakten verwischen. Dabei übertrifft der Ästhet, der als einziger keine vorgegebenen Ziele verwirklicht, sondern sich diese willkürlich aus­wählt, die anderen bei weitem; sein Kennzeichen ist, daß er andere zur Bekämpfung seiner Langeweile instrumentalisiert.[59]

Korrespondierend dazu hat der neuzeitliche Mensch ein ganz neues Verhältnis zu seinen ver­schiedenen gesellschaftlichen Rollen entwickelt: Während die Identität der vorneuzeitlichen Menschen gerade durch die verschiedenen Rollen und ihr Verhältnis zueinander konstituiert wurde, versteht sich das moderne Selbst als individuelle und autonome Abgrenzung von die­sen Rollen.

„Die Zweiteilung der gegenwärtigen sozialen Welt in einen Bereich des Organisatori­schen, in dem Ziele als gegeben angenommen werden und einer rationalen Überprü­fung nicht zugänglich sind, und einen Bereich des Persönlichen, in dem Urteil und Diskussion über Werte zentrale Punkte sind, ohne daß es rationale soziale Lösungen von Problemen geben kann, findet ihre innere Entsprechung im Verhältnis des indivi­duellen Selbst zu den Rollen und den Charakteren des sozialen Lebens.“[60]

Diese Auffassung über die menschliche Identität führt geradlinig zu den emotivistischen The­sen über die Begriffe der Moral. Dort, wo das Individuum kein Funktionselement von büro­kratischen Institutionen ist, verwandeln sich die rational begründeten Aussagen vom Telos des Menschen, die sich aus den Pflichten der übernommenen Rollen ergeben, in subjektive Über­zeugungen des Privatlebens.[61]

MacIntyres Diagnose, daß der sprachliche und gesellschaftliche Zustand der Moral desolat ist und von Moralphilosophie nicht einmal erkannt werden kann, erscheint nach dieser Analyse plausibel, da seine interdisziplinären Erkenntnisse sich gegenseitig absichern und nicht ernst­haft in Frage gestellt werden konnten.

3.2. Die geschichtsphilosophische Darstellung der Aufklärung:

Allein der Beweis der These, daß der vom Emotivismus geprägte, unvergleichbar desaströse Zustand unserer Moral keine allgemeingültige Wahrheit sondern vielmehr der zwangsläufige Abschluß eines Verfallsprozesses und für den jetzigen Zustand alleinverantwortlich ist, steht noch aus. Daher unterbricht MacIntyre an dieser Stelle seine Darstellung der Gegenwartsmo­ral, um nach der Analyse ihrer Genese auch die Mittel zu haben, die emotivistischen Gesell­schaften in ihrer Gesamtheit als amoralische Instrumentalisierungsorganismem zu charakteri­sieren.

3.2.1 Der geschichtsphilosophische Ansatz als Untersuchungsmethode

MacIntyres Kritik an der Aufklärung ist methodisch schon deshalb umstritten, weil sie das heute vorherrschende Geschichtsverständnis als einen von der Aufklärung selbst hervorge­brachten Teil des Problems verwirft. Er schließt sich deshalb der als fachwissenschaftlich um­strittenen Methode der hegelianischen Geschichtsdeutung an, die geschichtliche Ereignisse als kausale Konsequenzen aus einer fortschreitenden philosophischen Entwicklung begreift. Al­lerdings modifiziert er Hegels Ansatz, indem er auch die moralphilosophischen Konzepte von den geschichtlichen Bedingungen ableitet und außerdem keine Geschichte ständigen morali­schen Fortschritts, sondern eine Degenerationsgeschichte aus der Perspektive der aristoteli­schen Moralbegründung verfaßt.

Die unterschiedlichen Herangehensweisen der beiden Methoden führen zu einer völlig unter­schiedlichen ethischen Bewertung der Moralkonzepte: MacIntyre kann sein Urteil nur von sei­nem totalitären (aristotelischen (s.u.)) Standpunkt aus rechtfertigen. Von diesem ausgehend untersucht er die einzelnen Epochen isoliert voneinander, um danach in Vergleichen teleologi­sche Tendenzen in der geschichtlichen Entwicklung zu finden, die einen objektiven histori­schen Vergleich ermöglichen. Im Gegensatz dazu ist das geschichtliche Bewußtsein seit der Aufklärung dadurch gekennzeichnet, daß der Mensch trotz aller historischen Zufälle als die Grundlage aller sozialen Strukturen und allen Fortschritts angesehen wird, auch wenn er von diesen selbst geschaffenen Zuständen wiederum in einer komplexen Weise beeinflußt wird. Damit wurde letztendlich auch ein Bewertungsmaßstab geschaffen, der sich nicht als absolut gültige Grundlage aller Moral, sondern lediglich als ein geschichtlich stets veränderbarer Maßstab der Ethik der jeweiligen Epoche versteht. Danach kommt der Moralphilosophie die Aufgabe zu, die jeweils nötigen Bedingungen für das Zustandekommen ethischen Handelns in den unterschiedlichen Epochen mit ihren kontinuierlichen Veränderungen des moralischen Kontexts zu erforschen und dabei nach objektiven Maßstäben zu suchen, um Moral beurteil­bar zu machen.

Letztlich bedingen diese gegensätzlichen Geschichtsauffassungen auch ein unterschiedliches politisches Denken: Die Aufklärung suchte nach allgemeinen Gesetzen, um von den Zufällen des historischen Wandels auf ein dazu korrespondierendes, ganzheitliches Menschenbild ab­strahieren zu können und tendierte dementsprechend zum Konzept staatlicher Neutralität be­züglich der persönlichen Güter. Da die Romantik im Gegensatz dazu einen fortwährenden Verlauf der Geschichte nach bestimmten Gesetzen annahm und ihre Untersuchungen auf die traditionellen Elemente partikularer Gemeinwesen fokussierte, neigte sie dazu, den Staaten steuernde Rollen in diesen Prozessen zuzuweisen.

MacIntyre hat sich diesem Ansatz wohl nicht allein aufgrund seiner historischen Methode an­geschlossen, sondern auch deshalb, weil er seiner aristotelischen Perspektive zupaß kommt, die den Menschen gemäß seiner Naturanlage als zoon politikon stets als in der Gemeinschaft eingebundenes Wesen betrachtet. Durch die Geschichte des Gemeinwesens wird das aktuell anzustrebende Gut erkennbar und im gemeinsamen Streben kommt es zum Ausdruck.

MacIntyre verwirft mit der Trennung von politischen und persönlichen Idealen eine Neuerung der Aufklärung. Nach ihm ist ihr zersplittertes Menschenbild nur durch eine Verbindung zwi­schen einem Staatswesen und den darin lebenden Mitgliedern überwindbar. Damit werden die neuzeitlichen Vorstellungen von staatlicher Neutralität und Toleranz zugunsten einer ge­schichtlichen Verantwortung des Staatsganzen mit allen seinen Elementen für die darin leben­den Menschen verworfen. Er erklärt den Übergang der einzelnen Epochen nur durch die je­weiligen äußeren, soziologischen Faktoren, die philosophischen Konzepte sowie deren Zu­sammenhang, ohne die Bedeutung der Individuen zu beachten, die in der Betrachtung der Aufklärung die zentrale Rolle für die Veränderungen abgeben. Er will die moralischen Vor­stellungen direkt aus den sozialen Umständen ableiten. Diese sind aber nach dem neuzeitli­chen Ansatz aber erst das Resultat aus dem Zusammenwirken der menschlichen Natur und ih­rer umgebenden Bedingungen. Da MacIntyre mit dem Menschen den ersten Schritt vergißt, kann er mit dem Individuum wenig anfangen und muß sein Moralsystem daher zwangsläufig auf der Basis eines stabilen Gemeinwesens aufbauen.

Doch wenn er die aufgeklärte Geschichtsphilosophie und ihre Ergebnisse falsifizieren will, dann muß er notwendigerweise nichtindividualistische, d.h. gemeinschaftliche Prinzipien auf­decken und gleichzeitig plausibel machen, warum diese objektiv sind, wenn der Rückgang auf die Natur des Menschen vor seinen Rollen in der Gesellschaft abgeschnitten ist. Sein histori­scher Ansatz steht und fällt also mit dem gelingenden Nachweis, aus dem rollengebundenen Gemeinschaftsleben die Grundlagen der Moral zu bestimmen (vgl. Kap. 4.1).[62]

Aber selbst aus dieser Perspektive heraus muß gefragt werden, ob die Untersuchung isolierter Etappen in umgekehrter Reihenfolge nicht die Darstellung der Entwicklung völlig verzerrt oder sogar zerstört und so einen objektiven Vergleich der Moralkonzeptionen unmöglich macht. Auch ein moralphilosophischer Dialog von Philosophen verschiedener Epochen ist keine Fehlleistung, denn aus solchen Rückbezügen erfolgten oft Innovationen, unabhängig da­von, ob bei der jeweiligen Interpretation die völlig verschiedenen Lebensumstände zu völlig anderen Ergebnissen führen oder nicht.

Somit kann allein durch eine Analyse von MacIntyres Methode die Intention und somit der In­halt seines historischen Abrisses erkannt werden: Er kann die Aufklärung nicht als selbstge­wählten Aufbruch des Menschen aus den Zwängen autoritärer Systeme verstehen, sondern nur als einen Rettungsversuch zur Begründung der althergebrachten Normen nach dem Zusam­menbruch des teleologischen Weltbildes durch einen neuen Vernunftbegriff. Bejaht man diese Sichtweise der Aufklärung als Lückenbüßerin, dann muß man MacIntyres Schlußfolgerungen freilich in großen Zügen als gelungen ansehen.[63] Aufgrund der voreingenommenen Perspekti­ve und der Ausblendung der neuzeitlichen Erkenntnisse, insbesondere hinsichtlich der Bedeu­tung des Individuums ist diese historische Methode jedoch aus heutiger Sichtweise als man­gelhaft abzulehnen, auch wenn sie für einige interessante Wechselwirkungen zwischen Sozio­logie und Philosophie sensibilisiert.

3.2.1.1 Das Untersuchungsformat

Zunächst grenzt MacIntyre das Projekt der Aufklärung von den zeitlich davor- und dahinter­liegenden Epochen ab. Als historisches Bindeglied zwischen dem Emotivismus und der Auf­klärung wird Kierkegaard anhand seines 1842 erschienenen Werks „Enten-Eller“[64] vorgestellt, weil sich darin der Mensch zwischen einem ästhetischen Lebensweg des Vergnügens und ei­nem ethischen Weg der Pflicht entscheiden muß, wobei diese Wahl nicht mehr durch die Ver­nunft, sondern nur noch aufgrund der freien Wahl entschieden werden kann, d.h. daß eine Ent­scheidung für die ethische Lebensweise nur noch vor dem Hintergrund des christlichen Glau­bens ergriffen werden kann. Der Mangel an seinem Konzept besteht nach MacIntyre in der großen Diskrepanz zwischen dem autoritativen Geltungsanspruch des sittlich Guten mit sei­nem Wahrheitsanspruch einerseits und seiner nicht ausreichenden Begründung mit einer ein­fachen Wahl andererseits. Diese Diskrepanz, die das Entstehen vieler divergierender und sich gegenseitig ausschließender Geltungsansprüche und damit letztendlich das Aufkommen des Emotivismus verursachte, übernahm Kierkegaard von der Aufklärung, der die rationale Begründung der Moral nicht gelungen war.[65]

Vor der Aufklärung war die aristotelische Philosophie vorherrschend, wobei die Isolierung der Moral der aristotelischen Tradition von den mit ihr verwobenen Feldern der Theologie, des Ästhetischen und des Rechtmäßigen geradezu als Hauptmerkmal der Aufklärung definiert wird. Die charakteristische Gemeinsamkeit ihrer Vertreter war es, unter Beibehaltung der tra­ditionellen Inhalte eine neue Begründung der Moral zu suchen. Mit einer radikalen Kritik an der althergebrachten religiös-metaphysischen Moralbegründung sollte die Moral nach dem Wegfall der gemeinschafts-, d.h. rollenbezogenen teleologischen Rechtfertigung mithilfe der Gemeinschaft allein auf der Grundlage des individuellen Menschen aufgebaut werden. Dazu mußte nun geklärt werden, wie eine normative Ethik allein durch das Wesen des Menschen mit rationalen Mitteln begründet werden konnte. Dementsprechend lassen sich die Philoso­phen der Aufklärung anhand des Kriteriums, was am Menschen die Fundierung der Moral lei­stet, unterscheiden: Es gibt diejenigen, die eine sensuale Rechtfertigung anstreben, und dieje­nigen, die eine rationale Rechtfertigung anstreben. MacIntyre versucht dabei aufzuzeigen, daß beide Wege keine tragfähige Grundlage für die angestrebte Erhaltung der Moral bieten konn­ten,[66] denn

„wenn diejenigen, die behaupten, Grundsätze formulieren zu können, auf die sich ra­tional moralisch Handelnde einigen sollten, keine Einigung über die Formulierung dieser Grundsätze mit ihren Kollegen erzielen können, die mit ihnen das eigentliche Ziel und die Methode teilen, wird offenkundig, daß ihr Entwurf gescheitert ist, noch bevor wir die einzelnen Streitpunkte und Schlußfolgerungen geprüft haben. Jeder be­zeugt mit seiner Kritik das Scheitern der Gedankengebäude seiner Kollegen.“[67]

Vor dem Hintergrund dieser Charakteristik zielt der Vorwurf, hier würde unter dem Projekt der Aufklärung ein extrem buntgemischtes Konglomerat zusammengeführt, dessen ideeller Zusammenhang nur ungenügend begründbar sei, mitten ins Herz von MacIntyres Strategie. So können weder nachträglich deren Charaktere benannt werden, was ja für MacIntyres soziolo­gische Gegenwartsanalyse sehr wichtig war und somit auch für das 18. Jahrhundert gelten müßte, noch haben sich deren Vertreter selbst als Teilnehmer eines Projekts verstanden. Selbst wenn sie dieser Klassifikation zustimmen würden, wüßten sie wohl sehr gerne, worum es überhaupt in ihrem gemeinsamen Projekt ginge, d.h. welche politischen, anthropologi­schen, historischen, soziologischen und wirtschaftlichen Ziele es verfolge. Gerade weil die Ziele des Projekts nicht definiert sind, sei MacIntyres Angabe eines fehlgeschlagenen Projekts nicht mehr als eine nicht verifizierbare Behauptung.[68] Darauf hat MacIntyre jedoch entgegnet, daß seine Zuordnung lediglich auf der Basis beruhe, daß „[...] das Projekt des Sicherns einer vernunftgemäßen Übereinkunft [...] ein großes gemeinsames Ziel aufgeklärter Denker war.“[69] Grundlage für die Benennung und Zuordnung ist folglich die sehr begrenzte Vorstellung die­ses gemeinsamen methodischen Nenners und nicht die Klassifizierung der Teilnehmer auf­grund eines gemeinsamen Selbstverständnisses. Damit konnte MacIntyre seinen Untersu­chungsrahmen erfolgreich verteidigen.

[...]


[1] MacIntyre, Alasdair, After Virtue. A Study in Moral Theory, Indiana, 1981; 21985; dt.: Der Verlust der Tugend. Zur moralischen Krise der Gegenwart, aus d. Engl. von Wolfgang Rhiel, Frankfurt a.M., 1987 (Theorie und Gesellschaft Bd. 5).

[2] Vgl. Rippe, Klaus Peter/ Schaber, Peter: Einleitung, in: dies.: Tugendethik, Stuttgart, 1998, S. 7-18, S. 10-14 sowie Schockenhoff, Eberhard, Art.: Tugenden und Laster, in: Rotter, Hans, Virt, Günter, Neues Lexikon der christlichen Moral, Innsbruck, 1990, S. 798-805.

[3] Vgl. Borchers, Dagmar: Die neue Tugendethik - Schritt zurück im Zorn? Eine Kontroverse in der Analyti­schen Philosophie, Paderborn, 2001, S. 11f.: Das Bedürfnis nach einer Erneuerung des Tugendelements in der Ethik, das entweder vergessen oder nur als Disposition zur Pflichterfüllung, aber nicht mehr als Charak­tereigenschaft angesehen wurde, war in der angelsächsischen Philosophie schon in den 60-er Jahren weitge­hend erkannt. (vgl.: Anscombe, G.E.M.: Modern Moral Philosophy, in: Philosophy 33, 1958, S. 1-19; dt.: Moderne Moralphilosophie, in: Grewendorf, G./ Meggle, G., Seminar. Sprache und Ethik, Frankfurt, 1974, S. 217-243). Nach dieser Bestandsaufnahme sind die tugendethischen Konzepte in den letzten zwanzig Jahren zu einem Konglomerat schier unüberblickbarer Fülle angewachsen. Trotz vieler Überschneidungen lassen sich, bei aller Vorsicht im Bewußtsein der Unmöglichkeit von genauen strukturellen Definitionsabgrenzun­gen, drei Hauptströmungen herausschälen: (1.) Die Kommunitarismusdebatte, die Aristoteles in der politi­schen Philosophie zu grundlegender Kritik am modernen Moralverständnis heranzieht (z.B. Taylor, Charles: Cross-Purposes. The Liberal-Communitarian-Debate, in: Rosenblum, Nancy: Liberalism and the moral life, Cambridge, 1989, S. 159-182; dt.: Aneinander vorbei. Die Debatte zwischen Liberalismus und Kommunita­rismus, in: Honneth, Alex: Kommunitarismus. Eine Debatte über die moralischen Grundlagen moderner Ge­sellschaften, Frankfurt, 1993, S. 103-130), (2.) die eigentliche Tugendethik, die sich mit der Bedeutung des Charakters und der Tugenden für eine Moraltheorie beschäftigt (z.B. Nussbaum, Martha: Non-relative vir­tues. An Aristotelian Approach, in: Midwest studies in Philosophy 13, 1988, S. 32-53; dt.: Nicht-relative Tu­genden. Ein aristotelischer Ansatz, in: Rippe, Klaus Peter/ Schaber, Peter, Tugendethik, Stuttgart, 1988, S. 114-165.) und (3.) diejenigen, die sich um die Rechtmäßigkeit der Aristotelesauslegungen bemühen und in dieser Hinsicht die Äußerungen der anderen beiden Fraktionen kritisch überprüfen (z.B. Annas, Julia: Pru­dence and Morality in Ancient and Modern Ethics, in: Ethics 105, 1995, S. 284-295 ). Vgl. zur grundlegen­den Stellung von „After virtue“: Rich, Gregory P.: The Anscombe-Macintyre Attack on modern Moral Philo­sophy, in: Adkins, A.W.H./ Lawrence, Joan Kalk/ Ihara, Craig K.: Human Virtue and Human Excellence, New York, 1991, S. 267-303.

[4] Vgl. Bormann, Franz-Josef: Theologie und „autonome Moral“. Anmerkungen zum Streit um Universalität und Partikularität moralischer Aussagen in theologischer und philosophischer Ethik, in:Vierteljahresschrift für Theologie und Philosophie 77, 2002, S. 481-505, S. 495-504 sowie Schockenhoff, Eberhard: Ethik des Lebens. Ein theologischer Grundriss, Mainz, 1993, S. 36-40.

[5] Darin liegt nicht zuletzt der Wert der älteren Veröffentlichungen begründet, wobei als Scheidemarke das Jahr 1988 anzusetzen ist, in dem mit „Whose Justice? Which rationality?“ [vgl. Anm. 19] endgültig eine neue Richtung eingeschlagen wurde. Diese Grenze ist jedoch als eine relative anzusehen, denn einerseits gab es auch danach noch Diskussionen, die ganz aus der Perspektive von „After Virtue“ gesehen werden müssen, während andererseits auch schon kurz nach dem Erscheinen von „After Virtue“ die Problemstellungen von „Whose Justice? Which Rationality?“ als Forschungsdesiderate diskutiert wurden, die von „After Virtue“ auf­geworfen und nun beantwortet werden sollten. Die in dieser Arbeit verwendete Literatur wurde jedoch streng danach ausgewählt, inwieweit sie sowohl quantitativ als auch qualitativ der Perspektive von „After Virtue“ Rechnung trägt. Während diese Veröffentlichungen annähernd vollständig erfasst sind, muß im Hinblick auf die ebenso zahlreiche ausgesonderte Literatur auf die Bibliographien von Knight und Sixtus verwiesen wer­den (vgl. Anm. 8). Zu bemerken ist weiterhin, daß das Postskript der hier zugrundeliegenden zweiten Aufla­ge schon ein kommentierender Nachtrag ist, der aus der Sicht MacIntyres diejenigen Problemfelder beleuch­tete, die sich aus der Diskussion der ersten Auflage ergaben. Dies gilt jedoch nicht für das Vorwort, denn hier wird die Entfaltung der Fragestellung von „After Virtue“ im Hinblick auf MacIntyres vorhergehende Arbeiten aus der Perspektive der Erstauflage deutlich.

[6] Vgl. z.B.: Irrgang, Bernhard: After Virtue, in: Philosophischer Literaturanzeiger 41, 1988, S. 110-113; Hal­ler, Benedikt: After Virtue, in: Philosophisches Jahrbuch 92, 1985, S. 431-436; Aus der Fülle der eng­lischsprachigen Rezensionen seien beispielhaft erwähnt: Bradley, James: Alasdair MacIntyre on the Good Life and the <Narrative Model>, in: Heythrop Journal 31, 1990, S. 324-326; Gowans, Christopher W.: After Virtue, in: International Philosophical Quarterly 22, 1982, S. 215-218; Phillips, D.Z.: After Virtue, in: Mind 93, 1984, S. 111-124; Hauweras, Stanely/ Wadell, Peter: After Virtue, in: The Thomist 46, 1982, S. 313-322; Scheffler, Samuel: After Virtue, in: The Philosophical Review 92, 1983, S. 443- 447.

[7] Vgl. z.B.: Borchers, 2001; Schuster, Josef: Moralisches Können. Studien zur Tugendethik, Würzburg, 1997.

[8] Vgl. z.B.: Fetzer, Antje: Tradition im Pluralismus. Alasdair MacIntyre und Karl Barth als Inspiration für christliches Selbstverständnis in der pluralen Gesellschaft, Neukirchen-Vluyn, 2002 (Neukirchener Theologi­sche Dissertationen und Habilitationen Bd. 32); Sixtus, Bernd: Alasdair MacIntyres Tugendlehre von After Virtue als Beitrag zum Disput über universalistische Erziehungsziele, Frankfurt, 2002 (Erziehungskonzeptio­nen und Praxis Bd. 54): Sixtus` Untersuchung kann wohl als die beste deutschsprachige Gesamtdarstellung MacIntyres bezeichnet werden. Sie ist allerdings aufgrund ihrer Zuordnung zum eigentlichen Forschungsge­genstand viel zu komprimiert und sieht „After Virtue“ im Hinblick auf den eigentlichen Untersuchungsgegen­stand stellenweise aus der Perspektive der Folgewerke.

[9] Vgl. Ballard, Bruce: Understanding MacIntyre, Boston, 2000; Knight, Kevin, The MacIntyre Reader, Cam­bridge, 1998: Während Ballard zwar seinen Blickwinkel auf „After Virtue“ konzentriert, aber leider fast die gesamte Forschungsdiskussion ignoriert, so daß sein Werk wissenschaftlichen Ansprüchen nicht genügt, of­fenbart das ausführliche Werk Knights zwar intimste Kenntnisse der Philosophie MacIntyres, betrachtet „After Virtue“ aber leider aus der Perspektive der letzten Werke MacIntyres nur als eine Zwischenstation sei­nes Denkens.

[10] Alle biographischen Daten sind entnommen: Reese-Schäfer, Walter: Kommunitarismus, Frankfurt, New York, 3. vollständig überarbeitete Auflage 2001, S. 155f. und: Fetzer, 2002, S. 88-90.

[11] Vgl. Boradori, Giovanna/ MacIntyre, Alasdair: An Interview with Giovanna Borradori, in: The MacIntyre Reader, Notre Dame, 1998, S. 255-266, S. 255. Seine Eigenbewertung wird in der Sekundärliteratur als tref­fend bezeichnet und übernommen; etwa in: Sixtus, 2002, S. 123-131; oder in: Horton, John/ Mendus, Susan, Alasdaire MacIntyre: After Virtue and After, in: After MacIntyre. Critical Perspectives on the work of Alas­daire MacIntyre, hrsg. von: Horton, John/ Mendus, Susan, S. 1-15, S. 1-5.

[12] Vgl. Sixtus, 2002, S. 126-129.

[13] MacIntyre, Alasair: A Short History of Ethics. A History of Moral Philosophy from the Homeric Age to the Twentieth Century, London 1966, New York, 21995; dt.: Geschichte der Ethik im Überblick. Vom Zeitalter Homers bis zum 20. Jahrhundert, aus d. Engl. von Müller, Hans Jürgen, Weinheim, 31995.

[14] MacIntyre, 1987, S. 9f.

[15] Vgl. Sixtus, 2002, S. 129f.

[16] Die zahlreichen Vorarbeiten, auf die sich „After Virtue“ beruft und die für das Verständnis der viel zu knap­pen Aussagen notwendig sind, werden am Anfang aller drei Untersuchungsschritte einzeln angeführt.

[17] Die Vorstellung des rational encounters und der epistemological crisis hatte er zwar schon 1977 in Anleh­nung an Kants Beispiel der Ablösung des kopernikanischen Weltbilds durch das galileische herausgearbeitet (MacIntyre, Alasdair: Epistemological Crisis, Dramatic Narrativ and the Philosophy of the Science, in: The Monist 60, 1977, S. 453-472. Warum diese Theorie in „After Virtue“ nicht wenigstens in aller Kürze dargestellt wurde, ist unverständlich, denn sie hätte seine Theorie vom Rationalitätsverständnis schon in diesem Werk vervollständigen können. Auf diesen Mangel im Kontext von „After Virtue“ hingewiesen, brachte er diese Theorie jedoch schon im Folgejahr erfolgreich in die Diskussion ein und konzentrierte sich im Folgenden immer mehr auf sie, so daß verständlich wird, warum sie in seinem nächsten veröffentlichten Werk „Whose Justice? Which rationality?“ (MacIntyre, 1988, S. 354-359 (Kap. 17)) eine Schlüsselposition einnimmt (vgl. Kap 5.1).

[18] Vgl. Sixtus, 2002, S. 184f.

[19] MacIntyre, Alasdair: Whose Justice? Which rationality?, Notre Dame, 1988.

[20] MacIntyre, Alasdair: Three Rival Versions of Moral Enquiry: Encyclopedia, Genealogy, Traditon, Notre Dame, 1990.

[21] Vgl. Sixtus, 2002, S. 130f., S. 139, S. 185.

[22] Vgl. MacIntyre, 1987, S. 9-18.

[23] Ebd., S. 15.

[24] Ebd., S. 15, S. 9-18. Dazu: Sixtus, 2002, S. 192f.

[25] Vgl. Bormann, Franz-Josef: Tugendethik versus Normenethik? Zu A. MacIntyres Versuch einer systemati­schen Rehabilitierung des Tugendbegriffs, München, 1988, S.6f.: MacIntyre definiert sein eigenes Ethikver­ständnis nicht explizit an einer Stelle; es wird vielmehr des öfteren anhand seiner Kritik deutlich. Sein in „Af­ter Virtue“ verwendeter Ethikbegriff basiert auf: MacIntyre, Alasdair: What Morality is not, in: Against the Self-Images of the Age: Essays on Ideology and Philosophy, London, 1971, S. 96-108.

[26] Vgl. Kelly, Paul: MacIntyres Critique of Utilitarianism, in: After MacIntyre. Critical Perspectives on the work of Alasdaire MacIntyre, hrsg. von: Horton, John/ Mendus, Susan: Cambridge, 1996, S. 127-145, S. 127f.

[27] Vgl. Graham, Gordon: MacIntyres Fusion of History and Philosophy, in: After MacIntyre. Critical Perspecti­ves on the work of Alasdaire MacIntyre, hrsg. von: Horton, John/ Mendus, Susan, S. 161-175, S. 161-163 (vgl. Kap. 3.2 und Kap 4.1).

[28] MacIntyre, 1987, S. 35.

[29] Vgl. zur Gliederung: Preußner, Andreas: Die Komplexität der Tugend. Eine historisch-systematische Untersuchung, Würzburg, 1997 (Epistemata: Reihe Philosophie; Bd. 199), S. 61.

[30] Vgl. MacIntyre, 1987, S. 19-56 (Kap.2f.).

[31] Vgl. Borchers, 2001, S. 143f.

[32] Vgl. MacIntyre, 1987, S. 57-162 (Kap. 4-9).

[33] Vgl.ebd., S. 163-242 (Kap. 10-13).

[34] Vgl. ebd., S. 243-300 (Kap. 14f.)

[35] Vgl.ebd., S. 301-350 (Kap. 16-18). Vgl. dazu: Sixtus, 2002, S. 192-194.

[36] Vgl. Reese-Schäfer, 2001, S. 47f.

[37] Vgl. MacIntyre, Alasdair: Moral Rationality, Tradition, and Aristotle: a Reply to Onora O´Neill, Raimond Gaita, and Stephen R.L. Clark, in: Inquiry 26, 1983, S. 447-466, S. 447f.

[38] MacIntyre, 1987, S. 7f. Vgl. dazu: Hittinger, Russell: After MacIntyre: Natural Law Theory, Virtue Ethics, and Eudaimonia, in: International Philosophical Quarterly 29, 1989, S. 449-461, S. 449: Er thematisiert die Frage des Schlußpunktes, wobei MacIntyre dabei als Exponent einer postliberalen Ethik bezeichnet wird (vgl. Kap. 5.1).

[39] Vgl. Reese-Schäfer, 2001, S. 49.

[40] MacIntyre, 1987, S. 98f.: „...denn die Wahrheit ist einfach: es gibt keine solchen Rechte, und der Glaube dar­an entspricht dem Glauben an Hexen und Einhörner. Der beste Grund für die forsche Behauptung, es gäbe keine solchen Rechte, ist von genau der gleichen Art wie der beste Grund, den wir für die Behauptung besit­zen, es gäbe keine Hexen, und wie der beste Grund, den wir für die Behauptung besitzen, es gebe keine Ein­hörner: alle Versuche, stichhaltige Gründe für die Überzeugung zu liefern, daß es solche Rechte gibt, sind ge­scheitert. [...] Und der letzte Fürsprecher dieser Rechte, Ronald Dworkin [...], räumt ein, daß das Bestehen solcher Rechte nicht nachgewiesen werden kann, bemerkt zu diesem Punkt jedoch, daß aus der Tatsache, daß eine Behauptung nicht nachgewiesen werden kann, nicht folgt, daß sie nicht zutrifft. Was zwar richtig ist, aber genauso gut für die Verteidigung der Behauptung, es gäbe keine Einhörner und Hexen verwendet werden kann.“

[41] Vgl. Borchers, 2001, S. 95-99, S. 105f. sowie Preußner, 1997, S. 35f. und Sixtus, 2002, S. 123-139.

[42] Vgl. MacIntyre, Alasdair: Secularization and Moral Change, Oxford, 1967. The Ridell Memorial Lectures 1964 sowie ders., Against the Self- images of the Age, London 1971.

[43] Vgl. MacIntyre, Alasdair: The Relation of modern Philosophy to its Past, in: Rorty, Richard, u.a., Philosophy and History, New York, 1984, S. 31-48 sowie ders., Moral Philosophy, What next?; in: Hauweras, Stanley, MacIntyre, Alasdair, Revisions: Changing Perspectives in Moral Philosophy, London, 1983A, S. 1-16.

[44] Vgl. Bormann, 1988, S. 10-18.

[45] MacIntyre, 1987, S. 25.

[46] Ebd., S. 19-26. Vgl. dazu: Sixtus, 2002, S. 194-196.

[47] Vgl. Mulhall, Stephen: Liberalism, Morality and Rationality: MacIntyre, Rawls and Cavell, in: After MacIn­tyre. Critical Perspectives on the work of Alasdaire MacIntyre, hrsg. von: Horton, John/ Mendus, Susan: Cambridge, 1996, S. 205-224, S. 211-217.

[48] Vgl. Wartowsky, Marx W.: Virtue lost or Understanding MacIntyre, in: Inquiry 27, 1984, S. 235-250, S. 240.

[49] Diese Diskussion wird wiedergegeben in: Sixtus, 2002, S. 193.

[50] Vgl. Clark, Stephen R.L.: Morals, Moore and MacIntyre, in: Inqiry 26, 1983, S. 425-445, S. 432-438: Gegen diese Deutung kann eingewendet werden, daß dem Scheitern des intuitionistischen Ansatzes Moores eine zu große Bedeutung beigemessen wird. Außerdem liegt eine Interpretation Moores im emotivistischen Sinne zwar nahe, ist aber dennoch verfehlt. Er negiert nicht die Bedeutung von Werturteilen, sondern nur den stru­kurellen Zusammenhang vom situativ Gutem und dem transzendeten Guten nach Aristoteles in platonischem Sinne.

[51] MacIntyre, 1987, S. 27-40. Vgl. dazu: Sixtus, 2002, S. 194-196.

[52] Vgl. Ballard, 2000, S. 5-7.

[53] Vgl. Borchers, 2001, S. 85-89.

[54] MacIntyre, 1987, S. 29.

[55] Vgl. Mulhall, 1996, S. 217-220: Ein Beispiel MacIntyres ist das eines wütenden Lehrers, der seinen Schüler mit den Worten „Sieben mal sieben ist neunundvierzig!“ anschreit. Bedeutung und Gebrauch sind hier si­cherlich nicht deckungsgleich, fallen aber auch nicht total auseinander; sie sind zumindestens aufeinander be­zogen.

[56] So Oliver Kahn nach: Badische Zeitung vom 22. 3. 2003, S. 7.

[57] Vgl. Muhall, 1996, S. 210-220.

[58] MacIntyre, 1987, S. 41-56. Vgl. dazu: Sixtus, 2002, S. 196-200.

[59] Vgl. Ballard, 2000, S. 7-9.

[60] MacIntyre, 1987, S. 55.

[61] Vgl. Reese-Schäfer, 2001, S. 53 sowie Ballard, 2000, S. 10.

[62] Vgl. Preußner, 1997, S. 47-60.

[63] MacIntyre, 1987, S. 57-61. Vgl. dazu: Preußner, 1997, S. 59f.

[64] Vgl. Kierkegaard, Sören, Entweder- Oder. Ein Lebensfragment. Aus dem Dänischen von Alexander Michelsen und Otto Gleiß, Leipzig, 1885.

[65] MacIntyre, 1987, S. 61-66. Vgl. dazu: Wokler, 1996, S. 111f.

[66] Vgl. Preußner, 1997, S. 37f.

[67] MacIntyre, 1987, S. 38.

[68] Vgl. zur Kritik an MacIntyre: Wokler, 1996, S. 115f. Dagegen: Sixtus, 2002, S. 200.

[69] Vgl. MacIntyre, Alasdair: A Partial Response to my critics, in: After MacIntyre. Critical Perspectives on the work of Alasdaire MacIntyre, hrsg. von: Horton, John/ Mendus, Susan: Cambridge, 1996, S. 283-304, S. 298f.

Ende der Leseprobe aus 101 Seiten

Details

Titel
Am Ende der Moral? Zu A. MacIntyre´s pessimistischer Moraldiagnose und deren Überwindungsstrategie in 'After Virtue'
Hochschule
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg  (Institut für Moraltheologie)
Note
1,0
Autor
Jahr
2004
Seiten
101
Katalognummer
V45552
ISBN (eBook)
9783638429375
Dateigröße
717 KB
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
Eine Analyse des Werks "After Virtue", deutsch: "Der Verlust der Tugend" von Alasdair MacIntyre, einem der Begründer der sog. neuen Tugendethik. Die Argumentationslinie des Werks und annähernd alle kritischen Anfragen an das Werk werden en nuce dargestellt und bewertet. Die bislang in deutscher Sprache wohl ausführlichste Abhandlung zu diesem Thema mit einer umfassenden Bibliographie.
Schlagworte
Ende, Moral, MacIntyre´s, Moraldiagnose, After, Virtue
Arbeit zitieren
Stefan Dengel (Autor:in), 2004, Am Ende der Moral? Zu A. MacIntyre´s pessimistischer Moraldiagnose und deren Überwindungsstrategie in 'After Virtue', München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/45552

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