Migration und Flucht als gesellschaftliches Phänomen der Neuzeit

Am Beispiel Schleswig-Holsteins im 19. und frühen 20. Jahrhundert


Facharbeit (Schule), 2016

28 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis:

1. Vorwort:
1.1 Wie und wo habe ich meine Informationen gefunden.

2. Einleitung in die Thematik.

3. „Not macht mobil“. Gründe für Migration und Flucht.
3.1 Armut und Wirtschaftsflucht
3.2 Politische Verhältnisse und Krieg.
3.3 Freiheit des Glaubens.

4. Wie war der Ablauf der Auswanderung nach Amerika.

5. Wie wurden die Neuankömmlinge in Amerika aufgenommen (Willkommenskultur)

6. Einzelschicksale von Migranten aus Schleswig-Holstein.

7. Erfahrungsberichte von Migranten von heute aus dem Nahen Osten.

8. Parallelen der Auswanderung aus Schleswig-Holstein zur heutigen Flucht aus dem nahen Osten und Afrika

9. Fazit

10. Quellen und Literaturverzeichnis.

1. Vorwort:

Als Thema meiner Arbeit habe ich die Migration und Flucht aus Deutschland, am Ende des 19. Jahrhunderts und Anfang des 20. Jahrhunderts, am Beispiel Schleswig-Holsteins gewählt. In dieser Zeit haben von 1871 bis 1925 gut 150000 Schleswig-Holsteiner das Land, überwiegend nach Amerika, verlassen. Wichtig ist zu wissen, dass in dieser Zeit Schleswig-Holstein nur ca. 1,5 Millionen Einwohner hatte.

Wie bin ich auf das Thema gekommen?

Ich schaute mir eines Abends die „Tageschau“ an. Der Nachrichtensprecher berichtete über die wachsenden Flüchtlingsströme, schon wieder. Bilder, die langsam Alltag werden. Die Verzweiflung in den Augen der Menschen an Grenzübergängen nach Ungarn oder Österreich, die überfüllten Flüchtlingslager oder die Seelenverkäufer, mit denen Schlepper Flüchtende auf das Mittelmeer schicken und so für 1000de von Toten verantwortlich sind. Das Bild des toten syrischen Jungen an einem türkischen Strand ging um die Welt und symbolisiert das Schicksal vieler Menschen. die keinen anderen Ausweg aus ihrer Not sehen und so die Flucht in den Westen wagen. Aber vor allem symbolisiert dieses Bild das Versagen der Politik, die es nicht schafft, die Probleme des Nahen Ostens zu lösen. Wenn man die Probleme nicht löst, müssen immer mehr Menschen ihre Heimat verlassen. Politik ist oft etwas sehr Theoretisches, die Flüchtlingsthematik änderte dies. Aus den Bildern in der Tageschau wurde handfeste Realität. Eines Morgens stieg ich aus dem Zug, wo mich wie immer schon drei Klassenkameraden am Bahnhof erwarteten, mit denen ich täglich zur Schule laufe. Ich sah sofort, dass etwas anders war. Ich konnte ihre geschockten Gesichter sehen. Bevor ich die Chance bekam zu fragen sagte einer „Niklas es ist unglaublich schlimm“. Ich ahnte schon, worauf er anspielte. Wir stiegen die Treppe hinunter in die Bahnhofshalle. Ein säuerlicher Geruch hing in der Luft. Die Bahnhofshalle war vollkommen überfüllt. Ausgezehrte Menschen lagen teils in Schlafsäcken, teils auf dem nackten, kalten Boden der Bahnhofshalle. Trotz der vielen Menschen herrschte Stille, eine seltsame Stille, die ich noch nie zuvor erlebt hatte. Eine Stille, die von vielen zusammengepferchten Menschen ausgelöst wurde. Die Situation sollte sich noch verschlimmern. Quasi jeden Morgen waren hilfesuchende Menschen in meinem Zug, ich konnte durch meine guten Englischkenntnisse einige Mal weiterhelfen und versuchte die Situation an Bahnhof zu erklären. Ich versuchte, Menschen zu beruhigen und bat sie um Geduld, doch die Situation überforderte mich oft sehr. Deshalb begrüßte ich es sehr, dass nach und nach Strukturen der Hilfe und Willkommenskultur am Bahnhof entstanden. Ich war erfreut, wie viel Hilfsbereitschaft die Flensburger den Menschen entgegen brachten und immer noch bringen. Dies ist leider nicht überall der Fall, wie ich noch später ausführen werde.

Die Gründe, die die Menschen zum Verlassen ihrer Heimat treibt, sind so vielfältig, wie die Länder aus denen sie kommen. Sie fliehen aus politischen Gründen, vor Krieg und Terror, so vor allem die Syrer. Sie kommen aber auch aus wirtschaftlicher Not, weil korrupte Regierungen die Ausbeutung in den Ländern nicht bekämpfen wollen und somit die Menschen kaum ein Einkommen zum Leben haben. Manche kommen aber auch nur, weil sie sich in unserem Land bessere Lebensbedingungen erhoffen, als in ihren Ländern, obwohl dort keine Verfolgung herrscht. Wieder andere kommen aus religiösen Gründen, da sie in ihren Ländern, wegen ihrer Religion, verfolgt werden.

Wie komme ich nun zu meinem Thema. Ich wollte Migration und Flucht mal aus der Perspektive der Geschichte sehen. Diese Ereignisse sind geschichtliche Phänomene, die praktisch in jedem Jahrhundert vielfach auf der Welt vorkommen. Die Gründe dafür sind immer ähnlich. Ich hätte mir auch die jüngere Geschichte Deutschlands ansehen können. Es hat mich aber erstaunt, dass wir selbst in dem kleinen Land Schleswig-Holstein besonders auch auf den Inseln wie Föhr, vor etwas mehr als hundert Jahre eine Migrationswelle erlebt haben. Etwas mehr als 15% der gesamten Bevölkerung haben das Land, überwiegend nach Amerika, verlassen. Die Gründe für das Verlassen der Heimat waren, bis auf den Terror heute, ähnlich gelagert.

1.1 Wie und wo habe ich meine Informationen gefunden.

Wie heute üblich habe ich zuerst im Internet zum Thema Migration und Auswanderung recherchiert. Wirklich gute Informationen waren aber nur schwer zu finden. Da wir persönliche Beziehung zu Föhr haben, habe ich mich dort im Friesen-Museum in Wyk und bei der Ferring-Stiftung am Museum der Westküste informiert. Dort habe ich, in sehr informativen Gesprächen mit Museumsmitarbeitern, einige Literaturempfehlungen zum Thema erhalten. Im Friesen-Museum gibt es auch eine Ausstellung zu dieser Thematik.

2. Einleitung in die Thematik

„I came to America because I heard the streets were paved with gold.When I got here, I found out three things: first, the streets weren ́t paved with gold; second, they weren ́t paved at all; and third, I was expected to pave them.”

Dies ist ein Zitat eines Einwanderers, nachzulesen auf einer Tafel im Einwanderungsmuseum in Ellis Island, New York.

Dieses Zitat beschreibt, wie kein zweites, die Träume der Menschen, die ihre Heimat verlassen haben, ihre Vorstellungen vom zukünftigen Leben und die sich tatsächlich anschließende Realität im Auswanderungsland. Wenn man Interviews mit Flüchtlingen heute sieht oder liest, kann man den Eindruck gewinnen, dass sie von ähnlichen Vorstellungen von Deutschland geprägt sind. Die Realität ist für viele dann wohl auch eher ernüchternd.

Was bewegte die Menschen im 19. Jahrhundert ihre Heimat in Schleswig-Holstein zu verlassen?

Ein kurzer Rückblick in die Geschichte.

„Ab 1870/71 kam es auf Föhr zu einer Auswanderungswelle ungeahnten Ausmaßes, resultierend aus gravierenden politischen und gesellschaftlichen Umbrüchen. Bereits in den Jahren vor Ausbruch des Deutsch-Französischen Krieges 1870/71 war es auf Föhr durch die kriegerischen Auseinandersetzungen zwischen Dänemark, Preußen und Österreich zu einschneidenden Veränderungen gekommen. Am 15. November 1863 starb der dänische König Friedrich VII. Sein Nachfolger wurde Christian IX., der am 18. November gegen den Rat der Großmächte und gegen den Willen der Deutschen Schleswig-Holsteiner die eiderdänische Verfassung unterzeichnete…Am 16. Januar 1864 stellten Preußen und Österreich Dänemark das Ultimatum, die Verfassung binnen 48 Stunden zurückzunehmen was Dänemark ablehnte. Am 1. Februar kam es zum Krieg zwischen dem Deutschen Bund und Dänemark.“ (Kreske Ingwesen, 2014, S. 123)

Dänemark verlor den Krieg. Der Landesteil Schleswig-Holstein war nun neue preußische Provinz. Föhr war nun nicht mehr ein Teil Dänemarks.

„Am 1. Oktober 1867 trat die Preußische Verfassung in Kraft. Durch die Preußische Verwaltung kam es zu umwälzenden gesellschaftlichen Veränderungen.“ (Kreske Ingwesen, 2014, S. 124) Die Inselfriesen empfanden besonders belastend die Einführung einer 3 jährigen Wehrpflicht. Als Dänen kannten sie keine Wehrpflicht, außer in Kriegszeiten. Als Folge der Wehrpflicht verließen viele junge Männer Schleswig-Holstein, besonders von der Insel Föhr. Die jungen Männer wollten nicht in der Preußischen Armee dienen, die ihnen zutiefst verhasst war. Außerdem bahnte sich eine kriegerische Auseinandersetzung an. Am 19. Juli 1870 war es dann soweit, Frankreich erklärte Preußen den Krieg.

3. „Not macht mobil“. Gründe für Migration und Flucht.

In diesem Kapitel möchte ich auf die verschiedenen Gründe für Migration und Flucht der Menschen besonders aus Schleswig-Holstein und Föhr eingehen.

3.1 Armut und Wirtschaftsflucht

Im 19. Jahrhundert kam es zu massiven Veränderungen der wirtschaftlichen Situation in Europa. Es kam zu einer allmählichen Loslösung der Wirtschaft wie „aus den Bindungen und Rechtsgebung der Grundherrschaft der Zünfte, Monopole und Privilegien“ (Wissen Digital, 2015). Eine wichtige Entwicklung in der Landwirtschaft war die Bauernbefreiung und Beseitigung der Grundherrschaft. Es kam in Schleswig-Holstein und besonders auch auf den Inseln zu einer Landaufteilung in kleine Ackerflächen. Diese Flächen konnten zwar ihre Besitzer halbwegs ernähren aber reichten nicht aus, um alle Einwohner mit Lebensmitteln zu versorgen. Hinzu kam eine Sturmflut, die einige Ackerflächen durch das Salzwasser unbrauchbar machten. Für Föhr kam erschwerend hinzu, dass der Walfang im 19. Jahrhundert im Niedergang begriffen war. Aber auch die Handelsschifffahrt hatte durch die Napoleonischen Kriege schwere Einbußen erlitten. Viele Menschen versuchten, ihr Auskommen in den neu entstehenden Fabriken zu finden. Diese Landflucht führte zu einer wachsenden Bevölkerung in den Städten. Die Lebens- und Arbeitsbedingungen verschlechterten sich dort ständig „die Aussichten für Handwerker, Kleinbauern und vor allem die der Landarbeiter war trostlos“. (Paul-Heniz Pauseback, Geschichte-s-h.de 2015.) In diesen schwierigen Zeiten, geprägt von Armut, Überbevölkerung und wirtschaftlichen Krisen, sahen viele Menschen keine Zukunft mehr in ihrer Heimat.

Frühere Auswanderer nach Amerika schickten Briefe in die alte Heimat. Diese gingen von Hand zu Hand oder wurden sogar in Zeitungen abgedruckt. Viele dieser Briefe berichteten begeistert über die wirtschaftlichen Möglichkeiten in der neuen Heimat. Viele Menschen fassten daraufhin den Entschluss, ihre Heimat zu verlassen und ihr Glück im „gelobten Land Amerika“ zu finden. Es kam zu großen Auswanderungswellen. Die Auswanderungsbewegung wurde durch den Goldrausch in Kalifornien nochmals verstärkt. Viele junge Männer gingen nach Amerika um dort „ihr Glück“ zu finden.

Viele Kleinbauern, die von ihrer Landwirtschaft nicht mehr leben konnten, erhofften sich, in Amerika Land erwerben zu können. Ein Gesetz nach dem Amerikanischen Bürgerkrieg, das die Besiedlung der Westlichen Territorien voran treiben sollte, versprach Einwanderern, wenn sie das Land bewirtschaften wollten, bis zu 120ha an Land. Für Kleinbauern aus Schleswig-Holstein oder Föhr riesige Landflächen, für die es sich lohnte, die Heimat zu verlassen.

„Nach den Meldungen der Hafenstädte Hamburg, Bremen, Stettin und Antwerpen wanderten von 1871 bis 1925 gut 150.000 Schleswig-Holsteiner aus“. (Paul-Heniz Pauseback, geschichte-s-h.de 2015) In Schleswig-Holstein lebten zu dieser Zeit gut 1 Millionen Menschen. Also etwa 15% der Einwohner verließen ihre Heimat, um in Übersee ein besseres Leben zu finden. Auf der Insel Föhr war dieser Rückgang der Bevölkerung noch dramatischer. Laut der Kirchenbücher St.Laurentti und der Aufstellung von Lorenz Braren: „Die Geschlechterreihe St. Laurentti-Föhr“, verringerte sich die Bevölkerung in einigen Dörfern innerhalb nur einer Generation um 30%. Z.B im Dorf Hedehusum waren um 1900 nur zehn Häuser bewohnt. Lediglich zwei junge Familien lebten noch im Dorf. Die meisten Einwohner waren zwischen 65 und 71 Jahre alt. (Amerika-Auswanderer von Föhr und Amrum Bd.1, Hrsg. Hans Krüger, 1988)

Aber nicht nur aus Armut verließen die Menschen ihre Heimat. In einem Bericht des damaligen Landvogtes von Föhr und Amrum, Wilhelm Cristian Forchhammer 1872 an den Landrat von Tondern war zu lesen, dass auch viele wohlhabende Familien ihr Grundvermögen verkauften und zum Teil mit großem Vermögen, es wird die Summe von 12.000 Thalern genannt, die sie in Richtung Kalifornien mitnahmen. Sie wollten dort Ländereien erwerben. Der Verkauf von Grundvermögen führte schnell zu einem Verfall der Hauspreise. (Kreske Ingwesen S.126-131, 2014) Weiterhin wurde berichtet, dass besonders gebildete Menschen aus dem Bürgertum ihre Heimat verließen. Dies hatte sicherlich mit den unfreien politischen Verhältnissen in Schleswig-Holstein/Preußen zutun.

3.2 Politische Verhältnisse und Krieg

Auch in Schleswig-Holstein herrschte Krieg, der deutsch-dänische Krieg 1864 und die ungewisse Zukunft Schleswig-Holsteins bis zur Annexion durch Preußen führten zu Beschleunigung des wirtschaftlichen Niedergangs. Durch die Einführung der Preußischen Verwaltung kam es zu umwälzenden gesellschaftlichen Veränderungen „Als besonders belastend fanden die Inselfriesen die Einführung der 3 Jahre langen Wehrpflicht, da sie bis dato kein Wehrdienst, außer in der dänischen Marine zu Kriegszeiten. Für die einen war sie ungewohnt, für dänisch gesinnte Schleswiger schlichtweg eine Zumutung“. (Kreske Ingwesen, S. 124,2014) Um sich dieser Wehrpflicht zu entziehen verließen viele junge Männer die Inseln. Von einem Schul- oder Konfirmandenjahrgang hat oft die Hälfte der Jungen die Insel in Richtung Amerika verlassen. Durch den drohenden Wehrdienst hat sich die Auswanderungswelle verstärkt. Der Militärdienst „war nachgewiesenermaßen sogar die Motivation zur Auswanderung bei Familien mit mehreren unmündigen Söhnen“. (Amerika-Auswanderer von Föhr und Amrum Hrsg. Hans Krüger 1988). In diesem Buch wird von einer Familie aus Oldsum berichtet, die vier Söhne hatte. Die Mutter sammelte Geld, um die Auswanderung der Söhne zu ermöglichen. Zu einer weiteren Auswanderungswelle von jungen Männern kam es, als die dunklen Vorahnungen eines Krieges heraufzogen. Am 19. Juli 1870 war es dann soweit. Frankreich erklärte Preußen den Krieg.

Im 19. Jahrhundert kam es auch durch die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse zu neuen politischen Ideen. Der Niedergang des Adels und der Aufstieg des Bürgertums stellte die alte politische Ordnung in Frage und es kamen Gedanken von Demokratie und Freiheit auf. Dazu habe ich einen interessanten Vortrag von 1846 gefunden. B.Wechsler, Landesrabbiner von Oldenburg hat in einem sehr spannenden Vortrag, den ich zufällig im Internet bei meinen Recherchen gefunden habe, „Die Auswanderer“ geschrieben: „Der Schmerz über Ungleichheit, über Rechtlosigkeit über wirkliche oder vermeintliche Zurücksetzung, über nicht Beachtung von Ansprüchen usw. steigert sich in dem Maße, in welchen die Empfänglichkeit von Recht und Gleichheit, für Wahrheit und Menschenwürde zunimmt, in welchem diese Begriffe und Ideen Gemeingut werden und in Folge der Bildung immer mehr werden müssen“. Viele Menschen erhofften sich, eine solche neue Freiheit leben zu können. Amerika bot diese Möglichkeit, frei und ohne die alten Zwänge in der Heimat, leben zu können. B.Wechsler schreibt in seinem Vortrag: „Ein Seidensticker wandert aus weil das Vaterland keine Duldung für seine politische Meinung hat“.

Die Gedanken der politischen Freiheit, wie sie die amerikanische Verfassung von 1787 darlegte, fanden besonders bei Menschen aus den höheren Bildungsschichten großen Zuspruch, selbst bei Johann Wolfgang von Goethe.

In seinem Vortrag schreibt B. Wechsler über die Anziehungskraft von Nord Amerika, dass „Nord Amerika das Glück gehabt hatte, das große, weise, patriotische Staatsmänner an der Wiege seiner Geburt gestanden haben und das Zauberwort gefunden haben…dieses Zauberwort ist vor allem die volle Berechtigung der Person die in keiner Zwangsjacke eingeschnürte Freiheit der Bewegung die Abweisung der Versuchung, auf Kosten des Individuums und seiner natürlichen Ansprüche eine gesellige Ordnung zu gründen oder sich auf die schwindelnde Höhe einer, nur mit großer Opfern zu behauptenden Macht schwingen zu wollen“. Weiter schreibt er, dass die Bürger im politischen Leben eine vorrangige Öffentlichkeit und Teilnahme an der Gesetzgebung haben. Es gibt die Freiheit der Rede und keine Verfolgung politischer Meinung. Die Presse ist frei. Der Staat mischt sich nur ein Minimum in die Gemeindeverhältnisse ein. Viele Menschen aus dem Bürgertum wollten die für deutsche Verhältnisse ungeahnte Freiheit leben und verließen ihre von Unfreiheit geprägte Heimat.

3.3 Freiheit des Glaubens

Dazu schreibt B.Wechsler in seinem Vortrag: „Der arme Schelm Schulm Moses muss in Amerika sein heil suchen, weil er ein heimatloser Jude ist, weil man in den Deutschen Landen wohl Prügel und Kerker, aber kein Plätzchen der Ruhe für ihn hat, weil man sich nicht scheut ihn wie einen Fangball einander zuzuwerfen – greifen diese Vorfälle nicht tief ein in das innerliche geistige Leben der Gegenwart ? –„. Nicht nur Juden, sondern auch Menschen mit anderen religiösen Meinungen wurden in Europa verfolgt und verloren ihre Heimat. So wurden 1731, 21.000 Protestanten aus dem Erzbistum Salzburg ausgewiesen. Ein Teil dieser Menschen siedelte sich in Preußen an. Viele von ihnen wanderten später nach Amerika aus. Breits vor der amerikanischen Verfassung von 1787, hat Virginia im Jahre 1785 die Religionsfreiheit festgeschrieben. So schreibt B.Wechsler: „Kein Mensch soll gezwungen werden, zu besuchen oder zu unterstützen irgendeinen religiösen Gottesdienst, Kirche oder Priesterschaft; auch soll man niemand deshalb an Leib oder gut beunruhigen zwingen und belästigen oder ihn wegen religiöser Meinungen oder Glauben irgend Leid antun.“

Religiöse Gründe die zum Verlassen der Heimat zwangen spielten für Schleswig-Holstein und besonders Föhr nur eine untergeordnete Rolle. Bei meinen Recherchen für meine Arbeit habe ich keine diesbezüglichen Berichte oder Literaturhinweise gefunden.

4. Wie war der Ablauf der Auswanderung nach Amerika

In den nächsten Kapiteln will ich darstellen, ob es Parallelen, zwischen den Erlebnissen der Menschen, die in unser Land kommen sind, zu den geschilderten Erfahrungen der Auswanderer aus Schleswig-Holstein gibt. Hierzu habe ich u.a. auch Gespräche mit Migranten aus dem Nahen Osten geführt.

Die Erlebnisse der Auswanderer aus Schleswig-Holstein konnte ich nur aus der Literatur rekonstruieren. Zeitzeugen konnten verständlicherweise nicht befragt werden. Die Erfahrungen späterer Auswanderer aus den 50iger Jahren des letzten Jahrhunderts sind nicht vergleichbar, da es sich um geordnete Auswanderungen nach Amerika handelte. Wir haben auf Föhr solche Menschen kennen gelernt, die heute als Besucher oder Rückwanderer auf der Insel leben. Für meine Fragestellung waren deshalb die Literaturempfehlungen der Museumsmitarbeiter und die Ausstellung im Friesenmuseum in Wyk sehr hilfreich.

Ich habe nachgelesen, dass für viele die auswandern wollten, die Überfahrt nur deshalb erschwinglich war, weil sie auf den Schiffen viele Entbehrungen auf sich nehmen mussten. Berüchtigt waren die Segelschiffe mit ihren engen Zwischendecks in denen die Passagiere oft zu Hunderten eingepfercht wurden. Auf diesen Schiffen betrug die Mindesthöhe der Decks 1,72m. Auf diesen Schiffen starben auf der Überfahrt von Hamburg nach New York bis zu 15% der Passagiere. Etliche dieser Schiffe kamen nie in Amerika an. Besser wurden die Überfahrten erst durch den Einsatz von Dampfschiffen. (Amerika-Auswanderer von Föhr und Amrum, Hans Krüger, 1988)

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

Gedränge um einen Platz auf dem Schiff zu erhalten. (Bild aus Friesenmuseum Wyk, Stich von 1885)

Auch der Weg zum Hafen, für die Schleswig-Holsteiner vor allem Hamburg, war für viele Menschen sehr anstrengend und beschwerlich. Die Verkehrswege sind nicht vergleichbar mit denen in unserer Zeit. Wer nicht genügend Geld hatte, um mit Pferd und Wagen oder der Eisenbahn zu reisen, legte den Weg oft teilweise zu Fuß zurück. Oft waren die Menschen Geschäftemachern ausgesetzt, die ihnen teure Unterkünfte und Nahrungsmittel verkauften. Am schlimmsten erging es den jungen Männern, die vor dem Wehrdienst flüchteten und keine Papiere hatten. Sie waren Schleppern ausgeliefert, die ihnen die Ausreisepapiere besorgten. Berüchtigt war auch die Schlepper, die gezielt junge Frauen zu Ausreise animierten. Sie versprachen ihnen oft reiche Ehemänner. Die meisten von ihnen landeten als Hilfskräfte in Stores oder Fabriken, wenn ihnen nichts Ärgeres wiederfuhr.

[...]

Ende der Leseprobe aus 28 Seiten

Details

Titel
Migration und Flucht als gesellschaftliches Phänomen der Neuzeit
Untertitel
Am Beispiel Schleswig-Holsteins im 19. und frühen 20. Jahrhundert
Note
1,0
Autor
Jahr
2016
Seiten
28
Katalognummer
V456201
ISBN (eBook)
9783668901155
ISBN (Buch)
9783668901162
Sprache
Deutsch
Schlagworte
migration, flucht, phänomen, neuzeit, beispiel, schleswig-holsteins, jahrhundert
Arbeit zitieren
Niklas Rotsch (Autor:in), 2016, Migration und Flucht als gesellschaftliches Phänomen der Neuzeit, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/456201

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