Rolle und Abbau von Geschlechterstereotypen im Sportunterricht


Hausarbeit, 2018

22 Seiten


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung

2. Geschlecht als soziale Konstruktion

3. Geschlechterstereotype

4. Rolle und Auswirkungen von Geschlechterstereotypen im Schulsport

5. Reproduktion von Geschlechterstereotypen im Schulsport

6. Folgerungen für den Sportunterricht

7. Zusammenfassung

Literatur

1.Einleitung

Was Richtlinien, Lehrpläne und Verordnungen vorschreiben, ist nicht alles was in der Schule gelernt wird. Durch das Zusammenleben von Menschen in einer Gemeinschaft werden Verhaltensweisen und Einstellungen erworben, die nicht aus den bewussten pädagogischen Intentionen der Lehrkräfte hervorgehen. Dieser andere, inoffizielle Teil wird als der „heimliche Lehrplan“ bezeichnet, zu dem z.B. soziale Regeln, Regelungen und Routinen des Alltags, also vor allem soziale Lernerfahrungen gehören (vgl. Hilgers, A. 1994, S.91-93). Das Verhältnis der Geschlechter ist eine dieser Lernerfahrungen und es wird gleichzeitig mit bestimmten Verhaltensweisen und Erwartungen assoziiert. Nicht selten folgen auf abweichendes Verhalten Ablehnung oder Sanktionen.

Ausgehend von der Entwicklung des Sports als zunächst rein männliche Domäne (vgl. Hartmann-Tews, 2006) ist es nicht verwunderlich, dass sich um die Differenzen zwischen Mädchen und Jungen im Sport eine lange Koedukationsdebatte für den Sportunterricht rankt. Aus dieser lässt sich bereits herauslesen, dass im Sport eine Gleichberechtigung und Gleichwertigkeit der Geschlechter nicht prinzipiell gegeben ist und in der Gesellschaft viele Vorurteile darüber herrschen, welche Sportarten und Bewegungsformen für Mädchen und für Jungen geeignet und wie diese am besten zu vermitteln seien (vgl. Kugelmann, 1980). Das asymmetrische Verhältnis der Geschlechter in der Gesellschaft spiegelt sich im Sport und v.a. in den im Sportunterricht dominierenden Mannschaftssportarten, in denen die „männlichen“ Eigenschaften Durchsetzungsfähigkeit, Überlegenheitsanspruch, Härte und Risikobereitschaft zum Erfolg zu führen scheinen, wieder. Eine sozialkonstruktivistische Lesart von Geschlecht entlarvt diese Stereotype allerdings als ein Ergebnis geschlechtsspezifischer Sozialisation. Im Sport werden die Mädchen somit durch die mit den Stereotypen verbundenen Erwartungen und Rollenbildern zu den Verlierern, wenn sie ihre „Weiblichkeit“ erhalten wollen und die Jungen müssen einem „Überlegenheitsimperativ“ (vgl. Kugelmann et.al., 2006) folgen oder soziale Ausgrenzung und Abwertung befürchten, wenn sie den Anforderungen des männlichen Stereotyps nicht entsprechen können. Gerade im Sport treten die Differenzen zwischen den Geschlechtern deutlich hervor, schränken die Möglichkeiten von Jungen und Mädchen ein und hindern sie damit womöglich daran, ihre individuellen Potentiale vollständig zu entfalten. Lern- und Entwicklungsmöglichkeiten, die sich aus den Anforderungen der unterschiedlichen Sportarten ergeben, werden ebenfalls nicht vollständig genutzt, wenn der „typische“ Junge sich beispielsweise abweisend gegenüber Körpererfahrungen, wie sie Entspannungstechniken oder Tänze bieten, verhält und das „typische“ Mädchen ihre Fähigkeiten in einem auf Konkurrenz ausgelegten Sportunterricht nicht einbringen kann. Insofern erscheint es im Sinne der Schülerinnen und Schüler (im Folgenden mit SuS abgekürzt) als notwendig, dass Lehrkräfte ihren Sportunterricht auf unbewusste (Re-)Produktionen von Geschlecht reflektieren und einen Abbau von Geschlechterstereotypen anzustreben.

Der Frage nach entsprechenden Ansätzen, den Sportunterricht geschlechtssensibel zu gestalten und dadurch zum Abbau von Geschlechterstereotypen im Sport beizutragen wird deshalb im Folgenden nachgegangen. Da Sport ist eines der beliebtesten Fächer in der Schule ist, sowohl bei den Jungen als auch bei den Mädchen, sollten gute Bedingungen gegeben sein den Unterricht so zu arrangieren, dass bei günstigen emotionalen und motivationalen Voraussetzungen Erfahrungen geschaffen werden, die zum Abbau von geschlechtsbezogenen Vorurteilen beitragen.

Zunächst wird kurz das zu Grunde gelegte Verständnis von Geschlecht erläutert. Im anschließenden Kapitel wird erklärt, was unter Stereotypen und speziell Geschlechterstereotypen zu verstehen ist. Ausgehend davon, wie diese im Sportunterricht hergestellt werden und welche Rolle sie für den Sportunterricht spielen bzw. welche Auswirkungen mit diesen für die Geschlechter verbunden sein können, soll schließlich abgeleitet werden, ob und wie der Sportunterricht zu Abbau von Geschlechterstereotypen beitragen kann.

2.Geschlecht als soziale Konstruktion

In Alltagstheorien werden Menschen anhand des biologischen Geschlechts in Männer und Frauen unterteilt, wobei das eine das andere grundsätzlich ausschließt, d.h. Geschlecht wird dichotom gedacht. Das biologische Geschlecht wird in unserer Gesellschaft zur Geburt anhand der primären Geschlechtsmerkmale festgelegt und gleichgesetzt mit dem sozialen Geschlecht (gender). Geschlecht wird als biologisch determinierte, unveränderliche Tatsache gedacht (vgl. Hilgers 1994, S.21f.).

Diese Arbeit hingegen legt den Fokus auf die sozialen Konstruktionen, die mit der Differenzkategorie Geschlecht einhergehen. Es wird davon ausgegangen, dass die Zugehörigkeit zu einem Geschlecht erworben wird und in alltäglichen Interaktionen ständig inszeniert werden muss (vgl. Faulstich-Wieland 2008). Menschen werden erst durch ihre Handlungen, sowie Kleidung, Stimme und Bewegungen als Männer oder Frauen erkannt (vgl. Degele et. al. 2008, S.107). Die Inszenierung von Geschlecht erfolgt nach den als „normal“ akzeptierten Geschlechterverhältnissen, die dadurch schließlich reproduziert werden und ihre „Normalität“ bestätigen (vgl. Faulstich-Wieland 2008, S. 675). Auch Geschlechterdifferenzen in Eigenschaften; Fähigkeiten, Neigungen, Interessen und Verhaltensweisen sind damit nicht natürlichen Ursprungs, sondern gesellschaftlich hergestellt. Diskursiv geschaffene Unterschiede zwischen den Geschlechtern erleben wir von Geburt an, wodurch sie uns als naturgegeben erscheinen. Relativ früh im Verlauf der Sozialisation lernt ein Mensch durch Sprache sowie nonverbale Signale in der Regel unbewusst und auf zahlreichen Wiederholungen beruhend, dass er ein Junge oder ein Mädchen ist. Mit den als Gegensätzen gedachten Kategorien werden Einstellungen, Werte und Erwartungen verknüpft. Dadurch wird das gleiche Verhalten je nach Geschlecht auch unterschiedlich bewertet (vgl. Degele et. al. 2008, S.105; Hilgers 1994, S.22).

Mit Geschlecht gehen außerdem soziale Rollen einher. Soziale Rollen haben normativen Charakter, denn an die Rollenträger werden jeweils spezifische Verhaltenserwartungen herangetragen. In unterschiedlichen Rollen von Männern und Frauen (z.B. Mutter, Familienernährer) spiegelt sich ein gesellschaftliches Ungleichgewicht wider (vgl. Athenstaedt et. al. 2011, S.13). Geschlechterstereotype sind u.a. auch Ergebnisse von den Rollenverteilungen, wenn z.B. Berufstätige als weniger maskulin beschrieben werden in Berufen, in denen mehr Frauen als Männer arbeiten (vgl. Athenstaedt et. al. 2011, S.22).

3. Geschlechterstereotype

Soziale Stereotype sind verinnerlichte, relativ änderungsresistente und sozial geteilte kognitive Muster, die unsere Wahrnehmung mitbestimmen, indem sie die Selektion aufgenommener Informationen beeinflussen oder als Beurteilungsgrundlage für Wahrnehmungen dienen. Anhand von an anderen Menschen wahrgenommenen Merkmalen wird auf die Zugehörigkeit einer Gruppe geschlossen und gleichzeitig werden der Person auch andere für diese Gruppe als typisch angesehene Merkmale zugeschrieben (vgl. Athenstaedt & Alfermann 2011, S. 13 & 43; Hilgers 1994, S.41-43; Thiele 2016). Stereotype stellen die Realität allerdings nur unzulänglich und stark vereinfacht dar. Ein „wahrer Kern“ von Stereotypen entsteht wahrscheinlich eher dadurch, dass Stereotype letztlich das Verhalten von Menschen beeinflussen und Stereotype im Sinne einer selbsterfüllenden Prophezeiung hergestellt werden (vgl. Thiele 2016).

Stereotype haben eine Entlastungsfunktion, indem durch sie komplexe soziale Phänomene einfacher verarbeitet werden können und sie uns bei der Entscheidungsfindung helfen. Das Arbeitsgedächtnis wird dadurch weniger beansprucht. Allerdings ist damit auch ein Informationsverlust verbunden (Athenstaedt et. al., S12; Hilgers 1994, S.41; Thiele 2016). Als Bewertungsmaßstab ermöglichen Stereotype es uns, das gleiche Verhalten bei z.B. Männern und Frauen unterschiedlich zu bewerten (vgl. Hilgers 1994, S.43; Athenstaedt et.al S.40). Außerdem spielen sie eine Rolle bei der Identitätsbildung (vgl. Thiele 2016) und werden zur Legitimation von Statusunterschieden zwischen Gruppen herangezogen (Athenstaedt et. al., S.14), was soziale Ungleichheiten verfestigt (Thiele 2016). Stereotype sind also sowohl deskriptiv (wie sind Frauen und Männer) als auch präskriptiv (wie sollen Frauen und Männer sein) (vgl. Athenstaedt et. al. 2011.S.14).

Beruhen Stereotype auf der sozialen Kategorisierung in Mann und Frau und nach sexueller Orientierung, spricht man auch speziell von Geschlechterstereotypen, womit wiederrum eine Zuschreibung bestimmter, für Männer und Frauen als typisch erachteter Charakteristika einhergeht (vgl. Athenstaedt et. al., S.12; Thiele 2016). Einige stereotype Eigenschaften die länderübergreifend für Männer und Frauen in Untersuchungen herausgefunden wurden (Athenstaedt et. al., 2011, S. 16), sind z.B.:

Männer: abenteuerlustig, aggressiv, aktiv, dominant, egoistisch, ehrgeizig, emotionslos, entschlossen, erfinderisch, faul, hartherzig, laut, logisch denkend, mutig, rational, realistisch, selbstbewusst, selbstherrlich, stark, stur, tatkräftig, unabhängig, unordentlich, überheblich,

Frauen: abergläubisch, abhängig, affektiert, attraktiv, charmant, einfühlsam, emotional, furchtsam, gefühlvoll, geschwätzig, liebevoll, milde, neugierig, schwach, sanft, träumerisch, unterwürfig, weichherzig

Die normativen Erwartungen, die mit Geschlechterstereotypen verbunden sind, stellen letztlich Einschränkungen für beide Geschlechter dar (vgl. Hilgers 1994, S.93; Bittner 2011, S.11), was die Schülerinnen und Schüler unter anderem daran hindern könnte, ihre individuellen Potentiale voll auszuschöpfen. Des Weiteren beeinflussen sie unsere Wahrnehmung anderer Menschen, was letztlich dazu führt, dass das gleiche Verhalten bei Männern und Frauen unterschiedlich bewertet wird (vgl. Bittner 2011, S. 11). Wenn nicht geschlechtstypische Rollen eingenommen werden, muss mit Sanktionen gerechnet werden (z.B. Ablehnung, sozialer Ausschluss), was Stereotype stabilisiert (vgl. Athenstaedt et. al. 2011, S. 49). Insbesondere bei Jungen werden Abweichungen von den als für das männliche Geschlecht als typisch angesehenen Charakteristika als besorgniserregend erachtet, während Mädchen die zunehmend gestiegenen Gestaltungsmöglichkeiten für den eigenen Konstruktionsprozess wahrnehmen können. Letztendlich werden aber beide Geschlechter in der Entfaltung ihrer individuellen Fähigkeiten und Neigungen eingeschränkt. (vgl. Hilgers, A., S.50; Bräutigam, 2011).

4.Rolle und Auswirkungen von Geschlechterstereotypen im Schulsport

Vermeintlich auf die Geschlechtszugehörigkeit zurückzuführende Präferenzen im Sport sind von der sozialen Konstruktion der Zweigeschlechtlichkeit nicht ausgeschlossen. Durch unterschiedliche Sozialisation sind auch die Differenzen zwischen Jungen und Mädchen in den sportlichen Leistungen auch ein Ausdruck unterschiedlicher gesellschaftlicher Erwartungen. „Männlicher Sport betont Kraft, Körpereinsatz, Leistungsverbesserung und -demonstration, sowie Wettkampf, was zu Sportarten wie Fußball, Eishockey, Handball, Ringen, Boxen passt. „Weiblicher Sport wird als zurückhaltender und gesundheits- und fitnessorientiert beschrieben. Als typisch weibliche Sportarten gelten z.B. Gymnastik, Tanzen, Reiten (vgl. Baur, 2007). Tatsächlich präferieren Jungen körperbetonte, risikoreiche und konkurrenzorientierte Sportarten, v.a. zweikampfintensive Ballsportarten, insbesondere Fußball. Mädchen bevorzugen hingegen Sportarten weniger leistungs- und wettbewerbsbetonte Sportarten und schließen auch gymnastisch-tänzerische Bewegungsformen mit ein. Die ausgeübten Sportarten sind breiter gefächert als bei den Jungen. Der Sportunterricht orientiert sich damit eher an den sportlichen Vorlieben der Jungen (vgl. Mutz et. al., 2014). Allerdings ist eine große Zahl an Sportarten nicht geschlechtstypisch eingefärbt und die Sportarten scheinen ihre geschlechtsbezogene Konnotation zunehmend zu verlieren. V.a. Mädchen beteiligen sich häufiger auch an jungentypischen Sportarten, was auch ein Hinweis auf den für Jungen im Vergleich zu Mädchen größeren Zwang, sich geschlechtskonform zu verhalten, sein könnte (vgl. Baur, 2007). Dies zeigt sich v.a., wenn man Sportarten wie Gymnastik/Tanzen und Fußball oder Boxen vergleicht. Für Mädchen erscheint es mittlerweile durchaus als „normal“, dass diese an typisch männlichen Sportarten teilnehmen, während Jungen immer noch verstärkt mit Sanktionen rechnen müssen, wenn sie eine typisch weibliche Sportart betreiben, insbesondere im Jugendalter. Jungen sind i.d.R. durch den „Überlegenheitsimperativ“ (Bräutigam, 2011, S.90) im männlichen Rollenverständnis in ihren Entfaltungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt, wodurch sie sich zu Verhaltensweisen gezwungen fühlen können, wie die kategorische Ablehnung von „weiblichen“ Sportarten, wie z.B. Tanzen (vgl. Kugelmann et.al., 2006). Eine aktive Teilnahme der Schüler am Sportunterricht in „weiblichen“ Sportarten kann unter solchen Umständen erschwert werden und ausgehend davon dürfte es aus Sicht der Jungen von den Gleichaltrigen durchaus als wünschenswert wahrgenommen werden, eine Abneigung gegenüber Tanz oder Gymnastik auch demonstrativ nach außen zu zeigen und möglicherweise auch den Unterricht im Ablauf zu stören. Durch Unterschiede darin, welche Eigenschaften von Jungen und Mädchen als positiv bewerten, wird im Allgemeinen auch deren Zusammenarbeit im Sportunterricht erschwert (vgl. Kugelmann, 1980, S. 134-137).

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Details

Titel
Rolle und Abbau von Geschlechterstereotypen im Sportunterricht
Hochschule
Universität Leipzig
Autor
Jahr
2018
Seiten
22
Katalognummer
V456219
ISBN (eBook)
9783668888029
ISBN (Buch)
9783668888036
Sprache
Deutsch
Schlagworte
rolle, abbau, geschlechterstereotypen, sportunterricht
Arbeit zitieren
Sebastian Horn (Autor:in), 2018, Rolle und Abbau von Geschlechterstereotypen im Sportunterricht, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/456219

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