Leseprobe
Inhaltsverzeichnis:
1. Einleitung
2. Die monastischen Reformen aus Cluny
3. Zeit des Reformpapsttums – Die Gregorianische Reform
4. Von Burgund nach Rom? – Ein Fazit
5. Literaturverzeichnis
6. Quellenverzeichnis
1. Einleitung
Die Gregorianischen Reformen – benannt nach ihrem einflussreichsten Verfechter Papst Gregor VII (1073-1085) – waren der Gipfel jener Prozesse, die zur Überwindung des europäischen Frühmittelalters und zur Gestaltung der institutionellen Kirche führten, die sich zumindest in ihrem Kern das kommende Jahrtausend nicht verändern sollte. Die Trennung zwischen Staat und Kirche erscheint heute als etwas Selbstverständliches; doch war es für lange Zeit üblich, dass sich weltliche Herrscher (Laien) für die Vergabe kirchlicher Ämter verantwortlich sahen1, ja sogar daraus Profit schlugen, indem sie linientreue Bischöfe oder Äbte erhoben, um ihre politische Machtbasis dadurch abzusichern. 2 In den Fünfzigerjahren des 11. Jahrhunderts wurden nun mehr und mehr Stimmen laut, welche diese „frühmittelalterliche Verflechtung von geistlicher und weltlicher Rechtssphäre“ als einen untragbaren Zustand anprangerten.3 Freilich teilten weltliche Herrscher, allen voran der Kaiser, diesen Unmut nicht; im Gegenteil: Es kam zum berühmten Investiturstreit, der zumindest vor dem Hintergrund des Hauptziels der „Gregorianer“ (der Aufhebung der Laieninvestitur) zu Gunsten der Kirche entschieden wurde4, und somit fortan weltliche Fürsten kaum mehr Einfluss auf die Besetzung kirchlicher Ämter hatten.
Ungefähr zur gleichen Zeit wuchs eine im französischen Burgund entsprossene monastische Reformbewegung zu einem der mächtigsten und einflussreichsten Klöstern des Mittelalters heran, die sich von vornherein seit ihrer Gründung jedwedem weltlichen Einfluss entzog und auf die Gründung eines autonomen, mehr oder minder zentralistischen Klostersystems aus war. Jedes cluniazensische Kloster war allein dem Papst unterstellt; somit waren Kaiser und König jegliches Mitspracherecht bei personellen Entscheidungen des Klosters entzogen. 5 Plakativ formuliert: Cluny hatte und verteidigte von Anfang an das, wofür gregorianische Reformer so verbissen kämpften – Autonomie.
Nun drängen sich unweigerlich Fragen nach gewissen Einflussnahmen der einen auf die andere Reformbewegung auf. Beteiligten sich Clunys Äbte aktiv nicht nur an der Agitation für die libertas ecclesiae (Kirchenfreiheit), sondern auch an den übrigen, innerkirchlichen Reformideen jener Zeit, namentlich der Kampf gegen Simonie und Nikolaitismus? Oder bleibt der cluniazensische Einfluss auf die Kirchenreformer des 11. Jhd. nur passiver bzw. indirekter Natur?
Um diese Fragen zu beantworten, werden die erwähnten Reformen jeweils diskutiert und schließlich miteinander in Beziehung gesetzt.
2. Die monastischen Reformen aus Cluny
In einer Zeit des päpstlichen Machtverfalls, der „geistlich und sittlichen Verwahrlosung“ 6 innerhalb geistlicher Amtsträger und der immer eminenter werdenden Abhängigkeit der katholischen Kirche von weltlichen Interessen italienischer Politik, – kurz: Im sogenannten saeculum obscurum (dunklen Zeitalter) – entsteht 910 im französischen Burgund, in der kleinen Gemeinde Cluny, ein Benediktinerkloster, was zum Mittelpunkt der cluniazensischen Reform werden und dem „Niedergang des Mönchtums“ 7 entgegenwirken sollte. Erstens waren etliche Klöster durch die Normanneneinfälle Ende des vorigen Jahrhunderts zerstört worden8, woraus sich der Wiederaufbau von Klöstern ergab, und zweitens strebte man durch die Befreiung von der Grundherrschaft des Adels die Erneuerung der streng asketischen Lebensart an, die vor dem Hintergrund des lange praktizierten
Eigenkirchenrechts an Disziplin und Bedeutung verloren hatte.9 Die Cluniazenser- Mönche folgten streng der Benediktinerregel und verständigten sich auf ein „asketisches Ideal einer entschiedenen Absage an die Welt“; denn nur so könne der durch äußere Umstände entstandene Verfall der internen Disziplin des Klosterlebens überwunden werden.10
Es folgte die Ausweitung Clunys zu einem mächtigen Klosterverband, der, da schon die erste Abtei bei der Gründung durch Wilhelm I. von Aquitanien nur dem Papst unterstellt worden war, zu einer eigenständigen und unabhängigen Kongregation werden konnte, weil sich die Cluniazenser-Klöster rechtlich von kirchlichen Amtsträgern distanzierten und sich aus der Jurisdiktion der Bischöfe weitestgehend lösten.11 Mittels dieser Exemtionsprivilegien der bischöflichen Strafgewalt genoss der cluniazensische Klosterverband eine gewisse „Quasisouveränität“ und schuf durch Übernahme alter und den Bau neuer Klöster ein Netz von Abteien, die der cluniazensischen Lebensart folgten. Dies war möglich, weil der erste Abt Clunys, Odo, von Rom die rechtliche Absicherung für die Möglichkeit erhielt, andere Klöster in seinen Verband aufzunehmen und mehrere Abteien unter seine Leitung zu vereinigen. Die Forschung spricht hier von einem relativen cluniazensischen Zentralismus.12
Das wichtigste Exemtionsprivileg, das zur oben erwähnten Quasisouveränität des Klosterverbandes führte, war die Entwicklung einer ganz eigenartigen Praxis der Abtwahl und verdeutlicht die unabhängige Stellung des Klosterverbandes: Äbte wurden durch keinen Grafen, keinen König, Vogt oder Bischof ernannt; selbst der Papst hatte keinerlei Einfluss darauf. Jeder Abt bestimmte im Designationsverfahren seinen Nachfolger und ließ diesen von der Kongregation bestätigen.13 Hieran ist zuerkennen, dass sich die frommen Mönche aus Cluny nicht nur weltlicher, sondern auch jeglicher geistlicher Macht entziehen wollten. Es unterscheid kaum zwischen diesen beiden Gewalten.erkennen, dass sich die frommen Mönche aus Cluny nicht nur weltlicher, sondern auch jeglicher geistlicher Macht entziehen wollten. Es unterscheid kaum zwischen diesen beiden Gewalten.
Zusammenfassend lässt sich das Reformprogramm Clunys auf vier Punkte beschränken. Erstens: Die Reform der Klosterwirtschaft durch Ausdehnung des Klostergutes. Zweitens: Befreiung der Klöster von der „Obergewalt des Episkopats“ und die unmittelbare Unterstellung unter den Papst, ohne in dessen Abhängigkeit zu geraten. Drittens: Die Strenge Durchführung der Mönchszucht mittels Praktizierung der Benediktinerregel. Und schließlich viertens: Pflege einer „romanischen Mönchsreligiosität“.14
So innovativ diese Ideen auch sein mögen, man wird sich hüten müssen, kirchenpolitische Reformen in sie hineinzulesen. Die Cluniazenser arbeiteten nach monastischen Prinzipien für eine monastische Reform und waren, wie Smith betont, „an der weltlichen Kirche nicht wirklich interessiert.“15 Nichtsdestoweniger darf man davon ausgehen, dass Erfolg und Ideen der Cluniazenser kaum an der römischen Curie vorbeigingen und man sehr wohl das Geschehen in Cluny beobachtete. Zumal die cluniazensischen Mönche mächtige Männer waren und sowohl mit zeitgenössischen Königen als auch Bischöfen in Kontakt standen.16 Somit könnte in Cluny zumindest ein Nährboden für das geschaffen worden sein, was die Reformpäpste und ihre Mitstreiter dazu veranlasste, die kirchenpolitische Wende des 11.Jhd. Herbeizuführen. Außerdem stand Cluny stets in engem Kontakt mit Rom,sah den Papst als einziges rechtmäßiges Oberhaupt der katholischen Kirche an, um den Heiligen Stuhl – sicherlich zu ihren eigenen Gunsten – zu stärken; davon wird im letzten Kapitel noch einmal die Rede sein.
3.Zeit des Reformpapsttums – Die Gregorianische Reform
Wie in der Einleitung bereits erwähnt, werden mit der gregorianischen Reform jene „revolutionäre“ Ideen und Prozesse bezeichnet, die zur großen kirchenpolitischen Wende des Mittelalters führten. Das sogenannte Reformpapsttum spielt in diesem Zusammenhang eine wichtige Rolle und charakterisiert ganz allgemein alle Päpste nach Clemens II (1046), die, von den Reformideen jener Zeit überzeugt, mit ihrem Handeln diese Neuerung vorantrieben. Neben diesen römischen Bischöfen spielen einige weitere Männer eine entscheidende Rolle, die die Reform durch Entwicklung neuer Ideen passiv oder als Berater des Papstes in Rom aktiv vorantrieben. Gleichwohl der Weg der Reformen nach Papst Gregor VII. benannt ist und in dessen Pontifikat seinen Höhepunkt erreicht, ist er dort noch nicht zu Ende; dennoch befasst sich diese Arbeit lediglich mit den Anfängen der Reform im 11. Jhd.
Die Vergabe kirchlicher Ämter von Laien stand zwar häufig im Vordergrund, doch neben der libertas ecclesiae bewegte die Zeitgenossen – und das mindestens ebenso ausgeprägt – eine innere Reform der Kirchenverfassung. Darunter fiel, wie bereits erwähnt, die Abschaffung des Klerikerkonkubinats sowie der Handel mit kirchlichen Ämtern und Gütern. Der Reformeifer war ebenso darauf bedacht, die „Vorrangstellung des apostolischen Stuhls zu steigern und die Lebensführung der Kanoniker und Mönche zu verbessern.“17
Interessant ist nun, dass das eigentliche Zeitalter der Kirchenreform gerade mit und vor allem durch einen weltlichen Herrscher beginnt. Der Salier Heinrich III. griff stets selbstherrlich in die Organisation der Kirche ein und unterdrückte jedweden Widerstand dagegen. Seine Amtszeit beschreibt Heussi als den Höhepunkt des Einflusses des deutschen Königs auf die Kirche.18 Anders als sein Vater formulierte Heinrich III. offene Vorwürfe gegen Simonie und nutzte seine Macht zur Besetzung der Bischofstühle dazu, neue Reformkräfte einzusetzen. Mit seiner Simonie-Kritik
[...]
1 Laudage, Gregorianische Reform und Investiturstreit, S. 18.
2 Das sogenannte „ottonisch-salische Reichskirchensystem“ beruhte auf diesem Grundsatz.
3 Vgl. Laudage, S. 19.
4 Neben der Aufhebung der Laieninvestitur gingen die Reformer unter anderem gegen Simonie (Ämterkauf) und Nikolaitismus (Priesterehe) vor. Der Investiturstreit fand zwar auf dem Wormser Konkordat (1122) seinen Abschluss; für die Durchsetzung der anderen innerkirchlichen Reformen jedoch bedurfte es einen längeren Zeitraum.
5 Smith, Cluny. Beiträge zu Gestalt und Wirkung der cluniazensischen Reform, S. 23.
6 Moeller, Geschichte des Christentums in Grundzügen, S. 147.
7 Hauschild, Lehrbuch der Kirchen- und Dogmengeschichte, S. 310.
8 Smith, Cluny. Beiträge zu Gestalt und Wirkung der cluniazensischen Reform, S. 22.
9 Vgl. Hauschild, S. 310. Das Eigenkirchenrecht sei dafür verantwortlich gewesen, dass Klöster in die Verfügungsgewalt der Feudalherren gerieten, und diese somit als „Laienäbte“ die Klöster leiteten, ohne deren monastischer Bruderschaft anzugehören.
10 Ebd.
11 Moeller, Geschichte des Christentums in Grundzügen, S. 150.
12 Sackur, Die Cluniacenser. In ihrer kirchlichen und allgemeingeschichtlichen Wirksamkeit bis zur Mitte des elften Jahrhunderts, S. 437/439. Sackur relativiert diesen Zentralismus mit der Begründung, dass jedenfalls zu Beginn des Klosterausbaus die Äbte der neuen Klöster aus dem „Mutterkloster“ kamen, später aber diese Verbindung abbricht. Er spricht ferner von einem Neben- und Nacheinander-Wirken von Mönchen und Äbten verschiedener Herkunft und Schulen.
13 Hoffmann, Von Cluny zum Investiturstreit, S. 170/171.
14 Heussi, Kompendium der Kirchengeschichte, S. 183.
15 Vgl. Smith, S. 23.
17 Laudage, Der Investiturstreit, S. 2-6. In diesem Zusammenhang spricht Laudage von der „Ausgestaltung des römischen Primats“. Die einzigartige Stellung des Papsttums sei vorerst nur der Idee nach abgesichert, was sich durch tiefgreifende Reformmaßnahmen geändert habe.
18 Vgl. Heussi, S. 185/186.