Bedingungsloses Grundeinkommen

Ein Überblick


Hausarbeit, 2018

27 Seiten, Note: 1,0


Leseprobe


Inhaltsverzeichnis

I . Abkürzungsverzeichnis

1. Einleitung

2. Sozialpolitik in Deutschland
2.1. Prinzipien der Sozialpolitik
2.2. Herausforderungen und Missstände

3. Ideen zu einem (bedingungslosen) Grundeinkommen
3.1. Verschiedene Modelle
3.2. Denkbare Auswirkungen
3.2.1. Mögliche Kritik
3.2.2. Bildungspolitische und gesellschaftspolitische Argumente
3.2.3. Ökonomische und ökologische Argumente.
3.2.4. Sozialpolitische Argumente

4. Fazit

II. Anhang

Anhang 1: Phasen staatlicher und sozialer Politik 1871

Anhang 2: Grundeinkommen: Modelle und Ansätze in Deutschland

Anhang 3: Idealtypische Kategorisierung von Grundeinkommensdiskursen

Anhang 4: Finanzierungsmodell eines emanzipatorischen Grundeinkommens über eine negative Einkommenssteuer

III. Literaturverzeichnis

I. Abkürzungsverzeichnis

Abbildung in dieser Leseprobe nicht enthalten

1. Einleitung

Eine gesicherte Existenz für alle – ohne dafür irgendwelche Bedingungen zu erfüllen oder Gegenleistungen zu erbringen? Das klingt für viele utopisch. Aber vielleicht stehen uns bald mehr Türen offen, als wir bis dato für möglich gehalten haben. Der technische Fortschritt hat in fast jedem Lebensbereich Einzug gehalten und bewegt sich in großen Schritten fort. In vielen Dingen unterstützen uns Maschinen oder technische Geräte, machen unsere Arbeit schneller oder einfacher – oder übernehmen die Aufgaben komplett für uns. So auch in der Arbeitswelt: Wenn aber nur noch wenige Arbeiter benötigt werden, was wird dann mit denen, deren Arbeitskraft dadurch überflüssig wird? Der Philosoph Hans Jonas (1903-1993) vertrat daher die Ansicht, dass der Fortschritt in Technik, Wissenschaft und Forschung ebenso auch eine Bedrohung für die Menschheit darstellt (Jonas 1979). Eine Möglichkeit, dieser Entwicklung entgegen zu wirken, kann das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) sein: ein Betrag „X“, der die existenziellen Grundbedürfnisse jedes Individuums abdecken soll und bedingungslos, also ohne Gegenleistung, allen gestellt wird, so auch Kindern, Senioren, Arbeitern, Arbeitslosen etc. – jedem Menschen. So soll allen die gleiche Grundlage und die gleiche Möglichkeit zur gesellschaftlichen Teilhabe ermöglicht werden.

Gegenstand dieser Arbeit ist die Untersuchung, ob das BGE in der deutschen Sozialpolitik Einzug halten kann und soll. Hierfür wird zu Beginn ein Überblick zu den historischen Grundmauern und den bestehenden Prinzipien unserer heutigen Sozialpolitik gegeben. Begründet von gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen unserer Gesellschaft wird abschließend darauf eingegangen, welche Auswirkungen die Einführung eines BGEs hierauf haben könnte.

2. Sozialpolitik in Deutschland

Die Sozialpolitik in Deutschland hat eine mehr als 140-jährige Geschichte und sich im Laufe der Zeit fortwährend angepasst und entwickelt. Ihre Ursprünge finden sich im 18. und 19. Jahrhundert: Im Zuge der industriellen Revolution im 18. Jahrhundert wurde die Abschaffung des Feudalismus und die Entstehung einer modernen Arbeiterklasse bewirkt. Die Menschen, die kein Privateigentum besaßen, begannen, ihre eigene Arbeitskraft zu verkaufen. Jedoch waren die Arbeitsbedingungen in den Fabriken zu Beginn katastrophal (Althammer/Lampert 2007, S.49). In der Folge bildeten sich die ersten sozialistischen Gewerkschaften und es kam zunehmend zu Streikwellen gegen die miserablen Arbeitsbedingungen. Aus Angst vor einer Revolution versuchte die Regierung diese Bewegungen 1878 mit dem Erlass des so genannten „Sozialistengesetz“ zu unterdrücken (Althammer 2009, S.142 ff.). Der damalige Reichskanzler Otto von Bismarck musste aber erkennen, dass er alleine durch das Verbot solcher Vereinigungen und Aktivitäten keine ausreichende Stabilisierung der Gesellschaftsordnung erreichen konnte. Um das Vertrauen und die Loyalität der Arbeitermasse zurückzugewinnen, verkündete er am 17.11.1881 die so genannte „Kaiserliche Botschaft“, in deren Folge 1883 ein Krankenversicherungsgesetz, 1884 ein

Unfallversicherungsgesetz sowie 1889 ein Alters- und Invaliditätssicherungsgesetz für gewerbliche Arbeitnehmer erlassen wurde (Althammer 2009, S.147 f.). Auch wenn Bismarck diese Gesetze vorrangig als einen taktischen Zug zur Durchsetzung seiner politischen Interessen einführte, wissen wir heute, dass dies die Geburtsstunde unseres heutigen Sozialstaats war. Zwischen 1890 und 1918 veränderte sich die politische Landschaft jedoch zunehmend: „Die Sozialdemokratische Partei […] erreichte 1912 34,8% aller Stimmen und 27,7% aller Reichstagsmandate. Sie war damit nach Stimmen- und Mandatszahl stärkste Partei geworden […] [Es deutete] sich an, dass die politische Emanzipation der Arbeiterschaft letztlich nicht mehr aufzuhalten war […]“ (Althammer/Lampert 2014, S.75). Im weiteren Verlauf war der Sozialstaat vielfältigen Veränderungen unterworfen und entwickelte sich dadurch stets weiter.1 So wurden unter anderem 1969 das Arbeitsförderungsgesetz und 1995 das Pflegeversicherungsgesetz in der deutschen Sozialgesetzgebung ergänzt (Dietz/Frevel/Toens 2015, S.54 ff.).

Sozialpolitik kann daher als das Bindeglied zwischen Politik und Gesellschaft verstanden werden und ist aufgrund des sozialen Wandels zwangsläufig einer beständigen Anpassung unterworfen.

2.1. Prinzipien der Sozialpolitik

Unser heutiges sozialpolitisches System baut vor allem auf folgenden Prinzipien auf: dem Prinzip sozialer Gerechtigkeit, dem Solidaritätsprinzip, dem Subsidiaritätsprinzip und dem Selbstverantwortungsprinzip.

Die soziale Gerechtigkeit besagt, dass eine angemessene Verteilung des Reichtums in der Gesellschaft erreicht und jedem Menschen die gleichen Chancen innerhalb der Gesellschaft ermöglicht werden sollen (Althammer/Lampert 2007, S.487). „Nur dann ist Gleichheit gleichzeitig mit einem größtmöglichen Maß an Freiheit zu erreichen“ (Dietz/Frevel/Toens 2015, S.63).

Das Solidaritätsprinzip orientiert sich an christlichen Werten wie der Nächstenliebe und ist in der Sozialpolitik als die gegenseitige Hilfsbereitschaft der Gesellschaft gegenüber einzelnen Personen, deren materielle Existenzbedingungen durch Faktoren sozialer Ausgrenzung (wie z.B. Alter, Krankheit, Behinderung etc.) bedroht sind, zu verstehen (Althammer/Lampert 2007, S.488 f.).

Dem Subsidiaritätsprinzip ist zu entnehmen, dass „eine höhere staatliche oder gesellschaftliche Einheit erst dann helfend eingreifen und Funktionen an sich ziehen darf, wenn die Kräfte der untergeordneten Einheit nicht ausreichen, die Funktion wahrzunehmen. Im Sozialrecht erhalten nach diesem Prinzip Personen nur dann Unterstützungsleistungen, wenn sie weder von anderen Einrichtungen (z. B. Arbeitsagentur, Krankenkasse) Leistungen erhalten noch in ihrer Familie oder selbst über genügend Vermögen oder Einkommen verfügen, um sich selbst zu helfen“ (Bundeszentrale für politische Bildung o.J.). Daran ist unmittelbar das Selbstverantwortungsprinzip gekoppelt, nach welchem der Sozialstaat so wenig wie möglich in die Freiheit und Selbstverantwortung jedes Gesellschaftsmitglieds eingreifen darf. „Selbstverantwortung wiederum ist nur in dem Maße möglich, in dem der Einzelne oder die kleinere Gruppe de facto fähig ist, bestimmte Lebenslagen zu bewältigen; das heißt […], dass Selbstverantwortung nur bis zu einem bestimmten Grade möglich ist, also durch solidarische Hilfe ergänzt werden muss […]“ (Althammer/Lampert 2014, S.214).

Mit allen sozialpolitischen Maßnahmen werden im Grunde drei Finalziele angestrebt: soziale Sicherheit, soziale Gerechtigkeit und die Sicherung des inneren Friedens einer Gesellschaft (Althammer/Lampert 2014, S.406). Das Sozialgesetzbuch (SGB) bildet dabei die Gesetzesgrundlage, in der alle Maßnahmen aufgeführt und definiert sind. Insgesamt besteht es aus zwölf Büchern, die jedes einen Teilbereich der Sozialpolitik regeln. Alles zusammengefasst, blicken wir auf ein Konstrukt, bestehend aus über 100 bürokratischen Einzelleistungen, die von über 40 unterschiedlichen staatlichen Stellen verwaltet werden und alle mit einem entsprechenden bürokratischen Aufwand verbunden sind (FDP 2009).

Doch ist es tatsächlich noch so, dass das Sozialsystem, wie es einst im Kaiserreich entstand, den Anforderungen unserer heutigen Zeit noch angemessen gerecht wird? Um dieser Fragestellung nachzugehen, sollen im Folgenden verschiedene Herausforderungen und Missstände unserer aktuellen Sozialpolitik aufgedeckt werden.

2.2. Herausforderungen und Missstände

Ausgehend von dem Ergebnis einer Studie von 2017 der Oxford University ist damit zu rechnen, dass in den nächsten 20 Jahren beachtliche 47% aller Arbeitsplätz durch den technischen Fortschritt wegfallen werden (Frey/Osborne 2013, S.44). Arbeitsplätze werden rationalisiert, die Anforderungen an die Arbeiter jedoch immer höher. Die verbleibenden Arbeiter müssen mit ihren Beitragszahlungen in der Konsequenz „nahezu sämtliche Renten, die Arbeitslosenversicherung und einen Großteil unseres Gesundheitssystems finanzieren. Resultat: ächzende Sozialsysteme, eine zunehmend ungerechte Einkommensverteilung […]“(Werner 2007, S.22). Vergleicht man die heutige Situation mit den vorherrschenden Zuständen im Bismarckreich, wird man zwangsläufig mit der Tatsache konfrontiert, dass es damals genau umgekehrt war: Das Arbeitsangebot war größer als die Nachfrage (Althammer/Lampert 2007, S.47). Auch 1970, als noch deutlich mehr als 80% der Bevölkerung einer Vollzeitbeschäftigung nachging (Werner 2007, S.21), war dieses System noch tragbar.

Ebenso stellt der demographische Wandel eine weitere Herausforderung unserer Gesellschaft dar. Neben einer zunehmenden Lebenserwartung, demzufolge längeren Rentenbezügen sowie steigenden Gesundheits- und Pflegekosten, zeichnet dieser aber auch sinkende Geburtsraten ab. So gerät das ursprünglich ausgewogene Umlageverfahren2 und der so genannte „Generationenvertrag“3 aber zunehmend ins Wanken und kann als logische Schlussfolgerung zukünftigen Herausforderungen unserer Gesellschaft nicht dauerhaft gerecht werden. Bereits jetzt haben wir einen Pflegenotstand und die Arbeitsbedingungen in Senioren- und Pflegeheimen sind der Wichtigkeit ihrer Arbeit gegenübergestellt unangemessen und unattraktiv. Weiterhin zeigt eine Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung „Was junge Frauen wollen“ (Wippermann 2015) im Ergebnis, dass Kinder für Frauen mit ausgeprägten beruflichen Ambitionen vor allem ein Risiko für Selbstverwirklichung und finanzieller Unabhängigkeit darstellen. „Dem gegenüber stehen Frauen, die nichts lieber täten, als den Beruf zugunsten der Kinder an den Nagel zu hängen, das aber aus finanziellen Gründen nicht können. Was alle Milieus eint, ist die Sorge um das Geld“ (Thurm 2016). Umso deutlicher wird auch hier der Unterschied zu früheren Zeiten: Damals bedeuteten mehr Kinder auch gleichzeitig mehr potenzielle Arbeitskräfte für eine Familie und kamen daher einer Alterssicherung gleich. Familiengründung heutzutage erfolgt um ihrer selbst willen und zur Weitergabe von Wissen und Kultur und nicht primär zum Zweck der Alterssicherung. Umso mehr hängt Kinderplanung in unserer heutigen Zeit – trotz bereits vorhandener staatlicher Unterstützungsleistungen – stark vom verfügbaren Einkommen ab und ist vor allem in den ersten Lebensjahren eines Kindes meist mit eindeutigen Einkommenseinbußen verbunden: zu Beginn durch das verminderte Elterngeld, im Anschluss durch eine eventuelle Teilzeitarbeit. Auch beim Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt werden Frauen mit Kindern von Unternehmen häufig als

„Arbeitskraft mit Einschränkungen“ wahrgenommen, da zum Beispiel höhere Ausfallzeiten durch Krankheiten der Kinder zustande kommen könnten oder der Arbeitgeber eine junge Mutter nicht als Vollzeitarbeitskraft einplanen kann. Fakt ist, dass in einer bereits überalternden Gesellschaft, in welcher zudem das soziale Sicherungssystem überwiegend von den jungen Generationen abhängt, Familienplanung nicht primär von monetären Aspekten abhängig sein darf. Dieser Missstand ist ein klarer Anhaltspunkt dafür, dass dringend ein Umdenken stattfinden muss, um dem demographischen Wandel aktiv entgegenzuwirken.

Mit dem gesellschaftlichen Wandel hat sich in der Folge auch ein modernes Arbeitsethos etabliert. Zum einen wird von den Arbeitnehmern ein großer Fokus auf eine ausgeglichene Work-Life- Balance, zum Beispiel in Form von verkürzten und flexiblen Arbeitszeitmodellen, um das Arbeitsleben an das Privatleben bestmöglich anzupassen und nicht mehr umgekehrt. Darüber hinaus besteht bei vielen zunehmend das Bedürfnis, mit ihrer Arbeit auch kreative und sinnstiftende Zwecke zu erfüllen und sich auf diesem Wege selbst zu verwirklichen (Straubhaar

2017, S.75 ff.). Einige Beispiele hierfür sind z.B. soziales Engagement, Kinder- und Jugendarbeit, Vereinstätigkeiten, künstlerische oder forschende Tätigkeiten etc. Diese so genannten „alternativen Arbeiten“ sind für das Fortbestehen und die Entwicklung unserer Gesellschaft unentbehrlich, jedoch werden sie oft nur als Hobby oder in Ehrenämtern bekleidet und gelten nach unserem aktuellen Verständnis nicht als Erwerbsarbeit (Werner 2007, S.64). Um nicht in die

Bedürftigkeit abzurutschen, besteht indes sogar ein regelrechter Zwang, einer Arbeit im herkömmlichen Sinne nachzugehen, ganz entgegen der Formulierung eines „Rechts zur freien Berufswahl“ in Artikel 12 unseres Grundgesetzes (Werner 2007, S.73 f.).

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass in diesem Kontext der Begriff der Erwerbsarbeit neu gedacht und erweitert werden sollte, um vor allem auch Familienpflege und „alternative Arbeiten“ gesellschaftlich anzuerkennen und nicht mit existenzbedrohenden Einkommenseinbußen zu verbinden.

Durch einen drohenden Anstieg des Arbeitslosigkeitsrisikos wird auch zwangsläufig der Konkurrenzdruck unter den Arbeitssuchenden steigen und eine zunehmende Flexibilität innerhalb ihrer Aufgabengebiete und auf dem gesamten Arbeitsmarkt von ihnen verlangt werden. Simple und wenig komplexe Arbeiten werden immer häufiger durch effizientere und produktivere Maschinen ersetzt (Straubhaar 2017, S.76). „Um mithalten zu können im Wettbewerb gegen immer klüger werdende Roboter und die internationale Konkurrenz bedarf es einer stetigen Pflege der individuellen Kompetenzen und Fähigkeiten, von Leistungsfähigkeit und Leistungsbereitschaft“ (Straubhaar 2017, S.77). Man spricht in diesem Zusammenhang von einer fortschreitenden Kommodifizierung der Arbeit, das heißt, dass sie zur Ware wird und sie auch so gehandelt wird: Nur derjenige, der ein gutes Angebot leisten kann, wird auch einen Preis in Form eines Einkommens dafür erhalten, sofern die Nachfrage danach besteht. Esping-Andersen sah daher die Dekommodifizierung der menschlichen Arbeit als eine der Hauptaufgaben der Sozialpolitik (Esping-Andersen 2008, S.35 ff.). Um die geforderte Flexibilität leisten zu können, wird auch die persönliche und berufliche Bildung immer wichtiger. Denn Menschen, die kein gutes Angebot ihrer Arbeitskraft bieten können, wie beispielsweise Kranke, Behinderte oder in diesem Fall auch Geringqualifizierte, sind demzufolge durch ihre Einschränkung in ihrer Existenz bedroht. So fassen H.-J. Andreß und M. Kronauer zusammen, dass nahezu alle Dimensionen sozialer Ausgrenzung auch ökonomische Nachteile mit sich bringen oder aufgrund des eingeschränkten Zugangs zum Arbeitsmarkts in die Armut führen können (Andreß/Kronauer 2006, S.48). Laut S. Kaufmann ist der Anteil der von Armut bedrohten Bevölkerung in Deutschland an der Wende zum 21. Jahrhundert bereits von 10% auf 15% gestiegen (Kaufmann 2015). Umso erforderlicher ist es, Regelungen zu finden, die beispielsweise auch Tätigkeiten mit geringem Stundenumfang und geringem Einkommen für Sozialleistungsbezieher attraktiv darstellen. Vorgaben, wie §155 SGB III auch §11 ff. SGB II sind unter diesem Aspekt dringend kritisch zu überprüfen, da durch sie festgelegt ist, dass auch bereits sehr geringe Hinzuverdienste die Leistungsbezüge entsprechend schmälern. Ein Beispiel für den mangelnden Anreiz zur persönlichen Fort- und Weiterbildung während einer bestehenden Arbeitslosigkeit bietet zudem §151 (5) SGB III: Hierin ist festgelegt, dass Leistungsbezieher, die sich dem Arbeitsmarkt nur in Teilzeit zur Verfügung stellen möchten (z.B. aufgrund einer mehrmonatigen Fortbildung), umgehend mit einer Kürzung ihrer Leistungsbezüge versehen werden – unabhängig davon, ob sie zuvor jahrelang Sozialversicherungsbeiträge basierend auf einer Vollzeittätigkeit eingezahlt haben. Um unsere Gesellschaft fachlich kompetent und motiviert für die kommenden Herausforderungen aufzustellen, sind derartige Regelungen zweifelsohne kontraproduktiv.

Grundsätzlich könnte uns der durch maschinelle Arbeit erzeugte Mehrwert aber bereits jetzt schon eine großzügige Arbeitsteilung auf mehrere Teilzeitstellen anstelle weniger Vollzeitstellen ermöglichen. Als „Normarbeitsverhältnis“ wird jedoch stets eine Vollzeitarbeit definiert (Werner 2007, S.21). Zum Teil sind aber auch die Bedingungen für die Unternehmen fehlanreizend geregelt: Reinvestitionen in weitere Maschinen sind unter anderem steuerlich deutlich attraktiver, als die Einstellung von mehr Personal. Maschinen werden nie müde oder krank und produzieren den Großteil des Mehrwertes. Hinzu kommt, dass für sie auch keinerlei Sozialversicherungsbeiträge oder so genannte Lohnnebenkosten anfallen (Bundeszentrale für politische Bildung 2017). Betrachtet man diese Tatsache gesondert, kommt Maschinenarbeit nach der Auffassung von A. Vogt ganz und gar der Schwarzarbeit nahe (Vogt 2016, S.176). Es ist also zu überlegen, ob auch durch Maschinenarbeit ein solidarischer Beitrag entrichtet werden sollte.

Was für Unternehmen zählt, um im Wettbewerb überleben zu können, ist letzten Endes aber hauptsächlich der maximale Profit. Indes taucht ein bereits seit langem bekanntes Ursprungsproblem auf: die ungerechte Vermögensverteilung. Karl Marx erforschte erstmals, wie der Kapitalismus soziale Ungerechtigkeit erzeugt und verstärkt. In seinem und Friedrich Engels´ „Manifest der Kommunistischen Partei“ spricht er dafür von zwei Klassen in der Gesellschaft. Er stellt heraus, dass ein kleiner Teil über die Produktionsmittel und alleine über den erwirtschafteten Reichtum verfügt: die so genannte Bourgeoisie. Dem gegenüber steht das Proletariat, welches über keine eigenen Produktionsmittel verfügt und durch Lohnarbeit von der Bourgeoisie abhängig sind (Marx/Engels 1970, S.42). Unklar bleibt, weshalb nur ein geringer Teil der Gesellschaft, die Besitzer der Produktionsmittel, alleinige Verfügungsgewalt über den Produktionsüberschuss haben und weshalb dieser nicht zum Wohle der Gesellschaft, sondern größtenteils der Produktion von Mehrwert verwendet wird (Marx 1983, S.229). Auch bis heute hat sich an diesem Missstand nichts verändert: M. Grabka vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung erklärt in einem Interview mit der Frankfurter Rundschau, dass 65% des Gesamtvermögens in Deutschland auf gerade einmal 10% der Bevölkerung verteilt sind (Kaufmann 2015). Diese Minderheit dominiert den gesamten Markt und machen einen freien Wettbewerb praktisch nicht möglich (Weik/Werner/Friedrich 2017, S.15). Darüber hinaus schützt unser Finanzsystem die Banken, jedoch nicht die Bevölkerung. An der Börse gehandelte Geldmengen stehen in keinem realen Wert zur Wirtschaft, das heißt, dass sie höher gehandelt werden, als Geldmengen tatsächlich im Umlauf sind. Es bilden sich so genannte „Blasen“, welche zwangsläufig irgendwann „platzen“ und den Kurs zum Einsturz bringen. Kommt es dann zum Schadensfall, ist die Haftung der Banken nur gering angesetzt. Der Großteil wird vom Staat mit den vom Bürger entrichteten Steuergeldern ausgeglichen (Weik/Werner/Friedrich 2017, S.132). Auch neue Kredite erhalten Banken bereits bei einer sehr geringen Eigenkapitalquote von der „Europäischen Zentralbank“. Demgegenüber sind die Hürden für den Einzelverbraucher bei der Kreditvergabe weitaus höher angesetzt (Weik/Werner/Friedrich 2017, S.143). Soll also soziale Gerechtigkeit erzielt werden, muss bei einer Umverteilung zuallererst dort angesetzt werden, wo der Großteil des gesamten Vermögens liegt und der immer größer werdenden Profitgier muss endlich eine Grenze gesetzt werden. Um die Wettbewerbsfähigkeit einzelner Länder nicht zu gefährden, müssen entsprechende Regelungen hierzu zwangsläufig global gedacht werden. Nicht zuletzt sind unserem Wirtschaftswachstum durch die Endlichkeit natürlicher Ressourcen, von denen langfristig unser aller Überleben abhängt, eindeutige Grenzen gesetzt. Jackson kommt zu dem Resümee, dass unser Wirtschaftswachstum nicht ewig das Maß für Wohlstand sein kann, sondern Wohlstand ebenso langfristig neu definiert werden muss und nicht nur materiellen Ursprungs sein darf (Jackson/Leipprand 2017, S.33 ff.).

3. Ideen zu einem (bedingungslosen) Grundeinkommen

3.1. Verschiedene Modelle

Um den gegenwärtigen und zukünftigen Herausforderungen angemessen gerecht zu werden, wird innerhalb der verschiedenen Parteien vermehrt die Überlegung eines Grundeinkommens zur generellen Absicherung jedes Bürgers debattiert. „Es ist ein individuelles Recht, ohne Berücksichtigung von familiären oder partnerschaftlichen Bindungen, von Einkommen- und Vermögensverhältnissen sowie der Verfügbarkeit für den Arbeitsmarkt. Es wird ohne sozialadministrative Bedürftigkeitsprüfung (Einkommen- und Vermögensprüfung), ohne den Zwang zur Arbeit oder zu einer anderen Gegenleistung ausgezahlt. Das Grundeinkommen ist eine Geldleistung des Gemeinwesens über den Staat an die Einzelnen, das die Existenz sichert und gesellschaftliche Teilhabe ermöglicht. Es kann durch andere Einkommen ergänzt werden“ (Netzwerk Grundeinkommen 2012). Tatsächlich wird „ein Grundeinkommen (mittlerweile) von so unterschiedlichen Akteuren wie der „Bundesarbeitsgemeinschaft Grundeinkommen in und bei der Partei DIE LINKE“ auf der einen Seite und dem Unternehmer Götz Werner oder der FDP auf der anderen Seite vorgeschlagen beziehungsweise eingefordert […], dass mit der Idee eines Grundeinkommens stark unterschiedliche Motivationen verbunden sind, die sich vor allem hinsichtlich ihrer Positionierung gegenüber dem Verhältnis von Markt und Gesellschaft differenzieren lassen“ (Wagner 2009, S.6). Die Modelle sind oft sehr unterschiedlich, z.B. in Bezug auf die Höhe des Grundeinkommens, die Finanzierung und das Einstreichen bisheriger Transferleistungen.4 Wagner nimmt zur Vereinfachung eine Differenzierung aller Modelle in zwei grundlegende Motive vor: dem „Kompensationsmotiv“, was die möglichst große Entlastung des Kapitalmarkts von Krisenbelastungen durch die Gesellschaft zum Ziel hat und dem gegenüber dem „Arbeitsumverteilungsmotiv“ was eine möglichst weitreichende Entkopplung des Individuums von der kapitalistischen Marktzentrierung erzielen will (Wagner 2009, S.10 ff.). Je nach Motiv lassen sich weiterführend auch vier unterschiedliche Diskurse herausstellen: der neoliberale, der sozialliberale, der sozial-egalitäre und der emanzipatorische Diskurs (Wagner 2009, S.17 ff.). Stellt man alle vier Dimensionen in den direkten Vergleich, wird deutlich, dass der emanzipatorische Diskurs die „gesellschaftliche Position und Autonomie der von Erwerbsarbeit abhängigen Menschen (von allen Diskursen am meisten stärkt) […] (und die deutlichste) Antwort auf die zunehmende Prekarisierung und Fremdbestimmung von Arbeit und Leben vieler Menschen (gibt)“5 (Wagner 2009, S.13).

Wie in Anhang 3 erkennbar ist, bildet der neoliberale Ansatz das Gegenteil. Die Höhe des Grundeinkommens wird sehr niedrig und womöglich noch unter dem gesetzlichen Existenzminimum angesetzt. Nichtsdestotrotz sollen jegliche Transferleistungen, Mindestlöhne und Flächentarifverträge und ähnliche Abkommen abgeschafft werden, da hiermit eine möglichst großzügige Einsparung von Bürokratiekosten erreicht werden soll. Gewinner solcher Modelle sind aber vor allem die Unternehmen, da sie in der Folge keine Lohnnebenkosten mehr zu tragen hätten und jegliche Einkommen auch entsprechend niedrig ansetzen könnten, da die Existenzsicherung durch das Grundeinkommen abgegolten würde. Auf diesem Wege könnte der Niedriglohnsektor gefährlich breit ausgebaut werden. Werner schlägt zur Finanzierung zudem das Wegfallen von jeglichen Steuern bis auf eine erhöhte Konsumsteuer vor. Diese würde jedoch die Lebenserhaltungskosten allem Anschein nach derart erhöhen, dass das Grundeinkommen zur Existenzsicherung kaum oder nicht mehr ausreichen kann. „Mit anderen Worten: das Grundeinkommen in seiner neoliberalen Ausprägung dient nicht in erster Linie einer gerechten Gesellschaft, sondern der Wahrung einer Gesellschaft, welche das ökonomische System nicht in Frage stellt. Im Mittelpunkt steht also die Anpassung der Gesellschaft an den Markt – und eben nicht ein neuer Kompromiss zwischen Markt und Gesellschaft;[…]“ (Wagner 2009, S.24).

Das emanzipatorische Grundeinkommen baut jedoch auf den erkämpften Meilensteinen der Arbeitergewerkschaften und Berufsgenossenschaften auf, indem es bestehende Tarifautonomien erhält und weiter stärkt und lediglich das Arbeitslosen- und Sozialgeld ersetzt. Der humanitäre Ansatz ist in diesem Diskurs deutlich erkennbar, denn es wird „die gesamtgesellschaftliche Umverteilung von Arbeit mit dem expliziten Ziel der Veränderung der dominanten Produktionsverhältnisse in den Mittelpunkt ihrer Forderungen (gestellt)“ (Wagner 2009, S.34) und würde so dem Kern der bestehenden Verteilungsungerechtigkeit gezielt entgegenwirken, nämlich der großen Marktabhängigkeit. Dem Einzelnen wird eine tatsächliche Wahlmöglichkeit geboten, welche Tätigkeit man ausüben und wie viel man arbeiten möchte. Demzufolge wäre auch der Grad der Dekommodifizierung sehr hoch. Der Arbeitsanreiz bliebe aber generell bestehen, da allein mit dem BGE wohl nur ein bescheidener Lebensstandard möglich wäre und ein zusätzlich erwirtschaftetes Einkommen vergleichsweise nicht übermäßig besteuert wird, sodass eine zusätzliche Tätigkeit auch einen tatsächlichen Mehrwert darstellt (Wolf 2014, S.6).

[...]


1 siehe Anhang 1: Phasen staatlicher und sozialer Politik seit 1871

2 Einbezahlte Sozialversicherungsbeiträge werden unmittelbar für die Auszahlung an Leistungsberechtigte verwendet

3 Arbeitstätige Generationen finanzieren durch ihre Sozialabgaben die in Rente stehenden Generationen

4 Siehe Anhang 2: Grundeinkommen: Modelle und Ansätze in Deutschland.

5 Siehe Anhang 3: Idealtypische Kategorisierung von Grundeinkommensdiskursen

Ende der Leseprobe aus 27 Seiten

Details

Titel
Bedingungsloses Grundeinkommen
Untertitel
Ein Überblick
Hochschule
IU Internationale Hochschule
Veranstaltung
Sozialpolitik
Note
1,0
Autor
Jahr
2018
Seiten
27
Katalognummer
V456437
ISBN (eBook)
9783668887138
ISBN (Buch)
9783668887145
Sprache
Deutsch
Anmerkungen
"Klare und fundierte Argumentation. Sehr gute Beherrschung der Thematik. Die Autorin bietet eine ausgezeichnete Diagnose der "sozialen Fragen" unserer Zeit. Sehr gute Literaturrecherche und Literaturauswahl. IUBH-Bestimmungen für Literaturangaben wurden eingehalten."
Schlagworte
Grundeinkommen
Arbeit zitieren
Annika Storandt (Autor:in), 2018, Bedingungsloses Grundeinkommen, München, GRIN Verlag, https://www.grin.com/document/456437

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